• Lieben Tut Weh •

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Die nächste Woche verging dann relativ schnell und der Umzug am Samstag kam immer näher. Ich hatte bereits das meiste von meinen Sachen in Kartons verstaut. Gerade hielt ich ein Bild von mir, Oma und Opa in der Hand. Ich stand in der Mitte und links und rechts von mir die beiden. Sie hatten beide einen Arm um mich gelegt und zu dritt lächelten wir glücklich in die Kamera. Dieses Bild hatte meine Tante vorletztes Jahr von uns an Weihnachten geschossen. Sanft strich ich mit meinem Zeigefinger über Opa und lächelte traurig. Ich hatte so tierische Angst, dass der Krebs schlimmer wird. Bis jetzt waren sie der Meinung ich wüsste noch nichts davon, aber während sie mir ins Gesicht lächelten und so taten als wäre nichts, erstickte ich fast an meinen Sorgen. Dylan meinte ich solle sie doch deswegen ansprechen, aber ich wusste nicht wie ich dies anstellen sollte.

„Hey Opa ich habe in deinen Unterlagen herum geschnüffelt und einer deiner Briefe ohne deiner Erlaubnis gelesen und weiß, dass du Krebs hast."

So wohl eher nicht. Ich seufzte und legte das Bild vorsichtig in den nun vollen Karton rein. Als es an meiner Zimmertür klopfte, hob ich meinen Kopf und schloss den Karton während ich „Herein!" sagte.

Als meine Oma ihren Kopf durch den Türspalt steckte, lächelte ich sie an. „Was gibts? Ist das Essen etwa schon fertig?", fragte ich verwundert. „Nein Liebes, aber da wäre jemand an der Tür für dich unten", lächelte sie sanft. Sofort dachte ich an Dylan und hoffte insgeheim er wäre es - aber grundlos würde dieser hier wahrscheinlich nicht auftauchen, also schob ich meine Hoffnungen beiseite und stand auf. Dicht gefolgt von Oma stieg ich die Treppen unseres Hauses runter und musste leicht verwirrt feststellen, dass Tracy dort im Türrahmen stand. „Was willst du denn hier?", fragte ich ein wenig abweisend. Ich hatte Tracy seit dem Grill Abend gemieden und sie hatte es anscheinend auch nicht gestört, dass ich dies tat. Verlegen strich sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Sie muss sie sich gefärbt haben, da sie nun nicht mehr braun sonder dunkelrot waren und zu einem langen Bob geschnitten. Sie sah damit irgendwie wie ein anderer Mensch aus, aber ich konnte nicht verleugnen, dass es ihr stand.

„Ich..", fing sie an und es schien so, als würde sie nach den Richtigen Worten suchen. Ich zog skeptisch eine Augenbraue hoch und musterte sie. „Du?", harkte ich nach.

„Ich..ähm..wollte mich entschuldigen", nuschelte sie dann leise. „Du willst was? Sorry, ich hab dich nicht ganz verstanden", erwiderte ich auffordernd, obwohl ich eigentlich jedes einzelne Wort verstanden hatte. Sie räusperte sich und stellte sich gerader hin. „Ich wollte mich entschuldigen, ich habe ziemliche scheiße gebaut und.. naja im Nachhinein bereue ich es jetzt richtig", sagte sie nun mit mehr Stimme, aber irgendwie verstand ich gerade nur Bahnhof. „Hä?", meinte ich also lahm und verschränkte meine Arme vor der Brust. „Dir wurde doch bestimmt von dieser Party erzählt die Mittwochs war.. Naja,.. ich hatte ziemlich viel getrunken und Dylan war auch nicht mehr so ganz nüchtern..", stammelte sie. Mein Herz fing aus einem unerklärlichen Grund an, schneller zu schlagen und ich schluckte leicht. „Dann war es ja anscheinend spaßig", brachte ich heraus und presste meine Lippen aufeinander. Mein Hals fühlte sich auf einmal so trocken an. „Wir hatten Sex.. und ich.. es tut mir so leid, ich weiß ihr seid nicht zusammen, aber du stehst ja auf ihn und ich.. ich bin deine Freundin und habe den größten Fehler meines Lebens gemacht. Es tut mir wirklich leid..", das letzte brachte sie nur noch leise heraus.

Mir blieb die Luft weg. Ich hatte meine Arme langsam wieder gesenkt, als Tracy mir das erzählte und stand nun wie eingefroren da. Es fühlte sich so an, als wäre jegliche Farbe aus meinem Gesicht verschwunden.

„D-Du warst meine Freundin..", sammelte ich die einzigen Worte zusammen, die ich gerade herausbrachte. Mir war schlecht. „Lily-", wollte sie anfangen, aber ich unterbrach sie. „Nichts Lily. Weißt du was Tracy? Fick dich. Fick dich und lass mich einfach nur in Ruhe. Ich will am besten nie wieder auch nur ein Wort mit dir reden. Du nennst sowas Freundin? Ich nenne dich eine Schlampe, du bist so ekelhaft, echt, ich könnte kotzen. Und jetzt verpiss dich und komm nie wieder zu mir, rede nie wieder mit mir und hab ruhig weiter Spaß mit Dylan - der ist nämlich kein Stück besser als du", zischte ich weinend. Schnell wischte ich mir eine Träne weg und schlug die Tür, bevor sie erwidern konnte, vor ihrer Nase zu.

Ohne ein weiteres Wort an meine Oma, die mich gerade besorgt gefragt hatte, ob ich reden möchte, ging ich schnell nach oben in mein Zimmer, stieß die Tür ins Schloss und sperrte mit Herzrasen zu. Nun weinte ich richtig. Wieso? Wieso musste ich auch so dumm sein und Dylan vertrauen? Ich kannte ihn doch, er war schon immer so gewesen. Jetzt wusste ich auch, warum er sich die Woche kaum gemeldet hatte, wahrscheinlich hatte er sich noch mit mehr Mädchen vergnügt. Ich hasste ihn. Ich hasste ihn so sehr. Schluchzend nahm ich mein Handy und löschte zitternd seine Nummer.

Es wunderte mich nicht, dass Tracy gleich zu mir kam und es mir erzählte. Nur tat sie es sicher nicht aus Mitleid oder wegen einem schlechten Gewissen, sie tat es, weil sie genau wusste, dass sie mir damit eins reinwürgte und ich mich nun von Dylan fern halten würde.

Ich ließ mich mit dem Rücken an der Tür nach unten rutschten, bis ich auf dem Boden saß. Ich schloss erschöpft meine Augen und versuchte meine Atmung unter Kontrolle zu bringen und nicht weiter zu weinen, nur leider war dies schwerer als gedacht, da mir so alle Momente und Bilder mit Dylan in den Kopf schossen. Sofort öffnete ich wieder meine Augen und starrte die gegenüberliegende Wand an. Da lief einmal in meinem Leben etwas perfekt und schon stürzte alles auf einmal ein. Bis zur Schule dauerte es noch eine Woche, erst da war ich gezwungen Dylan wieder zu sehen. Mein Herz schmerzte so wie noch nie. Mit glasigen Augen sah ich in meinem Zimmer umher. Ich fixierte die vollen Kartons, die leeren Wände und Schränke und musste feststellen, dass ich Dylan gar nicht erzählt habe, wo wir hinziehen werden. Ich wusste zwar, dass ein Umzug bevorstand, aber nicht, wo ich dann wohnen würde. Hatte ihn vermutlich auch nie interessiert.

Wieder einmal zeigt mir das Leben, dass es falsch ist, Menschen in so einer Kürze Vertrauen zu schenken und sie in dein Herz zu lassen, denn am Ende fliegt man immer auf die Fresse und am Ende ist es auch letztendlich dein Herz, dass zertrümmert in einer Ecke liegt und nie wieder dem Glauben ist, jemals lieben zu können. „Lily? Mach doch bitte die Tür auf. Ich und dein Opa machen uns sorgen", bat mich meine Oma sanft und klopfte leise an die Tür. Ich presste für einen kurzen Moment meine Augen zu, atmete tief ein und aus und rutschte letztendlich von der Tür weg. Ich richtete mich etwas auf, damit ich sie aufsperren konnte, ließ mich aber kurz danach wieder kaputt auf dem Boden plumpsen. Mein Oma kam langsam ins Zimmer und schloss die Tür wieder hinter sich. Besorgt sah sie mich an und setzte sich neben mir aufs Bett, da ich nun mit dem Rücken an dieses gelehnt war.

„Ach Liebes, er war nicht der Richtige wenn er nicht schätzt was er an dir hat", hörte ich die sanfte Stimme meiner Oma sprechen. Sie hatte also alles gehört. Ich schluchzte leise, zog meine Beine nah an meinen Körper ran und drückte mein Gesicht gegen meine Knie. „Es war alles so perfekt..", brachte ich leise heraus. „Das ist es jetzt auch immer noch. Du brauchst so jemanden nicht in deinem Leben, du hast deine Freunde und mich und deinen Opa", sie streichelte mir sanft über den Kopf. „Ich liebe ihn..", sprach ich es nun aus. Ich hatte mich in das größte Arschloch der Welt verliebt. „Und du wirst dich noch öfter verlieben Schatz, dass vergeht wieder.. Glaub mir, ich habe auch schon so einigen Liebeskummer hinter mir und es war nie schön aber wie gesagt, es vergeht und wird wieder besser"

Meine Oma wusste einfach, was sie in dem Moment am besten sagen hätte sollen und traf die richtigen Worte. Ich atmete wieder tief durch und hob langsam meinen Kopf, wobei ich mir die Tränen weg wischte. „Danke Oma..", sagte ich leise. „Nicht dafür und jetzt komm mit runter und lass dich von mir und Opa ein bisschen ablenken.. Außerdem musst du auch Opa ablenken, der wollte nämlich schon mit seinem Gewehr zu diesem Jungen fahren", schmunzelte sie. Ich lachte leise traurig und schüttelte über meinen Opa den Kopf. „Aber du hast ihn aufhalten können?", fragte ich nach. „Natürlich", lächelte sie und küsste sanft meine Stirn als wir standen.

Ab dieser Sekunde bereute ich alles. Ich bereute, dass ich ihm vertraut hatte. Ich bereute, dass ich ihn geküsst hatte. Ich bereute aber am meisten, dass ich mich in ihn verliebt hatte.

AbschlussfahrtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt