Kapitel 19

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Camilla Moretti

„Die Aussicht hier wirkt, als gebe es nichts Schöneres als diesen Ort. Aber die Wahrheit ist, dass hier als das Unglück der Welt zusammenfindet und dich langsam in seine Fänge zieht.", ertönte auf einmal eine Stimme hinter mir und ich drehte mich vorsichtig zu Manuel um. Dabei musste ich den Blick von den weiten Feldern abwenden, die später in einen Fluss mündeten. Die Landschaft bildete einen Kontrast zu der düsteren Halle, die ich eben verlassen hatte.

Neben mir stand jetzt Manuel, der ebenso wie ich zuvor in die Ferne starrte.

„Was meinst du?", fragte ich ihn ohne den Blick von seinem Seitenprofil abzuwenden. Die Ähnlichkeit zwischen ihm und Noah war wirklich nicht zu verkennen und ich spürte die Schuld stärker, wenn ich ihn ansah. Die Schuld des Verrats. Aber trotzdem wusste ich, dass es notwendig war.

Manuel schaute mich nicht an. Aber er

antwortete mir trotzdem:„ Dieser Ort hier ist getränkt von dem Blut hunderter Feinde."

„Ich erwarte inzwischen nichts anderes mehr.", gab ich seufzend zu und zuckte mit den Schultern. Für einen kurzen Moment war es still und ich war etwas erschrocken darüber, dass ich diese Aussage wenig schlimm fand. Seit ich Noah kannte hatte ich mich so stark verändert, dass ich mich manchmal fragte, ob ich noch meinem alten Ich ähnelte. Aber letztendlich war das auch egal, wenn ich dafür Biancas Mörder finden konnte und Gerechtigkeit schaffen. Neben mir ertönte ein Schnauben und dann sagte Manuel:„ Ich kenne ein Mädchen, das dir ganz ähnlich ist. Sie war auch mal unschuldig und naiv gewesen, aber sobald sie anfing Zeit in dieser Welt zu verbringen veränderte sie sich stark. Aus ihr wurde jemand viel Kälteres und vor allem war sie auf einmal kaum noch so wie früher."

Während er erzählt war seine Stimme ruhiger geworden, fast schon liebevoll. Mir schoss sofort die Frage durch den Kopf, ob Noah auch so von mir sprach.

Vorsichtig erkundigte ich mich bei Manuel wer sie war und er antwortete aufgebracht:„ Sie ist die Liebe meines Lebens und muss gerade ihr Dasein in einem Hochsicherheitsgefängnis in Spanien fristen."

„Ist die Strafe denn gerechtfertigt?", versuchte ich es vorsichtig. Ich merkte sichtlich, dass Manuel aufgebracht war. Aber gleichzeitig glaubte ich auch etwas Trauer festzustellen. Es war die Art wie er sich durch die Haare fuhr. So tat es Noah auch immer, wenn er aufgebracht war. Das tat er wahrscheinlich gerade. Mal wieder sammelte sich in meinem Hals ein Kloss, der mir unangenehm die Luft abschnürte. Jetzt zu weinen konnte ich mir allerdings nicht erlauben. Immerhin war Manuel Noahs Bruder und er würde bestimmt ausrasten, wenn er wüsste, dass ich dafür verantwortlich war, dass Noahs Mafia an David übergehen würde.

Manuel neben mir schwieg beharrlich und ich merkte, dass er nicht auf meine Frage antworten wollte, weshalb ich nicht weiter nachbohrte. Aber die Stille wurde mit der Zeit immer unangenehmer und ich beschloss das Thema zu wechseln:„ Was wolltest du von David?"

„Er hat mir etwas Wichtiges genommen. Aber das weißt du bestimmt schon, Camilla.", die Art wie er meinen Namen betonte war eigenartig. Es war so vertraut, obwohl ich den Mann überhaupt nicht kannte. Kurz runzelte ich meinen Stirn und Manuel meinte:„ Wenn eine Frau ihre Stirn runzelt, soll ein Mann schneller rennen, als er jemals gerannt ist."

„Wie meinst du das?", ein belustigtes Lächeln stahl sich auf mein Gesicht und auch Manuel bekam ein paar der süßen Grübchen.

„Das hat sie immer gesagt. Du musst wissen, dass sie immer sehr eigensinnige Weisheiten hat.", klärte er mich auf und ich konnte nicht verhindern, dass ich zu kichern begann. Manuels trauriger Blick hielt mich jedoch davon ab wirklich zu lachen und ich schlug mir schnell die Hand vor den Mund.

Also kam ich lieber auf seine Aussage zurück:„ David weiht mich nicht wirklich in Angelegenheiten der Mafia ein. Er lässt mich nur ab und zu einen kleinen Auftrag erledigen."

Während ich das sagte hatte Manuel die Hände hinter seinem Rücken verschränkt und schien jede Bewegung meinerseits genau zu analysieren. Wie auf Kommando wurden meine Knie etwas weich und mein Blick war wehmütig auf den Boden gerichtet. Die Erinnerungen an den letzten Auftrag zerfraßen mich.

„Was war dein letzter Auftrag?", hakte der Mann nach und jede Freundlichkeit war aus seiner Stimme gewichen. Bei der Frage war ich wie erstarrt. Auch wenn es nicht sein konnte, dass er etwas weiß, musste er es wissen. Warum sollte er sonst so nachfragen? Das konnte einfach nicht sein. Mein Herzschlag setzte kurz aus, nur um doppelt so schnell weiterzuschlagen. Unsicher starrte ich auf meine Füße, die in dreckigen, weißen Sneakers steckten. Er würde mich umbringen, wenn ich die Wahrheit sagte. Da war ich mir sicher. Noah würde es tun. Dann konnte sein Bruder doch nicht anders sein?

Ein leises Geräusch erklang neben mir und mein panischer Blick huschte zu Noahs Bruder. Dieser leckte sich gerade über seine Lippe und unterdrückte sich sichtlich ein Lachen. Daher kam auch das leise Schnauben, das ich zuvor gehört hatte.

„Ich wollte dir keine Angst machen. Aber da du anscheinend ein sehr ängstlicher Mensch bist, kläre ich dich mal auf.", begann Manuel belustigt, wurde aber zum Ende hin wieder ernster. Gespannt schaute ich zu ihm hoch und hoffte, dass er eine der tausend Fragen beantwortete, die durch meinen Kopf huschten.

Er beließ bei einer kurzen Pause und fuhr dann fort:„ Ich werde jetzt mal ganz offen sein, Camilla. Bevor du anfängst zu lügen, ich weiß, dass du die Freundin meines geliebten Bruders warst. Die letzten paar Monate habe ich ihn ausgiebig beobachtet und deine Reaktion im Büro, als du meinen Namen gehört hast, hat mich in meiner Annahme bestätigt, dass du keine Ahnung von mir hattest."

„Wieso...?", wollte ich ihn unterbrechen, aber Manuel fuhr einfach weiter fort ohne sich um meine Frage zu kümmern.

„Das ist nicht der Punkt. Ich weiß nicht wie viel dir mein Bruder erzählt hat, aber ich kann dir so viel verraten. Meine Freundin heißt Sonia Albano."

Meine Gefühle, die wild in mir rumorten, ließen mich meine ganze Umgebung vergessen. Meine Gedanken drehten sich um die Nacht im Club, in der ich Sonia getroffen hatte und in der David versprochen hatte das Mädchen vor Noah zu beschützen. Es war seine Ex-Freundin und Manuels jetzige Freundin. Mir wurde immer klarer, dass ich hier höchstwahrscheinlich in einen riesigen Krach der Brüder reingeraten war.

Geschockt ließ ich mich auf den sandigen Boden sinken und starrte in die Ferne. Allein das Wissen, dass es Sonia gut ging hielt mich aufrecht. Und dann sickerte auch die Erkenntnis durch mein vernebeltes Gehirn. Wenn Manuels Liebe des Lebens, die Sonia war, im Hochsicherheitsgefängnis war, dann hatte David sein Versprechen gebrochen. Ich hatte Sonia Albano ins Gefängnis gebracht, obwohl Noah mich gewarnt hatte.

Mein Kopf sank auf meine angewinkelten Knie und ich spürte wie mir warme Tränen über die Wange liefen.

The Mafia - EisliebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt