Kapitel 6

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PoV Levi
Nun war es soweit. Der 03. August war gekommen und ich strich ein letztes Mal meinen Pullover glatt, ehe ich mir die Tür geöffnet wurde und ich das erste Mal seit zwei Jahren im Eingang des Gebäudes stand. Von hier sah es aus, wie eine normale Lobby. Es war schon fast gemütlich und einladend. Doch hinter der schweren Metalltür, die gerade wieder zufiel, sah es anders aus. Dort herrschte Gewalt, Wut und Hass.

Auf alles und Jeden. Doch besonders auf sich selbst.

Hanji stand an der Tür und lächelte mich freundlich an. Sie unterschrieb meinen Entlassungsbescheid und wollte mich gerade am Arm packen, da wurde meine Name gerufen.

„Ackermann!", rief jemand und ich drehte mich um. Völlig außer Atem blieb der Postjunge vor mir stehen und reichte mir einen Brief. „Tut- tut mir leid. Ich wusste nicht, dass Sie heute gehen. Sonst wäre ich früher da gewesen.", keuchte er völlig fertig und stützte sich auf seinen Oberschenkeln. Hatte der keine Ausdauer oder war er wirklich von meiner Zelle bis hier her gesprintet?

Ich bedankte mich für seine Mühe und verließ endlich dieses Höllenloch des puren Frusts.

Hanji nahm die kleine Tasche, die mir das Gefängnis gegeben hatte und trat den Weg zu ihrem Auto an. Ich war raus. Ich war frei?

Es wirkte so unreal. So, als würde ich jeden Moment aus einem Traum aufwachen. Doch etwas hielt mich in der Realität. Etwas zeigte mir, dass dies hier wahr sein musste, dass ich es wirklich rausgeschafft hatte. Erens Brief in meiner Hand. Ein kleines Stück Papier. Das war alles, was mich in der Realität hielt.

„Levi!", brüllte die Brillenschlange plötzlich und ich beeilte mich, um zu ihrem Wagen zu kommen. „Willst du etwa noch länger hierbleiben? Dabei habe ich extra aufgeräumt!", schmollte sie, lachte in der nächsten Sekunde aber wieder. Warum hatte ich mich auf eine Unterkunft bei ihr eingelassen?!

„Bei deinen Putzkünsten muss ich doch eh nochmal ran.", murrte ich nur desinteressiert und stieg in ihren Kleinwagen.

-

Und wie es zu erwarten war: das konnte man nicht aufgeräumt nennen!

„Wo ist dein Staubsauger.", seufzte ich und Hanji kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Der ist vielleicht explodiert." – „Was?", fauchte ich und musste mich wirklich zurückhalten ihr nicht dasselbe Schicksal anzutun, wie dem Staubsauger.

„Ach komm Levi, wir müssen morgen eh los und dir einen Job suchen. Dann können wir auch gleich Putzzeug und einen Staubsauger für dich kaufen.", lächelte sie mich an und klopfte mir auf die Schulter. Wie sollte ich das hier aushalten? Ich wusste ja nicht mal, wann ich von Hanji wegkommen würde.

Die Brünette ließ mich Gott sei Dank irgendwann alleine und ich setzte mich auf das Gästebett, welches sie mir vorbereitet hatte. Hanjis Wohnung war für ihre Gehaltsklasse erstaunlich klein. Aber sie machte sich noch nie etwas aus Materiellem. Sie war mehr so der Gefühlstyp. Nervig und unnötig anstrengend. Im Gästezimmer gab es ein großes Bett, einen Sessel neben einem Bücherregal und eine Kommode, auf der ein Fernseher stand. Es hätte mich deutlich schlimmer treffen können.

Ich war nur froh endlich ein Zimmer für mich alleine zu haben. Und auch mal etwas Zeit für mich zu haben. Es war ungewohnt. Aber angenehm. Und so nahm ich den Brief, den ich eben noch bekommen hatte, aus meiner Jackentasche und machte es mir auf dem Bett etwas gemütlicher.

Waren Matratzen schon immer so weich? Oder waren die im Gefängnis so scheiße, wie ich es anfangs noch angenommen hatte?

Es war mir egal. Ich wollte nicht über den Knast nachdenken.

Stattdessen öffnete ich den Briefumschlag und nahm das beschriftete Papier heraus. Täuschte ich mich, oder arbeitete Eren an seiner Handschrift?


Hey Levi,

Ich freue mich, dass du sobald rauskommst. Und ich würde mich gerne mit dir treffen. Es ist irgendwie spannend. Als wäre es ein Blinddate oder sowas. Nur halt ohne Date. Ein Blindtreffen! Ja das ist es. Sorry, ich schreibe einfach raus, was ich denke.

Ich denke mal, dass du deine Zeit brauchts, bist du dich an alles wieder gewöhnt hast und du hast bestimmt auch erstmal so formale Sachen zu klären. Deshalb würde ich mich erst nächste Woche bei deiner Freundin melden. Ich hab auch gerade eine Hausarbeit reinbekommen, die ich unbedingt fertig machen muss.

Ich bin gespannt dich kennenzulernen. So richtig. Weil jetzt wissen wir ja kaum etwas voneinander. Ich weiß aber immerhin, wie du aussiehst, das ist gut. Du hast nicht gerade meinen Erwartungen entsprochen, aber das war nichts Negatives. Und so alt siehst du auch gar nicht aus. Ich dachte, du würdest älter aussehen. Naja, ist ja auch egal.

Ich denke mal nicht, dass wir uns weiter schreiben, wenn wir uns bald sowieso sehen. Deshalb keine Fragen mehr, die du mir beantworten könntest. Aber ich verspreche dir, bis zu unserem ersten Treffen, werde ich mir neue überlegt haben. Wir werden hoffentlich viel reden können. Denn ich fühle ganz ähnlich wie du. Seit wir uns schreiben, habe ich etwas, was meinem eintönigen Leben die Langeweile wegnimmt. Auch, wenn es nur für eine kurze Zeit ist.

Ich freue mich schon :)

Bis nächste Woche
Eren

I don't know you yet [Ereri/Riren]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt