Kapitel 27 - In der Falle

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Mir ist kalt. So unendlich kalt. Schon seit Wochen sitze ich hier in dieser Dunkelheit und bin gezwungen mich meinen quälenden Gedanken hinzugeben. Mittlerweile habe ich schon einen richtigen Vollbart, da ich nicht die Chance hatte mich zu rasieren. Geschweige denn zu duschen. Aber so ist es nun mal wenn man wie ein Tier gehalten wird. Ein mal täglich kommt ein kleiner Dämon vorbei und wirft mir etwas zu essen und eine Flasche Wasser hin. Ich weiss nicht nach wie vielen Tagen ich aufgehört habe zu betteln, dass sie mich rauslassen. Aber irgendwann hat mich einfach der Geist verlassen. Ebenso wie mich die Hoffnung verlassen hat, Gracie jemals wieder zu sehen. Meine Gracie. Meine wunderschöne Gracie. Wie ich sie vermisse.
Mit diesen Gedanken döse ich wieder ein und entgleite in meine Träume in denen ich endlich wieder vereint mit ihr sein kann.

Sie:

Ich bin wie eine Irre durch denn Wald und dann über die Landstrasse gerast. Elia's Anweisungen habe ich bislang strikt befolgt, auch wenn mir das Denken an eine weisse Wand sehr schwer gefallen ist.
Jetzt fahre ich durch die Stadt, zu einer Mall. Elias hat mit bevor ich ins Auto eingestiegen bin, oder vielmehr reingequetscht wurde, gesagt ich solle an einen Ort fahren wo es viele Menschen gibt.
Meine Gedanken drehen sich nur um dieses vermeindlche rote Etwas, dass Nevil einem Baum zu sehen glaubte. Je länger ich über die Hektik in Elias Augen und seinen Ton in der Stimme nachdenke, desto mehr glaube ich, dass ich tatsächlich grosser Gefahr ausgesetzt war. Oder es immer noch bin.
Geistesabwesend parke ich Nevils Auto in die Tiefgarage der Mall und eile zum Eingang.
Ich atme erleichtert auf als ich endlich unter der Menschenmasse in der Mall verschwinden kann.
Hier würden die Dämonen sicherlich kein Chaos anrichten. Denn einfach so alle abzuschlachten und ein riesiges Blutbad zu hinterlassen, das wäre viel zu auffällig und undurchdacht. Die Dämonen mögen es subtiler und hinterlistiger...

Ich sacke auf ein Sofa des Starbucks, der sich in der Mall befindet. In meiner Hand halte ich einen heissen Kaffe Americano an dem ich nippe. Wie es Nevil und Eilas gerade geht? Ob da tatsächlich Dämonen herumgeschlichen sind? Hoffentlich sind sie nicht in einen Kampf verwickelt. Ich würde es nicht ertragen, wenn ihnen wegen mir etwas schlimmes zustossen würde.
Es grummelt in meinem Magen vor Nervosität. Völlig gedankenversunken starre ich auf meine Tasse und sitze einfach nur da.
Pötzlich lässt sich jemand neben mich aufs Sofa plumpsen. Ich blicke der Person nicht ins Gesicht, doch den Beinen zufolge ist es eindeutig ein Mann.
,,Was machst du hier so allein?'', fragt eine mir bekannte Stimme. Ich erstarre augenblicklich und mir schiesst die Röte ins Gesicht. Langsam und völlig ungläubig drehe ich meinen Kopf in seine Richtung und mir entfährt ein Lächeln. ,,Was tust du denn hier?", ich falle Xavier um den Hals und drücke ihm einen dicken Kuss auf seinen süssen Mund.
Er scheint völlig überrumpelt zu sein und weicht nach kurzer Zeit schon zurück. Mich erfüllt eine gewisse Trauer. Begehrt er mich denn nicht im gleichen Ausmass wie ich ihn?
Ich löse mich von ihm und greife aus purer Ratlosigkeit wieder zu meiner Kaffeetasse. Die Situation ist so schrecklich. Wie bei einem schlechten Date, wo man sich nichts zu sagen hat und einfach probiert mit Schweigen die Zeit totzuschlagen. ,,Wo warst du die letzten Tage?'', will ich wissen.
Xavier antwortet mir nur mit einem Achselzucken und meint dann:,,Musste mich um einige Dinge kümmern." Ich runzelte meine Stirn. Ich war es ja gewohnt, dass Xavier nicht unbedingt die emotionalste Person war die ich kannte, aber so verschlossen wie jetzt habe ich ihn zuvor auch noch nie erlebt. Schon als er vor einigen Tagen in mein Zimmer stieg, wollte er mich auf gewisse Fragen partout keine Antwort geben. Ich frage mich ob das mit dem Druck den sein Vater auf ihn ausübt zu tun hat. Wenn er jetzt für immer vor hat so zu bleiben, will ich diese Beziehung nicht. Denn so tut mir das nicht gut. Mir steigen plötzlich Tränen in die Augen und meine Nase beginnt zu laufen. Ich beginne bitter zu weinen, mir ist einfach alles zu viel geworden. Der Abstand zu Xavier, dann erfahre ich, dass ich ein Halb-Engel bin, dann kehrt Xavier plötzlich zurück und ist nicht der alte, in den ich mich verliebt habe. Die Tränen laufen einfach meine Wangen hinab und ich mache keine Anstalten sie wegzuwischen. Xavier sitzt immer noch wie angewurzelt neben mir und sieht mich mit einem gleichgültigen Bilck an. Wenn er nur wüsste wie sehr mich sein Blick verletzt. Als ob mir jemand ein Messer in den Bauch rammen und es dann genüsslich umdrehen würde. ,,Was ist nur los mit dir?'', entfährt es mir unter Tränen. Er schüttelt zaghaft seinen Kopf, eine richtige Antwort bleibt vorerst aus.
Minutenlang weine ich während er einfach neben mir sitzt. Die ganzen Leute im Starbucks haben schon begonnen zu gaffen. ,,Seit du wieder gekommen bist, bist du nicht mehr der alte! Was haben sie dir angetan, dass du nun so verschlossen bist?'', will ich mit einem forderndem Ton wissen.
Xavier atmet tief aus, murmelt genervt zu sich selber und reibt sich die Augen:,,Diese Schlammblüter, unglaubliche Kreaturen." Mein Magen zieht sich zusammen, es folgt noch ein Schwall Tränen. Schlammblüter? Weiss er, dass ich ein Halb-Engel bin?
Plötzlich richtet er sein Wort an mich:,,Würdest du mit mir mitkommen? Ich möchte dir gerne etwas zeigen. Vielleicht wird dir das Aufschluss über mein Verhalten geben."
Ich streiche mit dem Handrücken über meine Nase und blicke ihm direkt in seine grauen Augen.
Völlig benommen von seiner Schönheit betrachte ich sein Gesicht. Diese tiefgrauen Augen, seine gerade Nase, seine definierten Wangenknochen und sein ausgeprägter Kiefer dessen Antlitz keine einzige Bartstoppel stört.

,,Na schön.", meine ich dann. Ein Akt purer Verzweiflung. Vielleicht bekomme ich ja jetzt endlich die langersehnte Antwort auf dieses ganze Chaos in das er mich reingerissen hat.
Wir stehen auf und laufen langsam zum Ausgang. ,,Ich habe noch einen Wagen in der Tiefgarage.", entgegne ich schnell. Promt mein Xavier:,,Den wirst du nicht brauchen." In seiner Stimme liegt etwas bedrohliches. Etwas angsteinflössendes, dass ich noch nie zuvor bei ihm gehört habe. Plötzlich keimen Zweifel in mir auf. Ist es richtig mit ihm aus dieser Mall fortzugehen? Schliesslich hat Elias mir ausdrücklich gesagt, ich solle in der Mall auf sie warten und mit keinem in Kontakt kommen. Wenn Nevil jetzt wüsste, dass ich mit Xavier gerade dabei bin, irgendwo hin zu gehen, würde er durchdrehen. Es scheint, Xavier hat meine Gedanken gehört, denn er berührt plötzlich mit seiner Handfläche meine rechte Wange und beugt sich runter um mich zu küssen. Sein Kuss nimmt jede Faser meines Körpers ein und benebelt meinen Verstand. Die weisse Leinwand ist entgültig gefallen.

Während wir von der Mall durch die Strassen New York's laufen, werfe ich immer wieder einen verstohlenen Blick auf Xavier. Aus einem Impuls heraus, lege ich meine Hand in seine. Er zieht seine Hand zwar nicht zurück, doch ich merke wie sich sein Körper anspannt. Wieder versetzt mir seine Reaktion einen Stich mitten ins Herz.
Wir gehen noch einige Minuten bevor er abrupt stehen bleibt. Ich sehe mich um und erkenne, dass wir vor der Trinity Church stehen. Sofort erinnere ich mich an den Tag zurück, als ich mit Nevil gemeinsam Dinge für die Obdachlosen verteilt habe. An diesem Tag hat er mir zum ersten Mal von Engeln und Dämonen erzählt. Jedoch wusste ich zu diesem Zeitpunkt nichts über seine oder meine Gestalt. Xavier läuft in Richtung des Eingangs der Kirche. Vor der grossen, braunen Mahagonitüre bleibt er stehen und blickt über seine Schulter zu mir nach hinten. Ich stehe noch nicht einmal auf der Treppe, sodass ich einige Meter von ihm entfernt stehe. Xavier's Blick lässt mich erschaudern.
Mit einer einzigen fliessenden, schnellen Bewegung öffnet er die schwere Türe und tritt ein.
Ich folge ihm zaghaft.
Als ich drinnen und wieder einmal von der Deckenmalerei gefesselt bin, schliesst sich die Türe plötzlich mit einem lauten Knall. Ich fahre erschrocken herum. Xavier steht, mit den Händen hinter dem Rücken, vor der verschlossenen Türe und grinst. In seinem Blick liegt keine Zuneigung oder gar Liebe. Nein. Sein Blick ist tödlich. Er sieht aus wie ein Löwe, der sich gerade erfolgreich an seine Beute rangepirscht hat und nun bereit ist zuzupacken. Mir läuft es eiskalt den Rücken runter.
Das ist nicht mein Xavier.

666 - Unsterbliche LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt