Kapitel 21 - Pläne

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Es vergingen zwei Tage. Zwei Tage, in denen sie versuchten, so viel wie möglich aus dem wenigen Essen rauszuholen, dass sie sich besorgt hatten. Zwei Tage, in denen sie immer öfter Lärm von der Straße hörten. Zwei Tage, in denen sich Levi nur einmal zeigte, um zu fragen, wie es Jean ging.
Erwin war sichtbar angespannt. Er wusste immer noch nicht, was mit Levi los war. Inzwischen verbarrikadierte sich der Schwarzhaarige regelrecht in seinem Zimmer und Erwin blieb nichts übrig als ihm sein Essen vor die Tür zu stellen.
Sie besprachen in der restlichen Gruppe, wann sie wieder neue Lebensmittel besorgen müssten und ob sie nun wirklich Richtung Innenstadt laufen wollten, wenn Jean wieder fit genug dafür war.

"Ich weiß nicht. Eigentlich wäre die Idee nicht dumm. Vor allem, wenn es dort wirklich Strom gibt", meinte Hanji nachdenklich:"Sollte jemand zur Rettung kommen, würden sie sicher auch dort hin, wenn sie sehen, dass dort viele Menschen sein könnten."
"Ja", stimmte Erwin nickend zu und rieb sich nachdenklich das Kinn:"Aber es ist ein verdammt weiter Weg und wir wissen nicht, wie viele dieser Verrückten auf den Straßen unterwegs sind und wie sicher es in den Häusern ist auf dem Weg dorthin."
"Aber wir wissen auch nicht, wie lange es noch hier sicher sein wird", sagte Rico und legte den Kopf schief:"Ihr kriegt doch auch mit, wie viel in letzter Zeit draußen los ist."
"Das stimmt", pflichtete Laura bei und zog besorgt die Augenbrauen zusammen. Es schien nicht so, als würden sie einer Lösung näher kommen. Auch das umfunktionierte Radio hatte ihnen bisher nicht weiter helfen können und so stand es unbeachtet auf der Fensterbank und brummte leise vor sich hin. Hanji und Rico hatten es auch nicht geschafft, die Reichweite zu vergrößern und so war die Hoffnung, dass sie zufällig entdeckt wurde, auf ein Minimum geschrumpft.
"Wir sollten gehen", sagte Eren:"Ob wir bleiben oder nicht, besser wird es auch nicht."
"Aber vielleicht schlimmer. Das Krankenhaus ist eigentlich ein guter Ort und bis jetzt ist keines der Biester reingekommen", meinte Armin. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, rauszugehen und dort umherzuirren. Womöglich komplett ungeschützt zu sein.

"Wir können doch nicht ewig hier sitzen bleiben und gucken, was passiert. Irgendetwas müssen wir doch tun", sagte Eren und stöhnte genervt:"Diese ganze Scheiße geht mir wirklich auf die Nerven!"

"Wir sollten unser Glück versuchen und aufbrechen sobald Jean sich dazu bereit fühlt. Außerdem müssen wir eh neue Vorräte holen. Dabei können wir abchecken, wie schlimm es wirklich ist", sagte Erwin, nachdem sie alle ein paar Augenblicke geschwiegen hatten. Keiner schien wirklich begeistert, aber sie sahen ein, dass sie nicht weiterkommen würden, würden sie nur auf einem Fleck bleiben.

"Und wenn wir jeden Tag so eine Art Patrouille machen?", fragte Armin leise:"Solange wie es hier sicher ist und drei Leute gehen tagsüber nach potenziellen Fluchtmöglichkeiten suchen, sollte das Krankenhaus doch noch überrannt werden."
"Klingt gar nicht schlecht", sagte Rico anerkennend und nickte leicht. Sie sah zu Erwin:"Das finde ich eigentlich besser als auf gut Glück loszulaufen."
"Ja. Wir können es so machen", sagte Erwin nickend und lächelte Armin zu:"Du bist ein wirklich kluges Köpfchen."

"Ach ... eigentlich ganz normal", nuschelte der Blondschopf verlegen und sah weg. Eren grinste und boxte ihm freundschaftlich gegen den Arm:"Hör auf, dich immer so runterzuspielen! Erwin hat Recht!"


Nachdem das also beschlossene Sache war, ging Erwin nach unten, um ihren Plan Levi mitzuteilen. Dieser hatte das Essen nicht angerührt und die Tür war immer noch verschlossen. Leise seufzte Erwin und klopfte an:"Schatz, bitte rede doch mit mir. Was ist los?"
Doch Levi dachte nicht einmal daran, die Türe zu öffnen. Seine Augen waren zwar nicht noch dunkler geworden, aber die Schwärze an den Rändern war nicht zu leugnen. Und was noch viel schlimmer war: Levis Sinne spielten verrückt.

Er konnte Erwin schon im Treppenhaus hören und wenn er direkt vor seiner Tür stand, roch er ihn. Er nahm ihn war wie ein Tier. Ein Raubtier. Und Levi traute sich selbst nicht zu, sich zurückhalten zu können, sollte er die Tür öffnen. Also schwieg er nur und strafte seinen Mann mit Ignoranz. Und das tat er bei Weitem nicht mit Leichtigkeit. Es schmerzte ihn, Erwin so etwas anzutun. Er wusste, wie verletzt sein Mann davon sein musste. Levi presste die Lippen aufeinander und kniff die Augen zusammen.

"Na gut ... Dann hör einfach nur zu", hörte er Erwin wieder hinter der Tür reden:"Armin hat vorgeschlagen, dass wir Patrouillen einführen, die nach und nach im näheren Umkreis nach möglichen Verstecken und Fluchtmöglichkeiten Ausschau halten. Damit wir fliehen können, sollte das Krankenhaus nicht mehr sicher sein. Dann könnten wir uns auch Richtung Innenstadt bewegen. Es wäre so sicherer als einfach loszulaufen. Das siehst du sicher ein."
Ja, das sah er ein. Er wüsste auch nicht, wie er nun noch der Gruppe unter die Augen treten sollte ohne erklären zu müssen, was mit seinen Augen los war. Er wusste es ja selbst nicht einmal. Er hatte keines der Biester berührt, wurde gebissen oder hatte Körperflüssigkeiten mit ihnen ausgetauscht, wie man es aus Filmen kannte. Tief atmete er durch und schloss einen Moment lang die Augen.

"Iss wenigstens etwas", bat Erwin:"Du brauchst die Energie. Das weißt du selbst."
Ja, auch das sah er ein. Aber er hatte keinen Hunger. Und das lag nicht an der Situation. Es lag am Essen. Er schmeckte nach nichts und zerfiel ihm fade auf der Zunge. Doch sobald Erwin da war ... Levi schüttelte sich und wollte nicht weiter daran denken.

Er hörte, wie Erwin seufzte:"Gut ... Dann gehe ich jetzt. Ich liebe dich."
"Ich dich auch", hauchte Levi leise und seine Stimme klang fremd in seinen eigenen Ohren. Er hörte, wie sein Mann sich entfernte und wieder nach oben ging.

Ratlos setzte Erwin sich im Schwesternzimmer auf das Sofa und durchfuhr mit seinen Fingern seine blonden Haare. Besorgt sah Hanji an:"Ist mit Levi alles in Ordnung?"
"Nein ... Er antwortet mir immer noch nicht und isst jetzt auch nicht mal mehr das Essen, das ich ihm bringe. Ich ... ich würde gerne wissen, was in ihm vorgeht", sagte Erwin frustriert. Die sonst so aufgedrehte Frau war dieses Mal ungewöhnlich still. Sie setzte sich neben Erwin und sah ihn ernst an:"Was, wenn er selbst ... du weißt schon."
Der Blonde hob den Kopf und starrte sie schockiert an:"Nein! Er ist keines dieser Biester! Bist du verrückt? Er hat doch kaum Kontakt zu ihnen gehabt."

"Vielleicht ja doch. Wenn es ein Virus ist, könnte es über Tröpfchen weiter auf ihn übergesprungen sein", mutmaßte sie, aber Erwin wollte davon nichts hören und schüttelte den Kopf:"Nein. Dann wären wir doch jetzt auch infiziert. Er ist kein Monster, Hanji. Es wird einfach nur der Stress sein."
Sie hätte ihm gerne noch erläutert, weshalb sie nicht zwingend auch angesteckt werden mussten, doch selbst sie sah ein, dass Erwin dafür jetzt nicht offen war. Also schwieg sie bedrückt und sah auf den Boden zwischen ihren Schuhen.

"Wir könnten die erste Gruppe für eine Patrouille einteilen", schlug Rico vor und alle gaben ihr Einverständnis. Erwin meldete sich gleich freiwillig, denn er war am erfahrensten, was den Selbstschutz anging und die Aufgabe würde eine willkommene Ablenkung sein. Mit ihm würden noch Rico und Eren kommen. Letzterer musste jedoch erst einiges an Überzeugungskraft liefern, denn eigentlich wollten die Erwachsenen keinen der Jugendlichen in Gefahr wissen.
"Draußen ist es im Grunde auch nicht gefährlicher als hier", sagte Eren stur und schließlich stimmten Rico und Erwin ein. Am nächsten Tag würden sie gemeinsam die erste Runde bestreiten, in der sie auch gleich neue Lebensmittel holen würden.

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