Kapitel 19

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Regulus

Der Bahnsteig in Hogsmeade ist, wenn man ihn mit dem in Kings Cross vergleicht, ziemlich leer. Nur einzelne Leute kann man vom Zugfenster aus beobachten, wie zum Beispiel Filch, der grimmig dreinblickend ein paar Krähen, die noch nicht vorm aufkommenden Winter geflohen sind, anstarrt, oder eine ältere Dame, die wohl nichts besseres zu tun hat, als die Schülerinnen und Schüler von Hogwarts mit ihrem ruhigen Lächeln in die Weihnachtsferien zu verabschieden.

Weihnachtsferien sind ein kritisches Thema. Ich meine, an diesem Punkt ist so ziemlich alles in meinem Leben ein kritisches Thema, aber die Weihnachtsferien sind es schon immer gewesen und werden es wohl immer sein.

Das Haus wimmelt nur so von Verwandten, von alten Leuten mit starrem Gesicht, und sogar die nicht-alten unter ihnen sehen alt aus, so alt, dass man sich unter ihren urteilenden Blicken auch gleich hundert Jahre älter fühlt. Die Beschreibung ‚kalt' trifft dann nicht nur auf die Außenwelt zu, sondern auch auf den Grimmauldplatz. Als würden sie sich alles, was ihnen gefällt, von draußen nach drinnen ins Haus stehlen, wie die Eiseskälte des Winters, und alles andere aussperren. Bunte Girlanden und wärmende Kaminfeuer, nicht-schmelzende Eiszapfen und singende Ritterrüstungen, all die Dinge, die Weihnachten in Hogwarts zu dem machen, was es ist, ein Fest der Freude, auf das alle Kinder das gesamte Jahr lang hinfiebern, seitdem sie denken können, verstoßen gegen eines der etlichen ungeschriebenen Gesetze, die man einzuhalten hat, sobald man auch nur einen Fuß in das Haus der Familie Black setzt.

Was Weihnachten eigentlich sein sollte, oder wie es sein sollte, und wie es sich anfühlen sollte, habe ich erst in meinem ersten Jahr in Hogwarts gelernt. Ein bisschen habe ich mir gewünscht, meine Eltern würden mir nicht schreiben, mich vergessen für ein paar Tage, damit ich nur dort bleiben könnte, in der großen Halle vor mich hin träumen und die Decke anstarren dürfte, die verzauberte Decke, von der so viele Schneeflocken fielen, jedoch keine von ihnen den Boden erreichte. So viele klare, weiße Schneeflocken, wie ich sie noch nie gesehen hatte, weil man von meinem Fenster aus immer nur Schneeregen, der aus den dunklen, grauen Wolken, die den Himmel bedeckten, fiel, beobachten konnte.
Aber vergessen haben sie mich nie, und immer, wenn doch ein Brief kommt, werfe ich die Wunschvorstellungen von unechtem Schnee und Feiern und Essen und Weihnachten, Weihnachten in Hogwarts, aus dem Fenster, weil es doch bescheuert ist. Ein Weihnachten, in dem man sich im Haus vor der Kälteversteckt, und nicht umgekehrt. Ein Weihnachten wie das von allen anderen.

Als Hogsmeade sich langsam aber sicher aus meinem Blickfeld vertschüsst, lasse ich kopfschüttelnd vom Fenster ab. Meine Hände klammern sich an das Buch, das ich aus meiner Tasche geholt habe, sobald ich ein leeres Abteil gefunden habe. Ich drücke es ein wenig fester an meinen Bauch, und die Ecken stechen durch den Stoff meines Pullovers in meine Haut, und ich weiß, selbst, würde ich es versuchen, ich würde es nicht schaffen, auch nur eine Seite darin zu lesen.

Die, von der Schiebetüre gedämpften, Gespräche und das Gelächter der Leute, die sich noch immer auf dem Gang herumtreiben, machen das Abteil noch leerer, als es sowieso schon ist. Und eigentlich mochte ich es immer, allein zu sein und nachzudenken, vor Allem im Zug. Und die Landschaften zu beobachten und Bücher zu lesen und die Zeit zwischen der einen und der anderen Hölle, dem kalten Grimmauldplatz und der vollgestopften Schule, zu genießen, solange ich kann.
Und jetzt höre ich andere Schülerinnen und Schüler, die die Reise nie als Erholung oder Ruhe empfanden, eher als Zwischenstadion, die sich freuten, nach Hause zu fahren und Weihnachten zu feiern, um sich anschließend wieder zu freuen, zurück nach Hogwarts zu fahren, und ein tiefes, schwarzes Loch bildet sich in meiner Brust, reißt weiter und weiter ein, wird größer und tiefer und ich kann mich so fest an meinem Buch festklammern wie ich will, es hilft mir nicht dabei, nicht hineinzurutschen.

D E A L | Jegulus-FanFiction DeutschWo Geschichten leben. Entdecke jetzt