Meine Hände krallen sich lautlos in das dunkle Holz des Türrahmens, an dem ich heimlicherweise versuche zu lauschen. Seine Stimme ist zwar nur gedämpft zu hören, aber aufgrund dessen, dass er so aufgebracht ist, kann ich den Großteil ohne Probleme verstehen.
"Na, und? Das ist mir doch egal, Scarlett!"
Kurz ist es still, doch dann scheint Max zu explodieren, denn selbst beim Zuhörern bekomme ich eine Gänsehaut. "Scarlett, es ist mir so fucking egal, wie du darüber denkst. Wenn du mir nicht glauben willst, dann fein. Du hättest mir einfach zuhören müssen."
Dann ist es still. Ich höre lediglich ein erschöpftes Seufzen und einen eintönigen Handyton. Die Show ist vorbei und ich setzte meine Beine wieder in Bewegung, um zu verhindern, dass Max mich entdeckt.
Erst in meinem kuscheligen Bett, versuche ich Ordnung in meine rastlosen Gedanken zu bekommen.
Wer ist Scarlett?
Warum war er so aufgebracht?
Worüber haben sie geredet?Das sind alles berechtigte Fragen, doch so lange ich mir auch den Kopf darüber zerbreche - ich würde so oder so nie eine Antwort darauf bekommen. Und das brauche ich ja auch nicht, denn bereits heute Abend kann ich zu dem Vollpfosten "Auf Nimmerwiedersehen" sagen. Also wieso sollte ich mich jetzt noch vor so ein Mysterium stellen?
Lediglich als ich wieder in die Küche gehe, um meinen Süßigkeitenvorrat aufzufüllen, begegne ich Max. Zunächst scheint er mich gar nicht zu bemerken, denn er sitzt auf einem Barstuhl an der Kücheninsel und vergräbt sein Gesicht in seine Hände. Er trägt eine lommelige Jogginghose und einen ausgewaschenen Hoodie. Auch wenn ich dieses Gespräch vorhin, nicht belauscht hätte, wäre mir auch jetzt aufgefallen, wie niedergeschlagen er aussieht. Es ist fast so, als würde Max vor Verzweiflung strotzen.
Eine ganze Weile stehe ich am Türrahmen, starre auf seinen hilflosen Körper und grübele, ob ich mich zeigen soll oder nicht. Schließlich entschließt sich mein Körper auf Max zuzugehen. Erst jetzt erkenne ich, dass er sich nur mit einer Hand abstützt und mit der anderen leer in sein Handy starrt. Bevor ich meinem Mund den Befehl gebe zu reden, blicken meine Augen unbewusst auf sein iPhone. Zu sehen ist ein Mädchen - ein wirklich hübsches. Ihr langes blondes Haar umrahmt ihr rundliches Gesicht perfekt, ihr Lächeln erinnert mich im ersten Moment an eine perfekte Barbie, aber ihre Augen sind fast zum Neidisch werden.
Doch mit einem mal sehe nur noch einen schwarzen Bildschirm, in dem ich mein neugieriges Spiegelbild erkenne. Max scheint mich beim Stalken bemerkt zu haben. Na ja, verübeln kann ich ihm es nicht. Ich schätze, es ist Zeit zu reden. Und zwar wirklich! Auch wenn Max ein Vollidiot ist, ist er immer noch mein Cousin, der sich meinetwegen das Wochenende freigeschaufelt hat. Und so richtig habe ich mich auch nicht mit ihm unterhalten. Also wer gibt mir das Recht ihn als "Vollidiot" zu bezeichnen?
"Hi", ist das Einzige, was mir einfällt.
"Hallo?", fragt er verzweifelter, als ich es vermutet hätte.
"Ähm. Wegen gestern. Tut mir leid, was ich zu dir gesagt habe. Und auch...generell. Tut mir leid, dass ich so unfreundlich zu dir war." Ich bin fast schon überrascht von mir selbst, dass diese Worte so leicht über meine Lippen kommen. Aber ich schätze, genau das hat er jetzt gebraucht. Ich wage ein kleines Schmunzeln auf seinem Gesicht zu erkennen.
"Schon gut, Lara. Irgendwie hast du auch recht gehabt. Ich bin nicht deine Tante. Ich sollte nicht derjenige sein, der dir etwas verbietet." Traurig schaut er zu Boden, hebt dann aber schnell wieder leicht lächelnd den Blick. "Danke, dass du auf mich zugekommen bist."
Na ja, eigentlich wollte ich nur in den Genuss von purem Zucker kommen, während ich mir eine - nein 10 Folgen meiner Lieblingsserie reinziehe... Dennoch setzte ich ein kleines Lächeln auf und nicke zufrieden. Bevor er sein Handy in seiner grauen Jogginghose verstaut, fragt er noch neugierig: "Was hast du jetzt noch vor?"
"Eh...", mein Blick bleibt am Seitenschrank der Küche hängen und fixiert die Schublade, in der sich die karieserregenden Monster befinden, "...eigentlich nicht viel. Ich wollte eine Serie schauen."
"Ach, wirklich? Was siehst du dir denn an?"
"Prison Break."
Max Gesicht erhellt sich, als würde man einen Schalter bei ihm umlegen. Die Verzweiflung, die offensichtlich etwas mit 'Scarlet' zu tun hat, verschwindet in Windeseile. "Im Ernst? Ich liebe Prison Break!"
Und als ich mich das folgende Fragen höre, wundere ich mich ernsthaft, ob auch bei mir ein Schalter umgelegt wurde: "Möchtest du mitschauen?"
Tja, und so kommt es dazu, dass wir geschlagene 4 Stunden auf meinem Bett in meinen Laptopmonitor starren und über die unrealistischen Zusammenhänge lästern. Ich habe niemals gedacht, dass es mir sogar Spaß machen würde, etwas mit meinem Cousin zu unternehmen. Denn tatsächlich habe auch ich so etwas gebraucht.
"Hey, wetten ich schaffe es ein Popcorn beim ersten Versuch reinzubekommen?", schlägt Max vor und deutet aufs Popcorn in seiner Hand. Lachend schüttele meinen Kopf: "Niemals!"
"Dann pass' mal gut auf." Sein Gesicht wird von dem Licht meines Laptops angestrahlt und ich kann nur vage erkennen, wie er das Popcorn gezielt in die Höhe wirft und diesen wahrhaftig in seinen offenen Mund katapultiert.
"Neiiiin!", bringe ich lachend über meine zu einem Grinsen verschobenen Lippen hervor, bevor ich teuflisch eine Handvoll Popcorn mitten in sein Gesicht pfeffere. Im Gegensatz zu meiner eigentlichen Vorstellung seiner Reaktion, bekomme ich augenblicklich auch eine ordentliche Portion ins Gesicht geworfen und werden danach auch noch ausgelacht.
"Na, warte!", bringe ich heraus und nehme nun die ganze Schüssel an mich, um ihm hinterherjagend meine Rache aufzudrücken.
Letztlich landen wir beide nach einer intensiven Popcornschlacht schwer atmend, aber dennoch voller Euphorie im Wohnzimmer. Schmunzelnd sehe ich das ganze Popcorn, das bei mir doch eigentlich Karies verursachen sollte, auf dem Boden verstreut.
In gut einer Stunde würde meine Tante vor der Tür stehen und Max wäre weg. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, ärgere ich mich darüber, dass ich nicht schon eher eine Popcornschlacht mit ihm veranstaltet habe. Ich meine so viele Glückshormone habe ich schon lange nicht mehr auf die Reise durch meinen Körper geschickt und im Nachhinein fällt mir auf, dass ich das schon viel früher haben konnte. Max war schon von Anfang an nett zu mir gewesen. Also, was hat mich dazu geritten, so gemein zu sein? Irgendwie ist er doch ein netter Kerl. Am liebsten wäre es mir, wenn wir noch mehr Zeit gemeinsam verbringen könnten, um all' die nachzuholen, die ich uns verbockt habe.
"Weißt du, mittlerweile finde ich es richtig schade, dass du bald gehst ", gestehe ich immer noch außer Puste.
"Ich auch", kommt es leise und traurig von ihm. Ich blicke in seine dunkeln Augen und merke, wie sich mein Herz schmerzlich zusammenzieht. Irgendwie war mir nicht bewusst, wie einsam ich doch in diesem großen Haus bin. Max hat mich wieder zum Lachen gebracht und mich somit daran erinnert, wie es ist einen Freund zu haben. Doch sobald er weg sein würde, wäre ich wieder die Einzelgängerin Lara. Bei diesem Gedanken werden meine Augen feucht. Und auf einmal ziehe ich Max in eine gänzlich unerwartete Umarmung. "Ich werde dich vermissen, Vollidiot."
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Hey!Schaut jemand von euch Prison Break? Oder eine andere gute Serie?
Schreibt doch mal eure Lieblingsserie in die Kommentare!
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Baby don't hurt me
Teen FictionWie kann man zu seinem langweiligen Leben zurückkehren, wenn alles plötzlich aus den Fugen gerät? Wie sagt man jemanden, den man liebt, dass man es nicht mehr aushält in seiner Nähe zu sein? Und: Bitte, wie kann man jemanden vergessen, der alles für...