|9| Blinder Anfang (4/5)

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- Sicht Jacky -

Gleich am nächsten Tag kam Paula zu mir nach Hause, um mir zu helfen. Sie war wirklich nett und ich war ihr so dankbar dafür, bis sie auf ein Thema zu sprechen kam, welches ich verdrängt hatte.

"Möchtest du denn wieder in den Rettungsdienst, ich kann gerne meinen Chef fragen", überfiel sie mich.
Ich stand auf und setzte mich auf das nun bereits aufgebaute grau Sofa.
"Ich glaub ich kann das nicht mehr."
Paula setzte sich neben mich.
"Hey, es ist okay, soll ich dir helfen einen Job zu suchen?", fragte sie und schaute mich aufmunternd an.
"Aber ich habe doch absolut garkeine Ahnung was ich machen möchte, Sanitäterin war mein Traumjob"
"Bis letztens", schob ich hinterher.
Verzweifelt stützte ich meinen Kopf in meine Hände. Ich wusste nicht, was ich beruflich machen wollte, dabei brauchte ich doch so dringend das Geld.

"Ich habe eine Idee, hol mal deinen Laptop.
Verwirrt schaute ich sie an, folgte jedoch ihrer Anweisung.
"So, jetzt gibst du Berufsberatung bei google ein."
"Ich hab aber kein Internet."
"Och Scheiße, dann machen wir jetzt hier fertig und danach kommst du zu uns."
"Uns?"
"Ich wohne in einer WG, du kommst gleich mit zu uns okay? Wir haben Internet und können uns das mal angucken, okay?"
"Mmh, mir bleibt nichts anderes übrig oder?"
"Definitiv nicht."
"Okay", meinte ich und stand wieder auf, um weiter aufzuräumen.
Nach zwei Stunden waren wir endlich fertig. Irgendwie hoffte ich, dass Paula mich nun vergessen würde und einfach gehen würde. Die Notärztin zog sich ihre Jacke an, bevor sie mich abwartend anblickte.
"Kommst du?"

"Ich gehe nur nochmal schnell auf Toilette", rief ich, bevor ich im Bad verschwand. Eigentlich wollte ich mich nur noch einmal sammeln und noch eine Schmerztablette nehmen. Aber eigentlich fand ich keine mehr, was dazu führte das ich leicht panisch wurde, da sich meine Schmerzen wieder verschlimmerten. Hektisch suchte ich in den Schubladen und Schränken. Nach einigen Minuten gab ich es auf. Ich schaute mich im Spiegel an. Eine blonde Strähne hing mir verschwitzt im Gesicht und meine Lippen hatten eine leichte blau Färbung. Meine Panik hatte meinen Puls zum Rasen gebracht. Flach atmete ich den Sauerstoff ein. Ich schloss meine Augen. Ich musste mich unbedingt beruhigen. Nach mehreren Minuten bestätigte ich die Spülung und verließ das Bad.

"Ich bin da", rief ich, bevor ich mir meine Jacke geschnappt hatte.
Die Notärztin bat mich in ihr Auto einzusteigen und wir fuhren zu ihr in die WG. Knapp eine viertel Stunde später befanden wir uns vor einem sehr großen Anwesen, inklusive Pool. Staunend blickte ich mich um. Vor der Tür war ein Parkplatz, bestehend aus sechs Parkplätzen, die alle bis auf einen belegt waren. Auf einem, an dem Paulas Nummernschild und auch ihr Name stand, hatte die Notärztin ihr Auto geparkt. Sie stieg bereits aus, doch ich war noch zu beeindruckt von der Größe der WG.
"Kommst du?", lachte Paula, welche schon am Eingang stand.
Ich stieg aus, meine Hand schützend auf meinen Rippen.
"Geht's?", wurde ich direkt gefragt, worauf ich einfach nur nickte. Ich ging hinter dee Notärztin in das Haus hinein. Es war alles ziemlich modern eingerichtet und ziemlich ordentlich, was ich ehrlich gesagt nicht erwartet hätte bei einer WG.

"Amelia, Tabea, Lotte, Matthie, Hannah, ist irgendwer da?", schrie Paula laut und schaute fragend in Richtung der Treppen die sich gleich einige Meter neben dem Flur befanden. Wir beide warteten, bis wir Schritte hörten.
Drei Frauen kamen die Treppe herrunter gelaufen.
"Hast du essen?", fragte eine Frau mit blonden, braunen schulterlangen Haaren.
"Nein, aber ich habe eine Freundin mitgebracht", erklärte Paula.
"Ah, hallo, ich bin Charlotte, auch eine Ärztin und wohne mit denen Allen zusammen", stellte sie sich vor und reichte mir ihre Hand. Ihre blauen Augen strahlen mich freundlich an.
"Ich bin Jacqueline, aber Jacky reicht auch."
"Hey Jacky, ich bin Amelia", stellte sich kurz danach eine junge Frau mit hellblonden Haaren vor, ich schätzte sie auf Anfang oder Mitte 20. Auch ihr schüttelte ich die Hand. Jetzt blieb nur noch eine übrig. Wie eine Hannah sah sie nicht aus und irgendwie passte Matthie auch nicht.
"Mein Name ist Tabea", unterbrach sie mich in meinen Gedanken, bevor sie mich freundlich anlächelte.
"Paula, wo sind unsere Polizistinnen?", wandte sich Tabea an die Notärztin.
"Keine Ahnung, aber ihre Autos stehen draußen."
Sie zuckte mit den Schultern.
"Ich gehe mal schauen", meldete sich Amelia zu Wort und flitzte die Treppe hoch.
"Möchtest du was trinken?", kam es von Charlotte, währenddessen sie mich quasi bereits in die Küche schob.
"Nein, alles gut."
"Ich mach Essen, gibt es irgendwelche Wünsche, Vorschläge oder so?", rief eine Stimme aus dem Flur.
"Pizza!", schrie Charlotte plötzlich neben mir auf, weshalb ich stark zusammenzuckte.
Tabea kam herrein.
"Erschreck doch die Leute nicht so", lachte sie und holte eine Schlüssel raus.
"Jacky? Kommst du mal?."
Verwirrt drehte ich mich um.
"Hier bin ich", lachte Paula vom Treppenansatz aus.
"Oh", murmelte ich.

Ich folgte der Notärztin die Treppe hinauf, wo sie mich in vermutlich ihr Zimmer führte. Es war ziemlich groß und noch einmal durch eine dünne Trennwand in Schlafzimmer und Arbeitszimmer unterteilt. Paula lief zu ihrem Schreibtisch, um ihren Laptop hochzufahren. Nach wenigen Minuten sah ich sie etwas aufschreiben. Sie kam auf mich zu und drückte mir einen Zettel in die Hand.
"Da gehst du morgen mal hin, okay? Die helfen dir einen Job zu suchen der zu dir passt."
Perplex nickte ich und öffnete den Zettel. Berufsberatung stand dort drauf inklusive Adresse und Telefonnummer.
"Danke", murmelte ich vor mich hin. Ich war immernoch etwas verwundert über die Hilfsbereitschaft die mir von ihr entgegen gebracht wurde. Wir gingen wieder runter auf dem Weg trafen wir eine mir unbekannte Frau.
"Hey Matthie, wo warst du denn eben", fragte Paula neugierig. Matthie drehte sich um, erblickte mich und kam auf uns zu.
"Ich hatte keine Zeit, ich musste telefonieren. Übrigens ich bin Mathilda", meinte sie.
"Ich bin Jacky", stellte auch ich mich vor.
"Hast du Hannah gesehen?", fragte die Notärztin weiter.
"Keine Ahnung, sie kommt seit gestern nicht mehr aus ihrem Zimmer raus, aber Amelia ist gerade bei ihr", erklärte sie.
"Okay."

Nun zu dritt begaben wir uns auf den Weg nach unten. Wir gingen gemeinsam in die Küche wo sich bereits ein leckerer Duft von Pizza ausbreitete. Ich sah Charlotte wie sie im Schneidersitz vor dem Ofen saß und gespannt wartete. Tabea musste meinen Blick bemerkt haben, denn sie meinte zu mir: "Keine Sorge, dass ist ziemlich normal bei ihr."
Es ertönte ein Piepsen. Ich erlitt wieder einen halben Herzinfakt, währenddessen Charlotte nur aufgeregt auf die Beine sprang.
"Wenn das so weiter geht brauch ich bald einen Herzschrittmacher", nuschelte ich leise.
Ich half den anderen den Tisch zu decken. Kurz drehte ich mich um und auf einmal standen noch weitere zwei Personen im Raum. Es war so unfassbar ungewohnt mit mehreren Leuten in einem Haushalt, wobei die Hälfte noch nicht einmal kennt.

Die Personen entpuppten sich als Amelia und Hannah. Zuerst schaute ich Hannah etwas abschätzig an, da unsere erste Begegnung nicht gerade schön war. Doch als ich ihre verquollenen, vom Weinen roten Augen schaute wurden meine Gesichtszüge weich. Ohne zu zögern stand ich auf um sie zu umarmen. Es war mir egal, dass alle anderen schauten, ich wollte nur, dass sie sich besser fühlte.
"Es wird besser werden okay?", meinte ich leise.
Hannah stand einfach perplex dort, unfähig etwas zu tun oder zu sagen. Nach einigen Minuten bildete sich jedoch ein leichtes Lächeln auf ihren Lippen.
"Danke", flüsterte sie, es war beinahe ein Hauchen.
Die anderen beobachteten das Geschehen nur leise.

"Mir geht es gut, dass essen wird noch kalt", sagte Hannah dann. Das leichte Lächeln zierte immernoch ihre Lippen. Auch ich musste nun Lächeln. Es machte mich glücklich ihr einfach nur etwas geholfen zu haben mit einer einfacher Umarmung.

Zusammen aßen wir. Ich fühlte mich immer wohler bei allen. Obwohl ich sie kaum kannte, gaben sie mir alle das Gefühl willkommen zu sein. Nach dem Essen verabschiedete ich mich wieder und wollte nach Hause laufen, doch ich wurde aufgehalten. Hannah hielt mich zurück, bevor sie meinte: "Komm, ich fahr dich, du solltest doch eigentlich noch im Krankenhaus liegen oder?"
"Nein, ich durfte gehen."
Die Polizistin schaute mich misstrauisch an.
"Wie dem auch sei, ich werde dich jetzt nach Hause fahren, weil du erstens nicht den Weg alleine gehen sollst, weil es gleich dunkel wird und zweitens weißt du doch garnicht wo du her musst."
Ergeben stimmte ich dem zu. Wenig später saß ich bei Hannah im Auto. Sie fuhr mich nach Hause. Dort legte ich mich komplett fertig von den ganzen neuen Eindrücken in mein Bett und schlief schnell ein.

Am nächsten Tag wachte ich früh auf, duschte mich und zog mir was ordentliches an. Nachdem ich auch etwas gefrühstückt hatte begab ich mich auf dem Weg zur Beratungsstelle.
Angekommen wurde ich direkt von einer jungen Frau begrüßt, die mich fragte warum ich hier sein. Ich schilderte ihr mein Anliegen. Sie gab mir ein Papierbogen den ich auffüllen sollte um meine Stärke festzustellen. Danach suchte ich gemeinsam mit der Mitarbeiterin einen Job, der zu mir passen könnte. Es dauerte eine Zeit lang bis wir zu einem Ergebnis kamen und das Ergebnis verwunderte nicht nur mich.

If we don't safe them, who will?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt