Aufgeben ist keine Option

337 29 4
                                    

ROSA

„Ich bin immer für dich da, Rosa. Aber du musst mir unbedingt erzählen, was los ist." 

***

Ich öffne die Augen, versuche mich nicht an das zu erinnern, was passiert ist. Und doch haben sich die Bilder auf meine Netzhaut gebrannt. Noch immer spüre ich seine Hände, die mich an den Haaren durch den Raum geschleift haben, fühle den kaputten Boden, der sich in meine Wunde gegraben, sie aufgerissen hat und höre seine zischenden Worten. 

Ich schlucke, was bei einer ausgetrockneten Kehle gar nicht so einfach ist. Ich huste, kann mich kaum noch beruhigen. Das Pochen in meinen Schläfen wird dadurch verstärkt und zwingt mich dazu ruhig liegen zu bleiben, die Augen zu schließen und zu hoffen, dass sie nach mir suchen. Wenn nicht Guzman, dann Papa und die Estrellas. 

Sie müssen inzwischen bemerkt haben, dass ich bei niemanden sein kann, um mich vor der Abreise, die heute – oder wäre sie gestern gewesen? – zu drücken. Obwohl nach allem, was passiert ist, sehne ich mich nur noch nach den Staaten. Weg von hier, weg von allem. Von Guzman, von Gandia, von alles und jedem. 

Ich denke an den Traum zurück, an die tröstenden Worte meiner Mutter, die mich in den Arm genommen hat und gesagt, dass ich stärker bin, als ich denke und, dass ich das überleben werde. Ich werde leben. Diese Worte geben mir die Kraft die Augen zu öffnen und mich nach etwas umzusehen, dass mir bei der Flucht helfen könnte. 

Denn eines weiß ich, ich werden nur lebend hier raus kommen, wenn ich jetzt stark bin und mich meiner Angst stelle. Meine Mama ist bei mir, wird mich führen und mir den Weg zeigen. Auf einmal sehe ich alles klar vor mir und mein Blick bleibt auf einer Spritze hängen, die auf dem Tablett liegt, dass nur einen Meter von mir entfernt ist. Aber die Fixierung an meinen Händen macht es mir unmöglich daran zu kommen, außer ... 

Eine Schwester war doch hier, also muss sie irgendwo sein. Gandia würde mich niemals unbeobachtet lassen, dass hat er mir beim letzten Mal ziemlich deutlich gezeigt. Sein krankhafter Wahn wird mich umbringen, wenn ich nicht fliehen kann. Aber wie? 

Ich muss an die Spritze gelangen, um die Schwester betäuben zu können, damit ich mich als sie ausgeben kann. Das Alter stimmt zwar nicht ganz überein, aber die Nonnenkutte wird mir helfen. Als ich mich bewege, hindert mich die Infusion, dessen Zugang in meiner Armbeuge liegt, was mich auf eine Idee bringt. Wie viel Schmerz kann ein Mensch ertragen? Im Ernstfall so viele, dass man sie im besten Fall nicht mehr spürt. 

Das kann ich nur hoffen, denn mein Plan kann nur funktionieren, wenn die Nadel in meinem Arm ausgerissen ist und ich so wahnhaft bin, dass die Schwester mich beruhigen muss. Und das kann sie nur mit der Spritze machen, die ich ihr dann abknöpfen werde. Ich muss sie nur noch anlocken, also schreie ich. Ich schreie und schreie. Meine Kehle brennt wie Feuer, doch ich ignoriere den Schmerz und mache weiter. Bis endlich die besagte Schwester hereinkommt und sich meiner annimmt.

„Was ist denn los?", brummt sie und bleibt vor meinem Bett stehen. Ich will etwas sagen, doch meine Stimme bricht, Tränen brennen heiß in meinen Augen und fließen mir über die Wange. Alles echt, aber aus anderen Gründen.

„Es tut so weh", wispere ich und huste. Meine Lippen fühlen sich rissig an, als ich sie kurz befeuchte, was fast unmöglich ist. Denn meine Zunge klebt am Gaumen fest. Die Nonne ist vielleicht um die sechzig, hat bereits tiefere Furchen im Gesicht als mein Großvater vor seinem Tod. Aber das sind die Entbehrungen des Lebens, denke ich und bete, dass mein Plan aufgehen wird.

„Und wo?", meint sie genervt. Ich deute mit einem Kopfnicken auf meine Handgelenke, die Gott sei Dank durch die Handschellen gerötet und die Haut zum Teil aufgerissen ist.

Gangs of Sinaloa - Killing LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt