Kapitel 17

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Lucius saß an seinem Schreibtisch, den Stuhl in Richtung fenster gedreht. Langsam wanderten seine Augen über die makellose Landschaft. Das Manor lag inmitten einer Parklandschaft. Grün wurde es von dem gepflegten Garten umdraht, den er nur selten betrat. Wenn man es genau nah, war nahezu nie irgendjemand auf den hellen Parkwegen zu finden.
Plötzlich musste er blinzeln.
Für eine kurzen, wahnwitzigen Moment hatte er gemeint, eine schlanke Figur zwischen dem Grün spazieren zu sehen. Dunkle Haare, haselnussbraune Augen, ein charmantes Lächeln und ein umwerfendes Lachen.
Lucius schüttelte sich.
Seit dem Essen war nicht einmal ein ganzer Tag vergangen. Nicht ein ganzer Tag und sein Kopf spielte verrückt. Es waren nicht nur die letzten Ereignisse, ihre Küsse, die seinen Geist umnebelt hatte, die ihn ihn beschäftigten. Nein, ganz im Gegenteil. Natürlich hatte er die Nacht wachgelegen, an ihren Mund, ihre Hände, ihre trunkenen Augen denken müssen. Was wäre er für ein Mann, wenn er das nicht täte!
Doch jetzt - nach ihrer Entschuldigung?
Immer und immer wieder hatte er den Abend durchlebt, hatte sogar sein Denkarium herausgeholt, um noch einmal die Zeit mit ihr zu durchleben. Lucius hatte erwartet, dass es ihm schwerfallen würde, dauerhaft höflich, ehrlich höflich, zu sein. Damit hatte er sich gewaltig geirrt. Nie hatte er sich natürlich, ehrlicher, ja sogar besser gefühlt als am vergangenen Abend. Er schämte sich nicht einmal dafür, dass er so oft so zufrieden gelächelt hatte. Denn war schlichtweg glücklich gewesen. Und es hatte sich gut angefühlt.
Belebt drehte er sich zu seinem Schreibtisch um und griff nach Briefpapier und Feder. Als er fertig geschrieben hatte, rief er seinen Hauselfen.
"Meister hat Dobby gerufen?", fragte der Wicht ihn. Ein Klappern erklang aus dem Flur.
"Ja, Dobby. Schick diesen Brief an Jane Sharpe. Nach Hogwarts." Mürrisch reichte er ihm den Brief. "Und schick mir Narzissa herein."
"Natürlich, Meister." Tief verbeugte der Hauself sich.
Lucius drehte sich erneut zum Fenster, seufzte leise, als er die gefasste Stimme seiner Ehefrau vernahm. Normalerweise verhieß es nichts Gutes, wenn sie ihn in vollkommener Ruhe aufsuchte. Mit einem Klicken schloss sie wohl die Tür.
Lucius reagierte nicht. Es blieb ruhig. Ein Räuspern erklang. Seine Augen folgten einem Eichhörnchen, welches von Baum zu Baum hüpfte.
"Lucius?", fragte sie sanft.
Langsam drehte er sich um und sah andächtig seine Ehefrau an. Mit gleichgültiger Miene zog er eine Augenbraue hoch. "Narzissa?"
"Ich...", setzte sie an, während sie sich auf den Stuhl auf der anderen Tischseite sinken ließ. "Ich... wenn du willst, können wir uns scheiden lassen."
Er fuhr hoch, jegliche Ignoranz verschwunden. "Warum sollten wir? Willst du etwa jemand anderen heiraten?"
Eilig schüttelte sie den Kopf, vermied es dabei jedoch tunlichst, ihn anzusehen. "Keineswegs."
"Du lügst." Sie hob den Blick, sah ihn verständnislos an. "Du lügst", wiederholte er die Worte schwerfällig.
"Ich würde dich niemals anlügen."
"Nein, niemals. Das würdest du nie tun!", rief er spöttisch aus.
"Lucius." Sie seufzte schwer. "Wir lieben einander nicht. Das haben wir nie, das müssen wir auch nicht. Jedoch... ich möchte dich freigeben, Lucius. Für jemand anderen. Den gibt es, nicht?"
"Wie kannst du es wagen-"
"Ich will nicht streiten, Lucius. Heute nicht. Du sollst lediglich wissen, dass du nicht dein Leben mit mir verbringen musst. Wenn du sie liebst, und davon bin ich überzeugt, dann nimm sie dir. Du bist doch Lucius Malfoy." Traurig lächelte Narzissa ihn an. "Es ist deine Entscheidung, dein Leben. Ich will dir nicht im Weg stehen. Das verdienst du nicht." Sie wandte sich um.
"Cissy?" Seit vielen Jahren hatte er sie nicht mehr bei ihrem Spitznamen genannt.
"Lucius." Sie drehte sich nicht um. "Werde glücklich. Bitte. Ich war dir viel zu lange schon eine Last. Sag mir einfach... sag mir einfach, wann du bereit bist. Ich esse heute Abend nicht hier." Ohne dass Lucius noch etwas erwidern konnte, verließ sie sein Büro. Leise verhallte das Klackern ihrer Schuhe auf dem Marmorboden.

Die erste Flasche Feuerwhisky war schnell leer gewesen. Geistesabwesend saß Lucius mit halb aufgeknöpftem Hemd auf der Couch, ein Glas in der Hand, in welches er fasziniert starrte. Sein Anblick war beinahe schon erbärmlich, hätte Severus nicht gewusst, warum sein Freund ihn ins Manor zitiert hatte.
"Was mach ich'n jess?", lallte er weinerlich.
"Vielleicht aufhören zu trinken?" Mit belustigter Miene sah Severus ihn an.
"Du has gut... reden. Las mich einfach in... Ruhe. Warum bis du überhaubt hier?" Er musste schon mehr gebechert haben, als Severus erwartet hatte.
"Weil du mich hierher beordert hast. Ich gehe auch gerne wieder." Severus wandte sich um.
"Nein, nein! Wate!" Lucius versuchte sich aufzurichten, um ihn aufzuhalten. Gefährlich schwankte er für einige Sekunden, eher er wieder auf die Couch zurücksank. "Erssähl mir von... von Jane. Un' von Draco."
"Ich könnte von beiden erzählen?", schlug Severus vor.
"Ja, das is' gutt. Mach schon." Einige Male nickte der blonde Zauberer.
"Draco ist begeistert von ihr. Er... findet sie bewundernswert." Er konnte nur hoffen, dass er damit dem Jungen nichts schlechtes tat. Doch so wie er Lucius in diesem Moment einschätzte, würde er sich am nächsten Tag sowieso nicht mehr daran erinnern.
"Ich auch", murmelte er plötzlich ernst.
Kurz runzelte Severus die Stirn. Der trübe Ausdruck in den grauen Augen kannte er nicht. Das konnte nichts Gutes verheißen. "Ich habe ihr übrigens den Kopfschmerz-Trank hingestellt, wie du mich gebeten hattest. Immerhin war der Tagesprophet auch so nett und hat mir mitgeteilt, dass ihr ein Kaffeekränzchen in der Nokturngasse hattet."
Lucius schien die Anklage gar nicht zu hören. "Wie macht sie sich so? Ich meine... is' sie... is' sie..." Er runzelte seine Stirn und versuchte die richtigen Worte über die Lippen zu bringen.
"Ist sie was?", hakte Severus schmunzelnd nach.
"Had sie n' Freund?", platzte es aus ihm heraus.
Überrascht hielt er für einen Moment inne. Sofort wurde ihm klar, was das Gehabe und Rumgedruckse sollte. "Nein, Lucius, sie hat keinen Freund."
"Auch nich' du?" Scheinbar kurz vor einem Zusammenbruch sah Lucius ihn an.
"Natürlich nicht. Was will ich mit so einer Frau wie ihr! Sie braucht eher jemanden wie... dich." Er grinste dreist.
"Meins' du?" Lucius sah seine Hände an und drehte sie einige Male hin und her.
"Das solltest du sie am besten selbst fragen", schlug Severus vor.
"Mach ich. Hab sie eingeladen." Stolz grinste er plötzlich, jeglicher Trübsal wie weggeblasen.
"Dann streng dich da gefälligst an!" Fies grinste Severus kurz. "So ein paar kleine Sharpes wären doch auch etwas."
"Wieso d'nn Sharpes?", rief sein Freund zornig aus, nicht einmal mehr die wirkliche Aussage realisierend. "Wenn schon dann kleine Malfoys." Verträumt grinste er.
"Na meinetwegen. Aber das musst du mit ihr absprechen. Bei eurem Abendesse", fügte er noch an, eine Sekunde befürchtend, dass ansonsten Lucius einen kleinen Abstecher nach Hogwarts machte.
"Ich gehe dann mal, Lucius. Einen schönen Abend." Im Traumland. Severus musste grinsen. Wenigstens für einen Moment konnte er sich vorstellen, dieses ungleiche Paar hier in diesem Zimmer auf eben jener Couch sitzen zu sehen, sich angiftend. Es würde nie geschehen. Er kannte Lucius, er wagte es zu behaupte, dass er auch Jane kannte. Und vor allem kannte er die Umstände.
Es war eine Wunschvorstellung. Mehr nicht.
Bevor er ging, zog Severus noch eine kleine Phiole mit einem Kopfschmerz-Trank heraus. Den würde Lucius am kommenden Morgen auf jeden Fall gut gebrauchen können. Er verließ das Manor und apparierte zurück nach Hogwarts.

Lucius Kopf dröhnte, als er aufwachte. Sein Rücken schmerzte und ihm war übel. Bereits bei geschlossenen Lidern schmerzte ihn das winterliche Sonnenlicht in den Augen. Leise stöhnte er setzte sich auf und robbte von der Couch hinunter. Einige Meter weiter saß er im Schatten und konnte endlich seine Augen öffnen.
Er war lange nicht mehr so betrunken gewesen. Und genauso lange hatte er auch nicht mehr auf der Couch in der Bibliothek geschlafen. Müde schüttelte er kurz den Kopf, um sein wirres Haar aus dem Gesicht zu bekommen.
Sofort verschwamm seine Sicht wieder. Einige Sekunden blieb er still sitzen, bis er wieder oben und unten erkannte. Eine kleine Phiole auf dem Couchtisch fiel ihm auf. Sie musste von Severus sein. Dunkel erinnerte Lucius sich, ihn am vorigen Abend gerufen zu haben.
Müde lehnte er sich vor und griff nach der Phiole. In einem Zug stürzte er sie hinunter, verzog für einige Sekunden angewidert das Gesicht. Irgendjemand sollte es sich zur Aufgabe machen, nützliche und zugleich widerliche Zaubertränke in anständige Gesöffe zu verwandeln.
Plötzlich klopfte es laut an seinem Fenster. Das erwartete Pochen blieb aus, der Trank schien seine Wirkung zu entfalten. Lucius rappelte sich auf und stand schwankend auf. Kurz drehte sich alles um ihn, doch dann blieb es stehen, ruhig und er konnte langsam auf das Fenster zugehen.
Die große, braune Eule kannte er nicht. Missmutig öffnete er das Fenster. Kalt schlug ihm der Winterwind entgegen. Über Nacht war es noch eine Spur kühler geworden und selbst im blendenden Licht konnte Lucius erkennen, dass der kleine Teich inmitten des Parks zugefroren zu sein schien.
Eilig nahm er dem Flattervieh den Brief ab und knallte dann das Fenster wieder zu. Mit halb geöffnetem Hemd, wie er jetzt feststellte, brauchte er auch nichts anderes zu erwarten. Lucius riss den Brief noch im Stehen auf, als er sah, wer der Absender war.
Sie.
Fast schon einer Fotoreihe gleich blitzten Szenen vor seinem inneren Auge auf. Jane. An ihrem ersten Treffen, diesem unsagbar trockenen Reinblüterfest. Dann der Abend in der Nokturngasse. Die Schulbeirat-Sitzungen. Und natürlich dieses Date. Anders konnte er es nicht nennen. Ertappt senkte Lucius die Mundwinkel, als er das pubertäre Grinsen auf seinem Gesicht spürte.
Im gleichen Moment leuchtete ein weiteres Bild auf. Narzissa. Wie sie ihm anbot, sich von ihm scheiden zu lassen. Schnell schüttelte er den Kopf, riss mit zittrigen Fingern den Brief auf und las die wenigen Zeilen durch.

Sehr geehrter Mister Malfoy

Nach meiner letzten Nachricht habe ich mit allem gerechnet, nur damit nicht. Ich gratuliere, Sie haben es geschafft, mich zu beeindrucken. Mit Ihrer Ignoranz und Ihrer Taktlosigkeit habe ich mich tatsächlich dazu entschlossen, und ich wundere mich immer noch, wie es soweit mit mir kommen konnte, dass ich Ihre Einladung annehme und mit Ihnen dinieren werde. Im Manor, selbstverständlich.
Sie werden sicherlich selbst Ihre Schlussfolgerungen ziehen und ich werde daher Ihnen diese Mühe abnehmen: Mein Interesse an schwarzmagischen Artefakten ist ausgeprägt und gerade als angehende Aurorin werde ich wachsam sein.

Genießen Sie Ihren Tag.
Wir dinieren am kommenden Samstag, wenn dies Ihre Zustimmung findet. Sollten Sie sich nicht anderweitig melden, werde ich an diesem Abend um sieben Uhr bei Ihnen im Manor erscheinen.

Mit freundlichen Grüßen
J. Sharpe

Lucius war gelinde gesagt überrascht. Sehr überrascht. Dass sie seine Einladung angenommen hatte, grenzte an ein Wunder. Insbesondere nach dem, was bei ihrem ersten gemeinsamen Abendessen vorgefallen war. Dass sie ihm jedoch auch noch ihre Gründe ausbreitete, brachte ihn zum Schmunzeln. Diese Frau war gewitzt.
Ohne dass er es wollte, ging er geistig schon seine Garderobe durch. Elegant und dennoch nicht zu förmlich. Ein weisses Hemd. Schwarzer Gehrock. Oder eine Hose. Er war noch nicht ganz sicher.
Er fürchtete sich keineswegs davor, dass sie den Abend als Anlass nehmen würde, ihn zu verhaften. Sie war keine Frau, die solche Dinge tat. Zudem war sowieso alles mit Schutzzaubern belegt. Sollte er irgendeinen Verdacht hegen, reichten zwei oder drei Kommentare im Ministerium und sie würde nie wieder auch nur das Gebäude betreten können.
Ihr zu unterstellen, mit ihrem Großvater zu arbeiten, erschien ihm zwar abwegiger als irgendetwas sonst. Doch im Ministerium wusste das niemand, alle waren begeisterte Leser des Tagespropheten. Die restliche Geschichte schrieb sich von selbst.
Er würde ihr so etwas niemals antun wollen, stellte er bekümmert fest. Und gleichzeitig erschreckte es ihn. Er hatte nie ein Problem damit gehabt, das Leben von Menschen zu zerstören, ganz gleichgültig, ob das zu seinem eigenen Wohl war. Zum ersten Mal zögerte er tatsächlich.
Ein sanftes Lächeln tauchte vor ihm auf. Unwirsch schüttelte er den Kopf, konnte das Bild dennoch nicht abschüttelt. Eine kleine Hand streckte sich nach ihm aus und er glaubte, die Berührungen auf seiner Haut spüren zu können. Der rosa Mund stand leicht offen. Fasziniert sah er sie an. Er wollte mit einem Finger über ihre Wange streichen. Ihr Haar spüren, ihren Mund liebkosen.
Als er die Hand hob und ausstreckte, griff er in die Luft. Sie war weg. Sie war verschwunden.
Wie kindisch.
Lucius seufzte ob seiner Träume. Lächerlich. Peinlich. Eine Schande.
Sie machte ihn fertig, Jane.

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