34. Seine Welt

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Übermüdet schlürfe ich am späten Morgen aus dem Bett, wobei jeder meiner Muskeln schmerzhaft drückt, als hätte ich einen heftigen Muskelkater. Auch mein dröhnender Kopf macht es mir nicht gerade leicht, mich in dem fremden Haus, welches mir freundlicherweise über die Nacht Zuflucht gewährte, zurechtzufinden.

Irgendwann tragen mich meine schmerzenden Füße schließlich in die Küche. Mein Blick gleitet von alten Küchengeräten bis hin zum hölzernen Esstisch, doch ich kann keine Menschenseele ausmachen. Lediglich ein zu mir gedrehten Rücken hinter der geöffneten Terrassentür, verrät mir irgendwann, dass ich doch nicht alleine bin.
"Hey", versuche ich freundlich herüberzubringen, was bei meinem schmerzenden Zustand eher weniger gut funktioniert.

"Hey, Lara. Guten Morgen." Scarlett lächelt warm und bedeutet mir, mich neben sie auf die kleine Terrasse zu setzten. Warme, goldene Sonnenstrahlen treffen meine Haut, als ich einen Schritt hinaus vage. Rasch befinde ich mich auf dem nahegelegenen Stuhl und bemerke erst jetzt, was mir für eine unerwartet vertraute Aussicht geboten wird. Denn nichts Geringeres als das im Sonnenlicht glänzende Meer befinden sich direkt vor unserer Nase. Tief atme ich den heilenden Salzwasserduft ein. Automatisch fühle ich mich wohler. Jegliche körperliche Schmerzen scheinen für eine Sekunde vergessen.

"Wie geht's dir, Süße?", fragt Scarlett besorgt, aber so leise, dass ich sie bei dem Meeresrauschen kaum verstehe. Ich hinterfrage erst gar nicht, warum sie mich Süße nennt, denn der Drang das Salzwasser an meinen Fußspitzen zu spüren, nimmt plötzlich meine gesamte Gedankenwelt ein.

"Jetzt etwas besser", sage ich und lächele dabei sogar unbewusst ein wenig.
"Das ist schön." Auch sie lächelt auf eine ganz besonders aufrichtige Art, sodass mich dieses Lächeln beinahe schon von innen aufwärmt.

Ich kenne Scarlett zwar nicht, aber irgendetwas sagt mir, dass sie eine wundervolle Person ist. Vielleicht, weil sie genauso beruhigend und fürsorglich wie Theresa sprechen kann. Vielleicht die Art, wie sie einen besorgt anschaut, ohne auch nur einen Funken von unangenehmer Mitleidigkeit zu hinterlassen. Vielleicht ist es aber auch ihr sonnengleiches, warmes Lächeln.

In einem ruhigen Ton spricht sie: "Max musste unerwartet für einen Kollegen im Krankenhaus einspringen. Ich denke, dass er heute nicht vor 21 Uhr heimkommen wird."

Erstaunt drehe ich mich zu ihr: „Am Feiertag?"

Scarlett nickt traurig: "Ja, aber ich soll dir ausrichten, dass es ihm total leidtut, dass er den Tag nicht mit dir verbringen kann. Er hätte gerne mit dir...Prison Break geschaut?" Automatisch muss ich in mich hinein lächeln. Wie süß!

Dann mache ich eine abwinkende Bewegung. „Ach, alles gut. Ehrlich gesagt bin ich euch beiden schon sooo dankbar, dass ich hier sein darf. Ihr müsst euch nicht auch noch um mich kümmern." Schnell schüttelt Scarlett den Kopf, doch ich füge noch hinzu: „Ich möchte euch auch keine Umstände machen. Bitte sagt mir, wenn..."

Da unterbricht sie mich ungewohnt unsanft: „Quatsch! Du machst uns keine Umstände. Wir freuen uns, dass du hier bist! Ganz ehrlich!" Sie hat ihre Augenbrauen aufmerksam hochgezogen und strahlt mich mit einem authentischen Lächeln an. Sogleich glaube ich ihr. Dabei bin ich selbst davon überrascht, was Scarlett für eine aufrichtige Ausstrahlung hat. Sie wirkt wie ein kleiner Sonnenschein, der selbst im schlimmsten Gewitter hoffnungsvoll durch die Wolkendecke hindurch sieht.

„Danke", wispere ich und atme nochmal die heilbringende frische Luft ein. "Wäre es vielleicht möglich, dass ich duschen könnte? I-ich...möchte einfach nur alles von mir herunter waschen." Dabei denke ich an Logans Berührungen, die immer noch auf meiner Haut, wie ein unangenehmer Ausschlag, brennen. Gleichzeitig erhoffe ich mir, dass eine kalte Dusche vielleicht auch die grausamen Gedanken, die mich die ganze Nacht quälten, wegwaschen könnte.

"Natürlich. Wenn du möchtest, kannst du auch ein entspannendes Bad nehmen. Ich würde uns dann etwas zum Frühstück machen."

"Wenn das keine Umstände macht, sehr gerne", quieke ich schüchtern und springe genauso enthusiastisch wie Scarlett von meinem Stuhl auf.

"Oh Lara, bitte hör auf so zu denken!" Diesmal wird ihr warmes Lächeln von einem Schulterntätscheln begleitet. Und dann mache ich etwas, was ich normalerweise nicht tue, doch ich bin einfach so dankbar und überrascht von dieser Gastfreundlichkeit, dass ich sie ganz fest in eine Umarmung drücke.

-

Nachdem Scarlett mir Wasser in die Badewanne eingelassen hat, mir auch noch still und heimlich ein nach Vanille duftendes Öl einschüttete, bin ich endlich alleine. Obwohl ich Scarletts Gesellschaft genieße, hatte ich nach dem Vorfall, nicht wirklich Zeit über all das nachzudenken, geschweige denn meine Gedanken zu ordnen. Daher ist es nun eine Wohltat für mich und meinen Körper in das heiße Wasser, das von einer süß duftenden Schaumdecke bedeckt ist, zu steigen. Augenblicklich entspannen sich meine Gliedmaßen und ich schließe erleichtert meine Augenlider.

Die Zeit vergeht und mit dem zunehmend kälteren Wasser, das meinen Körper umschlingt, werde ich nachdenklicher. Wie zu erwarten, wandern meine Gedanken zu Logan. Unwillkürlich flattern die Schmetterlinge in meinem Bauch rasch umher. Sie vergöttert ihn noch immer, dabei weiß ich ganz genau, dass das falsch ist...

Gott, wie konnte ich nur so dumm sein und mich auf ihn einlassen? Wie...wie konnte ich zulassen, dass er mich anfasst? Dass er mich an Stellen berührt, die auch Tristan berührt hat? Ich fühle mich schrecklich! Was habe ich mir nur dabei gedacht...ihm zu vertrauen? In überhaupt erst in mein Leben zu lassen? Schließlich ging es mir den Umständen entsprechend ganz in Ordnung. Ich war wenigstens in Sicherheit. Und dann kam ER. Ich wusste, dass es falsch wäre. Und trotzdem wollte ich ihn.

Ich schätze, es lag daran, dass Logan jemand erfrischend Neues war - Ja! Jemand, auf den ich unbewusst gewartet hatte. Mit ihm tauschte ich mein langweiliges, abgesichertes Leben endlich ein. Ganz plötzlich. Ohne, dass es mir wirklich auffiel, wie gefährlich das sei. Aufgrund seines unschuldigen Charakters merkte ich gar nicht, wie er mich immer mehr in seine Welt hineinzog. Dabei vergaß ich, dass seine Welt nicht meiner glich und, dass ich keinerlei Ahnung hatte, wie man in seiner überlebt. Das wird mir erst jetzt klar.

Aber egal, wie es zwischen uns auch ablief... letztendlich gewann er. Er gewann mein Vertrauen, meine Liebe und meinen Schmerz. Denn nun ertrinke ich langsam aber sicher an meinen eigenen Tränen. Er ist der Sieger in dieser Welt. In seiner Welt. Vielleicht war es auch das, was er von Anfang an wollte. Vielleicht ist Logan wirklich ‚Mister Heartbreak' - ein gemeiner Herzensbrecher, der mich nur ausgenutzt hat...

Augenblicklich läuft mir der Schauer über den Rücken. Es dringen so viele Tatsachen in mich ein, dass mir schlagartig ganz übel wird. Ich könnte mich selbst schlagen, so enttäuscht bin ich von mir. Wie konnte ich nur vergessen, dass ich in seiner Welt nicht überleben würde? Wie konnte ich nur darauf reinfallen?

Wie von der Tarantel gestochen setzte ich mich auf, was zur Folge hat, dass ein Teil des eiskalten Wassers über den Rand der Badewanne hinausläuft. Erschöpft fasse ich mir auf die Stirn, die wieder anfängt heftig zu pochen. Kräftig schlucke ich und versuche mich zu ordnen. Mein Blick gleitet zum Duschkopf, den ich sekundenschnell in der Hand halte und anmache. Neues warmes Wasser durchströmt meinen Körper und scheint ihn wieder lebendig wirken zu lassen. So schnell wie möglich versuche ich mich abzuduschen. Rabiat reibe ich mit Duschgel an meinem Körper, denn die Stimme in meinem Kopf wird immer lauter.

"Wasch, alles von dir herunter. Wasch seine Berührungen, seine Fingerabdrücke und seine Küsse weg. Wasch ihn dir aus dem Kopf!", brüllt es in meinen Kopf und wird immer lauter und lauter.

„Entferne die Beweise, dass du je auf ihn reingefallen bist!!!"




Baby don't hurt meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt