Kapitel 5

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PoV Eren
Gelangweilt drehte ich mich auf dem Sofa hin und her. Es war Wochenende. Ich hatte frei und Armin war nicht da. Wie immer wusste ich absolut nichts mit meinem Leben anzufangen. Ich hätte ja sogar aufgeräumt, hätte ich das gestern nicht schon getan. Ich hätte einen Kochversuch gewagt, doch wenn Armin nicht da war, war mir das zu riskant. Letztes Mal hatte ich beinahe die Küche abgefackelt.

Kochen lag mir nicht.

Und abgesehen davon, hatte ich nicht mal wirklich Hunger. Ich war einfach nur gelangweilt. Nichts besonderes mehr. In der Uni kam ich gut mit. Lernen würde mir nur Kopfschmerzen machen. Also was sollte ich tun? Einfach hier weiter liegen und nichts tun? Das klang besser, als aufzustehen und krampfhaft nach einer Beschäftigung zu suchen.

Doch einen Grund zum Aufstehen bekam ich schließlich doch, als es an der Tür klingelte. So stand ich also auf, trottete zur Sprechanlage und drückte den grünen Knopf. „Ja?" – „Paket für Eren Jäger.", hörte ich es und ließ den Postboten rauf. Es war das zweite Stockwerk, also war er schnell da.

Er lächelte mich freundlich an, reichte mir zwei Briefe und ein Paket. Ich unterschrieb und wünschte ihm noch einen schönen Tag, ehe ich die Tür hinter mir schloss und in mein Zimmer ging.

Ein Brief von meinem Vater und einer aus dem Gefängnis. Es hatte gedauert, bis Levi geantwortet hatte. Vielleicht war er ja nur beschäftigt gewesen oder er hatte meinen Brief spät bekommen? Ich sollte nicht so viel über unwichtige Dinge nachdenken? Das brachte mir nichts.

Ich öffnete erst das Paket. Meine neue Laptoptasche. Vielleicht – oder vielleicht auch nicht, wer wusste das schon so genau – hatte ich Kaffee über meine alte verschüttet. Und ganz vielleicht hatte ich es nicht gemerkt und sie hat angefangen zu schimmeln. Vielleicht, wohl gemerkt.

Dann der Brief von meinem Vater.

Er schaffte es nicht mir Unterhalt zu zahlen, aber ständig anzurufen oder mich mit dem Scheiß zu nerven. Mal wieder der übliche Scheiß.

Er wollte unsere Beziehung nicht von Geld abhängig machen. Ich solle meine Mutter grüßen und mich auf die Uni konzentrieren.

Wie sollte ich mich denn auf die Uni konzentrieren, wenn ich nicht mal sicher war, ob ich mein nächstes Semester bezahlen könnte? Von der Wohnung mal ganz abgesehen. Die nächsten drei Monate würde ich sie alleine bezahlen müssen. Armin brauchte das Geld in England. In den letzten Monaten hatte ich nur für die Miete gespart. Ich hätte mein Geld natürlich lieber anders ausgegeben. Mal einen neuen Pullover oder einfach mal was, was mir Spaß machen würde. Aber es ging alles fürs Sparen der Miete, die normale Miete und Dinge für die Uni drauf.

Meine Gedanken gingen zu Levi.

Wenn ich so viel Geld vor der Nase gehabt hätte, wie er, hätte ich wahrscheinlich ähnlich gehandelt wie er. Der Gedanke war zwar unmoralisch, aber wenn mal hier und da ein bisschen was von den Reichen abknüpfen würde, würden die sicher nicht daran sterben.

Ich konnte Levi verstehen. Wer einmal Geld hatte, will es immer haben. Die Habgier und Sucht nach Geld ist groß und bestimmt leider viel in unserem Leben. Zum Beispiel auf welche Uni man gehen konnte.

Ich griff nach Levis Brief, öffnete ihn vorsichtig und staunte nicht schlecht, als mein Blick sofort auf ein Foto fiel. Das war also Levi?

Er sah nicht viel älter aus als ich. Ich hätte ihn niemals auf 28 geschätzt. Sein Gesichtsausdruck war kalt, schon fast genervt. Sah er immer so aus oder wurde das Bild an einem schlechten Tag gemacht? Er trug ein weites graues T-Shirt, hatte die Ärmel zu den Schultern hochgekrempelt. So sah also die Kleidung im Knast aus.

Seine Haare waren schwarz, lagen ein wenig unordentlich auf seinem Kopf. Doch es sah keineswegs verwahrlost oder ungepflegt aus. Im Gegenteil – es sah ziemlich gut aus. Seine Augen war graublau. Schön. Auch wenn ich die Kälte sogar aus dem Bild heraus spüren konnte. So hatte ich mir Levi nicht vorgestellt. Doch ich war nicht negativ überrascht. Eher positiv. Er bot mir Überraschungen. Etwas, was ich in meinem eintönigen Leben eigentlich schon lange gebraucht hätte.

Ich legte das Foto auf meinen Schreibtisch und nahm den Brief heraus.

Wieder diese schöne saubere Handschrift.


Hi Eren,

meine Bewährungshelferin hat das Foto gemacht, also wundere dich nicht, wenn ich genervt aussehen sollte. Die Frau treibt mich in den Wahnsinn.

Ich glaube jetzt, wo wir alles Förmliche zwischen uns geklärt haben, können wir auch ein wenig persönlicher schreiben, meinst du nicht? Ich würde mich freuen.

Zum Fliegen. Das erste Mal hatte ich ehrlich gesagt ein bisschen Schiss. In meinem Kopf macht es einfach keinen Sinn, dass ein riesiger Metallkasten fliegen kann. Aber je öfter man das macht, desto entspannter wird es. Es ist sogar eigentlich ganz schön. Man sieht wie klein die Welt wirklich ist. Ich finde das irgendwie beruhigend. Keine Ahnung warum. Ich kann sowas schlecht erklären. Du solltest auch mal fliegen. Oder wenigstens aus dem Land raus. Es lohnt sich. Nicht nur für die neuen Dinge, die man sieht, sondern auch für dich. Ich habe mich früher sehr eingeengt gefühlt. Wenn ich dieses Gefühl nicht mehr haben wollte, bin ich irgendwo hingefahren oder geflogen.

Du hast gefragt, was das Erste sein wird, wenn ich rauskomme. Es klingt plump und schlicht, aber ich habe schon länger drüber nachgedacht: Sex. Ich vermisse Sex.
Entschuldigung, aber das musste irgendwann mal raus. Während meiner Höchstzeit, als ich noch Geld geklaut habe, war ich ständig auf Partys. Jede Nacht jemand anderen mitgenommen und an die meisten erinnere ich mich gar nicht. Aber jetzt, nach zwei Jahren? Es wird ermüdend. Ich sehe die Männer hier, wie sie von ihren Frauen sprechen, die sie besuchen kommen und was sie alles tun wollen, wenn sie wieder rauskommen.

Es deprimiert mich ehrlich gesagt, dass ich das nicht sagen kann. Dass ich zu meinem Mann oder meinem Freund gehen kann, wenn ich hier rauskomme. Ich darf dann schön bei meiner Bewährungshelferin wohnen. Das scheiß Vierauge soll mir bloß nicht zu nah kommen. Ich werde sie sonst irgendwann umbringen.


Waren er und seine Bewährungshelferin Freunde? Normalerweise war sowas doch nicht üblich, oder?


Und es gibt noch eine bestimmte Sache, die ich tun möchte. Ich würde dich gerne mal sehen. Von Angesicht zu Angesicht. Es klingt wahrscheinlich komisch für dich, aber seit du mir geschrieben hast, habe ich deutlich bessere Laune. Ich bin ruhiger und ich habe endlich mal wieder was, worauf ich mich freuen kann. Das hatte ich hier drin noch nie. Also danke dafür. Ich würde dir nur gerne auch mal persönlich danken.

Ich komme am 03.08 raus. Ich hab dir die Nummer und den Namen von meiner Freundin aufgeschrieben. Wenn du willst, kannst du dich da melden. Ich würde mich freuen, wenn wir uns sehen könnten.

Bis dann
Levi


Am 03.08? Das war in einer Woche. Wenn ich ihm heute noch antworten würde, würde ich keinen Brief zurückbekommen. Es wäre der letzte Brief und dann müsste ich mich entscheiden, ob ich Levi sehen wollen würde.

Was hatte er gesagt? Er hätte endlich mal wieder etwas, worauf er sich freuen könnte?

Mir ging es nicht anders. Levis Briefe waren die Abwechslung, die ich gebraucht hatte.

Ich schrieb mir die Kontaktdaten von seiner Freundin auf und machte mich an meinen Antwortbrief. Und je mehr ich schrieb, desto mehr spürte ich die Aufregung in mir hochgehen. Die Neugier. Es schien als würde ich das erste Mal seit langem wieder richtig Interesse an etwas haben. Als würde ich mich wirklich mal wieder auf mein Leben freuen. 

I don't know you yet [Ereri/Riren]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt