47. Die ganze Wahrheit

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Augenblicklich zieht sich mein Herz zusammen. Dabei fühlt es sich an, als würde der ganze schwere Ballast entweichen, um noch stärker zurückzuprallen. Meine Haut steht in Flammen. Ich sacke zusammen.

Es dauert keine zwei Sekunden, da bin ich komplett in Tränen versunken. Wie ein nasser Sack liege ich am Boden und schluchze ungeheuerlich ins Nichts, während mir eine Sache brennend klar wird: Es ist das erste Mal, dass ich diese traurige Wahrheit laut ausgesprochen habe. Ja, nicht mal im Gerichtssaal war ich damals fähig, mich so klar auszudrücken. Es waren immer nur die Erwachsenen, die diese genauen Worte aussprachen und ich hatte immer nur mit Tränen in den Augen bejaht. Doch so wie jetzt war es nie.

Logan steht stocksteif da. Lediglich sein Kiefer malmt angespannt. Und es dauert nicht lange, da sind meine Sinne schon von meinem Geheule förmlich betäubt. Durch diesen salzigen Tränenvorhang vor meinen Augen kann ich nur verschwommene Umrisse erkennen. Meine Schluchzer sind so laut, dass ich das Gefühl habe, sie übertönen alles. Alles oder nichts um genau zu sein, denn ich bin mir nicht mal sicher, ob Logan zu mir spricht. Ich nehme weder Stille noch Lärm wahr. Es sind nur die qualvollen Geräusche aus meiner Kehle in meinem Raum voller nichts.

Vermutlich muss ich wie ein nasser Pudel im Sterben aussehen, so wie ich mich hier zusammengeklappt auf dem Boden krümme. Doch das ist mir ganz egal. Mein Herz rast zu schnell und meine Gedanken kreisen schwindelerregend langsam. Ich fühle mich, als müsste ich mich übergeben. Übergeben von diesem Anblick dieser dunkelgrau leuchtenden Augen, die mich begierig entblößen.

Und dann ist plötzlich alles schwarz.


2 Stunden später

Ich schlage meine angeschwollenen Augenlider unter Höllenqualen auf. Augenblicklich kommen alle meine Sinne zurück. Ich spüre, wie mein Herz wieder einen normalen Puls erreicht, meine Kehle allerdings staubtrocken bleibt. Kläglich versuche ich meine Umgebung ausfindig zu machen. Das helle Licht erschwert mir diese Aufgabe allerdings erheblich, aber ich bin dennoch in der Lage Logans Schlafzimmer zu erkennen. Ich scheine in seinem Bett zu liegen, doch von ihm ist keine Spur.

Augenblicklich kommt Panik in mir auf: Was ist geschehen? Und wo ist Logan?

Ich brauche einige Sekunden, um die erste Frage zu beantworten, wobei in diesem Moment ein tiefer Schmerz durch all meine Glieder stößt. Die zweite Frage wird mir allerdings erst zwei Minuten später offenbart, als die weiße Zimmertür knarrend aufgeht. Ich sehe Logans gesenkten traurigen Blick für einen Bruchteil einer Sekunde, bis er ihn in einen überraschten Ausdruck eintauscht. „Oh, du bist wach!" 

Ich sage nichts, er sagt nichts. Wir schauen uns nur für einen Herzschlag lang tief in unsere gebrochenen Fassaden.

Irgendwann kommt er dann zwei Schritte näher und reicht mir ein Glas Wasser. Gierig nehme ich es an und entleere es in einem großen Schluck. Dabei klebt sein Blick so durchdringend auf mir, dass mich eine leichte Gänsehaut durchfährt.

„Danke", murmele ich vor mich hin. Logan nickt zögerlich und nimmt mir das Glas aus der Hand. Dann stellt er es leise auf einem kleinen Tisch ab und setzt sich mit etwas Abstand zu mir aufs Bett. Zugleich stößt mir der süße Geruch seines Parfüms in meine Nase.

„Es tut mir leid, Lara", er kratzt sich am Hinterkopf, „Nicht nur für das, was mit dir geschehen ist, sondern vor allem dafür, dass ich dich so gedrängt habe." Auch, wenn ich keinen Mucks von mir gebe, kann ich nicht leugnen, wie dankbar ich für diese Worte bin. „Ich hoffe, du glaubst mir, wenn ich dir sage, dass ich dich niemals verletzen wollte", sagt Logan in einem unbegreiflich traurigen Ton. Immer noch unfähig etwas zu sagen, nicke ich nur wissend.

Baby don't hurt meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt