Kapitel 10

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Jane war mehr als nur angeheitert. Sie war schlichtweg betrunken und es fiel ihr just in dem Moment auf, in dem sie Lucius Malfoy eine gewitzte Bemerkung an den Kopf werfen wollte. Natürlich war sie Aurorin! Sie konnte kaum glauben, dass er ernsthaft vermutet hatte, sie wäre mit ihrem Boss zusammen. Kurz schüttelte es sie.
Nur schwer formten sich die Worte in ihrem Mund. "Wissen Sie..." Sie brach ab. Was hatte sie sagen wollen?
"Weiß ich was?" Schwer seufzte Jane und stützte ihr Kinn, das plötzlich so schwer geworden war, auf ihrer Hand ab. Sie betrachtete Malfoy und musste kichern. Auch er hatte sich zu ihr gebeugt und ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. Wenn er nicht so ein Arschloch wäre, würde sie ihn jetzt küssen. Er sah aus, als ob er ihr die Welt zu Füßen legen würde.
Ein lautes Klicken riss sie aus ihren Gedanken und ihr Hirn befreite sich von jeglichem Alkohol. Malfoy und sie fuhren hoch. Janes Augen suchten die Tische ab. Da! Nur wenige Meter von ihnen entfernt, nicht einmal mehr besonders gut versteckt, saß niemand anderes als Rita Kimmkorn!
Es war eine Kurzschlussreaktion ihres Gehirns. Jane sprang auf, riss ihren Mantel an sich und stürzte aus der Schanke hinaus. Kalter Wind schlug ihr entgegen, doch sie spürte kaum etwas davon. Ihr Füße trugen sie voran, ihre Finger suchten panisch nach ihrem Zauberstab. Wo, wo, wo nur?
Sie spürte das warme Holz in ihrer Hand. Ohne auch nur einen Moment über die Gefahren nachzudenken, disapparierte sie. Das Ploppen hallte in der Nacht wider. Die Strasse vor ihm war leergefegt.
Lucius blieb überrascht stehen. Sie war appariert. Einfach weg. In ihrem Zustand absoluter Trunkenheit. Und soweit er das beurteilen konnte, war sie nicht zersplintert. Er keuchte auf und stolperte einige Schritte zurück. Er hatte nicht einmal mehr ihren Zauberstab gesehen.
Wer zur Hölle war sie?
Als sie aufgesprungen war, hatte er sie stoppen wollen. Verdächtig hätte sie es der Reporterin gegenüber nicht aussehen lassen können! Ein Rendez-vous in einem abgeschiedenen Lokal in der Nokturngasse. Entweder Kimmkorn würde sie morgen zur Verräterin des Ministeriums und eigentlichen Spionin der Todesser machen oder aber... er hätte morgen eine Affäre mit der zweifelsohne begehrtesten Reinblüterin der gesamten Insel. Er wusste nicht, was schlimmer war.
Das einzige, was ihm noch dümmer und unnützer erschien, war sein kopfloses Folgen dieser impertinenten Frau. Laut fluchte er und trat gegen eine Kiste. Erneut ein Schimpfwort, dieses Mal jedoch vor Schmerz. Wieso war ihm auch nur in diesem Moment aufgefallen, dass er nicht wollte, dass sie starb! Dieses bescheuerte Weibsbild und ihr dämliches Lächeln.
Er musste sich beeilen und zu dieser dämlichen Reporterin kommen. Wenn sie denn überhaupt noch da war. Und ansonsten... sein Einfluss im Ministerium hatte ihn bis jetzt vor vielen unschönen Geschichten verschont, aber Kimmkorn zu stoppen, erforderte ganz andere Geschütze.
Lucius eilte zurück in den Schankraum und sah sich um. Natürlich. Alles war leer, nirgend war mehr auch nur ein Haar dieser Hexe zu sehen. Fragend sah er den Hausherrn an. Ein entschuldigendes Kopfschütteln erübrigte jede Frage. Lucius griff seinen Zauberstab und disapparierte.


Die Sonne schien warm auf ihr Gesicht. Selbst unter den geschlossenen Lidern konnte sie das Licht erkennen und konnte beinahe die Luft, die über ihr Gesicht strich, spüren. Müde drehte Jane sich um und vergrub ihr Gesicht im Kopfkissen. Der Alkohol setzte ihr unheimlich zu.
Warum war sie nur so dumm gewesen und hatte etwas getrunken? Sie wusste selbst, dass sie rein gar nichts vertrug und dennoch hatte sie sich in die Nokturngasse aufgemacht. Um sich dort mit niemand anderem als Lucius Malfoy volllaufen zu lassen. Nur bei dem Gedanken an diesen Mann wurde ihr schlecht.
Jane hatte vor ihrem Großvater Zuflucht gesucht und wem war sie begegnet? Einem Mann, der genau gleich sein musste! Sie konnte sich nur schwer vorstellen, dass Lucius Malfoy nicht ebenfalls so war. Merlin und Morgana, er hatte ihre Hände gestreichelt!
Laut kreischte sie auf, das Gesicht fest in das Kissen gedrückt. Soviel zu Selbstdisziplin, Emotionskontrolle und Selbsterhaltung. Wenn sie so weiter machte, würde sie nicht einmal mehr ihren ersten richtigen Auftrag vom Ministerium bekommen.
Ruckartig setzte sie sich auf. Auftrag vom Ministerium, der Schutz von Harry Potter. Und der Schutz von Gabi, ihrem Vater. In Windeseile sprang Jane auf, stürzte zum Schrank und griff irgendeine Robe heraus.
Erst halb angezogen stolperte sie schon in ihr Wohnzimmer und fand dort auf einem kleinen Tablette bei der Sitzecke, die am Kamin stand, ein Glasfläschchen gefüllt mit einer undefinierbaren bräunlichen Matsche.
Jane knüpfte die Robe zu und trat verwundert näher. Misstrauisch nahm sie den beiliegenden Zettel und faltete ihn auseinander. In der unverkennbaren Handschrift des Tränkemeisters stand dort: Säuferin. Jane musste schmunzeln.
Es wunderte sie nicht, dass der Tränkemeister wusste, dass sie sich volllaufen hatte lassen. Als sie am Abend in ihrem Vollrausch zurück nach Hogwarts gekommen war, war sie ihm auf den Gängen begegnet und hatte verzweifelt versucht, sich zu verstecken. Im Nachhinein wurde ihr bewusst, dass er sie sehr wohl gesehen hatte, doch so gnädig gewesen war, sie zu ignorieren. Dafür hatte Severus auf jeden Fall noch etwas gut bei ihr. Und für den Trank ebenfalls.
Jetzt war jedoch nicht die Zeit für Theatralik. Jane entkorkte das Fläschchen und kippte es herunter, ohne vorher daran zu schlucken. Ein Würgereiz ergriff sie und ihr Magen zog sich zusammen, als das Gesöff ihn erreichte. Nur schwer konnte sie verhindern, dass ihr Körper den Trank gleich wieder von sich gab. Zum Glück hatte sie nicht daran gerochen.
Jane trank noch einige Schluck Wasser, ehe sie ihre Räume verließ und sich auf zum Schulleiter machte. Immer wieder hörte sie belustigtes Gelächter und Gekicher neben sich und nur ihr zorniger Blick brachte die Gemälde wenigstens für einen kurzen Moment zum Schweigen.
"Ich war betrunken!", herrschte sie die Bilder an.
"Jaja, das ist, was sie uns erzählen", gackerte eine Frau aus der Renaissance.
Abfällig schnaubte Jane und beeilte sich, in den richtigen Korridor zu kommen. Als sie endlich die hohe Statue erreicht hatte, sprach sie schnell das Passwort aus und ging hinauf in das Büro des Schulleiters.
Sie klopfte an und sogleich erklang von innen ein höfliches "Herein." Jane stieß die Tür auf und betrat den chaotischen Raum. Inmitten irgendwelcher Apparaturen saß Albus Dumbledore mit einer Tasse Tee in der Hand und drehte sich freundlich lächelnd zu ihr um, als er ihre Schritte vernahm.
"Guten Morgen, Jane. Komm und setz dich doch." Er deutete auf die hellblaue Couch.
"Dir auch einen guten Morgen, Albus." Sie kam seiner Aufforderung nach und ließ sich in die weichen Kissen sinken. Wenn sie da nur wieder herauskommen würde!
"Wie geht es dir?" Fragend legte er den Kopf schief.
"Ganz gut soweit. Ich... bin sehr dankbar für diese Möglichkeit hier. Wirklich sehr. Aber... ich war gestern bei meinem Großvater."
"Ich verstehe. Möchtest du einen Tee?"
"Ja, bitte. Danke." Sie griff die Tasse und nippte kurz daran. Der süßliche Geschmack sagte ihr zwar nur wenig zu, doch die Wärme half ihr, die richtigen Worte zu finden. "Er... es war eine Katastrophe. Gut, was hatte ich auch anderes erwartet!" Trocken lachte sie auf. "Ich... ehrlich gesagt will ich nicht noch einmal das ganze Essen durchkauen. Ist das... ist das in Ordnung?" Nur sanft nickte der Schulleiter. "Danke, Albus. Ich habe nur eine einzige Sache, die ich... teilen möchte? Es... Großvater hat damit gedroht, Menschen, die mir nahestehen, zu..."
"Ich verstehe. Und ich werde mich darum kümmern. Was denkst du, wen er damit gemeint hat?"
"Danke vielmals! Tausend Dank. Ich habe mich ziemlich - hilflos gefühlt. Er hat sicher seine Leute auf mich angesetzt und er wird wissen, wer mir am wichtigsten ist. Das wäre einerseits... Gabi. Und mein Vater." Niedergeschlagen vergrub Jane ihr Gesicht in den Händen.
Eine leichte Berührung an ihrer Schulter flößte ihr ein wenig Kraft ein. "Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um sie zu schützen. Das weisst du. Noch etwas, bevor du gehst. Ein Brief ist gekommen, von Mister Scrimgeour. Er ist an dich adressiert und ich habe mich erdreistet, ihn entgegenzunehmen."
Überrascht nickte Jane und nahm die Nachricht an, die Albus ihr reichte. Vorsichtig faltete sie das Papier auseinander und las die wenigen Zeilen durch. Ein Keuchen kam über ihre Lippen und jegliches Blut wich aus ihrem Gesicht.

Sehr geehrte Miss Sharpe

Das Ministerium sieht sich kurzfristig dazu gezwungen, einen Auroren für einen Einsatz zu mobilisieren. Nach einigen Überlegungen sind wir zu dem Schluss gekommen, Sie für diese Aufgabe auszuwählen.
Erscheinen Sie bitte an diesem Sonntag um 12.00 Uhr in der Grafschaft Norfolk. Ihr Zauberstab wird Ihnen von dort aus den Weg zeigen. Präparieren Sie sich für allfällige Kämpfe und informieren Sie niemanden über Ihren Auftrag. Verletzungen dieser Regel werden mit dem Dementorkuss bestraft.

R. Scrimgeour

"Ich... ich muss...", stotterte Jane geschockt.
"Geh nur, Jane. Ich werde ein Auge auf Harry haben." Aufmunternd nickte ihr der Schulleiter zu.
"Danke, Albus. Für alles." Sie erhob sich und verschwand aus dem Büro. Ihre Füße eilten die Treppen hinunter, während ihr Hirn zu rasen begann. Ein Auftrag. Kämpfe. Ein richtiger Einsatz als Aurorin. Jane wusste nicht, ob sie begeistert sein sollte oder vor Furcht wegrennen wollte.
Sorgfältig schloss sie die Tür hinter sich, nachdem sie ihre Wohnräume erreicht hatte. Auch wenn Sonntagmorgen war, lungerten dennoch ab und an irgendwelche Schüler in den Gängen herum.
Ihre umständliche Robe riss sie sich förmlich vom Leib und öffnete schwungvoll ihren Schrank. Für Kämpfe geeignet. Praktisch, handlich und möglichst unauffällig. Unter Muggeln und unter Zauberern. Jane zog eine unscheinbare Jeans heraus und wog sie kurz in der Hand.
Seufzend legte sie zurück und griff nach einer langen, schwarzen Robe. Mehr auffallen konnte sie unter Zauberern nicht als mit Muggelkleidung. Die Jugend mochte darüber hinwegsehen, doch wer auch immer ihr begegnen würde, würde dies ganz sicher nicht tun.
Sie band ihre Haare in einem strengen Zopf nach hinten und nahm sich anschließend ihren Zauberstab und einige Tränkeflaschen, die sie von Filius vor wenigen Wochen erhalten hatte. Augenzwinkernd hatte er gemeint, dass es wohl noch einige Zeit dauern würde, bis sie sie nutzen müsste. Wie sehr er sich nur geirrt hatte.
Ein letzter Blick in den Spiegel zeigte ihr - sie war bereit.
Jane verließ das Schulgebäude ohne jegliche Hast, bis zur Mittagsstunde würde es noch einige Zeit dauern. Um sich etwas abzulenken, spazierte sie nach Hogsmeade und ging zu Madam Rosmerta, um sich ein kleines Frühstück zu gönnen. Die ältere Frau brachte ihr Brot, Käse und Quittengelée und Jane kam nicht umhin, ihren Eifer zu bewundern. Eine starke Frau.
Friedlich aß sie in einer Ecke des Lokals und beobachtete die wenige Kundschaft, die zu dieser Stunde bereits hier war. Einige Betrunkene schliefen am und auf dem Tresen, sie waren wohl gar nicht erst nach Hause gegangen. Dazu noch zwei weitere Gäste, ebenfalls mit Frühstück. Keiner sah auf und Jane beendete ihr Essen schnell, als einer der Betrunkenen begann, sich zu regen. Es war nicht unwahrscheinlich, dass er erst einmal Radau machen würde und sie hatte unauffällig bleiben wollen.
Jane legte einige Münzen auf den Tisch und verließ dann wortlos den Laden. Der Wind von draußen blies ihr kalt ins Gesicht. Sie schnupperte. Die Luft, die sonst immer trocken und kühl war, brachte heute eine Feuchtigkeit mit sich, die nicht vom Meer stammen konnte. Es roch nach Schnee.

SarinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt