Sarin

Kapitel 23

Am nächsten Tag war Jane mit Albus in seinem Büro verabredet. Pünktlich saßen sie zusammen in der Sitzecke und Jane nippte ein wenig an ihrem Tee. Sie war noch immer müde, doch die regelrechte Erschöpfung, die sie geplagt hatte, war über die Nacht gewichen. Albus hingegen sah so froh und munter wie eh und je aus.
Die Situation für die nächsten Wochen war noch ungeklärt, doch der Schulleiter versprach, sie über allfällige neue Aufgaben zu informieren. Das kommende Schuljahr versprach ein ruhigeres zu werden. Auch wenn er Jane nicht hatte verraten wollen, wer nun als Vertreter für Verteidigung kam, schien er zuversichtlich und sehr zufrieden mit sich zu.
Ihre weiteren Aufgaben blieben ebenso schwammig. Rufus Scrimgeour hatte versprochen, sich mit ihr in Kontakt zu setzen, sobald neue Aufgaben vorlagen. Solange dies nicht der Fall war, war sie von jeglichen Pflichten befreit. Er hatte in seinem Brief geschrieben, er würde vorsichtig mit ihren Einsätzen sein. Jane konnte sich ausmalen, was dies bedeutete - möglichst wenig Kontakt mit anderen Auroren und irgendwelchen Todessern, die mit ihr verwandt waren. Die Aufgabenbereiche, die übrig blieben, waren überschaubar.
"Eine Sache noch, Jane", meinte Albus nach einigen Minuten des einvernehmlichen Schweigens.
"Sicher?"
Er seufzte. Für einen Moment legte sich seine Stirn in Falten, seine Augen sanken in die Höhlen und die Haut wirkte grau und blass. "Wahrscheinlich hast du noch nichts davon gehört und dir auch dazu keine Gedanken gemacht. Dieses Tagebuch, du kennst seine Funktion, oder?"
"Ja, Severus hat mich darüber aufgeklärt", meinte Jane aufmerksam. Was auch immer jetzt drohte, gesagt zu werden, es konnte nichts Gutes sein.
"Dieses Tagebuch ist auf einem uns mittlerweile bekannten Weg an Miss Weasley gekommen."
"Wie?", horchte sie auf.
"Es wurde ihr in der Winkelgasse vor dem Schulbeginn gegeben. Von Lucius Malfoy."
Erschlagen lehnte sich Jane zurück. "Er hat...?"
"Ja, Jane. Das Buch ist aus seiner Sammlung an Artefakten."
Für einen Moment schloss Jane die Augen. Keinen Moment konnte sie an der Wahrheit dieser Aussage zweifeln, es passte zu perfekt. Wie hatte sie nur auf einen solchen Mann hineinfallen können? Bei Merlin und Morgana, sie war drauf und dran gewesen, sich in dieses Monster zu verlieben! Er stieß sie ab. Durch seine Tat wären beinahe mehrere Schüler gestorben und Hogwarts geschlossen worden. Wie hatte sie nur jemals glauben können...
Unwillkürlich musste Jane an das gemeinsame Abendessen im Manor denken. Nur bei der Vorstellung wurde ihr speiübel. Sie hatte mit ihm an einem Tisch gesessen, mit ihm Wein getrunken und sich beinahe schon verbrüdert!
Ihr Atem stockte und ihr Herz zog sich zusammen. Natürlich. Natürlich. An diesem bestimmten Abend hatte Lucius sie angelogen! Sie hatte ihn nach der Kammer gefragt und er hatte ihr ins Gesicht gelogen. Er sie in sein Büro geführt. Und ihr die Artefakte gezeigt. Jane konnte nicht glauben, dass er es nicht mit Absicht getan hatte. Er war Lucius Malfoy, Merlin! Ihm bereitete es wahrscheinlich unsägliche Freude, so die Situation im Griff gehabt zu haben.
Und dann erst die Suspendierung von Albus! "So ein Bastard", zischte Jane leise. Wut kochte in ihr hoch. Nicht nur, dass er die Schule und seine Bewohner in eine solche Gefahr gebracht hatte - er hatte sein möglichstes getan, um zu verhindern, dass eben jene gebannt wurde. Er hatte gewollt, dass alle Muggelgeborenen Hogwarts verlassen mussten.
Sie wusste, er war ein Todesser. Doch eine solche Kaltblütigkeit, wo doch sein eigener Sohn hier nach Hogwarts ging, erschreckte sie bis ins tiefste Innere. Wenn nur Draco etwas geschehen wäre!
Sie sprang auf, in vollkommener Rage. Er war ein Monster und sie würde nie, nie wieder irgendetwas mit ihm zu tun haben wollen! Lucius Malfoy stieß sie ab, er war eine Bestie. Eine Schande, dass er so viel Einfluss hatte. Nie mehr. Nur eines musste noch geschehen.
"Geh nur, Jane." Albus nickte ihr zu, ein leichtes Lächeln auf den Lippen. In ihrer Wut erkannte sie die Bedeutung dieser Geste nicht.
Jane stürmte aus dem Büro und in ihre Wohnräume. Irgendwoher griff sie einen schwarzen Mantel, merkte erst zu spät, dass es ein Erbstück ihrer Familie war. Mächtig war auf ihrem Rücken nun das goldene Kreuz der Familie Sharpe abgebildet.
Als sie das Schloss verließ, erntete sie einige verwunderten Blicke. Jane ignorierte sie jedoch und beeilte sich, die Appariergrenze hinter sich zu lassen. Die Abendsonne leuchtete warm auf sie nieder, doch die Schönheit des Sonnenuntergangs wusste Jane heute nicht zu würdigen.
Mit einem leisen Knall apparierte sie. Wäre sie doch nur nie in die Gesellschaft zurückgekehrt!