Kapitel 29 - Suche

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Er:

Ich stehe auf dem Hochhaus, von dem aus man in die Hölle kommt. Die sengende Hitze des Eingangs habe ich hinter mir gelassen. Ich stehe am Dachrand und blicke nach unten. Die frische Luft dringt tief in meine Lungen ein und erfüllt mich mit Ruhe. Endlich kann ich einen klaren Kopf bekommen. Ich habe immer noch keine Vorstellung davon wie lange ich eingesperrt war. Die einzige Veränderung die ich wahrnehme ist, dass es draussen merklich kälter geworden ist. Es ist noch Herbst gewesen als ich Gracie das letzte Mal gesehen habe, nun jedoch steht bereits der Winter unmittelbar vor der Tür.

Wo soll ich bloss beginnen? Gracie könnte überall sein. Vielleicht ist sie ja nicht mal mehr in New York. Ich schüttel meinen Kopf. Im Moment kann ich mich glücklich schätzen wenn sie überhaupt noch am Leben ist. Ich kann nur hoffen, dass Nevil meiner Bitte nachgekommen ist und er Gracie zusammen mit seinen Engelsfreunden beschützt hat. Ich wende mich zur Feuertreppe des Gebäudes um nach unten zu gelangen. Zunächst will ich in meine Wohnung um zu duschen und mir neue Kleider anzuziehen.

Als ich vor meiner Türe stehe und in meine Hosentasche greife, ist der Schlüssel weg. Ich seufze, entferne mich einige Schritte von der Tür um dann mit voller Wucht loszustürzen. Hier nützt mir mein Kontrollieren nämlich nichts, da sich diese Gabe nur auf lebendige Objekte beschränkt, also Menschen und Tiere. Mit einem ausgestreckten Bein fliege ich in die Tür und sie springt auf. Ich kann meinen Sturzt gerade noch dämpfen und auf meinen Füssen landen.
Ich gehe zum Badezimmer. Dort angekommen streife ich mein dreckiges Shirt und die Hose ab und werfe sie direkt in den Abfalleimer. Ein Andenken an die Wochen in diesem Kerker, brauche ich nicht. Ich stützte mich mit den Armen am Waschbecken ab und betrachte mich im Spiegel. Meine Augen sind eingefallen, unterstrichen von Augenringen und trüb. Es scheint als sei jegliches Leben aus ihnen gewichen. Mein Gesicht ist kantiger geworden, da ich während der Gefangenschaft einige Kilo verloren habe. Meine Wangenknochen zeichnen sich selbst unter dem dichten Bart noch ab. Mein schwarzes Haar ist etwas länger geworden und hängt mir nun im Gesicht. Mein Blick schweift automatisch zu meinem Drachenmal. Es ist alles wie vorher, keine Narben sind sichtbar. Es ist als hätte es sich nie aufgelöst.

Ich greife zu meinem Rasierapparat und fahre notdürftig einige Male über mein Gesicht, bis nur noch ein Drei-Tage-Bart übrig ist. Dann springe ich in die Dusche und schrubbe mich unter kochend heissem Wasser, bis meine Haut völlig rot ist und schmerzt. Als ich mich endlich halbwegs sauber fühle, komme ich aus der Dusche. Ich ziehe mir ein schwarzes, langärmliges Shirt über, eine schwarze Jeans und meine braunen Lederstiefel, die ich immer einfach überstreife, sodass mein halbes Hosenbein jeweils raushängt. Ausserdem schnappe ich mir noch eine braune Lederjacke im Bikerstyle und verschwinde dann aus der Tür.

Noch im Treppenhaus zünde ich mir eine Zigarette an und ziehe genüsslich daran. Der warme Rauch füllt meine Lungen und lässt mein Gehirn sich entspannen.

Ich stehe nun auf der Strasse und blicke umher. Mein Magen beginnt plötzlich zu knurren als ich einen Burgerladen in der Nähe erblicke. Sofort begebe ich mich in den Laden und schlage mir den Magen mit vier Burgern, zwei grossen Portionen Pommes und drei grossen Cola voll. Das ist definitiv besser als das bisschen Brot und Wasser, dass ich im Kerker bekommen habe.

Als ich gesättigt wieder auf der Strasse stehe, beschliesse ich zunächst bei Gracie zu Hause nachzusehen. Da ich weder die Schlüssel für mein Auto noch für das Motorrad habe, stelle ich mich einfach auf die Strasse und zwinge den nächstbesten Fahrer anzuhalten.

Meine Finger biegen sich in alle Richtungen und ein Mann im schicken Businesslook, etwa Mitte vierzig, in einem Mercedes Benz hält an. Ich öffne die Fahrertüre für ihn und lasse ihn aussteigen. Ich kontrolliere ihn bis er sicher auf dem Gehweg steht und steige dann ein. Erst als ich mit dem Auto nicht mehr in seinem Blickfeld bin, löse ich meine Hand und der Mann erwacht aus der Trance.

Ich stehe mit dem Wagen vor Gracies Haus und blicke aus dem Fenster. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass jemand zu Hause ist. Ich spüre auch keinerlei Aura, nichts. Mir wird schwer ums Herz und ein brennender Knoten bildet sich in meiner Brust. Ich will nicht aufgeben also steige ich trotzdem aus dem Wagen und laufe zur Haustür. Zögerlich klopfe ich an. Im Haus regt sich nichts. Ich entferne mich von der Tür, bis ich nicht mehr unter dem Vordach der Veranda stehe und hohle Anlauf. Mit einem geschickten Sprung schaffe ich es mich am oberen Fenstersims festzuhalten und aufs Verandadach zu ziehen. Ich versuche das Fenster aufzumachen und es klappt. Langsam steige ich durchs Fenster, wobei ich die dicken Vorhänge zur Seite schieben muss, in Gracies Zimmer ein. Mir schlägt sofort ihr Duft entgegen und lähmt mich. Mit einem Mal fühle ich mich wie ein Drogensüchtiger der auf Entzug ist. Ich sehe mich um und konzentriere mich darauf, allfällige Auren wahrzunehmen. Als ich mich aufs Bett setze, schlagen mir plötzlich verschiedene Auren entgegen und keine davon ist menschlich. Eine davon ist stark dämonisch, die anderen beiden gehören Engeln. Ich konzentriere mich noch stärker und fühle weiter. Die beiden Engels-Auren gehören mit grösster Wahrscheinlichkeit zu Nevil und Gracie. Er war in ihrem Bett. Mich durchfährt bei diesem Gedanken ein eiskalter Schauer. Ich lege den Kopf in die Hände und stütze mich auf den Knien ab. Plötzlich springe ich schreiend auf als mich die Erkenntnis wie ein frontaler Faustschlag in die Fresse trifft. Die dritte dämonische Präsenz, gehört Satan. Dieser verdammte....

Auch er war hier. Und das sogar noch in ihrem Bett.

Völlig ausser mir springe ich von der Veranda direkt herunter und jogge dann zum Auto. Mit beiden Fäusten trommle ich auf das Dach des Autos ein. Die Vorstellung, dass Satan sich als ich ausgegeben und sich so Gracies Vertrauen erschlichen hat, macht mich krank. Ich stosse nochmals einen lauten, gequälten Schrei aus und steige dann wieder in den Wagen. Schwer schnaubend trete ich mit voller Wucht aufs Gaspedal und rase davon.
Ich bin auf dem Weg zu Nevil's Haus. Vielleicht ist sie ja dort.

Als ich nach zwanzig Minuten endlich vor seinem Haus stehe, spüre ich bereits mehrere Präsenzen. Ich hämmere mit einer Faust an der Türe während ich die andere in die Hüfte gestemmt habe. Nach wenigen Sekunden wird die Türe aufgerissen und ein grosser, blonder Typ mit langem zusammengebundenem Haar steht vor mir. Er trägt einen dicken Strickpulli, denim Jeans und Wanderstiefel. In seinem Blick liegt misstrauen und Ruhe. Doch trotzdem scheint er jede Sekunde bereit anzugreifen. Ehe ich etwas sagen kann, höre ich Nevil von hinten rufen:,,Sie ist nicht hier, verpiss dich!''

Etwas zerbricht in mir.

666 - Unsterbliche LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt