🌘

622 46 5
                                    

🌖🌗🌘🌑🌒🌓🌔🌕🌖🌗🌘🌑🌒🌓🌔

Fate ist never fair. You are caught in a current much stronger than you are; struggle against it and you'll drown not just yourself but those who try to save you. Swim with it and you'll survive.

- Cassandra Clare

🌖🌗🌘🌑🌒🌓🌔🌕🌖🌗🌘🌑🌒🌓🌔

Als sie die Augen das nächste Mal öffnete, hatte das kühle Licht einer batteriebetrieben Lampe das Nichts und die Dunkelheit verbannt. Gebannt sah sie auf das Leuchten, obwohl das Licht in ihren Augen schmerzte und diese sofort zu tränen begannen. Sie traute sich dennoch nicht ihre Augen zu schließen, nicht mal zu blinzeln, obwohl ihr Körper reflexartig das Gegenteil forderte. Stumm beschwor sie das Licht nicht auszugehen. Sie sog die Helligkeit in sich auf, während heiße Tränen der Erleichterung über ihre Wangen rannen. Licht. Endlich. Das Nichts würde sie nicht ewig für sich behalten können. Und schon wieder heulte sie. Sie hätte über sich selbst gelacht, wäre ihre Lage nicht so unendlich beschissen.

Erst als sie sicher war, dass das Licht vorerst nicht einfach verlöschen würde und nur ein grausam kurzer Hoffnungsschimmer wäre, der ihr sofort wieder geraubt würde, sah sie sich um, obwohl ihr unsteter Blick immer wieder zum Licht zurückglitt. Ihr Augen wanderten über die groben Betonwände des Raumes links und rechts der nackten Lampe. Symmetrisch darunter angeordnet waren längs der Wand vier mal zwei dicke Ketten verankert. Der Schein der Glühbirne reichte nicht bis in die Ecken, aber sie entschied, dass das ok sei, denn mit dem Licht schienen auch ihre anderen Sinne wieder zu erwachen. Es stank erbärmlich. Nach Fäkalien und Körper. Nach Blut. Und etwas undefinierbarem. Sie vermutete Schimmel.

Unwillkürlich glitt ihr Blick zu ihrem eigenen Körper. Ihr Kleid war starr vor Schmutz, der Rockteil zerrissen, die Haut ihrer Beine völlig zerkratzt. Zahlreiche verheilende Wunden zierten die sichtbaren Stellen ihres Körpers, das Blut war längst getrocknet. Mühsam kochte sie die aufsteigende Panik herunter. Wie lange war es her, dass sie so verletzt worden war? Ihre Hände fuhren instinktiv zu ihren Beinen, um die Wunden zu säubern, doch das Rasseln der Kettenglieder, ausgelöst durch ihre hastige Bewegung, ließ sie augenblicklich inne halten. Ketten? Ihre Augen glitten über ihre wunden Handgelenke, nahmen Glied für Glied auf, ihr Kopf weigerte sich noch immer zu verarbeiten, was ihre Sinne schon eindeutig identifiziert hatten.

Sie entdeckte schließlich links von sich ein dünnes rothaariges Mädchen, das genau wie sie an die Wand gekettet war. Für einen kurzen Augenblick hatte sie Angst, dass das Mädchen tot sei, konnte sich aber durch angestrengtes Starren auf ihren Brustkorb davon überzeugen, dass sie atmete. Flach, aber sie atmete.
Licht und ein Mensch, das war deutlich besser als das Nichts. Irgendwo ganz hinten in ihrem Kopf war Etwas, das Aufmerksamkeit wollte, aber sie se zu erschöpft, zu abgelenkt von der Veränderung, als dass sie dem viel Bedeutung beimaß.

Sie versuchte erfolglos aus den Schatten heraus zu dem Mädchen zu gelangen. Dabei hielt sie das Gesicht vom Licht abgewandt, denn ihre Augen brannten mittlerweile unerträglich. Auch wenn es dunkel war, konnte sie das geschwollene Hämatom auf der weißen Haut des Gesichts des Mädchens in allen Farben schillern sehen und nahm den blutigen Striemen an ihrem Bein wahr.
Tausend Fragen schossen ihr durch den Kopf und sie überlegte fieberhaft, welche sie zuerst stellen sollte. Wer war sie? Wie hieß sie? Wo waren sie? Wie war sie hierher geraten? Kam man hier raus? In wessen Gebiet waren sie? Vernehmlich knurrte ihr Magen und sie fügte all den Fragen auch noch die nach etwas Eßbarem hinzu.

„Wie heißt du?", stellte letztlich das Mädchen zuerst eine Frage und brachte damit Feyres Herz ordentlich aus dem Tritt. Ihre Stimme schmerzte fast schon in ihren Ohren. Gleichzeitig durchströmte sie Erleichterung.

„Feyre", sie erschrak über das Krächzen, welches anstelle ihrer eigenen Stimme aus ihrem Mund kam und schluckte trocken. Ihr Hals schmerzte unglaublich. Sie hatte solchen Durst. Wieso bemerkte sie ihn erst jetzt? Hätte ihr vor vor einigen Tagen jemand gesagt, dass sie jemals hungern und dürsten würde, hätte sie ihn oder sie ausgelacht.

„Ich bin Malea."

Feyre nickte und versuchte zu lächeln. Sie traute ihrer Stimme nicht. War unsicher, ob sie ihr gehorchen würde, würde sie sie erneut nutzen.

„Woher kommst du? Wie bist du hierher geraten? Was wollen die von ihr? Seid wann bist du hier? Wie kommt man hier raus? In wessen Gebiet sind wir?" Als die Fragenkaskade aus ihr herausbrach, lächelte sie Malea entschuldigend an.

Ich hab versucht abzuhauen, aber sie haben mich geschnappt. Zur Strafe sitze ich hier, um über mein Leben nachzudenken und in mich zu horchen, ob ich nicht lieber dankbarer sein möchte", spottete das Mädchen. „Lorcan, der Alpha ist mein Bruder und ein riesiges Arschloch, der meint einfach über mein ganzes Leben bestimmen zu dürfen." Feyre meinte Wut und Frustration aus den Worten des Mädchens herauszuhören. 
„Lorcan." Sie wisperte den Namen des mächtigsten europäischen Alphas. Die Situation war noch viel schlimmer, als sie befürchtet hatte. Alpha Lorcan hatte öffentlich geschworen die freien Wölfinnen zu jagen und zu stellen. Er verachtete jeden, der sich der Rudelordnung nicht ergab und herrschte angeblich grausam über die seinen. Noch nie war eine Wölfin aus seinem Rudel zu Catrionas Erben gestoßen, also musste sie sich auf Hörensagen verlassen. Das war nie gut.

„Warum bist du weggelaufen?", fragte sie Malea, zum einen aus echter Neugierde, zum anderen weil sie ein Gespräch am Laufen halten wollte. Sie hatte Angst, dass das Nichts sie wieder verschlang.

„Mein achtzehnter Geburtstag steht bevor. Die Zeremonie." Ihr Blick glitt ins Leere. Feyre empfand Mitleid, denn das war so oft der Moment, in dem die jungen Wölfinnen ausbrachen. Manche fanden auf verschlungenen Wegen zu den Erben Catrionas, wurden aufgenommen, in ihrer Entscheidung gestützt und lebten versteckt irgendwo in Europa; wenn auch nie in dem Land, in dem ihr ehemaliges Rudel jagte. Andere fanden ihren Mate und vergaßen, was sie mal zu wollen geglaubt hatten.
Malea sprach weiter, während Feyre an das Netzwerk dachte, an all die Frauen, die mit ihren menschlichen Partnern glücklich und unerkannt zusammenlebten. Alexanders Gesicht erschien wieder vor ihrem inneren Auge. Ihr Zuhause.
Währenddessen schimpfte Malea frustriert: „Meine ewige Bindung an einen anderen Wolf, Fremdbestimmung ein Leben lang. Die eigenen Bedürfnisse immer an zweiter Stelle. Nie sicher sein zu können, ob man die Entscheidung grad aus freien Stücken trifft oder weil ein irrsinniger, übernatürlicher Zwang der Grund für das Handeln ist. Und das alles garniert mit treudämlichem, rosarotem Blick auf die Welt." Nun sprach ganz deutlich Verachtung aus ihr. „Ich habe meinen Bruder tausende Male gebeten Julien und mich gehen zu lassen. Er hat jedes Mal abgelehnt." Sie spie ihrer Zellengenossin die letzten Worte regelrecht vor die schmutzigen, geschundenen Füße.

„Wer ist Julien?", fragte Feyre, obwohl sie eine Ahnung hatte, die das Mädchen ihr auch sofort bestätigte. Jugendliebe. Mensch.
„Ich wünschte, es gäbe einen Ort an dem ich bei Julien sein könnte. An dem wir zusammen sein könnten, frei vom Rudelzwang, frei von meinem Bruder."
Diesen Ort gab es und weil die Verzweiflung im Gesicht Maleas sie so berührte, überlegte Feyre ihr den ersten Hinweis zu geben, wie sie die freien Wölfinnen finden konnte. Alles weitere musste Malea dann selbst schaffen.
„Es gibt diesen Ort", begann Feyre und starrte mit leerem Blick in den Raum. Statt der Betonwände sah sie das Lächeln Alexanders, der in ihrer Küche stand und Brot buk. Deshalb über sah sie das siegessichere Grinsen der jungen Frau.

🌖🌗🌘🌑🌒🌓🌔🌕🌖🌗🌘🌑🌒🌓🌔

Liar, Liar ...

Fighting Fate (Adventskalender 2020)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt