Die Wochen vor Weihnachten vergingen ruhig. Sehr ruhig. Nach dem Vorfall um Mrs. Norris war nichts weiter geschehen, doch die Situation war angespannt. Ganz anders als die Schüler glaubte keiner der Lehrer daran, dass das Thema abgehakte werden konnte. Ganz im Gegenteil. Jeder wartete nur auf den erneuten Ausbruch.
Albus Dumbledore hatte sie eine Woche vor den eigentlichen Ferien zu sich gerufen und darüber informiert, dass sie von nun an von seiner Seite beurlaubt war. Solange das Ministerium sie in Ruhe ließ, konnte sie einige wenige aber dennoch erholsame Wochen mit ihrem Vater in Paris verbringen.
Jane hatte ihn nur zweimal besuchen können und festgestellt, dass es ihm immer schlechter ging. Es war seine Gesundheit, die ihr Sorgen machte, genauso aber auch sein desolater Zustand in Bezug auf seine Psyche. Ein alter Mann, der vieles schreckliches hatte erleben müssen. Von Geburt an.
Sie erhoffte sich - und sie hatte bereits mit Gabi gesprochen - dass sie ihn in Paris lassen könnte. Er weigerte sich strikt, jegliche Magie an seinen Körper zu lassen, und wenn sie ihn an Muggel geben musste, dann am liebsten gleich an ihre beste Freundin.
Schnell hatte Jane ihre sieben Sachen gepackt und sich von ihren Kollegen verabschiedet. Die Weihnachtsgeschenke, die auch unter den Lehrern in Hogwarts üblich waren, würden per Eulenpost geliefert werden. Zumindest von Jane aus der Winkelgasse nach Schottland. Andersherum mussten sich die Hexen und Zauberer noch gedulden. Sonst würde Gabi wahrlich einen Herzinfarkt bekommen.
Zu ihrem Vater zu reisen, war einfach gewesen. Jetzt jedoch stand Jane vor einem ganz anderen Problem. Bei seinem Zustand konnte sie unmöglich mit ihm apparieren, selbst wenn er es denn erlaubt hätte. Flohnetzwerk war auch keine Option, so sah Jane sich gezwungen, mit dem öffentlichen Verkehr zu reisen. Bis zum Bahnhof waren sie gut gekommen. Ein Schwebezauber und Vater und Koffern war für Jane keine Schwierigkeit gewesen und dass sie jemandem bei Eiseskälte in aller Frühe begegneten, war nahezu unmöglich.
Der Zug brachte sie in einer scheinbar ewig andauernden Fahrt nach London und von dort zum Flughafen. Auf der Reise selbst hatte Jane in einem Magazin gelesen, dass bald eine gewaltige Veränderung für Großbritannien bevorstand. Es sollte ein Tunnel von London nach Paris gebaut werden.
Jane war begeistert. Auch wenn es ihr nicht behagte, in einer solchen Tiefe unter tausenden Litern Wasser zu reisen, bot dies einzigartige Möglichkeiten. Und gerade wenn ihr Vater wieder auf die Beine kommen sollte - und davon ging sie stark aus - würde sie sich mit ihm ab und an in London treffen können. Über Ländergrenzen hinweg zu apparieren, war ein gewaltiger Kraftakt, den sie als Aurorin nicht zu bringen bereit war.
Bis jetzt war Jane zweimal in ihrem Leben geflogen, ihr Vater noch kein einziges Mal. Nachdem er im Flugzeug angefangen hatte, unregelmäßig zu atmen und ihr geübtes Auge festgestellt hatte, dass sie kurz vor einer Panikattacke stand, bevor sie überhaupt gestartet waren, hatte sie leise gemurmelt: "Te seda."
Ihr Vater hatte sich daraufhin beruhigt und nach wenigen Minuten bereits begonnen, herzhaft zu schnarchen. Beruhigt hatte Jane sich zurückgelehnt. Ihre Gedanken, die bis eben noch wild gerast hatten, waren nun endlich geordnet und beruhigt.Weihnachten war schnell vorbei gegangen. Das Fest der Liebe hatte Jane mit ihrem Vater, Gabi und deren Freund verbracht. Jane hatte nicht schlecht gestaunt, als dieser sich als ihr ehemaliger Studienkollege entpuppt hatte. Sie freute sich jedoch sehr für ihre beste Freundin und Kollegin. Auch der Praxis ging es gut. Gabi konnte sich kaum noch vor Anfragen retten und scherzte bereits, sie müsse noch eine zweite Praxis aufmachen.
Ihr Vater erholte sich gut. Die kränkliche Blässe verschwand aus seinem Gesicht und er konnte wieder vernünftig laufen. Auch wenn er jegliche Tränke oder Zaubersprüche ablehnte, machte er sich gut.
Wenige Tage vor ihrer Abreise saßen er, Gabriela und Jane nach einem entspannten und heiteren Abendessen zusammen im Wohnzimmer und lasen ein Buch. Jonathan Sharpe war von der Muggelliteratur angetan. Krimis, historische Romane, alles, was Gabriela ihm in die Hand drückte, verschlang er.
Er war froh, dass seine Tochter nach so vielen schwierigen Jahren, die sie immer in irgendeiner Form als Ausgestoßene verbracht hatte, endlich eine Bezugsperson gefunden hatte. Doch ein klitzekleines Detail, das sie nicht von sich preiszugeben bereit war, bereitete Jonathan ganz fürchterliche Kopfschmerzen.
Gabriela wusste nicht, wer Jane wirklich war.
Nach so vielen Jahren und sie hatte keine Ahnung.
"Ist das Buch nicht spannend?", durchbrach eine Stimme seine Gedanken. Er hob den Blick und begegnete den freundlichen Augen Gabrielas.
"Doch. Doch. Es ist mehr... Jane?" Sie zuckte aus ihrer Lektüre hoch. "Ich denke, du solltest etwas erklären", platzte es urplötzlich und vollkommen unbedacht aus ihm heraus.
Ohne nachzuhaken verstand Jane. Der ernste Blick, der strenge Zug um seinen Mund - ihr Vater sprach über dieses klitzekleine Problem. Sie seufzte laut. Alleine an seiner aufrechten Haltung spürte sie, wenn sie es nicht tat, würde er es tun.
"Du hast recht." Sie straffte den Rücken. Unruhig wechselte Gabis Blick hin und her. Doch sie schwieg, hatte sie gelernt, diese zumeist wortlosen Dialoge nicht zu unterbrechen.
"Ich werde schon schlafen gehen. Gute Nacht." Er erhob sich, ein Ächzen unterdrückend, und tappte aus dem Zimmer. Auch wenn er es nicht zugab, sein Körper machte ihm immer mehr zu schaffen. Desto mehr die Lebensgeister in ihn zurückkehrten, desto mehr spürte er die Vernachlässigung, die ihm jahrelang widerfahren war.
"Gute Nacht", ertönten die Stimmen zweier Frauen. Jonathan konnte nur hoffen, dass er Gabriela bis jetzt richtig eingeschätzt hatte.
Jane lehnte sich zurück und legte für einen Moment den Kopf in den Nacken. Sie wollte dieses Gespräch nicht führen. Es sprach so viel dagegen. Und nur eine einzige Sache dafür. Doch diese eine Sache, die wog so viel mehr als alles andere.
Ehrlichkeit trat vor Schutz von Gabi, Schutz der Zaubereigesellschaft und auch Bequemlichkeit. Erschüttert wurde Jane klar, dass vor allem der letzte Grund es war, der sie bis jetzt davon abgehalten hatte. Sie hatte immer ihre Gründe gehabt, doch das lag alles so viele Jahre zurück. Ihre Bequemlichkeit hatte sie zu einer schlechten Freundin gemacht.
In einem plötzlichen Anfall von Reue, Schuldgefühl und Panik, platzte es laut aus ihr heraus. "Ich bin eine Hexe!" Erschrocken schlug sie sich die Hand vor den Mund.
Gabi saß wie vom Donner gerührt in ihrem Stuhl. Es war mucksmäuschenstill, einzig das Kaminfeuer knisterte leise vor sich hin. Mehrere Male klappte Gabi den Mund auf, schloss ihn dann wieder. Ihre Augen waren starr auf sie gerichtet. Jane bewegte sich keinen Zentimeter. Sie sah, wie es im Kopf ihrer Freundin arbeitete.
"Du...", setzte Gabi an. "Du bist eine Hexe?" Beinahe scheu nickte Jane. Noch konnte sie ihr Verhalten nicht einschätzen. Im schlimmsten Fall... Jane graute es davor, ein Obliviate einsetzen zu müssen. Doch wenn es sich nicht vermeiden ließ, war es ihre Pflicht.
"Wow, das ist echt cool." Ein Strahlen erfasste Gabis Züge. Jegliche Spannung fiel von Jane ab, ihre Schultern wurden leicht, als hätte sie ein zentnerschweres Gewicht getragen. Sie sprang auf und stürzte sich ihrer besten Freundin in die Arme.
"Hey, was ist? Warum weinst du?" Beruhigend strich Gabi ihr durch die Haare, während Janes Schultern bebten. Ihre beste Freundin - sie wusste alles! Alles über sie. Sie kannte sie in und auswendig. Vollständig. Und sie war endlich vollkommen ehrlich gewesen. Nie wieder Halbwahrheiten, Lügen, Ausreden und umständliche Erklärungen.
"Ich... ich bin so froh, dass du es endlich weisst. Es ist... es ist mir gar nie aufgefallen, was für eine Last das war! Du bist meine beste Freundin, Gabi. Dich anzulügen... es tut mir so unfassbar leid." Erneut drohten, die Tränen sie zu schütteln.
"Beruhig dich doch! Alles ist in Ordnung! Jetzt weiß ich es ja. Komm, erzähl mal. Gibt es da vielleicht einen Zaubererfreund, so mit spitzem Hut, langen Haaren und allem, von dem du mir nie erzählen konntest?", versuchte Gabi Jane zu erheitern.
Diese jedoch musste nur abfällig schnaube. Ein widerlicher, abstoßender, gemeiner und leider andauernd wiederkehrender blonder Zauberer, von dem sie Gabi wirklich nie hätte erzählen können und der in der Tat lange Haare hatte, tauchte vor ihrem inneren Auge auf.
"Also gibt es da einen?", hakte Gabi sofort schmunzelnd nach. Sie wusste, es gab so viele Fragen noch zu klären. So ganz war diese Information auch noch nicht in ihrem Hirn angekommen. Doch grübeln würde sie noch genug.
"Er ist ein Arschloch", grummelte Jane. Unzählige Szenen hüpften in ihren Gedanken umher.
"Aha. Und du magst ihn, weil...?"
"Ich mag ihn nicht! Er ist ein Arschloch mit dem ich zusammenarbeiten muss. Mehr nicht", betonte Jane nachdrücklich.
"Naja, ob ich dir das glauben soll... apropos arbeiten: Erzähl! Ich will die ganze Wahrheit wissen. Warte, ich hole noch schnell den Wein. Das wird sicher eine lange Nacht", witzelte Gabi, als sie aufsprang und in die Küche eilte.
Mit ihrer letzten Aussage behielt sie ganz eindeutig recht.Es war ein seltsames Gefühl, als Gabi einige Tage später mit einer Eule im Arm ins Wohnzimmer kam.
"Ich glaube, der ist für dich, Jane."
Sofort erkannte sie die weiße Eule wieder. Genervt stöhnte sie auf. "Dieser dumme... warum kann er mich nicht einmal meine Ferien genießen lassen!"
"Dein Lover?", scherzte Gabi.
Abfällig schnaubte Jane, während sie den Brief vom Bein des Vogels löste. Kurz strich sie dem edlen Tier über den Kopf, ehe er sich in die Luft schwang, durch das Wohnzimmer in die Küche fegte und nach draußen verschwand.
Ohne Hast riss sie den Brief auf, während sie schon Gabis Atem im Nacken spüren konnte. "Schreibt er die selbst?", fragte diese prompt.
"Ja. Wieso?" Jane kannte die Handschrift aus den Sitzungen. Lucius Malfoy war ein Mann der klassischen Sorte und schrieb immer handschriftlich. Sie klappte das Papier auseinander und las die wenigen Zeilen.
"Er hat eine schöne Handschrift. Richtig klassisch." Genervt setzte Jane erneut an mit lesen. Die Worte gingen jedoch an ihr vorbei, jetzt, da sie die Schrift musterte. In welcher Situation er sie wohl geschrieben hatte? Am Abend, im Hemd, mit einem Glas Elfenwein in der Hand? Oder in aller Frühe, im Büro?
"Uuh, was ziehst du an?", durchbrach Gabi ihre Gedanken.
"Warum? Was? Hat er mich schon wieder eingeladen?", fuhr Jane erschrocken hoch.
"So ist das also... und, war er ein Gentleman?", zwinkerte sie.
Jane winkte ab. "Ich bin nicht gegangen."
"Hier musst du aber gehen." Jane runzelte lediglich die Stirn. "Sag mal, hast du es nicht gelesen? Schulbeirat-Sitzung. Heute."
"Und daran denkt er erst heute oder was", knurrte Jane genervt. Über die entspannten letzten Tage war ihr vollkommen entgangen, dass ihre Ferien sich dem Ende zuneigten. In zwei Tagen begann die Schule wieder. Und der Beirat musste noch einige Entscheidungen treffen. Mit Grauen dachte Jane an die Kammer des Schreckens. Noch immer hatte sie keinerlei Anweisungen vom Ministerium bekommen, genauso wenig war ein Auror gekommen, um sich der Sache anzunehmen.
"Ich suche dir etwas aus, ja?" Gabi verschwand, ohne eine Antwort abzuwarten.
Abwesend starrte Jane auf den Teppich. Die Kammer des Schreckens hatte sie über die letzten Tage verdrängt. Doch jetzt rückte sie schmerzhaft wieder in ihre Gedanken. Die Sorge um die Schüler wuchs in einem Schlag. Hoffentlich war über die Weihnachtszeit nichts weiter vorgefallen. Vielleicht wäre es gut, wenn Muggelgeborene vorerst nicht zurückkehrten.
Sofort schalt sie sich. Das war auch keine Lösung! Es würde keinerlei Besserung bringen und genau das wollte doch der Erbe Slytherins erreichen. Sie musste sich im Schulbeirat für einen verstärkten Schutz einsetzen. Auch wenn Lucius Malfoy ein Todesser war - irgendwie musste sie ihn überzeugen.
"Wie findest du das?"
Ohne den Kopf zu heben, nickte Jane. "Ist gut. Ich ziehe es gleich an."
"Du hast ja nicht mal geguckt! Ich könnte auch etwas modisch gesehen Katastrophales ausgesucht haben."
Schwach, immer noch in Gedanken versunken, lachte Jane. "Du doch nicht."
"Ja dann komm jetzt und mach dich fertig! Wir wollen doch, dass du deinen Lover umhaust. Wenn du bis zu Ostern nicht mit ihm auf ein Date gegangen bist, schlag ich dich!", drohte Gabi ihr lachend an.So wirklich wohl fühlte Jane sich nicht. Das Kleid war für ein Meeting unter Muggeln vollkommen angebracht. Schwarz, bis zu den Knien, elegant und hochgeschlossen. Doch unter Zauberern der alten Sorte kam es ihr nach viel zu wenig Stoff und viel zu viel Haut vor. Jetzt war es jedoch sowieso zu spät. Warum nur hatte sie nichts erwidert, sondern einfach Gabis Aufforderung Folge geleistet! Die Kammer setzte ihr mehr zu, als sie erwartet hatte.
Wie vermutet, waren die Anwesenden bis jetzt alle sehr skeptisch. Keiner, natürlich nicht, immerhin war sie eine Sharpe, hatte einen abfälligen Kommentar gemacht, doch ihre Blicke sprachen Bände. Unwohler würde sie sich in ihrer Haut nicht fühlen können.
Die Tür des Saals in Hogwarts schwangen ein letztes Mal auf, als der Vorsitzende herein stolzierte. Die blasierte Miene würde Jane ihm am liebsten aus dem Gesicht schlagen. Lucius Malfoy ließ den Blick abwertend durch den Raum wandern, bis seine Augen an ihr hängenblieben.
Seine Pupillen weiteten sich, als er das kurze, offenherzige Kleid sah, dass den schlanken, weiblichen Körper eng umschlang. Auch wenn er nur ihren Oberkörper erkennen konnte, blieb nicht viel Platz für Vorstellungen, wie erst ihr wohlgeformter Hintern und ihre schlanken Beine in diesem schwarzen Hauch von Nichts aussahen.
Unwillkürlich fragte Lucius sich, welche Dessous sie wohl trug.
Doch sogleich verfinsterte seine Miene sich.
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Sarin
Romance[Lucius Malfoy FF] [ABGESCHLOSSEN!] Der Tagesprophet zerreißt sich über niemanden mehr das Maul als über die Familie Sharpe. Anhänger Grindelwalds, Unterstützer Voldemorts, Reinblüter und Adelstitel. Alles an dieser Familie hebt sie ab von anderen...