Schuss 10

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Ich wache wie gerädert auf und schaue aus dem Fenster. Es ist grau draußen. Es hat regnet und mir wird bewusst, was mir heute bevor steht. Ich habe akzeptiert, dass ich eine Fehlgeburt hatte. Es hat zwar 108 Tage gedauert, einige Tränen gekostet und Julian und mich ziemlich zerstört, aber ich bin psychisch wieder stabil. Julian und ich haben uns seit über einem Monat nicht gesehen. Er hat alles versucht mich aus dieser verschlossenen Welt zu befreien, aber ist geflüchtet bevor er selbst versank. Ich habe dafür Verständnis und mache ihm keine Vorwürfe. Die Angst, dass er mich nicht mehr will, ist dafür größer. Ich schlucke fest und stehe auf. Träge ziehe ich mich an und mache mich im Badezimmer frisch. Ich trage leichtes Makeup auf, damit ich mich schöner fühle. Langsam gehe ich runter und zwinge mich zum Frühstück. Nur noch wenige Minuten, dann sollte Juli durch die Tür kommen. Ich atme tief durch und setze mich auf die Terrasse. Langsam brechen die Wolken und die Sonne kommt hervor.

Ich versuche ruhig zu bleiben und nicht zu weinen. Der Druck in meinem Kopf ist riesengroß. Ich habe so ein ungutes Gefühl. Julian hat mir zwar in den letzten Monaten sehr oft gesagt, dass er mich nicht schuldig macht, daß wir keine Eltern werden, aber ich habe darüber seit 108 Tagen nicht geredet. Er wusste nicht, wie es mir geht. Zumindest nicht wirklich. Er hat es vielleicht vermutet, aber nie wirklich gewusst. Ich betrachte den Himmel, an dem sich ein Regenbogen bildet. Die Welt wirkt so ruhig und friedlich, obwohl es oftmals einfach nur schrecklich sein kann. Ich höre wie das Tor aufgemacht wird und die Hunde freudig anfangen zu bellen. Ich ziehe tief einatmend die Luft ein und versuche ruhig zu bleiben. Dann höre ich wie sein Auto aufs Grundstück fährt. Das Garagentor öffnet und schließt sich und ich höre wie er durch die Haustür kommt. Die Hunde kommen wieder zu mir und legen sich unter den Tisch. Ich knete meine Hände und versteife mich. Dann höre ich seine Schritte hinter mir. Schwer muss ich schlucken. Er bleibt stehen und ich höre ihn ebenfalls laut atmen. Dann geht er weiter und kommt auf die Terrasse. Er stellt sich vor mich, in die Sonne. Langsam hebe ich meinen Blick und schaue in seine blauen Augen. Wir starren uns kurz an, dann stehe ich auf und falle ihm in die Arme. Julian umfasst mich fest und ich spüre seinen Atem an meiner Halsbeuge. Mein Gesicht lege ich an seine Schulter und mir laufen einige Tränen an meinen Wangen runter.

Wir stehen einige Minuten so da und sagen nichts. Dann löse ich mich langsam und schaue ihn an. Julian's Augen sind unsicher und fragend. "Wie geht es dir?", flüstert er. "Ich habe dich vermisst.", sage ich nur und nehme sein Gesicht in meine Hände. Ich will ihn küssen, aber Julian senkt sein Gesicht. Sofort zieht sich mein Herz zusammen und ich schaue ihn erschrocken an. "Julian...ich...", er unterbricht mich. "Schon gut. Du musst nichts sagen. Ich...", seine Stimme bricht und ich schlucke fest. Dann fällt eine Träne von seiner Wange. Ich wische einmal darüber und lehne meine Stirn an seine. "Ist schon gut.", sage ich sanft. Wir gehen rein und legen uns aufs Sofa.

Juli schläft weinend auf meinem Bauch ein. Erst jetzt fallen mir seine tiefen Augenringe auf und ich schlucke fest. Er leidet scheinbar genauso unter dem Thema wie ich. Erst jetzt fällt mir auch auf, dass ich auch nicht weiß, wie es ihm in den 108 Tagen ging. Er hat es mir zwar oft erzählt, das weiß ich, aber ich habe ihm eigentlich nie wirklich zugehört, weil es mir so schlecht ging. Das tut mir jetzt fürchterlich leid. Jetzt, wo ich stärker bin, werden wir uns beide unterstützen und wir werden es schaffen aus diesem Loch zu kommen. Zuerst werden wir mal Leila und ihren Mann besuchen fahren. Ihr Baby müsste sie mittlerweile haben und ich möchte mich bei ihr entschuldigen, dass ich nicht bei ihrer Hochzeit dabei sein konnte. Ich weiß zwar mittlerweile, dass ich mir dafür keiner Schuld geben sollte und Leila auch nicht böse sein wird, aber ich möchte trotzdem zu Julian's Cousine und ihren kleinen Sohn begutachten. Und ich möchte ihr Hochzeitskleid sehen und die Eheringe und die Fotos. Ich möchte wieder teil am Leben haben.

Ich nehme mein Handy und schreibe ihr eine Nachricht, dass wir morgen gerne vorbei kommen würden. Sie ist einverstanden und ich bin stolz auf mich, dass ich diesen Schritt gehen will. Ich muss mich mit Baby's und schwangeren Frauen konfrontierten. Es hilft mir, wieder Glücksgefühle zu versprühen. Ich schiebe Julian sanft von mir runter und decke ihn zu. Dann schließe ich leise die Terrassentür, weil es wieder anfängt zu regnen. Ich koche uns Mittag und gehe dann leise zurück ins Wohnzimmer. Julian schläft noch und ich streiche durch seine Haare. Langsam hocke ich mich zu ihm. Juli's Lider flattern und ich schaue ihn lieb an.

Langsam zieht er mich zu sich und ich lege mich zu ihm auf die Couch. "Fahren wir morgen gemeinsam zu Leila?", flüstere ich sanft. Juli schaut mich überrascht an und er nickt. Dann richtet er sich etwas auf und beugt sich über mich. "Maus, ich möchte wieder leben und nicht mehr traurig sein. Ich versuche wirklich alles, damit es wieder so schön wird wie vorher. Und ich möchte immer noch Kinder... Irgendwann. Aber ich möchte, dass du uns Zeit gibst.", sagt er endlich, das was er wohl schon seit seiner Ankunft denkt. Ich greife in seine Haare und lächle etwas. "Die Pille nehme ich nicht mehr. Aber wir lassen uns alle Zeit der Welt! Versprochen!", nicke ich und streichele seine Wange. Julian lächelt sanft. "In Ordnung!", sanft küsst er meine Stirn. "Darf ich dich jetzt küssen?", nuschele ich eingeschüchtert. Ich sehe genau wie Julian anfängt zu grinsen. Dann nimmt er mein Gesicht und küsst mich. Dieser Kuss fühlt sich an als wäre es unser erster. Seit über 3 Monaten zeigen wir uns wieder deutlich, dass so ein Erlebnis unserer Liebe nicht weh tut. Julian umklammert mich fest und wir ziehen den Kuss noch in die Länge.

Mein gekochtes Mittag lassen wir stehen. Heute ernähren wir uns nur von Luft und Liebe und Nähe. Wir erzählen uns genau, aufs kleinste Detail, wie wir uns gefühlt haben, in den letzten Wochen und ich bin froh, dass es sich gerade anfühlt, als wäre gar nichts passiert. Ich weiß, es ist falsch so die Situation anzupacken, aber heute muss ich das Thema vergessen und Julian's Liebe tanken. Morgen konfrontiere ich mich dann wieder und kämpfe gegen meinen inneren Schmerz.

Foul! - Julian Brandt Teil 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt