Kapitel 1

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Lucius Malfoy hasste diesen Abend bereits jetzt. Gelangweilt sah er sich um, maß den edlen Saal nur eines abfälligen Blicks. Auch die Menschen, die sich unter seinen wachsamen, stahlgrauen Augen bewegten, versuchte er zu ignorieren. Er bestellte sich einen weiteren Scotch und nippte gedankenverloren daran. Der Abend war bereits vor der Veranstaltung zum Scheitern verurteilt gewesen.
Es hatte alles ganz harmlos begonnen. Er war bereits früher aus der Firma zurückgekommen, um sich für die Feier des Ministeriums vorzubereiten. Es kam nur selten vor, dass die Gästeliste ausschließlich aus Reinblütern bestand und der Veranstaltungsort unter der Nokturngasse lag. Er war, eigentlich recht gut gelaunt und entspannt, ins Manor gekommen und hatte sich bereit machen wollen.
Dieses Mal war es Narzissa gewesen, die Streit gesucht hatte. Keine Seltenheit, wenn man es genau betrachtete. Sie war zu ihm gekommen, sofort war der Geruch von Alkohol zu ihm aufgestiegen. Er hatte sie angefahren, als sie ihn einfach nur aus ihren großen Augen anschuldigend angesehen hatte. Sie hatte ihn zur Feier begleiten wollen, sollen - doch es war klar, dass sie in ihrem Zustand nicht zu gebrauchen war.
Der Hauself hatte sich um sie kümmern sollen. Doch anstatt ihm zu folgen und Ruhe zu geben, hatte sie angefangen, ihn anzuschreien. Lucius konnte gar nicht mehr sagen, was genau für Worte ihren Mund verlassen hatten. Es war immer dieselbe Litanei. Er wäre ein Arschloch, interessiere sich nur für sich selbst, sie würde nicht die verdiente Aufmerksamkeit bekommen, er würde Draco hassen. Die weiteren Lächerlichkeiten hatte er nie wirklich aufgenommen.
Er hatte irgendwann dem Hauself befohlen, sie in ihr Zimmer zu bringen und natürlich hatte er den Worten seines Meisters gehorcht. Kalt lachte er. Als endlich wieder Ruhe eingekehrt war und sich sein Geist ein wenig beruhigt hatte, hatte er fortgefahren, sich für die Veranstaltung bereit zu machen. Lucius war sehr auf sein Äußeres bedacht und gerade in der Öffentlichkeit war er aufmerksam. Die Festroben schmeichelten ihm und stolz hatte er nach seinem Gehstock gegriffen, um zu gehen.
In diesem Moment hatte Severus an seine Tür geklopft. Ein Hauself hatte ihn ins Büro geführt und Lucius hatte sofort Übles geschwant. Der Hauslehrer seines Sohns kam nicht einfach für eine Tasse Tee ins Manor und ganz besonders nicht, wenn Freitagabend war. Der Tränkemeister verabscheute seine Schüler und nichts war ihm mehr wert, sie an Freitagen aus ihren Nischen aufzuscheuchen und Punkte abzuziehen.
Es war also Draco gewesen, den den Slytherin ins Manor geführt hatte. Kurz, knapp, so wie er es immer tat, hatte der Pate seines Sohnes von diesem erzählt. Ganz anscheinend hatte der dumme Junge sich Nachsitzen eingehandelt, warum, hatte Lucius schon wieder vergessen. Er hatte wohl in den verbotenen Wald müssen, um dort irgendeine unsinnige Aufgabe zu unternehmen. Bereits in diesem Moment formten sich in Lucius Kopf die Worte für den Brief an den Schulleiter. Lächerliche Idee, einen Erstklässler in den verbotenen Wald zu schicken. Lucius hatte Severus zugestimmt, dass sein Sohn wieder einmal zurechtgestutzt werden musste und hatte dem Tränkemeister freie Hand gelassen. Ihm würde schon etwas einfallen, um dieses Ereignis außerschulisch zu bestrafen.
Und jetzt war er hier. Auf einer Veranstaltung, umgeben von Zauberern und Hexen, die er eigentlich nicht ausstehen konnte. Sein Tag war bereits ruiniert und es schien immer weiter bergab zu gehen. Tief seufzte Lucius. Hoffentlich konnte er sich bald verabschieden. Doch dazu musste erst ein anderer Gast gehen und wenn man es genau nahm, hatte die Veranstaltung auch erst vor weniger als einer Stunde begonnen. Jetzt zu gehen, wäre wahrlich eine Untat.
Plötzlich erblickten seine Augen, die den Saal immer und immer wieder durchstreift hatten, Etwas überaus unerwartetes. Eigentlich war es gar kein Etwas, sondern ein Jemand. Aufmerksam folgten die strahlgrauen Augen ihr und maßen ihre Erscheinung.
Die Frau war vielleicht dreißig und ging ganz unter ihren Mitmenschen unter. Sie bewegte sich unauffällig und wachsam zugleich. Lucius runzelte die Stirn. Ihr langes, braunes, fast schwarzes Haar, fiel sachte ihren Rücken hinunter. Ihren Rücken, der nahezu unbedeckt von ihrem langen, hellvioletten Kleid war. Ihre Bewegungen waren anmutig und elegant und zugleich von einer unfassbaren Beherrschtheit. Einzig der harte Zug um den wohlgeformten Mund ließ ahnen, dass sie diese Veranstaltung nicht genoss. Sie ließ sich an einer Bar nieder, den Rücken zu ihm gewandt. Gespannt beobachtete Lucius ihren zierlichen Hals, die zerbrechlichen Schultern. Noch hatte er ihr Gesicht nicht ganz entdeckt, die Schatten des Saals verhüllten sie.
Sein Hirn begann zu kramen. Wer war sie? Eine Feier nur für Reinblüter, irgendwo musste er doch einen Namen finden. Er wollte zu ihr gehen, sie ansprechen. Fast dreißig - vielleicht waren sie zur selben Zeit in Hogwarts gewesen. Er versuchte, sich an seine Schulzeit zu erinnern.
"Mister Malfoy!" Ein schwerer Körper ließ sich auf den Barhocker neben ihm fallen. Lucius schreckte aus seinen Gedanken hoch und maß Nott eines kurzen, genervten Blickes, ehe er sich wieder zu der jungen Frau umwandte.
"Mister Nott", ließ er sich nach einigen Sekunden herab.
"Ich sehe, Sie haben einen Fisch an der Angel." Mit einem Nicken deutete er auf die Hexe in ihrem violetten Kleid. "Eine besondere Frau - zumindest von dem, was ich gehört habe."
Jetzt war Lucius' Interesse geweckt. "Sie kennen Sie, Nott?"
"Nicht persönlich. Auch mich hat ihre Erscheinung gewundert, immerhin besuche ich nahezu jede Veranstaltung in solchen Kreisen. Erst Amycus Carrow konnte mir sagen, wer sie ist. Du wirst es nicht glauben", senkte Nott seine Stimme.
"Was?", fuhr Lucius den Reinblüter an. Er hatte die unangenehme Angewohnheit, Dinge aufzubauschen und unnötig zu dramatisieren. Wahrscheinlich war sie nur ein dummes Flittchen irgendeines Ministeriumsangestellten oder die Mätresse eines Zauberers. Erneut betrachtete er die zarte Gestalt und konnte sich nur schwer vorstellen, wie sie unter Nott oder einem anderen lag, bebte, das Gesicht in Ekstase verzogen. Noch viel schwerer fiel es ihm zu glauben, dass ihr zarter Körper einer Behandlung, die bei einer Zweitfrau üblich war, verkraften würde. Er würde sanft mit ihr umgehen. Sofort schüttelte er den Kopf, um die Bilder zu vertreiben - sie, unter ihm, seinen Namen stöhnend, bebend, wie sich ihr Innerstes um ihn schloss. Er wusste gar nicht wirklich, wie sie aussah!
"Sie ist die Enkelin von Lord James William Sharpe." Scharf zog Lucius die Luft ein. Sharpe. Ein Name, der noch weiter ging als die der meisten anderen Reinblüter. Sharpe, die engsten Unterstützer von Gellert Grindelwald, die reinblütigste Familie aller Zeiten. Lord Sharpe, der als einer der grausamsten Zauberer aller Zeiten galt. Er war die rechte Hand Grindelwalds gewesen.
Doch nur innert weniger Sekunden hatte er den Schock überwunden und fragte irritiert: "Aber ich dachte, der eine Sohn hätte sich mit seiner Familie aus der Öffentlichkeit zurückgezogen." Er hatte sich damals nicht dafür interessiert, doch sein Vater hatte es ihm oft genug gesagt. Die Enkelin des Lords hatte sich nach ihrem Abschluss in Hogwarts aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, genauso auch ihr Vater. Sie waren von einem Tag auf den anderen einfach von der Bildfläche verschwunden. Warum also war sie hier, zurück in der Gesellschaft?
"Ich weiß es auch nicht. Man munkelt, dass sie von ihrem Großvater her beordert wurde. Angeblich", erneut senkte er seine Stimme, "soll sie sogar unter Muggeln leben. Und erst Lord Sharpe konnte sie aus ihrer Verblendung befreien und sie wieder zurück an die richtigen Traditionen erinnern."
Irgendwie war Lucius nicht ganz überzeugt. Vielleicht lag es auch daran, dass Nott mehr auf den Klatsch älterer Damen gab als auf handfeste Beweise zu vertrauen. Vielleicht lag es auch daran, dass Lucius sich nicht vorstellen konnte, dass die junge Frau dort irgendetwas mit dem alten Mann, der ihr Großvater sein sollte, gemein hatte. Sofort hatte er seinen Entschluss gefasst.
"Wie heisst sie?", erkundigte er sich beiläufig, während er sich einen weiteren Scotch genehmigte.
"Ich glaube Jane oder so ähnlich. Ja, doch, Jane Sharpe müsste es sein." Nott bestellte einen Whiskey und trank genüsslich ein paar Schlucke. "Frauen sind schon was Mühsames. Meine zum Beispiel hat heute erst versucht...", setzte Nott theatralisch an.
"Erzähl mir mehr über sie", unterbrach er den Zauberer. Seine Augen lagen starr auf ihr, er konnte sich nicht lösen. Wie sah ihr Gesicht aus? Waren ihre Züge so ebenmäßig wie ihre Schultern, so rein wie ihr Rücken, so filigran wie ihre Finger, die um das Glas Scotch lagen.
Nott seufzte schwer. "Na gut, wenn sie es dir so sehr angetan hat. Sie ist Einzelkind, war in Ravenclaw", stieß er das Wort wie einen Parasiten aus, "und Jahrgangsbeste in ihren UTZ-Prüfungen. In jedem Fach ein Ohnegleichen. Sie lebt in Paris, was sie in den letzten Jahren gemacht hat, weiß ich nicht. Nichts zumindest, was wir großartig unterstützen würden." Damit war die Herrschaft des Dunklen Lords gemeint. Lucius schauderte.
"Mal schauen, wie versiert sie mit den Traditionen und Sitten in unserer Gesellschaft ist." Er verkniff sich das Wort reinblütig. Nott wusste, was er meinte. Genauso versuchte er auch nicht, den blondhaarigen Zauberer aufzuhalten, die junge Hexe zu besetzen. Wenn Lucius einmal etwas als sein Eigentum erklärt hatte, wagte es niemand mehr, auch nur einen gierigen Blick darauf zu werfen. Jeder war neidisch, verabscheute ihn dafür, dass er bekam, was er wollte, und Lucius liebte dieses Gefühl. Es schenkte ihm Sicherheit, Macht, wenn er wusste, dass andere ihn beneideten. Er war erhaben über sie. Arrogant lächelte er und reckte sein Kinn, die Nase spöttisch verzogen.
Seine Festrobe wogte hinter ihm her und der schwarze Gehstock klackerte laut auf dem Marmorboden. Jeder andere Zauberer wich ihm schnell aus. Lucius jedoch ließ seine Augen nicht von seinem Ziel abschweifen. Die junge Hexe saß immer noch auf ihrem Barhocker, unbeweglich, ein Glas in der Hand haltend.
Direkt hinter ihr blieb er stehen und wartete darauf, dass sie sich umdrehte. Nichts geschah. Niemandem sonst war jemals seine Anwesenheit entgangen, insbesondere dann nicht, wenn er so auftrat, wie just in diesem Moment. Er runzelte verärgert die Stirn.
Leise räusperte er sich, ihre Schultern zuckten kurz und ihr Kopf drehte sich langsam zu ihm. Seine stahlgrauen Augen trafen auf ihre. Warme Haselnusstöne strahlten ihm auf mystische Weise entgegen. Eine Weisheit übermannte ihn, dass er am liebsten gleich geflohen wäre. Die Augen waren unbeschreiblich. Groß, klein, nahe beieinander, weit auseinander, er wusste es nicht. Nur ihr Strahlen fesselte ihn. Ihr Leuchten, ihr Lächeln.
"Ja bitte?" Ihre Stimme ummantelte ihn wie Honig. Ein leichtes Lächeln, als wäre er von aller Last befreit, als wäre er nicht er selbst und sie wären nicht dort, wo sie gerade waren, schlich sich auf seine Züge. Er war im Paradies. Sofort schlichen sich andere Bilder in seinen Geist, Bilder, an die er jetzt nicht denken konnte, nicht denken durfte. Bebend, wogend, stöhnend, seufzend und flehend. Nur wenige Sekunden, er blinzelte schwer.
Ein kurzes Räuspern vernahm er und fuhr hoch. Er hatte sich gehen lassen, völlig. Doch trotzdem konnte er seinem Hirn die Reaktion nicht verübeln. Lucius wollte diese Frau besitzen, koste es, was es wolle. Er wollte, dass sie seinen Namen seufzte, hauchte, stöhnte, schrie. Ein weiteres Räuspern.
Die Worte kamen ihm schnell über die Lippen, rasch, ohne Hast und doch in Eile: "Es ist mir eine Ehre, Sie endlich kennenzulernen, Miss Sharpe." Er beugte sich vor, griff nach ihrer Hand, die um das kalte Glas lag und zog sie zu sich heran. Den Kuss, den er auf ihren Handrücken hauchte, war federleicht.

SarinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt