13. Tod

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Ein kalter Wind bläst mir ins Gesicht und verwuschelt so meine langen braunen Haare. Es reicht mir schon, dass meine Tränenflüssigkeit mich wie eine Blinde fühlen lässt. Da brauche ich nicht auch noch Haare in meinem glühenden Gesicht.
Mit zittrigen Fingern wische ich mir also alles aus dem Gesicht, das mir im Weg ist. Ein Blick nach rechts. Ein Blick nach links. Und ich weiß nicht, was ich tun soll. Wohin soll ich gehen? Zu wem soll ich gehen? Was soll ich in meinem erbärmlichen Zustand bloß machen?

Die erdrückenden Gefühle in der Brust machen mir einen Strich durch die Rechnung, sodass ich mich prompt auf der steinernen Treppenstufe zusammengekauert wiederfinde. Mein Herz pocht, zieht sich gewaltsam zusammen, als ich Masons Worte nochmals Revue passieren lasse. Die salzigen Tränen, die nun ungehindert meine glühende Haut hinunter irren, hinterlassen mit ihrer schaurigen Kälte eine Gänsehaut auf meiner Haut. Dabei kann ich die Gedanken an die Vergangenheit nicht stoppen.

Diese Erinnerungen sind schmerzhaft. Seelisch, sowie körperlich. Sie fressen mich Stück für Stück, Millimeter für Millimeter innerlich auf und lassen mich an einem qualvollen seelischen Tod sterben.
Aber das ist nicht das erste Mal. Nein! Ich bin schon an vielen Toden innerlich gestorben. Etliche waren es. So viele, dass ich sie unmöglich an einer Hand abzählen könnte.

Die eisigen Tränen, die einen perfekten Kontrast zu meiner brennenden Haut bilden, scheinen nicht mehr aufzuhören. Allesamt kugeln sie auf mein senffarbenes Kleid hinunter. "Ich würde dich glücklich machen! Aber du willst ja lieber als verbitterte Jungfrau sterben."

Augenblicklich zerreißt es mein Herz, bis ich plötzlich nur noch ihn vor mir sehe. Jahrelang hat er in dieser hinteren Ecke geruht. In der Ecke des Vergessens, die mit jedem Tag an Bedeutung verlor. Aber nun ist er wieder da. Ganz vorne mit dabei. Sein hoch amüsiertes Grinsen beschert mir noch einmal eine Gänsehaut der spitzen Klasse. Es scheint, als würde mein Herz seinetwegen bluten und all das Blut meinen Körper rot färben, sodass nichts mehr von mir übrig bleibt.

Allein bei dieser Vorstellung kullert mir wieder eine ordentliche Ladung salziger Tränenflüssigkeit aus den Augenwinkeln. Das unerträglich schlechte, fast schon depressive Gefühl in meiner Magengrube würde ich gerne durch mein elendiges Heulen wegschwämmen, doch es hilft nichts. Die Erinnerungen mitsamt dem Schmerz, der mich innerlich wieder zu töten versucht, bleibt. Und es wird Jahre dauern, bis ich sie wieder in dieser verdammten Ecke verbergen kann.

"Lara, da bist du ja. Das vorhin ist gar n...", vernehme ich gedämpft eine Stimme, die abrupt still bleibt, ehe sie noch ein "Oh" hinzufügt. Weder sehe ich, noch höre ich diese Person. Das Einzige, was ich gedämpft mitbekomme, ist, wie sich zwei starke Arme um mich legen und mein Kopf sich auf eine muskulöse Brust, welche von einem angenehmen schwarzen Stoff umhüllt ist, bettet.

Mein verzweifeltes Herz, welches gerade noch tot erschien, pocht plötzlich wieder wie wild. In diesem Augenblick komme ich zur Erkenntnis, welche tröstenden Arme mich liebevoll umschlingen. Denn es gibt nur eine Person, welche mein Herz derart schnell pochen lässt. Logan.

Mir entflieht ein verzweifeltes Schluchzen, was von ihm jedoch sofort mit einem beruhigenden "Shhh. Ich bin da" quittiert wird. Und genau da vergesse ich die Ironie, dass Logan, auf den ich eigentlich auch irgendwie sauer bin, mich tröstet. Ich vergesse es. Ich vergesse einfach alles.
Mason.
Die Zigaretten.
Und sogar meine Vergangenheit...

Nachdem längere Zeit kein weiteres Schluchzen meine Kehle entflieht und nur noch mein aufgelöstes Zittern an seiner Brust vibriert, fragt er sanft: "Geht es wieder?"

Meine ehrliche Antwort wäre "Nein", doch ich gebe ein kleines Nicken zustande. Als Logan Anstalten macht, seine beschützenden Arme von meinem zierlichen Körper zu nehmen, kann ich nicht anders, als ihn noch näher an mich zu ziehen und meinen Tränen wieder freien Lauf zu lassen. Sanft spüre ich, wie er eine warme Hand an meinen Hinterkopf legt und mit seinem Daumen beruhigende Kreise auf meiner Kopfhaut fährt. Ab und zu höre ich ihn tröstende Worte nuscheln. Ich brauche ihn jetzt, er kann mich nicht einfach verlassen. Er ist gerade mein einziger Anhaltspunkt.

Im Endeffekt weiß ich nicht, wie lange meine Tränendrüse noch Flüssigkeit verlor. Ich weiß nicht, wie lange ich noch einfach so in seinen Armen lag und er mich weiterhin tröstete. Ich weiß nicht mal mehr, wann ich aufgehört habe, an die erstickenden Bilder in meinem Kopf zu denken. Letztlich weiß ich nur, dass Logan, obwohl ihm nicht klar war, was mit mir los ist, mich einfach getröstet hat. Er hat mir einfach aus meinem langsamen aber sicheren Fall in ein weiteres schwarzes Loch geholfen, ohne irgendwelche lächerlichen Fragen zu stellen. Er ist einfach da und das schätze ich so sehr, dass ich gar nicht mehr böse auf ihn sein kann.

"Soll ich dich nach Hause bringen?", erkundigt er sich hilfsbereit, nachdem er mir von der kalten Treppenstufe hochhilft. Nickend nehme ich sein Angebot an, was zur Folge hat, dass er seine linke Hand um meinen Körper schlingt und mich somit zu seinem Auto führt. Er lächelte mich aufmunternd an und zieht mich näher an ihn, sodass ich das Gefühl habe, ihn schon ewig zu kennen.

Sein Auto kann ich durch meine verheulten Augen schlecht erkennen und merke nur noch, dass es auf dem Beifahrersitz sehr bequem ist. Der Motor heult auf und schon spüre ich wie die Reifen unter uns rollen. Leise Musik ist dem Radio zu entnehmen, doch weder den Titel geschweige denn den Interpreten kann ich ausmachen. Ansonsten herrscht Stille. Immer wieder bemerke ich seine angespannte Haltung. Manchmal öffnet Logan sogar den Mund, sieht zu meinem scheußlichen Erscheinungsbild und schließt den Mund dann aber wieder rasch. Mein Kopf ist gänzlich zu dem Fenster auf meiner Seite gerichtet, aus dem ich versuche zu sehen. Leider erkenne ich nur eine dunkle, fast gespenstische schwarze Nacht, die einen krassen Kontrast zu dem schön warmen Tag am Nachmittag bildet.

Mein Kopf dröhnt. So schrecklich, dass ich das Bild vor Augen habe, wie jemand mit einem Presslufthammer darauf einschlägt. Meine rötlichen Augen, die mich wie ein offenes Buch erscheinen lassen, brennen leicht.

Auch nach weiteren Minuten der Stille ist nur Shawn Mendes schmerzerfüllte Stimme durch das Radio zu hören. So weit ich das heraushören kann, ist es eines meiner Lieblingslieder von ihm. In meinen Fingerspitzen brennt es, die Lautstärke zu erhöhen, doch ich tue es nicht. Stattdessen lausche ich einfach und versuche nicht mitzusingen.

Tell me, why are we wasting time?
On all your wasted crying?
When you should be with me instead.

Meine Augen huschen zu Logan, der konzentriert auf den Straßenverkehr achtet. Habe ich vielleicht Zeit vergeudet? Zeit, in der ich hätte glücklich sein können? Zeit voller verschwendeter Verbrechen, wenn ich doch bei ihm hätte sein können? Was wäre, wenn Logan nicht da gewesen wäre? Vermutlich wäre ich auf der kalten Treppe voller Selbstmitleid ertrunken und hätte mir dazu noch eine saftige Erkältung geholt. Denn Mason, dieser Vollidiot, hätte mich nicht getröstet. Er hätte sich ja nicht mal auf den Beinen halten können, so betrunken wie er war. Er hätte mich nicht so gut behandeln können, wie Logan es tut.

I know I can treat you better. Better than he can.

Ich bin mir sicher, Logan würde das tun. Mich besser behandeln, meine ich. Er würde mich auf Händen tragen. Er wäre so viel besser, als Mason. Und alle mal besser als dieses Monster. Und prompt kullert mir wieder eine eiserne Träne die Wange herunter, mit dem Unterschied, dass diese genauso eiskalt, wie meine Haut ist.

"Hey. Nicht weinen." Behutsam streicht sein Daumen über meine Wange und wischt somit die Träne weg. Seine durch das rote Licht der Ampel beleuchteten Mundwinkel zucken nach oben und lächeln mich freundlich an. Auch ich finde mein sanftes Lächeln wieder auf den Lippen.

Give me a sign.
Take my hand, we'll be fine.
Promise I won't let you down.
Just know that you don't have to do this alone.
Promise I'll never let you down.

Baby don't hurt meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt