Kapitel 21

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Unfähig, irgendetwas zu sagen, lauschte Jane den Worten Minervas. Eine Schülerin war entführt, eine arme, schutzlose Schülerin! Während ihrer Aufsicht. Niemand wusste, wo sie war, die Kammer war unauffindbar. Es bestand keine Chance... außer, sie ging zu ihrem Großvater.
Er würde ihr nie helfen.
"Professor Lockhart, ich denke, das ist eine Aufgabe genau für Ihr Können."
Das selbstgefällige Lachen ließ Jane für wenigstens einige Sekunden vergessen, was wirklich geschah.
"Selbstverständlich. Ich werde mich der Sache natürlich annehmen. Und ich werde jetzt... gehen, um mich vorzubereiten." Lockhart sprang, auch wenn gerade erst dazugestoßen, auf und verließ fluchtartig den Raum.
Schwer seufzte Minerva. Es war Severus, der das Wort ergriff. "Die Schüler werden morgen Hogwarts verlassen. Minerva, schreibst du bitte den Brief an die Familie von Miss Weasley. Und Filius, Sie schaffen mir ihren Bruder her, den Streber. Die Schüler werden anschließend von ihren Hauslehrern bewacht und alle reinblütigen Zauberer patrouillieren durch die Gänge. Wir dürfen kein Risiko eingehen."
"Aber Miss Weasley ist reinblütig. Warum wurde sie entführt?", stellte Pomona Sprout die Frage, die sich auch Jane schon gestellt hatte.
Severus atmete tief ein und schloss für einen Moment die Augen. "Ich weiß es nicht. Wir können nur hoffen, dass nichts weiteres geschieht."
"Wir sollten beginnen. Ich werde einen Hauself zu Albus schicken. Irgendetwas müssen wir tun können." Minerva nickte, ehe sie aufstand und loseilte.
Auch Jane verließ schnell das Lehrerzimmer, ihre Aufgabe war klar. Zunächst ging sie durch die Korridore im Erdgeschoss, danach ging es aufwärts. Auch wenn es naheliegender war, dass sie in den Kerkern fündig wurde, war ihr klar, Severus war dort besser aufgehoben und er würde es sich sowieso nicht nehmen lassen, aufzupassen.
Natürlich begegnete sie keinem Schüler, doch die fehlende Anwesenheit der Geister fiel ihr weit mehr auf, als sie es erwartet hätte. Gerade Peeves hinterlistiges Gekicher, was sie immer schon verfolgt hatte, begann sie beinahe, zu vermissen.
Der erste Stock war genauso langweilig wie auch das Erdgeschoss. Nichts auffälliges, die Gemälde wussten auch nicht weiter. Selbst alle ihr bekannten Geheimgänge waren ungenutzt und nichts schien ihr auffällig. Die Nacht war schon weit fortgeschritten, Hogwarts war riesig. Trotz schmerzender Füße ging sie weiter.
Auch das zweite Stockwerk wirkte auf Jane unbelebt. Bis zu dem Moment, in dem sie am Mädchenklo vorbeikam. Leises Schluchzen kam von innen und kläglichen Gewinsel. Jane stieß die Tür auf und stürzte hinein. Vielleicht Ginny?
Sie wurde enttäuscht. Es war lediglich die maulende Myrte, die es sich hier auf dem kalten Steinboden bequem gemacht hatte. Gerade wollte Jane schon wieder die Tür schließen, ehe sie bemerkt wurde. Das Waschbecken fiel ihr erst jetzt auf. Es war auseinander gefahren und eröffnete einen Schlucht in die Tiefe. Vorsichtig trat Jane näher und blickte hinab. Es war dunkel, sah nass und kalt aus.
"Sie sind da runter", jammerte der Geist.
"Was? Wer?" Entsetzt fuhr Jane hoch. Noch weitere Schüler?
"Der Professor und der Rotschopf. Und natürlich Harry Potter." Verträumt seufzte sie.
"Wie bitte?" Schrill hallte ihre Stimme wider.
"Sie sind da runter. Nachdem Harry Potter so ganz komisches Zeugs gesprochen hat. So wie eine Schlange."
Dunkel erinnerte sich Jane daran, dass Albus eines Abends von einem seltsamen Ereignis in diesem Duellierclub erzählt hatte. Sie hatte da ihre Zeit mit ihrem Vater verbracht. "Du meinst Parsel?"
"Weiß ich doch nicht! Auf jeden Fall sind sie da runter. Wollen Sie ihnen jetzt helfen oder was?", giftete Myrte.
"Natürlich, natürlich. Bitte, alam-"
"Auf keinen Fall!", fuhr der Geist sie an.
"Aber-"
"Nein, nie und nimmer. Und jetzt schneller."
"Das... ", Jane setzte den Satz gar nicht erst fort, als sie den zickigen Ausdruck Myrtes sah. "Ich gehe ja schon. Wann sind sie runter?"
"Ist schon ne ganze Zeit her. Und lassen Sie lieber den Umhang hier. Dürfte recht", verschwörerisch flüsterte sie, "dreckig sein. Hab ich so gehört."
"Von wem?", hakte Jane prompt nach.
"Oh, von diesem Mädchen. Rothaarig. Die Schwester von diesem Streber. Und jetzt runter da!" Beleidigt schwebte Myrte weg.
In Janes Hirn ratterte es. Es musste sich um Ginny Weasley handeln, anders konnte sie es sich nicht erklären. Doch wie? Wie hatte sie die Kammer finden können? Sie war ratlos. Wie angeraten legte Jane den Umhang ab. Der unglaubliche Zufall hatte sie hergeführt, doch jetzt war keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Sie musste die Schüler vor was auch immer da unten war retten.
Fest griff Jane ihren Zauberstab und trat an den Schlund heran. Sie konnte den Boden nicht sehen. "Lumos", flüsterte sie leise. Die Lichtkugel schwebte langsam hinab und beleuchtete den dunklen Schacht. Nach einigen Metern bog sie in eine scheinbare Biegung ab.
Vorsichtig linste Jane ein letztes Mal hinunter, ehe sie sprang. Noch bevor das unangenehme Gefühl des Sturzes eintreten konnte, hatte sie schon einen Wingardium Leviosa gewirkt. Ihn auf sich selbst zu werfen, war seltsam und zugleich befreiend.
Langsam schwebte sie hinab und den Tunnel entlang. Es war mehr wie eine Rutsche konzipiert, doch dank des Drecks und der vielen Wasserablagerungen war sie froh, zaubern zu können. Verwundert musste Jane feststellen, dass sie keinerlei Spinnweben sah.
Nicht viele Meter weiter sah sie bereits das Ende des Tunnels und sie beschleunigte ihren Flug ein kleines Stück. Ihr Lumos schwebte bereit in der Luft und unter ihm sank sie zu Boden. Aufmerksam, den Zauberstab gezückt, sah Jane sich um. Nichts geschah. Vorsichtig ging sie vorwärts, jederzeit bereit, einen Zauber abzufeuern.
"Huh, ich seh da was!", rief plötzlich eine bekannte Stimme. Jane war zusammengezuckt, beeilte jetzt jedoch, sich zu Lockhart zu bewegen.
Nach einer kleinen Kurve erkannte sie den Blondschopf zusammen mit dem Weasley-Jungen auf dem Boden sitzen. Letzterer hatte seinen kaputten Zauberstab auf den scheinbar verwirrten Lehrer gerichtet.
"Was ist hier los?" In diesem Moment fiel Jane die Berg an - ja, an was? An Haut? - auf.
"Harry ist in die Kammer. Und Lockhart ist ein Betrüger und hat sich selbst mit dem Obliviate getroffen. Er kann eigentlich nichts. Und meine Schwester ist da drin. Zusammen mit Harry. Und da ist ein Basilisk. Gerade waren da noch Kampfgeräusche, aber jetzt ist es ruhig. Und ich kann das hier nicht aufsprengen." Der Rothaarige deutete auf eine Steinwand hinter sich.
Ein Basilisk.
War sie überrascht? Nicht wirklich.
Salazar Slytherin war selbst im Herzen eine Schlange.
Jetzt musste sie handeln.
"Geht in Deckung." Weasley nahm den Professor und schob ihn hinter einen Teil der Basilisken-Haut.
Laut rief sie, gleichzeitig ein Schutzschild beschwörend: "Bombarda!" Mit lautem Dröhnen stürzte der Steinwall ein. Der dahinterliegende Gang endete nicht viel weiter an einer großen Steintür. Bereits aus der Ferne konnte Jane schon ein Leuchten erkennen.
"Wollen wir mal zusammen essen gehen?"
Ohne zurückzusehen, schleuderte sie einen Petrificus Totalus auf Lockhart. Nach einigen Sekunden erklang ein dumpfes Klatschen als er umfiel. "Sie bleiben hier, Mister Weasley", sprach sie mit fester Stimme.
All ihre Sinne waren geschärft, als sie vorging und die Kammer betrat. Eindrücklich war sie, ja. Eindrücklich, mit den Schlangenköpfen, den Wasserbecken, der Statue eines Mannes. Unschwer erkannte sie, um wen es sich dabei handeln musste. Salazar Slytherin. Und der riesige Leib eines uralten Basilisks. Tot. Erschlagen, blutüberströmt, ausgestochenen Augen.
Zu Füßen der Statue sah sie zwei kleine Gestalten, ein oranges Leuchten. Immer schneller eilte sie vorwärts, stürzte förmlich auf die beiden Schüler zu. Es war Harry Potter, der als erstes aufblickte.
"Sie lebt! Sie lebt!" Er drückte den kleinen Körper der Schülerin enger an sich.
Jane kniete sich in das seichte Wasser und ließ vorsichtig einen Zauber über den Körper der Schülerin wandern. Sie war wohlauf. Erleichtert seufzte Jane. Lautes Flügelschlagen erklang über ihr. Sie hob den Kopf. Ein leises Lachen schlich sich über ihre Lippen.
"Fawkes. Danke. Albus ist schon zurück, nicht?" Aus weisen Augen sah der Phönix sie an, ehe er wegflog.
"Kommt, wir müssen euch - was ist das?" Ihre Augen waren auf ein zerfleddertes Buch gefallen, schwarz, vollgelaufen mit Wasser und Tinte. Ein langer Zahn eines Basilisken war durch es gebohrt.
"Es war Voldemort. Es war -" Plötzlich verdrehte Harry Potter die Augen und kippte seitwärts um. Erschreckt griff sie nach ihm und stützte seinen Kopf. Auch der Zauber ergab bei ihm keine nennenswerte Ergebnisse. Wenn man die Erschöpfung und die absolute Überforderung ignorierte. Er würde schwer daran zu tragen haben.
Langsam stand Jane auf, ihre Knochen knacksten vom Knien. Leise murmelte sie: "Wingardium Leviosa." Die beiden ohnmächtigen Kinder und das rätselhafte Buch erhoben sich in die Luft. Voldemort also. Sie war schockiert, sicher. Doch überrascht? Nicht wirklich. Wenn sie sich an das Gespräch mit Albus zurück erinnerte, war die Antwort offensichtlich. Er konnte es nicht nicht gewusst haben!
Jane ging langsam aus der Kammer heraus, mit einzig und allein Gedankenkraft die Körper und das Buch hinter sich schweben lassend. Ein solches schwarzmagisches Artefakt wollte sie lieber gar nicht berühren, vor allem mit dem Basiliskenzahn und dessen Gift.
Im Gang stürzte ihr bereits der ältere Weasley entgegen. Als er die leblosen Körper jedoch sah, stolperte er rückwärts. Beruhigend erklärte Jane: "Es geht ihnen beiden gut, den Umständen entsprechend. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Komm. Lockhart liegt...?"
"Da hinten. Er war ganz ruhig." So wirklich überzeugt schien er nicht.
Jane musste dieses Mal ihren Zauberstab deutlich fester packen, um den weiteren Körper zum Schweben zu bringen. Wild huschten die Augen des Zauberers hin und her, als er sich plötzlich in die Luft bewegte.
"Wir machen jetzt einen kleinen Flug. Ich hoffe, dass ist ok für dich?"
"Ja, sicher. Das ist echt... cool", brachte Weasley fasziniert hervor.
"Das ist es. Erfordert leider auch sehr viel Übung. Also würde ich mal sagen, dein Ziel, oder?"
"Ich wär auch gerne Auror!", rief er aus.
"Wenn du dich gut anstrengst, wird das was", zwinkerte sie. "Und jetzt, festhalten." Sie reichte ihm die Hand. In dem Moment, in dem er sie ergriffen hatte, weitete sie den Spruch aus. Wie eine Rakete schossen sie in die Luft und aus dem finsteren Schacht heraus.
Laut, ob vor Freude oder vor Furcht, wusste Jane nicht, kreischte der Weasley-Bursche.
Bereits nach wenigen Sekunden bremsten sie erneut und Jane ließ sie vorsichtig vom Tunnel wegschweben und auf den Boden sinken. Aus irgendeiner Ecke kam die maulende Myrte gestürzt und warf sich heulend um den leblosen Körper Potters.
"Sie ist eben in ihn verknallt", erklärte der Rotschopf grinsend. "He, Myrthe! Er lebt noch. Du kannst aufhören mit Heulen."
Mit einem lauten, empörten Aufschrei löste sie sich von dem Körper und stürzte in eine Klokabine. Laut platschte es, als sie in die Rohre eintauchte. Wie dreckig es dort wohl sein musste? Jane wollte es sich gar nicht vorstellen.
"Gut, erst mal, wie heisst du?"
"Weasley. Ron Weasley", stellte er sich wie James Bond vor.
"Freut mich, Ron. Ich bin Jane. Wir gehen jetzt in den Krankenflügel und Madam Pomfrey wird sich um die drei Patienten kümmern. Du bleibst dort solange, bis ich mit Professor McGonagall, Professor Snape und natürlich dem Schulleiter zurückkomme, in Ordnung? Und erst einmal solltest du nichts erzählen." Nur bei der Vorstellung an das geschwätzige Gemälde im Büro der Krankenschwester wurde Jane anders. Lieber sollte Albus zunächst erfahren, was geschehen war.
Gemeinsam gingen sie durch die Schule. Langsam erschien das Licht am Horizont. Es war eine lange, anstrengende Nacht gewesen. Niemals hätte Jane erwartet, so den neuen Morgen zu erleben. Sie war dankbar. Dass es allen gut ging. Dass die Kammer gefunden und das Biest vernichtet worden war. Zugleich sah sie der Zukunft mit Schrecken entgegen. Voldemort, ein zweites Mal bereits. Viel zu nah war er schon an Harry Potter herangekommen.
Traurig sah Jane auf den Körper des Jungens, der überlebt hatte. Es würden schwere Zeiten auf ihn zukommen. Etwas regte sich da, wachte auf. Wenn erst einmal einer begann, würde der Rest folgen. Die Todesser würden wieder ihre Aktivitäten aufnehmen.
Unwillkürlich musste sie an Lucius Malfoy denken. Sie musste das, was auch immer es war, beenden. Diese Freundschaft. War es das? Nicht wirklich. Sie verabscheute ihn. Und dennoch konnte sie sich seiner unheimlichen Präsenz, seiner Aufmerksamkeit kaum entziehen. Sie lechzte förmlich nach letzterer. Irgendetwas musste geschehen.
Der neue Tag brachte viele Fragen mit sich. Und zum Glück war Gilderoy Lockhart nun endgültig ausgeschaltet. Ein Grinsen schlich sich auf Janes Züge. Eine elegantere Lösung für diesen Mann hätte es kaum gegeben.

SarinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt