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Owning our story can be hard,
but not nearly as difficult
as spending our lives running from it.

- Brene Brown

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Als Feyre die Augen öffnete war da - nichts. Prüfend schloss sie die Augen erneut und öffnete sie wieder - es machte keinen Unterschied. Schwarzes, allumfassendes Nichts. Panisch setzte sie sich ruckartig auf, hatte sich und ihrem Körper damit aber zuviel zugemutet, weshalb das Nichts sie auch in ihrem Inneren wieder willkommen hieß.

Beim zweiten bewussten Erwachen war sie vorsichtiger. Sie blinzelte einmal. Zweimal. Doch ihre Augen ermöglichten es ihr weiterhin keine Informationen aufzunehmen. Panik kroch erneut ihren Rücken herauf und sie konnte nur mit Mühe verhindern, dass sie sich unkontrolliert schluchzend zu einem weinenden Ball zusammenrollte. Oder hektisch aufsprang. Dafür reichten ihre Kräfte noch nicht aus.
Vorsichtig hob sie ihre Hände. Sie waren so schwer. So unendlich schwer. So schwer waren sie doch nicht immer gewesen? Kraftlos sanken ihre Arme wieder herab und sie selbst zurück ins Nichts.

Als sie das nächste Mal erwachte, spürte sie zuerst das kalte Metall an ihren wunden Gelenken. Es brannte ganz furchtbar. Wann hatte sie das letzte Mal dauerhaft Schmerz empfunden? Wölfe waren generell sehr unempfindlich gegen Schmerz und weibliche Wölfe waren da nochmal im einiges härter im Nehmen, als die männlichen. Aber das hier tat weh. Reines Eisen? Silber?

Sie unternahm einen schwachen Versuch sich aufzusetzen. Stöhnend gelang es ihr den Rücken an die Betonmauer zu lehnen. Ein leises Echo von Schmerz durchfuhr sie.
Mühsam hob sie ihre Arme auf Kopfhöhe und versuchte etwas zu erkennen. Irgendwas. Vergeblich. Einzig ein süßlicher Geruch nach Eiter und sie war sich fast sicher auch vom Eisenhut, die das Nichts nun durchdrangen, waren ihre Belohnung. Warum verheilte ihre Haut nicht? Silber? Dafür waren die Ketten zu schwer und zu rau. Eisenhut vielleicht? Sie schüttelte sich. Wenn sie nicht bald hier heraus käme, würde ihr Fleisch bis auf die Knochen wegfaulen.

Auf der Suche nach Informationen zwang sie ihre Hände über ihren leise schmerzenden Körper zu tasten und eine Bestandsaufnahme durchzuführen. Verheilende Schwellungen, Krusten. Feine Narben, die vorher nicht da gewesen waren. Sanft fuhren ihre Hände über ihr Gesicht. Auch hier konnte sie den Schaden nicht abschätzen. Zuviel ... etwas war in ihrem Gesicht und ließ sie ihre Haut nicht spüren. Sie seufzte.
Ihr Haar war feucht und voller verknoteter Nester, auch hier war alles verkrustet von Dreck? Blut? Ihre Finger waren eiskalt und nahezu taub, deshalb traute sie dem Ertasteten nicht.
Sie war in ihrer menschlichen Form, das war einerseits gut, denn so wäre sie weniger leicht zu kontrollieren, andererseits schlecht, denn die Heilung würde so sehr viel länger dauern. Kein Vollmond. Ein winziger Hinweis auf die Dauer ihre Aufenthalts.

Vorsichtig veränderte sie ihre Haltung. Ihren Körper in einer sitzenden Position zu halten, kostete sie mehr Kraft, als sie für möglich gehalten hatte.
Tränen der Erschöpfung rannen unvermittelt über ihre Wangen, dennoch versuchte sie sitzen zu bleiben. Sie musste unbedingt bei Bewusstsein bleiben und wieder Herrin über die Situation werden. Catriona hatte es ihr so unendlich oft eingebläut. Agieren, nicht Reagieren. Catriona. Der Schmerz des Verlustes überrollte sie wie so oft, wenn sie an ihre Großmutter dachte. „Ich habe versagt, Maimeó. Sie haben uns gefunden. Ich habe versagt." Ihr Wispern durchbrach die Stille, die ihre Worte schluckte. Kein Widerhall. Kein Echo. Nichts, immer wieder nichts.

Die vollkommene Stille und die Finsternis des Ortes, an dem sie angekettet war, behielten ihre Geheimnisse für sich. Auch ihr Geruchssinn nahm nichts wahr, außer den Gerüchen ihres eigenen Körpers: metallisch, beißend, ungesund, ungewaschen.

Wo war sie? Jäh schoss die Erinnerung an die Jagd nach dem letzten Vollmond durch ihren Kopf. Rudelwölfe.

Waren die anderen entkommen? Sie zuckte zusammen, als eine weitere Erinnerung die Oberfläche ihres Bewusstseins durchbrach und sie gleichzeitig ein stechender Schmerz in ihren Rippen durchfuhr. Fremde Hände auf ihrem Körper, die an ihr rissen, Schläge, Tritte, Gebrüll. Immer dieselbe Frage: Wo sind die anderen? Also waren sie entkommen. Für wie lange?

Wieso war sie nicht tot? Darauf wusste sie keine genaue Antwort. Die Männer hatten ihr auch keinen Hinweis gegeben. Vielleicht war das die nächste Stufe ihrer Folter, Einsamkeit, Stille. Der Versuch sie zu brechen, damit sie die freien Wölfinnen verriet. Oder sie sollte hier verrotten. Als Strafe. Als Rache?
Schluchzend sackte sie in sich zusammen und ließ den Tränen freien Lauf. Heiß hinterließen sie Spuren auf der ausgekühlten Haut ihrer Wangen. Sie wollte noch nicht sterben. Alexander wartete doch auf sie.

Nicht wissend, wieviel Zeit vergangen war, versiegten ihre Tränen letztendlich. Wenn man nichts sah und nichts hörte war Zeit relativ. Minuten, Stunden? Tage? Sie wusste nicht einmal, ob sie wieder weggedöst oder die gesamte Zeit bei Bewusstsein gewesen war.

Als sie endlich wieder das Gefühl hatte, genug Kraft gesammelt zu haben für einen nächsten Versuch irgendwas zu tun, glitten die vor Kälte nahezu tauben Finger ihrer linken Hand über das Metall, welches ihr rechtes Handgelenk umschloss. Zitternd verfolgte sie die Kettenglieder bis zu einem Ring in der Betonwand. Versuchsweise zog sie mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, an den Ketten. Doch tat sich nichts.

„Bemüh dich nicht", flüsterte eine Stimme.
Ein erschrockener Schrei entfuhr ihrer trockenen und wunden Kehle. Trotz der Dunkelheit sah sie auf und suchte diese ab. Natürlich sah sie niemanden. Wie auch. Heiser schrie sie ihre Frustration in die tintenschwarze Dunkelheit.

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Maimeó ist der gälische Ausdruck für Großmutter.
Könnt ihr euch das vorstellen? Dunkelheit? Allumfassende Finsternis? Einsamkeit?
Ich mir nicht. Mir graut es davor.

Fighting Fate (Adventskalender 2020)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt