Kapitel 20 - Gefahr

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Sie: 

Es ist still. Es ist alles so still seit letzter Woche. Es ist so still während ich in meinem Zimmer zusammengerollt auf meinem Bett liege und die Augen geschlossen halte. Es ist so still, dass ich denke meinen eigenen Herzschlag zu hören. Es ist auch leer. Seit Xavier mit mir Schluss gemacht hat, hat alles an Bedeutung verloren. Plötzlich läuft es mir bei dem Gedanken an ihn eiskalt den Rücken runter und ich krieche unter meine Decke. Für einen Moment wünsche ich mir plötzlich sie wäre tonnenschwer, so würde sie mich zerquetschen. Zaghaft klopft es an meiner Türe und meine Mutter tritt hinein. ,,Schatz, gehts dir nicht gut?'', will sie wissen. Ich antworte und rühre mich nicht. Sie tritt an mein Bett, sinkt auf die Knie und hält mir eine Hand an die Stirn. ,,Du hast kein Fieber, vielleicht mache ich dir doch einfach einen Tee." Sie steht wieder auf und läuft langsam die Treppe runter. Mir ist nicht nach reden, mir ist nicht nach aufstehen, mir ist nicht nach Tee und vor allem ist mir im Moment nicht nach leben zu Mute. Zum Glück ist heute Samstag. Immerhin muss ich nicht zur Schule, denn ich fürchte dort würde mich alles an ihn erinnern. Die Türe geht wieder auf, doch diesmal kommt nicht meine Mutter sondern Nevil rein. ,,Hey, ehm, deine Mutter hat mich reingelassen", meint er leise während er sich einen Stuhl ans Bett zieht und sich darauf setzt. Die Decke habe ich bis unter die Augen hochgezogen, wortlos sehe ich ihn an. Als er merkt, dass ich nicht reden möchte fährt er fort als sei nichts gewesen. ,,Ich habe gehört, was passiert ist. Es tut mir echt leid für dich." Unablässig ruhen meine Augen auf seinem Gesicht und beobachten jedes Zucken und jede Bewegung. Ein unehrliches Wort, eine schlechte Absicht, alles würde ich sofort in seinem Gesicht lesen. Nevil sieht mich mit einem weichen und verständnisvollen Blick an und plötzlich frage ich mich was er hier eigentlich will. Schliesslich sind wir keine dicken Freunde, also hat er eigentlich keinen Grund nach mir zu sehen. Doch ich fühle mich zu kraftlos um nach dem Grund seiner Anwesenheit zu fragen, stattdessen bin ich einfach froh, nicht alleine zu sein. ,,Komm, wir gehen spazieren", meint er energisch. Ich rühre mich nicht, immer noch luge ich stumm unter meiner Decke hervor. Er lächelt mir zu und als ich immer noch nichts sage, schlägt er die Decke zurück und zieht mich sanft an meinen Armen hoch. ,,Lass mich!", fauche ich ihn an. Er entfernt sich einige Schritte und ich deute ihm mit einem Wink das Zimmer zu verlassen. ,,Du kommst also mit?'', fragt er mit einem Lächeln auf den Lippen. Ich nicke bloss und schliesse die Türe hinter ihm als er das Zimmer verlässt.

Langsam sacke ich auf den Beifahrersitz von Nevils Auto. Als der Motor zu surren beginnt und er aufs Gaspedal tritt, fühle ich mich ein Stück besser. Je weiter weg ich von meinem Haus und den Erinnerungen komme, desto leichter kann ich atmen. Wir fahren aus der Stadt heraus. Unzählige Waldabschnitte und Büsche passieren wir, während er mich irgendwo hin bringt. Ich halte es nicht einmal für nötig zu fragen wohin. Solang er mich nicht dort hinbringt wo Xavier ist, will ich es au gar nicht wissen. ,,Ich hab mir gedacht wir könnten wandern gehen. Ein Freund von mir, Elias, wird gleich zu uns stossen", meint Nevil. Ich registriere gar nicht richtig was Nevil erzählt, zu gebannt bin ich vom Anblick der vorbei rauschenden Bäume. Wenn man in diesem Tempo vorbeifährt und sich nur auf die Baumstämme konzentriert, erkennt man Gesichter in ihnen. Für mich sehen die meisten Gesichter gequält aus. Aber vielleicht liegt das auch nur an meiner derzeitigen Stimmung.  

Wir halten an, irgendwo mitten im Wald auf einer kleinen Lichtung. Während Nevil lachend aussteigt und zu seinem Kumpel läuft, der angelehnt an seinem roten Geländewagen steht, beobachte ich ihn. Seine blonde Mähne hat er zu einem kleinen Haarschwanz zusammengebunden, der so kaum fünf Zentimeter misst. Er trägt eine dunkle Jeans und einen Strickpullover, dazu noch die passenden Wanderschuhe. Er hat ein markantes Gesicht, ausgeprägte Wangenknochen, herausstechende eisblaue Augen - er ist wunderschön.  

Beide blicken sie auf mich als ich aussteige. Ich laufe langsam auf die beiden zu und ehe ich etwas sagen kann, streckt mir Elias schon seine Hand hin. ,,Hi, du musst Gracie sein. Ich bin Elias", meint er mit einer tiefen Bassstimme die ich nicht erwartet hätte, doch sie passt zu ihm. Wir schütteln die Hände, er lächelt und entblösst seine strahlend weissen, perfekt angeordneten Zähne. Für einen kurzen Moment bleibt mir die Luft weg, doch als er meine Hand loslässt fange ich mich wieder. Nevil wirft sich einen Rucksack um und geht vor. Auch Elias und ich setzen uns in Bewegung. Schon nach wenigen Minuten hat uns der Wald vollkommen verschluckt.

Er:

Die Türe meiner Wohnung fällt hinter mir ins Schloss. Ich bin auf dem Weg zu einem weiteren, von meinem Vater einberufenen "Familientreffen". Seit ich mit Gracie Schluss gemacht habe, rauche ich nur noch Kette. So zünde ich mir auch jetzt, während ich zu dem gleichen Hochhaus wie immer gehe, eine Zigarette an - schon etwa die fünfzehnte seit den letzten zwei Stunden. Es wird langsam immer kälter, der Herbst neigt sich dem Ende zu. Ich ziehe mir die Kapuze meines Pullis über den Kopf und laufe einfach. Ich gehe, gehe ohne mir jegliche Gedanken zu machen. Mein Kopf ist leer - ich mag nicht denken.

Erneut öffnet sich das Tor aus Flammen und ich steige wieder die steile Treppe hinab. Und wieder einmal bin ich der Letzte der eintrifft. Arschkricher, denke ich mir als ich die Hölle betrete und meine Geschwister erblicke wie sie sich um Vater gescharrt haben und ihn beinahe schon anhimmeln.

Wenn sie wüssten was ich über ihn weiss, würde ihn keiner mehr so verehren. ,,Xavier!'', ruft Tom, einer meiner Brüder, aus und fällt mir in den Arm. Ich drücke ihn kurz und sehe mich dann um. Ich weiss selber nicht so recht wonach ich suche aber irgendetwas ist komisch hier. Es sind nicht meine Geschwister, es ist nich die Umgebung, sondern die Atmosphäre die mich einschüchtert und nervös macht. Ich muss heute besonders aufmerksam sein, wenn man sich mit Dämonen abgibt kann man nie auf Nummer sicher gehen.

Sie:

Meine Beine schmerzen bereits nach einer Stunde. Doch im Gegensatz zu mir scheinen Nevil und Elias unermüdlich. Sie unterhalten und necken sich pausenlos. Es ist ein sehr warmes und freundschaftliches Verhältnis, dass die beiden verbindet. ,,Ich brauche eine Pause", meine ich während ich etwa drei Meter hinter den beiden hinterher laufe. Sie bleiben stehen und drehen sich mir zu. Nevil sagt:,,Es ist nicht mehr weit, nur noch eine viertel Stunde. Halte durch, es wird sich lohnen."

Ich rolle mit den Augen und setzte mich wieder in Bewegung. Es ist unglaublich kühl geworden, der Winter steht bestimmt schon vor der Tür. Um mich ein wenig vor der Kälte zu schützen vermumme ich mein Gesicht so gut es geht im Schal.

Wir gehen immer weiter den Hügel, durch den Wald, hoch. Nevil's fünfzehn Minuten kommen wir wie fünfzehn Stunden vor und dehnen sich wie Kaugummi. Mein Blick fällt plötzlich auf Elias. Seine Gangart hat mich in den Bann gezogen. Er bewegt sich so geschmeidig über die Wurzeln und Steine am Boden, man könnte meinen er schwebt. Abrupt bleibe ich stehen und es fällt mir wie Schuppen von den Augen. Was ist wenn Elias auch ein Engel ist? Jedenfalls würde das sein ausserirdisch gutes Aussehen erklären. ,,Was ist los? Wir sind gleich da, nur noch ein paar Schritte!", ruft mir Elias zu. Er lächelt und winkt mit dem Arm. Ich sage nichts und setzte mich einfach wieder in Bewegung.

Als die beiden endlich stehen bleiben bin ich heilfroh. Erst als ich mich auf einen grossen Stein gesetzt habe, vermag ich es meine Umgebung zu erkunden. Wir sind auf einer Art Felsvorsprung, eine Lichtung am Rande einer Schlucht, wenn man so will. Vor uns liegt das funkelnde New York, hinter uns der tiefe, schwarze Wald. Ich werfe einen Blick auf mein Handy, es ist schon später Nachmittag.

Elias und Nevil unterhalten sich angeregt über etwas, ich jedoch schweige nur. Ich neige meinen Kopf leicht zur Seite und beginne die zwei zu vergleichen. Nevil und Elias haben etwa den selben Körperbau. Sie sind beide muskulös, gross und schlank. Ausserdem sind sie beide blond und haben dieses unglaublich markante Gesicht. ,,Elias, bist du ein Engel?'', rufe ich ihm zu. Ich wundere mich über mich selbst, das ich so etwas ohne zu überlegen einfach frage. Er dreht sich um, fängt an zu lachen und meint dann lässig:,,Sag mal machst du mich an?'' Ich erwidere sein Grinsen nicht sondern warte auf eine ernste Antwort. Nevil gibt ihm einen leichten Stoss in die Seite und blickt ihn streng an. ,,Sie weiss es", flüstert er ihm zu. Elias' Augen weiten sich ein wenig und er schweigt. ,,Also doch", meine ich mit hochgezogenen Augenbrauen.

,,Ich dachte wir wollten sie in unserer menschlichen Gestalt beschützen. Du musst nicht gleich alles ausplaudern, du Trottel!", zischt Elias Nevil zu. Ich stehe auf und gehe einige Schritte auf die beiden zu. ,,Wieso müsst ihr mich beschützten?'', will ich wissen. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Nevil schaut mich mit diesem komischen Blick an. Er sieht mich an als sei ich ein kleines, zerbrechliches Kind, dass die Wahrheit nicht verträgt und sie vor allem nicht versteht. Eindringlich blicke ich ihn an, dann endlich öffnet er seinen Mund:,,Wir glauben, dass Xavier's "Familie" dich töten will. Sie dulden keine Beziehungen zwischen Dämonen und-" ,,Menschen", beende ich Nevil's Satz. Sie nicken beide gleichzeitig. Mir läuft es eiskalt den Rücken runter. ,,Ich muss nach Hause! Meine Mutter und mein Bruder sind dort!" Ich kehre den beiden den Rücken zu und laufe schnell wieder Richtung Wald. Ich komme nicht weit, da packt mich Elias auch schon am Arm. ,,Wir gehen gemeinsam", seine Stimme ist fest und bestimmt und ich wage es nicht ihm zu widersprechen.  

666 - Unsterbliche LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt