Kapitel 18

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Fassungslos hielt Jane den Brief in der Hand. Sie wusste nicht, ob sie weinen, schreien oder lachen sollte. Es war dreist, sicher. Mehr als dreist, wenn man es genau nahm. Sie kannte niemanden sonst, der eine solche Unverschämtheit und Ignoranz gegenüber Regeln des Anstands besaß.
Er, Lucius Malfoy, lud sie ein. Seufzend schüttelte sie ob der Absurdität den Kopf. Es kam ihr wie in einem schlechten Buch vor. Geschmacklos, unrealistisch und vollkommen abstrus. Warum sollte er? Nach ihrer Aktion. Auch wenn sie sich entschuldigt hatte, glaubte sie nicht so recht, dass er darüber hinwegsehen würde.
Sicher, sie fühlte sich geschmeichelt. Und zugleich musste sie leicht lächeln. Dennoch konnte sie nicht das Offensichtliche aus den Augen verlieren. Er war ein Todesser und sie musste ihn verabscheuen. Natürlich, bis jetzt hatte er keinerlei Feindseligkeiten gezeigt, doch sie wartete nur auf den richtigen Moment.
Sie könnte die Einladung annehmen und dann wie ein Muggel gekleidet, mit einem Geschenk aus der Nichtmagischen-Welt erscheinen und ihm von dem neusten Lied von Whitney Houston vorschwärmen. Dann könnte sie es ihm aber auch nicht verübeln, wenn er an die Decke ging.
Jane musste schmunzeln. Er hatte sich wirklich zusammengerissen, war ein richtiger Gentleman gewesen. Sie hatte es von ganzem Herzen genossen. Doch ihr hatte etwas gefehlt, die Prise Spannung, Zank und Streit. Ein zuvorkommender, ja beinah einfühlsamer Lucius war dauerhaft nichts für sie.
Was dachte sie da nur? Dauerhaft! Lächerlich, diese Vorstellung. Abfällig schnaubte Jane und griff nach einer Feder, um ihm eine Absage zu schreiben. Sie lebte zwar gerne in ihrer eigenen Welt, den Realitätsbezug hatte sie dadurch aber noch lange nicht verloren.
Ein Ploppen ließ sie erschrocken zusammenfahren. Ein zierlicher Hauself stand vor ihr. "Lady Sharpe. Professor Dumbledore wünscht, Sie zu sprechen."
Dann würde sie den Brief anschließend schreiben. "In Ordnung. Bringst du mich zu ihm?", fragte sie den wartenden Hauselfen. Dieser nickte lediglich, während er sich einmal tief verbeugte.
Jane streckte die Hand nach der kleinen Gestalt aus. Er griff einen Fingern und apparierte mit einem leisen Ploppen. Kurz drehte sich ihr Kopf, ehe sie die Augen wieder vollständig öffnen konnte. Auch wenn sie es gewohnt war - mittlerweile wieder - wurde ihr noch immer ab und an schlecht. Heute war wohl wieder einer dieser Tage.
Sie sah sich um. Das Büro von Albus war an diesem Tag ganz besonders unaufgeräumt, woraufhin sie leicht schmunzeln musste. Der alte Herr mochte zwar noch so viel in seinem Kopf haben, alleine auf seinem Schreibtisch stand wohl mehr.
"Ah, gut, dass du gleich kommen konntest, Jane. Setz dich doch bitte. Tee?"
Dankend lehnte sie ab. Morgens bereits Tee zu trinken, wäre ihr zu viel. "Ich denke mal, ich soll vom Abend im Ministerium erzählen?"
"Völlig richtig. Nur zuvor eine Frage: Was denkst du über Lucius Malfoy?"
Ertappt sah Jane ihn an. "Was..." Albus zwinkerte leicht. "Na von mir aus. Ich war mit ihm im Essen. Und er war... erstaunlich nett. Keineswegs unhöflich, richtig zuvorkommend. Es... ich kann es noch nicht so richtig einschätzen."
"Noch?", hakte Albus interessiert nach, griff dann nach seiner Tasse und nippte daran.
"Noch... ich weiß nicht. Irgendwie kommt mir alles noch sehr seltsam vor und ich möchte das gerne im Auge behalten", erklärte Jane ihre Gedanken.
"Sei aufmerksam und beschäftige dich viel mit ihm. Lucius Malfoy ist... nun, er ist, was er ist. Das darf man nicht außer Acht lassen. Seine Rolle könnte für die Zukunft entscheidend sein. Aber jetzt zu diesem Abend im Ministerium", ließ Albus ihr kaum eine Sekunde, um über seine Aussage nachzudenken.
"Also... wenn ich es als Desaster beschreibe, wäre das übertrieben. Kennst du eine Tonks? Sie war so ungefähr die einzige angenehme Gesellschaft." Kurz musste Jane bei dem Gedanken an die verrückte Hexe grinsen.
"In der Tat. Ein tolles Mädchen. Und weiter?"
"Fudge hält die Kammer für einen Schülerstreich." Schwer seufzte Albus. Etwas anderes war auch nicht zu erwarten gewesen. "Die anderen Auroren hassen mich wohl oder verachten mich mindestens zutiefst. Mit Scrimgeour habe ich nicht wirklich geredet, er hat mich nur zu Beginn empfangen. Es war ziemlich..."
"... unnötig. Wie zu erwarten gewesen war. Dass die anderen Auroren dir nicht über den Weg trauen, können wir nutzen, Jane."
"Wie?", fragte sie ihn verwirrt.
"Der Minister traut den Auroren nicht. Sie unterstehen Scrimgeour. Auch wenn Fudge offiziell die Macht über sie übernehmen könnte, würde ihm wohl keiner freiwillig folgen. Bei dir ist das eine ganz andere Sache. Als Frauen-Unversteher ist er überzeugt, das sagte mir zumindest ein Kollege, dass er dich kontrollieren kann und du ihm bedingungslos folgst. Frag mich nicht, wie es dazu kommen konnte. Der Minister ist sehr... uneinschätzbar."
"Und das heisst jetzt was genau?"
"Du wirst so weitermachen. Seine Befehle ausführen. Ich bin überzeugt, dass die Situation mit der Kammer noch bei Scrimgeour selbst auf dem Tisch landen wird. Du kannst deine Position im Schulbeirat und den offensichtlichen Einfluss, den du auf Malfoy senior hast, nutzen, um etwas Bewegung in die Sache zu bringen. Natürlich immer mit dem Wohl der Schüler als Ziel. Hier in Hogwarts hat es jetzt oberste Priorität, herauszufinden, wie wir vorgehen können. Der Schutz von Harry ist vorerst hinfällig. Als Halbblut hat er kaum etwas zu befürchten."
Verständnisvoll nickte Jane. "Das heisst Recherche und weiterhin Aurorin sein und die Sitzungen gehen. Das klingt ja machbar." Jane erhob sich. "Danke vielmals, Albus. Ich melde mich, wenn ich neue Erkenntnisse habe oder wenn sonst etwas passiert."
"Genieß den Tag. Es soll heute noch einmal schneien." Albus zwinkerte leicht.
Jane verließ gemächlich das Büro und ging zurück in ihre Wohnräume. Jetzt musste sie erst diesen Brief bewältigen. Sie runzelte für einen Moment die Stirn. Eine Absage war jetzt wohl hinfällig. Eine bessere Methode, an Informationen über Slytherin-Kram zu kommen, als Lucius Malfoy zu fragen, gab es wohl nicht. Dieses Essen würde sie vielleicht entscheidend weiterbringen.

SarinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt