20. Zumindest nicht mehr

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"Bist du dir sicher, Logan?", piepse ich verunsichert und würde mich am liebsten unter meiner geborgenen Bettdecke vor diesem Treffen verstecken.

Logan sieht mich besorgt an, doch ich kann ganz genau erkennen, wie in seinen Augen die Vergnügung aufblitzt. "Ja, Lara. Alles wird gut. Meine Mom beißt nicht", versichert er mir, während seine Mundwinkel amüsiert nach oben zucken und seine Hand zur Klingel eines typisch amerikanischen Familienhauses huscht. Das hat zur Folge, dass ich noch nervöser vom einem Bein zum anderen hüpfe und darauf warte, dass das laute Trällern erlischt. Ein paar Sekunden verstreichen, bis die Tür mit einem lauten Knarren von einem kleinen Jungen geöffnet wird. Er sieht mich zunächst mit großen blauen Augen an, sodass ich erst das Gefühl hege, wir wären hier falsch, doch dann entdeckt der Kleine Logan und schreit laut seinen Namen, ehe er sich an ihn klammert. Offensichtlich ist der kleine Racker sein Bruder. Die beiden lösen sich erfreut aus der Umarmung und dann gilt sein irritierter Blick ganz mir.

"Das ist Lara, Noah. Ich habe dir doch von ihr erzählt!", erzählt Logan, als er zum kleinen Noah herunter kniet. Noah beginnt zu grinsen und ehe ich mich versehe, klammert er sich herzlich an mein Bein und nuschelt: "Hallo!" Über seine süße Gastfreundschaft bin ich so erfreut, dass meine Aufregung tatsächlich nachlässt.

"Noah, weißt du, wo Mom steckt?" Wie aufs Stichwort steht Logans Bruder aufrecht und verschwindet lachend in ein anliegendes Zimmer. Logan sieht mich warm an und verschwindet dann ebenfalls in dieses Zimmer.

In der nun angekommenen durchschnittlichen Küche knallt mir die Farbe Orange direkt ins Auge. Das kleine Radio, das die neusten Gute-Laune-Tracks trällert. Die Küchengeräte. Der Kühlschrank. Fast alles ist orange.

"Hi, Mom!" Mein, beziehungsweise ein Freund (man weiß es nicht) kommt gezielt auf eine kleine Frau, die den Rücken zu uns gewendet hat, zu. Blitzschnell dreht sie sich zu ihrem Sohn um und drückt in eine herzliche Umarmung. "Ohh, Logan! Schön, dass du da bist. Ich freue mich ja so sie kennenzulernen."

Da gleitet ihr Blick zu mir und ihre Augen fangen aufgeregt an zu strahlen. "Oh, du musst Lara sein, nicht wahr?", plappert sie aufgeregt und löst sich rasch aus Logans Umarmung, um schnellen Schrittes auf mich zuzukommen. Sie hat ein herzliches Lächeln auf den Lippen und einen neugierigen Blick. Ihre Augen sind intensiv blau und ihre Haare dunkelblond, wobei ich davon ausgehe, dass sie gefärbt sind. Sie ist relativ schlank, jedoch wirkt sie mit der Schürze um ihrer Hüfte ein wenig stämmiger. Auf den ersten Eindruck besitzt Logans Mutter eine ansteckende, positive Ausstrahlung.

"Ja. Schön Sie kennenzulernen, Mrs. Coleman!", rattere ich wie in einem schlechten Schülerreferat herunter und setze ein nervöses Lächeln auf.

"Ach, nenne mich doch bitte Rachel. Sonst komme ich mir so alt vor", winkt sie ab und beginnt laut zu lachen. "Na komm! Ich habe extra für euch Kuchen gebacken." Damit zieht sie mich fordernd in das geräumige Wohnzimmer, wo ich schon den schön dekorierten Tisch erkennen kann. Genau wie Logan und seine Erzeugerin nehme ich an dem gläsernen Tisch Platz und lasse mir ein Stück Schokoladenkuchen auf meinen Teller platzieren.

"Weißt du, ich finde es klasse, dass mein Logan endlich ein Mädchen nach Hause bringt. Ich freue mich wirklich, Lara", plappert seine Mutter begeistert.

Schnell schlucke ich die Köstlichkeit herunter und antworte dann höflich: "Ich mich auch. Es ist wirklich schön Sie eh...dich kennenzulernen." Sie schenkt mir ein warmes Lächeln und widmet sich dann ihrem Kuchen.

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Herzhaft lachen wir alle auf und ich nippe nochmals an mein warm dampfendes Getränk. Mittlerweile sind schon ganze zwei Stunden vergangene, weshalb ich das Fazit ziehen kann, dass seine Mutter eine wirklich humorvolle, selbstbewusste Frau ist, die ihr Herz am rechten Fleck trägt. Es ist sehr niedlich, wie sie sich um mein Wohlergehen kümmert und wie sie mir immer wieder ein munteres Lachen entzieht.

Eine Weile ist es kurz still, bis sie die nächste schwarze Seite des Fotoalbums mit etwas Spucke umblättert, wodurch vier weiter Bilder von Logan entpuppt werden. Erneut schnaubt Logan genervt auf, wie bei den letzten Bildern von ihm, die ich seiner Meinung nach, wohl besser nicht gesehen hätte.

"Mom, das waren jetzt wirklich genug Fotos." Sein Blick durchbohrt mich, aber ich weiß ganz genau, dass er mir unterschwellig Hilferufe an den Kopf schmeißt.

Ich finde diese Bilder allerdings höchst amüsant, weshalb es mir nur recht ist, dass Rachel schnell eingreift: "Ach, jetzt hab dich doch nicht so, Liebling. Das ist ganz und gar nicht peinlich. Jeder war mal ein Kind."

Wieder entflieht Logan ein erschöpftes Seufzen. Das ist mittlerweile sein dritter Versuch mich von dem peinlichen Fotoalbum wegzubekommen, aber er scheint wohl nun zu wissen, dass seine Mutter keinen Widerspruch zulässt. Ein ganz kleiner Teil von mir empfindet Mitleid mit ihm, aber ein überwiegend großer Teil von mir ist einfach zu neugierig.

"Und da...", dabei zeigt Rachel auf das erste Bild der neuen Seite, "...ist er schon etwas größer." Mein Blick gleitet über die dicke Seite, von Bild zu Bild. Eindeutig sind diese Bilder etwas jünger. Meinen Schätzungskünsten nach scheint er zu diesem Zeitpunkt um die 15 Jahre alt gewesen zu sein. Seine ungewöhnlich langen dunkelbraunen Haare fallen mir als Erstes auf und ich muss mich bemühen ein Grinsen zu unterdrücken.

"Ja, da hatte er so eine Phase. Ich habe ihm immer gesagt, er solle die Mähne wegschneiden, aber der Herr meinte, es sei cool." Dabei lacht Rachel herzhaft auf und grinst ihren Sohn, der mittlerweile aussieht, als würde er am liebsten wieder gehen, spitzbübisch ins Gesicht. Wenn das hier noch länger so geht, dann wird das ganz sicher nicht mein Horrortreffen, sondern seins.

"Und da hat er für uns in den Ferien gekocht. Auch wenn er es niemals zugeben würde: Er kann super gut kochen. Ich schätze, das hat er dann von mir." Und schon wieder lacht sie laut auf, streichelt ihrem Sohn dann aber liebevoll die Wange. Mit einem prüfenden Blick sehe ich mir nochmals die ganze Seite genauer an. Es sind viele schöne Bilder, ganz besonders das, worauf er kocht, fasziniert mich. Denn beim Anblick seines nackten Oberkörpers (er trägt nur eine kurze Badehose), gefriert mir das Blut in den Adern. Unwillkürlich beginnt mein Herz laut zu klopfen. Jedoch ermahne ich mich, kein Aufsehen zu erregen.

Mein Blick schweift weiter über die Seite, bis ich innehalte. Das nächste Foto zeigt einen Mann, der ein Baby, wovon ich stark ausgehe, dass es Logan ist, im Arm hält. Automatisch wirft dieser Anblick eine Frage in mir auf, die ich mir eigentlich schon viel eher hätte stellen sollen. Doch so dumm wie ich bin, ist mein Mundwerk schneller und spuckt die Frage einfach aus, als wäre diese genauso lustig, wie die Stimmung, die damit zerbricht.

"Und das? Ist das dein Vater, Logan?"

Augenblicklich kehrt Stille ein, dessen Umschwung ich mir erst mal nicht bewusst bin und daher auch die nächste doofe Frage ausspreche: "Warum ist er eigentlich nicht hier? Ich hätte ihn gerne kennengelernt."

Neugierig sehe ich Logan an, doch nach einer Weile gelingt es mir nicht mehr in seine bedrohlich traurigen, fast schon hasserfüllten Augen zu sehen. Sie sind plötzlich so intensiv dunkel, dass man meinen könnte, er hätte schwarze Augen. Seine Augenbrauen zieht er zornig zusammen und sein Kiefer knirscht bedrohlich angespannt. Und ab da weiß ich, dass ich doch in ein Fettnäpfchen getreten bin, denn all die lustige und unbeschwerte Stimmung ist mit einem Windstoß plötzlich verweht. Und ich bin der Auslöser!

"Das ist nicht mein Vater", grummelt er unter zusammengekniffenen Zähnen, "Zumindest nicht mehr..."

Baby don't hurt meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt