Der Schnee-Spaziergang

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Bereits als die kalte Februarluft mir ins Gesicht schlug, wäre ich am liebsten wieder zurück gegangen. Noch immer wehten die glitzernden Flocken vom Himmel und schneiten die Straßen und den Bürgersteig zu. Ich hasste sowas. Ich tat es wirklich. "Siehst du, sowas ist doch schön", behauptet Harry, der sich umdrehte und Rückwärts weiterging. "Nein, es ist kalt und außerdem ist es dunkel", erklärte ich ihm. Er schüttelte den Kopf, weswegen seine Locken ein wenig durch die Gegend flogen. "Du siehst einfach das schöne daran nicht, Louis", teilte er mir mit und drehte sich wieder um.

Natürlich tat ich das nicht. Ich bekam die schrecklichen Dinge des Winters öfter zu spüren als die schönen. Weiße Weihnachten waren zur Seltenheit geworden, weswegen eine schöne Sache schonmal weg fiel. Alles andere sah ich nicht. Wann sollte ich schon den Schnee bewundern, wenn die Sonne darauf schien, wenn ich auf der Arbeit saß. Kälte beziehungsweise Schnee bedeutete glitschige Böden, viel zu überfüllte Garderobe und ständig war der Kaffee leer oder es gab keine Teebeutel mehr. Konnte mir jemand eine gute Sache daran sagen? Außerdem packte dieses ganze Usselwetter die Stadt in die grauesten Grautöne - als reichte es nicht, wenn es den ganzen Herbst schüttete.

"Hast du noch nie bei Vollmond über eine frisch beschneite Wiese geschaut?", wollte Harry von mir wissen.

Ich war überrascht, dass er plötzlich so entspannt klang. Als wäre die ganze Nervosität von ihm gefallen, aber ich wusste, dass man ihn mit dem in oder anderen Wort ganz schnell wieder stottern lassen konnte. Doch ich war froh, dass er genau das nicht tat.

"Finde ich persönlich nicht sonderlich spannend", erklärte ich ihm und versteckte meine Hände in meiner Jackentasche. Ich hatte schon wieder eiskalte Finger, was meine Laune langsam sinken ließ - wie die kleinen Schneefloken, die mir ständig irgendwo im Gesicht landeten. "Du bist zwei Jahre älter als ich und klingst schon wie ein Erwachsene", teilte Harry mir mit, nachdem er geseufzt hatte," also.. äh.. das ist.. uhm.. nicht böse gemeint." "Schon okay, bekomme ich oft zu hören", antwortete ich und dies war vielleicht eine der ersten Lügen, die ich in dieser Zeit erzählte.

Mal abgesehen davon, dass eigentlich meine ganze Existenz in dieser Stadt eine Lüge war.

Harry ging langsamer, so dass wir nebeneinander hergehen konnten.

"Ich habe vier Schwestern, die jünger sind als ich, da übernimmt man ab einem gewissen Punkt die Vater Figur", erklärte ich und Harry nickte einfach. "Meine Schwester ist älter als ich, aber ich verstehe was du meinst", erwiderte Harry und klang wieder unsicher," weißt du... meine Eltern haben sich vor sechs Jahren getrennt... das war.. das war nicht immer leicht. Ich kann gar nicht zählen wie oft zu mir gesagt wurde, dass ich schräg bin, weil mir einfach die Vaterfigur fehlte." "Sowas ist doch Schwachsinn", meinte ich und erinnerte mich an meine Schulzeit, die auch schon so lange in der Vergangenheit lag.

Eigentlich bedeuteten mir diese Erinnerungen nichts, aber ich konnte Harry verstehen, denn es war bei mir nichts anderes. Menschen schauten einfach immer dumm aus der Wäsche, wenn nicht alles normal und perfekt lief. Sowas war eigentlich traurig, denn nur weil es keine Bilderbuch Familie war hieß es nicht, dass es schlecht war.

"Ich weiß, aber.. aber mich beschäftigt sowas", erwiderte er leise. "Was kümmert dich die Meinung anderer?", fragte ich und sah kurz zu ihm. Durch die Straßenlampe erkannte ich seine Gesichtszüge. "Sowas kann man nicht einfach abschalten, Louis", meinte er unsicher," sowas... sowas.. ist... uhm.. nichts was wie das Licht durch einen Schalter an und aus geschaltet werden kann."

"Glaub es mir oder nicht, aber ich war auch mal so", sagte ich," ich hab auf die Meinung anderer geachtet, ich habe überlegt was sie denken, was sie von mir halten, aber sowas ist Quatsch. Mach einfach das was du für richtig hälst, hätte ich es nicht getan, dann wäre ich nie nach London gezogen."

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