Kapitel 7

125 3 0
                                    

Absichtlich wählst du abgelegene Routen, läufst Schleifen, Umwege. Es dient zu deiner eigenen Sicherheit. Eine der zahlreichen Methoden um unentdeckt zu bleiben. Erinnern kannst du dich kaum noch an eine Zeit, in der du nicht wachsam durch die Straßen liefst und mittlerweile ist es schon lange Gewohnheit ein wenig unterzutauchen. 

Schnell hechtest du um die nächste Ecke und siehst bereits die Kehrseite der Latrine, die sich in voller Größe vor dir erstreckt. Mehrere dreckige Ziegelsteine, die gleichmäßig aufeinander gestapelt wurden und somit die Sicht auf das Gemeinschaftsklo verbieten und den Raum verschließen. Nicht, dass es ein großes Geheimnis wäre, was sich darin verbirgt. Riechen kann man die Einrichtung noch meterweit. Ein Geruch, der sich in die Synapsen brennt. Einen, den man nicht so schnell vergisst. Davon abgesehen wäre es  fatal, wüssten einige Bewohner nicht wo die Latrinen zu finden sind. Schließlich war es besser einen dreckigen Ort zu hegen,  statt alle Ecken Roms mit der Zeit immer und immer mehr zu verschmutzen. 

Vorsichtig schaust du dich um, hältst Ausschau nach Legionären oder anderen Verrätern. Niemand da. Erleichtert atmest du aus und schleichst dich an das Gemäuer der Toilette heran. Mit jeden Schritt verstärkt sich der peinigende Geruch von Urin und Stuhl. Du reduzierst deinen Atem, er wird flacher und langsamer bis du letztlich die Luft anhältst, als du an der Einrichtung ankommst. Schnell flitzt du um die Ecke und biegst in die Öffnung, der Pforte, die dich ins Gemeinschaftsklo führt. Es ist töricht gewesen die Luft anzuhalten, wird dir schlagartig bewusst, als du in der Latrine nach Luft schnappst. Der beißende Gestank hat sich hier drinnen vertausendfacht und schießt brennend durch deine Luftröhre. Es verpestet deinen Körper. Gase, denen du dich nicht ohne Grund näherst. Ein Ort, an dem man sich nur zur Darmentleerung trifft. 

Angewidert schaust du dich um. Deine Augen suchen den Raum ab. Du hoffst, dass Jesus deinem Treffpunkt nicht zugesagt hat, so schämst du dich jetzt diesen Vorschlag gemacht zu haben. Unbesetzte Latrinen ragen aus den Wänden heraus. Ihre glatte, dreckige Oberfläche spiegelt die perfekte Atmosphäre wieder, passt zur Ästhetik dieses verpesteten Raums. Ein Mann sitzt gelangweilt in der Ecke, das Kinn auf der Hand gestützt und beäugt dich aus wachen Augen. Zaghaft lächelst du ihm zu und gehst zwei große Schritte vorwärts, kommst vor dem Wasserbecken zum stehen, dass die Mitte des Raums schmückt und doch für eine gewisse Hygiene sorgt. Gebannt starrst du auf das trübe Wasser und tunkst deine Hände hinein. Es ist warm, wärmer als dein Blut und löst Ekel in dir aus. Jesus ist nicht hier. Vielleicht noch nicht. Auf dem Dach hattest du ihn gesehen. Er war auf dem Weg hier her und du zweifelst daran, dass er einer Verabredung deinerseits widerstehen kann.

Der Mann, in der rechten Ecke des Raums sitzend beobachtet dich schon einige Augenblicke zu lange. Hat er dich als Gesuchten erkannt? War es verdächtig an solch einen Ort zu kommen, ohne die Absicht seine Blase zu entleeren?

 Die Wut steigt in dir hoch als du einen kurzen Blick auf den Herren wirfst und dieser dich noch immer angafft. Ein durchdringender Blick, der an dir klebt. Keine Sekunde hat er zur Seite geschaut.

"Hör auf so zu starren!", knurrst du, dein Gesicht ist zu einer verspannten Grimasse verzogen. Wut steigt aus dem Nichts in dir hoch, verschärft dein Denken zu einer gereizten Aggressivität. Der Mann schweigt weiterhin, doch wendet seinen Blick nicht ab. "Was ist dein Problem verdammt!" deine Stimme wird lauter und dein Zorn wächst weiter. Was dachte der Kerl wer er war? Energisch schüttelst du das Wasser von deinen Händen. Eine einzige, rasante Bewegung in Richtung Becken. Die Tropfen preschen auf das Becken nieder, wie ein Meteoritenschauer, dessen Aufprall kleine Krater auf der Wasseroberfläche hinterlassen. 

"Was ist so komisch?" Immer näher trittst du an ihn heran und packst ihn an seinem fleckigen Gewand. Er zuckt zusammen von dem Druck, mit dem du ihn hochziehst. "Hast du die Sprache verloren", flüsterst du, dein Herz pumpt das Blut rasend schnell durch deine Gefäße. 

"Lass mich los du elender Barbar", beschwert er sich und starrt dich weiterhin an, unaufhörlich mit zusammengezogenen Brauen. 

"Was ist denn hier los?", Jesus kommt die Latrine herein und starrt dich fassungslos an, seine Arme sind sptachlos geweitet. Schnell lässt du von dem Mann ab, löst deine Hand von seinem schmutzigen Gewand. Peinlich berührt gehst du einige Schritte bei Seite, fühlst dich merkwürdig ertappt. Mit heißen Wangen schaust du zu Jesus hinauf. Jesus. Er steht selbstbewusst im Licht des Eingangs, seine Haut strahlt eine unfassbare Göttlichkeit aus, es raubt dir den Atem. Verwirrt schaut er zwischen dir und dem glotzenden Affen hin und her. "Hast du mich etwa verwechselt?", lacht er dann und tritt aus dem Licht der Pforte heraus, direkt auf dich zu. Wenige Zentimeter vor dir kommt er zum stehen, führt seine vernarbte Hand an deinen Nacken. Eure Haut trifft aufeinander. Es löst ein betörendes Kribbeln in dir aus, dass dich wahnsinnig macht. 

"Ich möchte nämlich, dass du mich genauso dominierst,", flüstert er dir ins Ohr und sein heißer Atem streift deinen Hals. Gänsehaut bildet sich auf deinem ganzen Körper, angefangen an dem Punkt an dem die Wärme deinen Nacken umstreicht, seinen Weg immer weiter führt, die Knochen hinunter bis in deine Zehen. 

"Ich hab mich nach dir gesehnt", murmelst du und schlingst dich um seinen breiten, definierten Körper, drückst dich an ihn und genießt die wohlige Wärme seines Körpers die dich beruhigt, umfängt wie einen alten Freund. Seine Locken kitzeln dich im Gesicht und du atmest seinen Duft ein, der sich selbst vom Gestank der Umgebung abhob. Gieriger, als beabsichtigt, doch du kannst nicht anders. Du bist süchtig nach ihm, nach diesem Mann, diesem Gott.

"Was zum?!", kreischt der Mann auf der Latrine und schaut ungläubig auf das Geschehen. "Was, was, ich glaub ich träume." Genervt stößt Jesus einen Schwall Luft aus und löst sich widerwillig von deiner Umklammerung. "Du zerstörst den Moment!", faucht er und gibt ihm mit einem harten Hieb ins Gesicht. Kraftlos sackt der Körper des Mannes in sich zusammen, verliert unfreiwillig seine Kräfte und liegt zusammengekauert auf dem vergilbten Gestein des Klositzes. Jubelnd springst du in die Höhe, deine Augen leuchten vor Begeisterung des Tatendrangs Jesu.

 "Du hast es ihm sowas von gegeben." Grinsend kommt dir der Wiedergeborene näher, umschließt deine Arme sachte mit seinen durchlöcherten Handflächen. Warm liegen sie auf dir, eine beruhigende Geste, von der du nicht genug bekommen kannst. "Er hat doch auch genervt", meint er verlegen und blickt dir glücklich in die Augen. Honigbraun auf Kieferngrün, sie versinken ineinander, vermischen sich in einem rundlichen Muster, einem Strudel aus dem du dich schwer lösen kannst. Dein Atem stockt, es ist ein unbeschreibliches Gefühl, dass sich in dir aufbaut. Du sehnst dich nach mehr, nach mehr Körperkontakt, mehr Jesus. Du möchtest ihn auf dir spüren. Du willst seinen ganzen Körper mit Händen und Lippen erkunden und kein einziges Stück übrig lassen. Es dürstet dich nach diesem Mann und du weißt, sobald du anfängst von ihm zu kosten, wirst du niemals damit aufhören können. Die Sehnsucht zerreißt dich, langsam kommst du ihm näher und legst deine Lippen sachte auf seine. Ein liebevoller Kuss und doch löst er in dir ein Feuerwerk aus. Ein Feuerwerk der Glücksgefühle, die auf dich nieder rieseln und dir eine angenehme Gänsehaut bescheren. 

Behutsam drückt er dich von sich weg und lächelt gequält zu dir rüber. Hattest du etwas falsch gemacht? 

"Ich muss dir was erzählen", stammelt er und löst den Blickkontakt. "draußen." 

Die glückliche Mine war aus seinem Blick gewichen und Besorgnis zierte nun die kantigen Züge seines wunderschönem Gesichts. Nun blickt er niedergeschlagen in Richtung Boden, meidet es dich anzusehen. 

"Draußen ist eine gute Idee.", scherzt du, versuchst die Stimmung aufzulockern. 

"Hier drin stinkts."

Trotzdem spürst du, dass das Gespräch draußen keineswegs ein lustvolles sein wird. Dir bangt es, du hast Angst davor Jesus zu verlieren und das noch bevor du ihn richtig genießen konntest. Bevor du ihn dein eigen nennen konntest. Du lächelst ihm zu, nimmst seine Hand, umschließt seine mit deiner und drückst sie kurz doch bestimmt,  bevor ihr Hand in Hand ins Freie lauft.

"Es geht um meinen Vater."

JesusxreaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt