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Strange things conspire
when one tries to cheat fate.

-Rick Riordan

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Das Nichts nahm immer weiter Besitz von ihr. Je häufiger und je länger die Phasen wurden, in denen es nur sie und das Nichts gab, desto enger wurde ihre Brust, desto heißer ihre Tränen, desto wunder ihr Hals, denn sie versuchte dem Nichts mit singen Herr zu werden. Schiefes Singen gegen die Stille. Schiefes Singen gegen die Angst, dass man sie in der Zelle verrotten ließe. Schiefes Singen gegen die Angst, dass man sie herausholte und erneut versuchen würde Informationen aus ihr heraus zu prügeln.

Sie stoppte abrupt, als sie ein Geräusch vor der Tür vernahm. Bildete sich ein den Nachhall ihrer eigenen Stimme noch zu hören, lauschte angestrengt auf Schritte, Schlüsselklirren. Und obwohl sie der festen Überzeugung war, dass sie den Verstand verlöre, öffnete sich im nächsten Moment tatsächlich die Tür.

Das gleißende Licht brannte in ihren Augen, ließ bunte Funken in ihrem Kopf explodieren. Entgegen dem unbändigen Wunsch das Licht aufzusaugen, es in sich zu bewahren für den Moment, in dem sie es ihr wieder wegnehmen würden, schloss sie die Augen, denn es brannte, tat weh.
Ein Reflex.

„Feyre?" Die Stimme ihres Gegenübers zitterte. Unsicher trat der dazugehörige Körper weiter in den Raum hinein. Die so Angesprochene kniff nun die Augen zu, legte die Hände über die Ohren und summte laut.
Eine bewusste Entscheidung.

Wenn sie sie nicht wahrnahm, wäre der Verrat nicht real, Schrödingers Katze nicht tot. Wenn sie sie nicht wahrnahm, müsste sie nicht damit leben - egal wie kurz - das eine von ihnen in Kauf genommen hatte, dass man ihr antat, was nur ihr angetan hatte. Wenn sie sie nicht wahrnahm, würde der Schmerz weggehen. Ganz bestimmt.

„Zu jemandem zu gehören, klingt weit weniger schlimm, wenn man weiß, dieser jemand gehört auch zu dir." Feyre hörte die Tränen in der Stimme ihrer Freundin. Sofort fühlte sie Mitleid in sich aufsteigen, unterdrückte es aber augenblicklich. Es war ihr doch scheißegal warum die Verräterin jetzt rumheulte. Sie saß schließlich nicht in ihrem eigenen Urin und war von Kopf bis Fuß mit ihrem eigenen Blut beschmiert. Verheilende Knochen, Hämatom an Hämatom.

Zweimal, dreimal setzte Nathaira an, stammelte aber nur Unzusammenhängendes. Feyre wurde daraus nicht schlau, lediglich genervter. Sie wollte, dass Nathaira die Klappe hielt, aber irgendwie wollte sie auch dringend wissen, warum ihre Freundin sie verraten hatte; sie wollte, dass Nathaira zur Hölle fuhr, aber sie hatte Angst davor wieder allein zu sein. Die Stille zermürbte sie. Nicht zu wissen, wann oder ob wieder jemand kommen würde.

Als Nathaira seufzte und sich an der Wand herabgleiten ließ, nur um dann ihren Kopf auf ihre angewinkelten Knie zu legen und zu schweigen, funkelte Feyre sie böse an. „Ich weiß, du willst es nicht hören, Feyre." Ihr Kopf blieb gebeugt, ihr Gesicht verborgen. Feyre schnaubte. „Du willst es nicht hören, aber du wirst. Ich muss es erklären. Vielleicht weil ich mir Absolution von dir wünsche, vielleicht weil ich es mir vor lauter schlechtem Gewissen von der Seele reden muss."

Endlich sah sie auf und suchte Feyres Blick. „Ich würde es jederzeit wieder tun, weißt du?" Während die Bilder der Männer, die sie im Wald gefangen hatten, sich machtvoll zurück in Feyres Gedanken drängten und sie sich einbildete das Reißen ihrer Kleidung, die dumpfen Schläge, das Rascheln des Laubes unter ihr wieder zu hören, den unsauberen Schweiß des bulligen Mannes zu riechen, den letzten Hauch von Wolf... erzählte Nathaira davon, wie sie sich mit sechzehn in der Schule unsterblich in Patrick verliebt hatte, von Schmetterlingen und wie sie zusammengekommen waren, den Küssen, Worten von Liebe, dem typischen Hochgefühl, was man normalerweise zu Beginn einer Beziehung empfand. „Der Alpha meines Rudels hat Wind davon bekommen und es natürlich verboten. Schlimmer noch: er wollte mich zwingen schon vor der Zeit zum Treffen mit den anderen Rudeln zu gehen, um meinen Seelenverwandten, meinen Mate, zu finden und meiner albernen Verliebtheit einen Riegel vorzuschieben." Ihre Stimme triefte vor Spott. „Wie dämlich ich war oder? Die Vorstellung jemand anderes - seelenverwandt hin oder her - könnte mich so berühren wie Patrick, ließ mich verrückt werden und ich überredete ihn mit mir fortzulaufen." Feyre wusste, dass die beiden geheiratet hatten und wie Breanna sie aufgabelte und mit zu ihnen brachte. „Dass es Catriona gelungen war euch zu verstecken, zu widerstehen und ihr Leben frei von Fremdbestimmung zu leben, war für mich die Verheißung des Paradieses. Wirklich."

Feyre antwortete nicht. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, weiterhin gefangen zwischen dem Wunsch mehr zu hören, um nicht allein zu sein und der Enttäuschung über Nathairas Verrat und damit einhergehendem Bedürfnis sie vor die Tür zu setzen.

„Aber Patrick war nicht der, für den ich ihn gehalten habe oder vielleicht hat er sich verändert. Vielleicht war seine Persönlichkeitsbildung noch nicht abgeschlossen oder so was." Sie wischte mit ihren perfekt manikürten Fingern die Tränen von ihren Wangen. Lodernder Hass flammte in Feyre auf, als sie auf ihre eigenen schmutzigen Hände sah.

„Er hat mich betrogen, Feyre. Mehr als einmal." Als sie noch immer keine Reaktion hervorrief, redete sie weiter. Erzählte von der belastenden Situation ihrer Kinderlosigkeit, die Patrick auf ihre wölfischen Gene zurückführte. Erzählte vom ersten Mal, als er sie schlug.

„Und statt ihn zu verlassen, statt dich mir oder Breanna anzuvertrauen, hast du dich für Verrat entschieden?", spie Feyre Nathaira ihre Verachtung vor die Füße.

„Mein Seelenverwandter hätte mich niemals betrogen oder geschlagen, er würde alles dafür tun, dass es mir gut geht." Nathaira sprach im Brustton der Überzeugung, aber ihre Worte trafen auf taube Ohren.

„Du hättest gehen können, nach deinem Mate suchen können." Nathaira lachte. „Hätte ich das? Ihr hättet mich mit all dem Wissen einfach so gehen lassen?" Zögerlich nickte Feyre. „Du hättest mich gehen lassen, in dem Wissen, dass ich mit meinem Mate - so ich ihn denn finde - alles teilen würde? Jeden Gedanken?"

„Wir hätten einen Weg gefunden." Nathaira lächelte sie statt einer Antwort nur spöttisch an.

„Rede mit Lorcan. Vielleicht ist es dein Schicksal die Wölfinnen wieder mit den Rudeln zu vereinen. Frieden zu schaffen." Nathaira sah Freyre mit ihren großen, braunen Kuhaugen so treu dämlich an, dass Feyre sich nicht entscheiden konnte, ob sie ihr die Augen auskratzen, einen Hauch Vernunft in die Hohlbirne prügeln oder ihr einfach auf die so sauberen Schuhe kotzen sollte. „Hör mir mit dem Gerede vom Schicksal auf. Alexander ist meine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft." Obwohl sie sich im Klaren darüber war, dass sie gegenwärtig viele Meilen von Alex trennten und dass ihre gemeinsame Zukunft denkbar unsicher war, weil zu sterben derzeit wohl den einzige Weg raus aus dem Rudelgebiet darstellte, konnte sie sich doch nicht zurücknehmen. Niemals würde sie nachgeben und sich einem Alpha unterwerfen. Niemals würde sie ihren freien Willen hergeben.

Nathaira kniete sich nach einem Blick zur Tür zu ihr ins Stroh und löste ihre Ketten. „Du wirst hier sterben, wenn du nicht von deinem verflucht hohen Ross runter kletterst und es wenigstens mal versuchst."

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Wie war das nochmal? Lieber stehend sterben, als kriechend leben? Aber was, wenn die Sache für die man stand, sich als etwas anderes entpuppt, als man geglaubt hat? 😅

Fighting Fate (Adventskalender 2020)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt