Kapitel 16

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Noch nie in ihrem Leben hatte Jane eine so unruhige Nacht verbracht. Immer und immer wieder hatte sie sich hin und her gewälzt. Sein Gesicht war andauernd vor ihrem Gesicht aufgeblitzt, seine Lippen, seine Augen, Merlin, seine Hände! Sein Atem auf ihrer Haut.
Gerädert stand sie am nächsten Morgen auf und machte sich für den elend langen Tag bereit. Ihr Gesicht war ein einziges Desaster und ihr Kopf pochte. Warum nur hatte Jane auch so viel getrunken? Sie wusste ganz genau, wie sehr ihr schon wenig Alkohol zusetzte. Und dann auch noch im Beisein von Lucius Malfoy.
Merlin und Morgana, sie wären fast zusammen in ihrem Bett gelandet!
Jane fand keine Erklärung für ihr Verhalten. Selbst in einem so benebelten Zustand sollte sie noch wissen, dass Sex mit dem Feind definitiv keine Lösung war, eher noch mehr Probleme generierte.
Sie würde ihm schreiben. Eine andere Möglichkeit sah sie nicht. Nur die Vorstellung, mit so vielen unausgesprochenen Worten bei der nächsten Sitzung neben ihm zu sein, jagte ihr eine Heidenangst ein.
Was sie jedoch am allermeisten erschreckte, war die Tatsache, dass sie enttäuscht war. Enttäuscht über ihre Rationalität, ihre Abwehr, dass sie ihn einfach vor der Tür hatte stehen lassen. Sie hatte ihn gewollt, verdammt noch mal! Nicht nur seinen Körper, ihn!
Enttäuscht über sich selbst schüttelte sie den Kopf. Immer war sie sich selbst, ihren Prinzipien treu geblieben. Sie hatte Männer wie ihn, Todesser, Ehebrecher und was er sonst noch alles war, verabscheut. Und sie hatte nie einer der Frauen werden wollen, die sich über jeglichen Verstand hinwegsetzten.
"Was habe ich nur getan", stöhnte sie leise auf, das Gesicht in den Händen.
Jane wusste jetzt schon, ein normales Frühstück würde sie nicht beruhigen können. Stattdessen musste sie unbedingt diesen Brief an Lucius Malfoy schreiben. Sie ging zu ihrem Schreibtisch und ließ sich müde auf den Stuhl sinken. Merlin. Wenn Gabi das wüsste.
Sie griff die Feder und schrieb schnell, ohne jegliche Sorgfalt in ihre Schrift zu legen:

Sehr geehrter Mister Malfoy

Aus vollstem Herzen möchte ich mich für den gestrigen Abend bei Ihnen bedanken. Das Essen war vorzüglich und ich habe Ihre Anwesenheit sehr genießen können.
Gleichzeitig will ich mich auch für das Ende des Tages entschuldigen. Es war keineswegs meine Absicht, mich Ihnen ungebührlich zu nähern und wäre Ihnen sehr verbunden, wenn wir diese unerfreuliche Episode streichen könnten. Meine Annäherung an Sie war einzig und alleine auf den Einfluss des Alkohols zurückzuführen.
Bitte, entschuldigen Sie mein Verhalten.

Mit freundlichen Grüßen
Jane Sharpe

Wirklich gut fühlte sie sich dennoch nicht. Es war keine Lüge. Und dennoch nicht die Wahrheit. Doch Jane schüttelte nur den Kopf und legte dann das Pergament in einen Umschlag. Mit einer kurzen Handbewegung erschien das offizielle Siegel des Hauses Sharpe. Anders befürchtete sie, dass sonst ihre Post von jemandem geöffnet wurde. Doch dieses Siegel... keiner wäre so dumm, vor allem da jeder davon ausgehen würde, es käme von Lord Sharpe.
Jane hatte den Vormittag über freie Zeit, Harry Potter war im Unterricht und weitere Aufgaben hatte sie nicht. Ursprünglich hatte sie in die Bibliothek gehen und über die Kammer des Schreckens Nachforschungen anstellen wollen, doch stattdessen entschied sie sich, entspannt in ihrem Zimmer zu frühstücken und an Gabi zu schreiben.
Die Ereignisse waren zu viel, als dass sie so ganz einfach damit abschließen konnte. Sich alles von der Seele zu reden, würde vielleicht helfen.

Am frühen Nachmittag erwachte Jane durch ein leises Klopfen am Fenster. Sie fuhr augenblicklich hoch und stürzte an die Scheibe. Anstelle der erwarteten weißen Eule saß da ein kleiner Kauz in braun. Ministerium, klingelte es irgendwo im hinteren Teil ihres Gehirns.
Sie öffnete das Fenster und nahm den Brief entgegen. Ihr Herz begann zu pochen, als sie an die Razzia dachte. Im Gewühl der letzten Tage hatte sie sie erfolgreich in den Hintergrund verbannt, doch jetzt stand ihr ihr Versagen wieder direkt vor Augen. Sie hatte jeglichen Regeln missachtet und war zudem überhaupt nicht qualifiziert, sondern nur wegen ihres Namen aufgenommen worden. Mehr Scham und Schande konnte sie beinahe nicht ertragen.
Sie riss den Brief auf und las die wenigen Zeilen. Verwundert runzelte sie die Stirn, während ihre Füße sie langsam in Richtung Kleiderschrank trugen. Eine Einladung zu einer Versammlung der Aurorenzentrale? Ein obligatorisches Fest zu Ehren Scrimgeours und des Ministers?
Immerhin besaß sie einige elegante Kleider. So zum Beispiel das vom vorigen Abend. Sofort erötete Jane und schob schnell die Gedanken beiseite. An die langen Finger von Lucius Malfoy zu denken, half jetzt auch nichts weiter.
Sie öffnete den Schrank, nachdem sie den Brief beiseite gelegt hatte. Wer kam auch auf die Idee, am selbigen Tag wie die Veranstaltung erst die Einladung zu schicken? Irgendeine Festrobe aus alten Tagen musste reichen.
Laut vernehmlich knurrte plötzlich ihr Bauch. Leise lachte Jane, ehe sie versöhnlich über ihn rieb und sich aufmachte in die große Halle. Noch war die Mittagspause nicht vorbei und die Lehrer hatten ihr sicherlich irgendeinen Schmaus übrig gelassen.
Als Jane die große Halle betrat, wurde sie von einer Gruppe lärmender Slytherins empfangen. Die kleinen Jungen schrien laut herum und hüpften wie wild auf und ab. Jane wollte sich an ihnen vorbeidrängen, als sie eine rotzige Stimme vernahm.
"Wer sind Sie eigentlich?" Ohne überhaupt ein Urteil in die Worte gelegt zu haben, vernahm sie schon den abwertenden Unterton.
Langsam drehte sie sich um. Der blonde Bursche war vielleicht ein Zweitklässler. Und Jane wurde anders. Diese Haare, diese Augen, diese Nase. Ein Malfoy, durch und durch. Der Sohn von Lucius. Oh Merlin und Morgana, wie hatte es ein können, dass der Junge ihr bis jetzt noch nicht ins Auge gefallen war!
"Mister Malfoy, nehme ich an?" Spöttisch zog sie eine Augenbraue hoch.
"Immerhin das wissen Sie." Johlen seiner Freunde waren zu hören.
Ein leises Lächeln schlich sich auf ihre Züge, jeglicher Lärm verstummte. Jane trat einige Schritte auf das kleine Ebenbild zu und beugte sich langsam zu seinem Ohr vor. "Mister Malfoy. Beim nächsten Schulbeirat-Treffen werde ich Ihren Vater darauf hinweisen, dass er vergessen hat, Ihnen Anstand, Höflichkeit und vor allem die Geschichte der Familie Sharpe beizubringen."
Kühl blickte sie ihn an. Jegliche Überheblichkeit war von seinen Zügen verschwunden, Furcht blitzt aus seinen Augen. Leise murmelte er, sodass nur sie es hören konnte: "Es tut mir leid, Lady Sharpe. Wirklich. Bitte, erzählen Sie meinem Vater nicht davon." Sein Blick war nicht wehleidig und aufgesetzt, er bat sie ganz ehrlich um ihre Verschwiegenheit.
Schwer seufzte sie, während sie sich wieder aufrichtete. "Gehen Sie, Mister Malfoy. Wenn mir noch einmal von solch ungebührlichem Verhalten etwas zu Ohren kommt..." Unausgesprochen schwebte Drohung wie ein Damoklesschwert über dem jungen Zauberer. Kurz nickte er, dankbar lächelnd, ehe er seine Freunde packte und aus der großen Halle zerrte.
Jane hatte Mitleid mit dem armen Jungen. Auch wenn er ein widerlicher Balg war, so konnte er doch nichts dafür. Alleine von dem, wie sie Malfoy senior bis jetzt kennengelernt hatte, wollte sie gar nicht wissen, wie er sich verhielt, wenn er in absoluter Rage war. Ein Mann wie er schien keine Gnade und keinerlei Nachsicht zu kennen.

SarinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt