Kapitel 1

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Es regnete. Das tat es ziemlich oft hier in Irland. Ich hatte mich in die riesige Schlossbücherei zurückgezogen, um in den vielen Märchenbüchern zu lesen. Gerade fuhr ein weiterer Blitz von Himmel und die Kerze auf dem Tisch neben mir erlosch. Für sie hatte ich mein letztes Streichholz benutz. Vielleicht bedeutete das, dass ich schlafen gehen sollte.

Auf dem Weg in meine Gemächer begegnete ich vielen Dienerinnen, die sich ehrfürchtig vor mir verbeugten, obwohl ich ihnen schon so oft gesagt hatte, dass sie diese Förmlichkeiten doch lassen sollen. Mein Vater schien wieder einen Poker Abend mit den hier verweilenden Lords zu machen, da mir ein Mann mit leichter Tabak und Alkohol Note auf der langen Wendeltreppe entgegenkam, der in Richtung Gäste Flur lief. Meine Mutter, so vermutete ich, unterhielt sich mit den Gräfinnen im Kaminzimmer über „Angelegenheiten", bei denen ich nicht anwesend sein durfte. Wahrscheinlich ging es darum, dass ich keinen der mir angebotenen Hochzeitsanträge angenommen hatte. Sogar nicht von Lord Sullivan, der meiner Familie ein sehr großes Vermögen eingebracht hätte, als würden wir es nötig haben. Außerdem ist er 20 Jahre älter als ich. Und das war ja nun wirklich nicht gerade ansprechend!

Mein Gemach lag in einem der drei Türme und die Bibliothek in dem anderen, also musste ich einmal fast durch das ganze Schloss laufen, aber mir war das egal. Als ich in mein Gemach eintrat, brannten alle Öllampen an meinen Pastellfarbenen Wänden und auch der Kamin war entflammt, da es in den Frühlingsnächten noch sehr kalt war. Es sah aus als hätte irgendwer schon gewusst, dass ich jeden Moment kommen würde, denn auch mein Himmelbett und das Sofa sahen aus, als hätte man die genauen Abstände von meinen Federkissen zur Mitte abgemessen und sie dann perfekt platziert. Ich ging weiter in meinen Ankleideraum in dessen Mitte ein kleines Glöckchen stand, welches ich nur läuten musste, dass eine Dienerin vorbeikam um mir beim Auskleiden meines Kleides und ankleiden meines Nachthemdes half. Ich nahm das Glöckchen und bevor ich überhaupt richtig läuten konnte, klopfte es schon an die Tür. Wahrscheinlich hatte eine der Dienerinnen den anderen schon Bescheid gegeben, dass ich bald in meinem Gemach eintreffen werde und ich vermutlich Hilfe beim Auskleiden brauche.

Ich öffnete die Tür und Lizzy stand davor, eine meiner liebsten Dienerinnen. Sie war nicht viel älter als ich und ich verstand mich prima mit ihr.
„Guten Abend eure Hoheit, ihr läutetet die Glocke?" fragte sie.
Trotz meiner häufigen Bitte machte sie einen Knicks vor mir und wenn sie nicht des niederen Standes wäre, hätte sie eine perfekte Dame am Hofe abgegeben.
„Hallo Lizzy. Ja, ich brauche dringend Hilfe, um aus diesem grauenhaften Kleid herauszukommen."
Meistens suchte ich mir selbst meine Kleider aus, doch heute hatte mein Vater entschieden und seine Wahl viel auf ein knalliges rosa Kleid, welches überhäuft von Rüchen ist. Am liebsten würde ich es verbrennen, wenn ich könnte, weil ich darin wie ein kleines schutzloses Püppchen aussah.
Lizzy schloss die Tür hinter sich und ging in meinen Ankleideraum. Sie suchte das blaue Seidennachthemd aus und half mir dann mit dem Aufschnüren des Kleides und dem Unterrock. Gemeinsam flochten wir meinen hochgesteckten Zopf auf und wuschen mein Gesicht. Dann brachte Lizzy mich in mein Bett und zog ein Buch unter ihrem Rock hervor.
„Das habe ich in der Bibliothek mitgehen lassen. Ich weiß das ihr die Märchen am liebsten habt."
Sie grinste mich verstohlen an. Außerdem wusste sie, dass es ein Verbot war die Bücher aus der Bibliothek in die eigenen Gemächer mit zu nehmen.
„Danke Lizzy. Und Gute Nacht, ruh dich wenigstens ein bisschen aus."
Ich wusste das Lizzy oft bis tief in die Nacht arbeitete oder lesen mit ihrer Großtante lernte, um dann noch vor Morgengrauen aufzustehen. In ruhigen Momenten übte auch ich mit ihr schreiben, doch das durfte mein Vater nicht erfahren, da er es nicht schätzt, wenn seine Diener schreiben oder lesen können. Er würde Lizzy vielleicht schlagen oder schlimmeres und das wollte ich auf gar keinen Fall.
„Gute Nacht Aideen..."
Seltsamerweise nannte sie mich immer bei meinem vierten und letzten Vornamen Namen, ich wusste nicht wieso. Sie deckte mich zu und ging wieder heraus.

The ElimentiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt