Kapitel 22

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"Wie geht es ihnen?", fragte Jane die Krankenschwester.
"Den Umständen entsprechend gut. Du bist gerade zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen. Merlin sei Dank." Madam Pomfrey wuselte wieder fort, um irgendwelche Tränke zu holen.
"Komm, Jane. Es gibt einige Leute, die gerne mit dir sprechen würden." Minerva griff nach der Hexe, die schon den ganzen Tag bei den geretteten Schülern verbracht hatte. Zusammen mit Albus, der sich ins Schloss geschmuggelt hatte, hatten sie sich angehört, was Ginevra Weasley, ihr Bruder und Harry Potter zu erzählen gehabt hatten.
"Wer?", fragte sie abwesend.
"Allen voran Lucius Malfoy. Ich glaube, ich habe diesen Mann noch nie so ungeduldig und zugleich dennoch höflich erlebt. Also, lassen wir den Armen nicht länger warten." Gütig lächelte Minerva.
Zusammen gingen sie durch die Schule zum Saal, in dem sich der Schulbeirat immer traf. Wirklich etwas mitbekommen tat Jane nicht, doch sie folgte der stellvertretenden Schulleiterin. Ihre Gedanken hingen den letzten Stunden nach. Nur dem Heldenmut von Harry Potter war es zu verdanken, dass Tom Riddle nicht wieder an die Macht gekommen war.
Minerva klopfte gegen die Tür. Ein herrisches "Herein!" erklang. Es war, als wenn Jane aus einem langen Traum, gespickt mit düsteren Ereignissen, aufwachte. Ihre Augen weiteten sich und ihr Herz setzte für einen Moment aus, um danach gleich doppelt so schnell weiter zu klopfen. Es war Lucius Malfoy, der sie da erwartete.
Sie traten ein, Jane schob sich fast schon hinter Minerva, unwillig, ihm unter die Augen zu treten. So ganz konnte sie sich ihre Gefühle nicht erklären, diesen Zwang, dass er sie nicht so sah, wie sie momentan war. Übermüdet, mit unordentlichen Haaren und Kleidung, eher schon gereizt. Bei Merlin, seit wann machte sie sich über so etwas in ausgerechnet seiner Gegenwart Gedanken!
Jane erkannte unter den Anwesenden einige Mitglieder des Schulbeirats, aber auch Rufus Scrimgeour und einige Zauberer aus dem Gamot. Und dann war da natürlich noch er. Schwarze Robe, schwarzer Umhang, darunter ein weisses Hemd. Die schwarzen Handschuhe lagen auf dem Tisch, der Gehstock lehnte neben ihm. Er trug die Haare zusammengebunden, die Miene war arrogant verzogen, wie sie es von ihm kannte.
Seit ihrem letzten Treffen wusste Jane nicht so recht, was sie von ihm halten sollte. Er war eine Zeit lang so charmant und witzig gewesen, dass sie begonnen hatte, sich wohlzufühlen. Die gemeinsamen Abendessen, die Schulbeirat-Sitzungen waren unterhaltsam, alles in allem war es eine schöne Zeit gewesen. Doch nachdem er Dumbledore hatte suspendieren lassen? Warum nur? Was hatte er sich davon erhofft? Das Hogwarts von nun an nur noch reinblütigen Zauberern vorbehalten war? Eher wäre die Schule endgültig geschlossen worden!
"Miss Sharpe!" Rufus Scrimgeour war aufgesprungen und eilte auf sie zu. Unwillig beobachtete Lucius das übertriebene Gehabe. Selbstverständlich, sie sah schlimm aus. Vollkommen übermüdet - wäre es nach ihm gegangen, hätte die Sitzung sowieso erst am kommenden Tag stattgefunden. Und dennoch musste der Leiter der Aurorenzentrale ihr so viel zu nahe kommen. Sie schien sich dadurch gar nicht wirklich zu stören.
Anstelle sich hinzusetzen, stellte Jane sich vor alle Anwesenden und begann stockend, von den Ereignissen zu erzählen. Sie beschönigte nichts, kürzte nicht unnötig, genauso wenig dehnte sie es. Die Öffnung der Kammer war eine Katastrophe, doch das schlimmste Ereignis war nicht eingetreten - der Tod einer Schülerin.
Alle lauschten ihr aufmerksam, in vielen Gesichtern war der blanke Horror zu erkennen. Niemand hatte den Erklärungen ihrerseits und denen des Lehrkörpers Glauben geschenkt. Doch jetzt, nachdem dies geschehen war?
"Besagtes Tagebuch konnte sichergestellt und untersucht werden. Bis jetzt konnten wir jedoch, abgesehen natürlich vom Basilisken-Zahn, keinerlei Auffälligkeiten feststellen. Sir, wir sind auf Ihre Mittel angewiesen", wandte Jane sich an Scrimgeour.
Verständnisvoll nickte dieser und trat einige Schritte auf sie zu, fast, um ihr Halt zu geben. Ruckartig erhob Lucius sich und erklärte herrisch: "Da nun die Situation um die Kammer geklärt ist, wird die Suspendierung von Albus Dumbledore aufgehoben. Wenn das alles ist, würde ich gerne-"
"Etwas haben wir noch zu verkünden." Rufus Scrimgeour war es, der ihm ins Wort gefallen war. Abschätzig sah Lucius den Auroren an.
"Infolge der großartigen Dienste, die Miss Jane Sharpe Hogwarts geleistet hat, sind der Minister und ich übereingekommen, Sie in den aktiven Stand einer Aurorin zu versetzen. Herzliche Gratulation, Miss Sharpe."
Überrascht stand Jane vor den applaudierenden Zauberern. Sie hatte mit vielem gerechnet, damit jedoch ganz sicher nicht. "Das ist... eine große Ehre, Sir. Danke vielmals." Höflich schüttelte sie ihrem Vorgesetzten die Hand.
Es kam ihr nicht wirklich so vor, als ob sie diese Beförderung, wenn man es denn so nennen konnte, verdient hatte. Die Arbeit hatte Harry Potter mit seinen Freunden erledigt, sie war lediglich den Brotkrumen gefolgt.
Gerade wollte sie die Stimme erheben, als ihr Blick auf Lucius fiel. Sachte schüttelte er den Kopf. Verwirrt sah sie ihn an. Warum sollte sie nichts sagen? Es war nicht gerechtfertigt, dass sie jetzt gelobt wurde. Erneut schüttelte er den Kopf leicht. Ein leises Lächeln umspielte seinen Mund.
Die Zauberer hörten auf, zu klatschen, und verabschiedeten sich alle nacheinander. Jane schüttelte Hände mit den ranghohen Tieren und wartete nur darauf, dass auch Lucius Malfoy verschwand. Doch er ließ sich Zeit und kam als einer der letzten auf sie zu.
Vorsichtig griff er ihre Hand und zog sie an seine Lippen. Die federleichte Berührung ließ ihr eine Gänsehaut über den Rücken laufen. Leise, sodass nur sie es hören konnte, meinte er: "Auf ein baldiges Wiedersehen, Jane."
Auf einen Schlag ließ er ihre Hand los und verschwand aus dem Saal. Die letzten Verabschiedungen tat Jane, ohne wirklich mitzubekommen, wessen Hand sie schüttelte. Was war das gewesen? Dieses verschwörerische Zwinkern. Ihr wurde ganz warm, heiß und auf ihren Armen breitete sich eine Gänsehaut aus, als sie an seine funkelnden grauen Augen dachte.
Rufus Scrimgeour berührte sie leicht am Arm. Sie schreckte hoch und sah ihn an. "Wir haben noch einen Gast heute. Sie werden sicherlich nicht sehr erfreut sein, jedoch... der Minister möchte, dass das so abläuft. Bitte, seien Sie ehrlich und freundlich, verraten Sie aber nicht zu viel. Und... achten Sie gut darauf, dass sie nichts... unangebrachtes schreibt. Viel Glück."
Die Tür schwang auf und der Leiter der Aurorenzentrale tauschte mit niemand anderem den Platz als mit dem Albtraum alles rechtschaffenen Journalismus. Rita Kimmkorn trat herein, auf ihren Stelzenschuhen und mit dem hochgesteckten Haar. Ein Fotograf folgte ihr willig und begann, seine Utensilien in einer dunklen Ecke aufzubauen.
"Lady Sharpe, es ist mir eine große Ehre, Sie kennenzulernen." Höflich reichte Kimmkorn ihr die Hand. Ihr Verhalten konnte Jane sich nur durch eine einzige Sache erklären: Lucius Malfoy. Was auch immer er damals dem Tagespropheten angedroht hatte, es hatte gewirkt.
"Freut mich, Miss Kimmkorn", erwiderte sie zurückhaltend lächelnd.
Die beiden Frauen setzten sich an den Tisch. "Es ist doch sicherlich in Ordnung für Sie, wenn wir Bilder machen? Ja, sehr gut. Nun, zunächst einige Fragen zu den vergangenen vierundzwanzig Stunden. Erzählen Sie bitte genau, was passiert ist."
Immer noch irritiert begann Jane, die Ereignisse ein weiteres Mal abzurufen. Sie erklärte nicht allzu ausführlich, das ging die Öffentlichkeit nichts an. So war zum Beispiel der Unfall mit Lockhart ganz sicher nicht für die Ohren aller bestimmt. Auch wenn die Presse sich sicher schon bereits darauf gestürzt hatte, als sie von seiner Aufnahme ins St. Mungos erfahren hatten. Rita Kimmkorn hörte aufmerksam zu, ihre berüchtigte Feder schrieb brav mit. Ab und an stellte sie Fragen an Jane, damit sie es genauer ausführte.
"Sehr schön, jetzt einige Fragen zu Ihrer Person. Meine Leser fragen sich schon seit geraumer Zeit, was Sie nun eigentlich arbeiten? Und vor allem, wie haben Sie die letzten Jahre verbracht, in denen nichts von Ihnen zu hören war?"
"Vielleicht erst einmal zur letzteren: Ich habe mich aus der Gesellschaft zurückgezogen. Die Ereignisse des Krieges haben mich schwer belastet und insbesondere mit der medialen Aufmerksamkeit war ich überfordert. Sie wissen ja, ich war erst Achtzehn, als er gestürzt wurde." Jane lehnte sich zurück und sah aufmerksam die Journalistin an. Wenn sie auch aufschrieb, was sie selbst sagte, war wirklich etwas faul an der Sache. Lucius Malfoy konnte doch nicht so viel Einfluss haben! Vielleicht hatte auch der Minister einige Fäden gezogen?
"Und nun zu Ihrer momentanen Situation", erinnerte Kimmkorn sie.
"Natürlich, verzeihen Sie!"
"Ach, das ist doch kein Problem!", lächelte die Journalistin.
"Ich arbeite in der Aurorenzentrale unter Rufus Scrimgeour. Wie Sie sich vorstellen können, darf ich Ihnen keine näheren Informationen geben." Manchmal fragte Jane sich, warum Auroren nicht wie Geheimagenten behandelt wurden. Zumindest der breiten Öffentlichkeit gegenüber. War es sinnvoll, dass jeder wusste, was sie tat? Sie bezweifelte es.
"Spannend, überaus spannend. Ein gefragtes Thema ist selbstverständlich Ihre Familie. Können Sie uns darüber einige Auskünfte geben?" Langsam kamen sie zu den unangenehmeren Teilen eines solchen Interviews.
"Sagen wir es so: Die Situation ist nicht immer einfach. Selbstverständlich", Jane musste ein Würgen bei dieser Lüge unterdrücken, doch sie dachte an ihren Vater, Gabi. Wenn ihr Großvater den Artikel las und nicht zufrieden war... "sehen wir über unsere Differenzen hinweg. Jedoch möchte ich mich stark von jeglichen schwarzmagischen Verbindungen distanzieren. Und selbstverständlich wird dies auf keinen Fall meine Arbeit beeinträchtigen. Eher im Gegenteil."
"Dankeschön, Lady Sharpe. Nun kommen wir zur letzten Frage. Viele meiner Leser und auch ich selbst sind auf ihre Antwort gespannt!" Jane nickte leicht, darauf hoffend, dass das Thema nicht allzu ekelhaft war.
Rita Kimmkorn lächelte gehässig und Jane wurde es anders. "Wann gedenken Sie, Ihre Beziehung zu Lucius Malfoy öffentlich zu machen." Es blitzte, als der Fotograf das erste Bild des Abends schoss.
Wie gefroren saß Jane da, unfähig irgendetwas zu antworten. Sie hatte mit dem Thema gerechnet, natürlich. Sonst wäre es nicht Rita Kimmkorn, die da ein Interview mit ihr führte. Aber eine solche Dreistigkeit erschreckte sie.
"Lady Sharpe, ist Ihnen nicht gut?" Scheinheilig freundlich lächelte sie.
Janes Züge verschlossen sich und sie legte die beste arrogante Miene, die sie kannte, auf ihr Gesicht. Es war ein Mechanismus, aus Furcht. Wenn so etwas an die Öffentlichkeit geriet! Unabhängig davon, dass es nicht wahr war... sie wäre ihren Job los. Auf der Stelle. Und das gesamte Ministerium würde sie verachten. Dazu natürlich die alten Mitglieder des Orden.
"Mister Malfoy und ich haben keineswegs irgendeine Form der Beziehung, die über eine geschäftliche hinausgeht. Mit anderen Worten: Es wird niemals eine Beziehung öffentlich gemacht, da überhaupt gar keine besteht. Und wenn das dann alles ist-" Jane erhob sich.
"Keineswegs." Rita Kimmkorn musste also nachbohren. Jane ließ sich zurücksinken. "Sie haben also keine Beziehung zu Lucius Malfoy?" Sie schüttelte den Kopf. "Und mit dem Minister?" Erneut ein Kopfschütteln. "Und der Leiter der Aurorenzentrale?"
"Wollen Sie mich jetzt ernsthaft zu jedem Mann, der sich mit mir unterhalten hat, befragen?", fragte Jane schnippisch.
"Sicherlich nicht. Jedoch noch eine allerletzte Frage: Gerüchte, die leider nie bestätigt werden konnten, besagen, dass Ihr Großvater, Lord Sharpe, Sie verloben wollte und zwar mit keinem anderen als mit Mister Lucius Malfoy. Wollen Sie dazu Stellung nehmen?"
Jegliche Gesichtszüge waren ihr entglitten. Szenen aus ihrer Kindheit kame ihr wieder hoch. Sie, alleine im Wohnzimmer. Und im Büro nebenan ein hochgewachsener blonder Mann, der einen Burschen, vielleicht acht Jahre älter als sie, neben sich führte. Wie oft sie zu Besuch gewesen waren. Sie hatte sich immer gefragt - aber natürlich. Abraxas Malfoy und ihr Großvater hatten Pläne geschmiedet! Warum nicht? Warum waren Sie und Lucius dann nicht offiziell verlobt worden?
"Lady Sharpe? Keine Äusserung dazu?", fragte Kimmkorn spöttisch nach. Sie schnalzte mit der Zunge.
"Doch. Etwas nur. Wenn ich doch mit Mister Lucius Malfoy verlobt gewesen wäre, warum sollte er dann Narzissa Black heiraten und ich wäre auch noch heute alleinstehend? Sie wissen sicherlich, dass ich die bessere Partie gewesen wäre." Jane erhob sich erneut, dieses Mal fest entschlossen, zu gehen. "Ihnen einen schönen Tag. Und vergessen Sie nicht, was sie abdrucken können und was nicht." Das letzte Wort dehnte sie ein wenig, funkelte die Journalistin aus kalten Augen an.
Eilig verließ Jane den Saal und flüchtete in ihre Wohnräume. Den blonden Zauberer, der am Ende des Korridors gewartet hatte, bemerkte sie gar nicht. Auch nicht, dass er ihr bis zu ihren Räumen folgte und erst verschwand, um mit Albus Dumbledore zu sprechen, als einige Schüler ihn schräg anguckten.

SarinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt