Kapitel 33

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MELANY

Seit über 2 Wochen fehlte jegliche Antwort von Azriel auf meinen letzten Brief. Er hatte mir bereits mitgeteilt, dass er erneut auf eine Mission gehen würde. Dennoch hatte ich nicht erwartet, dass es so lange dauern würde. Normalerweise waren es bloß einige Tag oder eine Woche. Ich würde lügen, wenn ich behauptete, dass ich mir keine Sorgen machte. Das letzte Mal als er unerwarteterweise so lange gefehlt hatte, war er gefangengenommen und vergiftet worden. Er hatte mir meine Befürchtungen bezüglich des Hexers in seinem letzten Brief unabsichtlich bestätigt. Meine Gedanken bildeten sich deswegen die schlimmsten Szenarien ein.

Ich hoffte bloß, dass Feyre mit erfreulichen Nachrichten käme, wenn sie morgen ankam.

»Melany!« Ich wurde aus meinen Tagträumereien gerissen. Ich drehte meinen Kopf in die Richtung, aus der die mir bekannte Stimme kam. Nova lief mit schnellen Schritten auf mich zu.

Ich richtete mich in dem goldfarbenen Samtsofa auf, in dem ich lag und sah zu meiner Cousine, die immer eiliger ging, ehe sie den Salon betrat. Helion hatte diesen Salon für mich und Nova bereitgestellt, damit wir einen privaten Ort hatten, an den wir uns zurückziehen konnten, wenn ich mal nicht mit ihm trainierte. Noch ein Beweis seiner tadellosen Gastfreundschaft. Und ein Beweis dafür, dass er es mit der Verschwiegenheit unseres Aufenthaltes ernst meinte.

Nova hielt vor mir an und fiel augenblicklich auf die Knie. Besorgt bückte ich mich zu ihr herunter und hielt sie an den Schultern aufrecht. »Nova, was ist los? Ist was passiert?« Sie war normalerweise keine Person, die so schnell die Fassung verlor. Als ich ihr ins Gesicht blickte und die Tränen auf ihren Wangen, die roten Augen und den aufgewühlten Gesichtsausdruck sah, meldeten sich meine schlimmsten Befürchtungen lautstark in meinem Kopf.

Ich zog sie sanft aber bestimmt auf die Beine und führte sie zum Sofa, damit sie sich setzte. Schwer atmend folgte sie meiner stummen Anweisung, ehe sie ihr Gesicht erneut zu mir wandte. Ich erschrak fast, als ich erkannte, dass sie lächelte. Sie lächelte und weinte und atmete unstetig. Verlor sie den Verstand?

»Nova, nun sag schon, was ist los?« Ich konnte nichts gegen die leise Hysterie in meiner Stimme tun. Zitternd griff ich nach ihren Händen und drückte sie fest. Teilweise um sie zu trösten, teilweise um mich zu beruhigen.

Nova drückte ihrerseits ebenfalls meine Hände. Es war noch immer merkwürdig meine sonst so starke Cousine, die Agentin unter General Cassian, weinen zu sehen. Ich fragte mich, wie lange das letzte Mal zurücklag, dass sie so aufgelöst war. Fast schon flehend sah ich ihr in die Augen.

Ihre Tränen versiegten langsam, und zurück blieb nur eine feuchte Tränenschicht auf den Wangen und in den Augen. Ihre Gesichtszüge wurden weicher, was mich augenblicklich ruhiger stimmte. »Melany«, sagte sie und seufzte tief. »Du wirst Tante.«

Ich spürte wie mir die Tränen in die Augen schossen und mein ganzer Körper in diesen merkwürdigen Zustand geriet. Ich verkrampfte mich, mein Brustkorb hinderte mein Herz daran herauszuspringen und eine Gänsehaut durchfuhr mich. »Du bist...?« Weiter kam ich nicht. Aber das brauchte ich auch nicht. Nova schloss mich schluchzend in die Arme.

Mit geschlossenen Augen schmiegte ich mich an sie und vergrub mein Gesicht in ihrer Halsbeuge. Tränen lösten sich von meinen geschlossenen Augen und befeuchteten Novas Tunika. Synchron zu ihr schluchzten wir über das Glück, dass unsere Familie gefunden hatte. Meine Cousine war schwanger. Nova... Die Illyrianerin, die jahrelang solche Angst davor hatte, ein Kind auf die Welt zu setzen, dass sie danach die Fähigkeit verloren zu haben schien. Die jahrzehntelang versuchte schwanger zu werden und irgendwann die Hoffnung verloren hatte. Nova war endlich schwanger. Sie würde endlich Mutter sein können. Mein Herz schien die Welle an Glück nicht ertragen zu können und ich befürchtete an Herzversagen zu sterben, noch bevor ich das Glück auskosten konnte, Tante zu sein. Tante des vermutlich schönsten illyrianischen Babys, das die Welt je sehen würde.

Der Ruf des SchattensängersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt