Kapitel 11 - Gott liebt Dich

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Sie:

,,Was hast du heute vor?'', fragt meine Mutter während sie von ihrem Brötchen abbeisst. Mein Bruder, Collin, sitzt neben mir und spielt mit seinen Cornflakes. Ich bin immer noch in die Geschichte von Gestern versunken und überlege, in welchen Zusammenhang ich Xavier damit bringen kann. Doch noch scheint mir alles sehr vage und unlogisch. Vielleicht sollte ich einfach aufhören daran zu denken und Xavier's Wunsch, mich aus seinen Angelegenheiten raus zu halten, respektieren.

,,Ich helfe heute in der Trinity'', antworte ich meiner Mutter schliesslich. Sie lächelt liebevoll und meint:,,Ich habe dir nicht umsonst den Namen Gracie gegeben, er kommt vom Wort Grace, Güte. Wir haben es wirklich gut, so sollte es mehr Menschen gehen.''

Ich lächle beiläufig und widme mich dann wieder meinem Kaffee, in dem ich offenbar unbewusst so lange und heftig gerührt habe, dass die Hälfte verschüttet ist. ,,Du hast so viel von deinem Vater'', meint meine Mutter mit traurigen Augen. Abrupt steht sie auf und geht zur Spüle, an der sie sich dann abstützt.

Ich folge ihr und lege meinen Arm um ihre Schultern. ,,Geht's dir nicht gut?'', frage ich. Sie schüttelt langsam den Kopf und beschliesse nicht von meinem Vater zu sprechen. Ich habe ihn nie kennen gelernt und meine Mutter redet auch nicht oft von ihm. Ich weiss nur, dass er uns verlassen hat, als ich noch klein und Collin nicht einmal auf der Welt war. Vielleicht wurde ihm alles zu viel oder er hatte oft Streit mit meiner Mutter oder er verliess uns um eine neue Familie zu gründen? Oft frage ich mich ob ich ihm ähnlich sehe. Ob wir die gleichen Augen, den Mund oder die Nase haben. Ob mein Charakter seinem ähnelt und ob wir uns verstanden hätten. Bevor ich gehe, drücke ich meiner Mutter noch einen Kuss auf die Wange.

Ich bin auf dem Weg zur Trinity Church, in der ich heute bei der Obdachlosen-Spendenaktion mithelfe. Heute verteile ich Essen, Kleidung und anschliessend gibt es noch einen Gottesdienst.

Ich überlege, wann ich das letzte Mal in einer Kirche war, es scheint mir so weit zurück. Der Herbstwind bläst mir mein Haar aus dem Gesicht und für einen kurzen Moment habe ich das Gefühl zu fliegen. Ich wünschte mir der Wind würde sich einfach unter meine Arme klammern, mich hoch heben und in den Herbsthimmel davontragen. Wieder ein heftiger Windstoss und ich bin gezwungen meinen Schritt zu verlangsamen. Der Wind leistet mir Widerstand und unwillkürlich muss ich lächeln. Ich biege aus der Pearl Street in die Wallstreet und erkenne von Weitem bereits die Kirche. Zwischen all den Hochhäusern und Taxis strahlt die Kirche etwas majestätisches aus. Mir scheint, die Trinity Church ist der perfekte Rückzugsort, denn sie bietet eine andere Welt. Eine friedliche Welt, obwohl sich direkt vor ihren Türen das harte Leben New York's abspielt. Es strömen bereits unzählige Leute hinein, ich erkenne einige von ihnen wieder, denn sie waren schon beim letzten Mal anwesend. Als ich die Kirche betrete, schlägt mir der unverkennbare Duft von Weihrauch entgegen. Von den Wänden lächeln mich Leute an, deren Namen ich nicht mehr weiss. Der Religionsunterricht liegt zu weit zurück um sich den Taten dieser Menschen bewusst zu sein. Ich bemerke, dass es in der Kirche sehr laut ist, was mir beim Betreten zunächst gar nicht aufgefallen ist. Unzählige Tische und Bänke sind schön aufgereiht und sie erinnern mich an ein Labyrinth. Auf jedem Tisch sind Schätze ausgelegt, die die Obdachlosen später erfreuen werden. Kleidung, Hygieneartikel, Bücher, Zeitschriften und vor allem Lebensmittel stehen bereit.

Ich fühle mich auf Anhieb wohl, denn in der Kirche habe ich das Gefühl, etwas zurückgeben zu können. Meine Mutter hat recht, wir haben es wirklich gut. Wir führen ein sicheres und gutes Leben, und das sogar ohne meinen Vater. Ich beschliesse nicht mehr an ihn zu denken, denn was bringt es schon, ein Phantom zu vermissen. Ich weiss nicht wie er aussieht und ich weiss nicht wo er ist, ich kenne nur seinen Namen, Jonathan.

666 - Unsterbliche LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt