Kapitel 7 - Unerwartet

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Er: 

Schnell überfliege ich die Website und blicke Gracie dann mit zusammengezogenen Augenbrauen an. 

,,Du hast versprochen, dass du mir vertraust und dich nicht einmischst!'', sage ich mit lauter fester Stimme. Sie blickt auf den Boden, als würde sie die Antwort dort suchen. Als ich merke, dass sie nicht vor hat mir zu antworten, verlasse ich den Computerraum mit einem lauten Grummeln. 

Ich hatte mich offenbar in ihrer Aufrichtigkeit getäuscht, sie hatte nie vor mir zu vertrauen.  

Da hier an dieser Schule sowieso niemand kontrolliert ob geputzt wird, lasse ich meine Schicht sausen und gehe nach Hause, ehe ich in meiner blinden Wut und Enttäuschung noch ein Massaker anrichte.

Ich liege mit abgespreizten Armen und Beinen auf meinem Bett und starre an den Spiegel der darüber hängt. Im Spiegel sehe ich einen schwarzhaarigen Typen mit grauen Augen der mir böse Blicke zuwirft. Er sieht einsam und verloren aus, fast wie ein Wolf der von seinem Rudel verstossen wurde. Je länger ich den Typen betrachte, desto mehr tut er mir Leid. Er sieht nicht glücklich aus und auch nicht zufrieden. Er sieht aus, als bräuchte er einen Sinn im Leben. Als hätte er ein Loch in der Brust, dass keiner füllen kann. Unter seinen Augen zeichnen sich leichte dunkle Ringe ab, die seinem Gesicht etwas Kränkliches verleihen. Sein Haar ist durcheinander und rasiert hat er sich seit einer Woche auch nicht mehr. Als ich meinen Blick abwende und durchs Fenster schaue, blickt auch der einsame Mann im Spiegel weg. Ich frage mich, wie ich nur so naiv sein konnte anzunehmen, dass Gracie damit klarkommen würde. In gewisser Weise, hat sie mich enttäuscht obwohl ich eigentlich keinen handfesten Grund habe wütend auf sie zu sein. Sie hat sich im Internet Informationen über etwas verschafft, dass sie nicht versteht. Daran ist so gesehen nichts dran. Doch ich habe sie gebeten sich da raus zu halten, nur zu ihrem eigenen Schutz und sie wollte mir diesen Gefallen nicht tun. Ich überlege ob ich ihr nun einfach aus dem Weg gehen soll, was sich schwierig gestalten dürfte, angesichts des Dranges sie zu beschützen, der jeden Tag stärker wird. Vielleicht hatte Numa recht, vielleicht ist das tatsächlich Liebe. Vielleicht ist Gracie für mich bestimmt und vielleicht haben wir eine Zukunft zusammen. Ich blicke wieder in den Spiegel und als der Typ mir in die Augen starrt denke ich: Nein, dieser Typ liebt keinen und braucht auch keinen. Dieser Typ weiss nicht mal wie man Liebe buchstabiert.

Sie: 

Wie angewurzelt sitze ich auf dem Stuhl auf dem mich Xavier zurückgelassen hat. Langsam stütze ich mich an den Armlehnen des Stuhls ab und stehe auf. Ich schalte den Computer nicht aus, sondern verlasse einfach das Zimmer.  
Ich habe Angst, dass Xavier nun wütend auf mich ist. Vielleicht will er auch nie wieder ein Wort mit mir wechseln. Er ist unberechenbar, ich würde es ihm durchaus zutrauen.
Ich lasse mich auf den Sitz in meinem Auto fallen und starre nach Draussen. Plötzlich fängt es an zu regnen. Es schüttet wie aus Eimern und das gesamte Wasser rinnt meine Windschutzscheibe hinab.  
Wieso kann der Regen meinen Schmerz nicht davon schwemmen? Ich werfe meine Tasche auf den Beifahrersitz und als ich das Radio einschalten will, erblicke ich plötzlich etwas Kleines auf der Fussmatte. 
Ich bücke mich und als ich erblicke was es ist, bin ich gar nicht erfreut. Es ist eines von Xavier's Armbändern. Er muss es wohl an dem Tag verloren haben, an dem er mir das mit dem Gedankenlesen gebeichtet hat. Ich drehe es einige Mal in meiner Hand und betrachte das Silberstück. 
Von Aussen ist das Armband glatt aber Innen kann ich einige Gravuren erkennen. Mir scheint, es sind kleine Drachen die sich um einander winden. Da es Draussen schon langsam dunkel wird, halte ich das Armband unters Licht. Plötzlich erkenne ich, dass aussen auf dem Verschluss eine Zahl eingraviert ist. 666.

Er: 
In genau zwei Wochen erwartet uns Vater bei sich. Alle seine Kinder sollen anwesend sein. Ich bin mir noch nicht sicher ob ich auch dieses Treffen boykottieren soll. Das letzte Mal als ich anwesend war, endete alles nur in einem Streit:
Beim Streit ging es darum, dass ich absolut nicht hinter dem stand was sie auf dieser Welt veranstalten. Zwar bin ich nicht unschuldig, ich habe oft getötet und ich werde es auch noch unzählige Male tun aber was meine Brüder und Schwestern machen, ist einfach zu viel des Guten. 
Einige von Ihnen machten eine Reise durch Italien. Natürlich liessen sie es sich nicht nehmen einen Abstecher in die Vatikanstadt zu machen und dort ein Feuer im Vatikan zu legen.  
Sie legten mehrere Feuer zur gleichen Zeit und so kam es, dass fast zweihundert Menschen ihr Leben lassen mussten. Egal ob es unschuldige Menschen oder Gottesanhänger waren, sie mussten alle büssen. ,,Wie konntet ihr das tun? Was haben euch diese Leute getan?'', schrie ich Brom, einem meiner Brüder der dabei war entgegen. Er lachte nur und winkte ab. Brom meinte: ,,Mach dich nicht lächerlich Xavier. Das sind kleine Maden, Parasiten, gottliebende Kakerlaken! Wann siehst du es endlich ein?'' Ich ballte meine Fäuste und rannte auf ihn los. Egal was damals zwischen Vater und Gott vorgefallen war, wir durften das nicht auf den Rücken unschuldiger Menschen austragen. 
Plötzlich mischte sich mein Vater ein. Er kontrollierte mich, wie es zuvor noch keiner meiner Geschwister geschafft hatte. Ich fiel zu Boden und krümmte mich minutenlang vor Schmerzen. 
Ein höllischer Schmerz durchfuhr mich von den Zehen bis in den Kopf. Ein schrecklicher Schrei, die Illusion, hüllte mich ein und stürzte mich in tiefe Einsamkeit und Hilflosigkeit.Kontrolliert zu werden ist wirklich kein Spass. Alle Sinne werden gelähmt und man hofft nur noch, dass einem bald ein Ende gesetzt wird. Plötzlich liess Vater von mir ab und ich spürte wie Numa an mir rüttelte. ,,Xavier lebst du noch?", fragte sie verängstigt. Ich blinzelte einige Male und kam langsam wieder zu mir. Vater sprach plötzlich mit seiner tiefen Bassstimme:,,Du hast weder das Recht zu verurteilen was deine Geschwister tun, noch dich mir zu widersetzten, denn sie tun das einzig Richtige!'' Seine roten glühenden Augen blickten mich streng an. ,,Du solltest dir ein Beispiel an ihnen nehmen und dich nicht wie ein gottliebender Schwächling verhalten.''' Mittlerweile stand ich wieder aufrecht auf beiden Beinen und atmete schwer ein und aus. ,,Vater, was ihr tut ist falsch. Tötet Gottes Anhänger, das soll mir recht sein, aber keine unschuldigen Menschen die keinem etwas zu Leide getan haben.'' Mit einem abfälligen Blick sieht mich Vater an. ,,Du bist genau wie deine Mutter. Und ich hasse deine Mutter!'', schrie er.

Mich durchfährt ein kalter Schauer als ich daran zurückdenke. Vater ist wahrlich unberechenbar und eiskalt. Genau wie alle anderen meiner Geschwister.
Ich erhebe mich vom Bett und gehe ans Fenster. Draussen regnet es in Strömen und der Regen klatscht an mein Fenster. Plötzlich erkenne ich ein Auto das vor meinem Haus parkt. Es ist Gracie's alter Jeep, da bin ich mir sicher. Schnell ziehe ich meine Schuhe an und sprinte hinunter, bevor sie wegfährt.

Sie:
Ich parke vor Xavier's Wohnung, die Adresse habe ich aus dem Telefonbuch. Starr blicke ich geradeaus auf die Strasse, dann wieder aufs Armband in meiner Hand , dann wieder auf die Strasse. Ich überlege ob ich ihm das Armband in den Briefkasten werfen soll, damit ich ihm nicht begegnen muss und er mir keine Fragen stellt. Eigentlich weiss ich gar nicht wieso ich zu seiner Wohnung gefahren bin, es ist wohl die Sehnsucht die mich antreibt. ,,Du bist verrückt'', meine ich zu mir selbst. Ich kenne ihn gar nicht und doch zieht er mich so an und fesselt mich mit seinem Blick. Plötzlich klopft jemand ans rechte Fenster meines Jeep's. Da es so fest regnet, und das Wasser unaufhörlich die Scheibe hinabrinnt, kann ich nicht erkennen wer es ist. Die Türe geht auf und als ich Xavier erkenne bleibt mein Herz kurz stehen. Er setzt sich klitschnass neben mich und blickt mich mit zusammengezogenen Augenbrauen an. ,,Hey'', sage ich verunsichert. Sein Blick wird plötzlich weicher und ich wünschte ich hätte die Gabe Gedanken zu lesen. Nach einigen ungewissen Sekunden sagt er: ,,Du hast mein Armband?'' Ich nicke leicht und halte es ihm hin. Er winkt mit der Hand ab und meint:,,Behalte es.''  Meine Augen weiten sich. ,,Das ist nicht dein Ernst.'' ,,Es soll dir ein Glücksbringer sein'', meint er . Ich bedanke mich bei ihm und lege das Armband um. Es ist mir zwar ein wenig zu gross, doch es ist wunderschön. Da er nur ein T-Shirt trägt kann ich sein Drachentattoo auf dem linken Oberarm erkennen. Unwillkürlich muss ich mich an den Moment im Wandschrank der Schule zurück erinnern, als er sich vor Schmerzen windete. Er sagte, sein Tattoo würde schmerzen, ich verstand absolut nicht was los war, doch ich wollte ihm unbedingt helfen, damit er aufhörte zu leiden. Er blickt mich an und ich vermute, dass er gerade meine Gedanken liest.

Er:
Sie denkt an den Moment im Wandschrank zurück. Mir ist immer noch nicht klar weshalb mein Drachenmal auf einmal so schrecklich schmerzte. Plötzlich meint sie:,,Es tut mir Leid. Ich habe dir versprochen mich da raus zu halten, doch du musst auch mich verstehen. Du erzählst mir, dass du Gedanken lesen kannst und ich soll das einfach so hin nehmen?'' Ich nicke nur. In Gracie's Gedanken kann ich hören, dass die Entschuldigung aufrichtig ist. ,,Es ist schon gut. Ich bat dich nur darum, dich raus zuhalten, weil es deiner eigenen Sicherheit dienen sollte. Es ist noch nicht zu spät für dich, dich von mir abzuwenden. Denn wenn du erstmal alles über mich weisst, wirst du schon mittendrin und verloren sein.'' Sie sagt nichts doch in ihren Gedanken höre ich: ,,Doch es ist zu spät, mein Herz ist bereits verloren.''

666 - Unsterbliche LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt