Kapitel 73

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Irgendwie hatte gesamte Schülerschaft das Bedürfnis mit ihr zu reden. Leute kamen zu ihr, die sie noch nie in ihrem Leben zuvor gesehen hatte – aus jeder Jahrgangsstufe. „Hey, aus welcher Zeit kommst du eigentlich?" „Warum bist du hier?" „Versteckst du dich?" oder auch „Bist du eine Geheimagentin?" Manche hatten schon komische Vorstellungen. Einer der Jüngeren kam einmal zu ihr und fragte, ob ihr Verschwinden etwas mit Aliens zu tun hätte und sie nicht wirklich eine Zeitreisende war. Sie hatte niemandem geantwortet. Sollten sie sich doch den Kopf darüber zerbrechen, was genau sie eigentlich in ihrer Zeit zu suchen hatte und warum sie noch immer hier war.

Sie ging Tom aus dem Weg. Wo immer er war, war sie nicht und wo immer sie war, würde er nicht sein. Als sie sich hinter einem Wandvorhang in einer Nische versteckte, kam sie sich unglaublich albern vor, aber was sollte sie machen? Sie wollte und konnte einfach noch nicht mit ihm reden und sie wusste ganz genau, wie sehr sie ihn verletzte, wenn sie ohne ihn eines Blickes zu würdigen einfach an ihm vorbeilief oder ihn einfach wieder ignorierte. Sie wusste wie gemein das von ihr war. Es war nicht fair, das war ihr wirklich klar und sie wünschte, sie müsste ihm das alles nicht antun, doch es ging nicht anders. Als sie weder Stimmen noch Schritte hörte, kam sie langsam aus ihrem Versteck hervorgekrochen und erschrak, als sei Tom an der Wand ihr gegenüber gelehnt stand. 

„Ich konnte deine Schuhspitze sehen und konnte mir nicht vorstellen, wer sich sonst hinter einem Wandteppich vor mir verstecken sollte." Sie überlegte ernsthaft, wie blöd es aussehen würde, wenn sie einfach wegrennen würde. „Jetzt reiß dich zusammen!" motzte sie sich in Gedanken selbst an. Sie war verdammt nochmal Hermione Jean Granger. Sie hatte im Krieg gekämpft, wurde gefoltert, jahrelang gemobbt und hatte sich es erlaubt, sich in ihren größten Feind zu verlieben. Sie war verdammt nochmal kein kleines Mädchen mehr. Sie hatte schon so viel in ihrem Leben gemeistert. Da würde sie nicht vor einem Gespräch davonrennen.


„Tja, viele haben vor dir Angst, weißt du." murmelte sie. „Aber niemals suchen sie sich ein Versteck vor mir, schon gar nicht so ein schlechtes." Sie schwiegen. „Hör mal, ich will dich gar nicht zu irgendetwas drängen, aber ich will auch nicht, dass du vor mir wegläufst." Sie atmete tief ein und wieder aus. „Tut mir leid, das war dumm von mir." sagte sie leise. „Ah. Sie spricht. Und das ansatzweise freundlich." gab er zurück. Wut lag in seiner Stimme und sie konnte ihn nur all zu gut verstehen. Sie wäre vermutlich auch verdammt wütend auf ihn gewesen. „Das habe ich verdient." gab sie zu. „Nein. Du hast gar nichts verdient. Der einzige, der hier etwas verdient, der bin ich. Und zwar Antworten." Hermione nickte. „Ich weiß. Du hast recht." murmelte sie. Das wusste sie wirklich. Aber sie wollte einfach nicht reden. Aber irgendwann musste sie es tun und seit der Schlacht war schon fast ein Monat vergangen. „Vielleicht können wir das aber irgendwo anderes besprechen, nicht unbedingt hier." Sie deutete auf eine Gruppe von Schülern, die grade in den Gang einbog. Er nickte knapp. „Heute Abend um 19 Uhr im Raum der Wünsche." sagte sie und verschwand.

Einige Minuten vor der abgemachten Uhrzeit lief sie drei Mal vor der Wand auf und ab und sofort erschien die Tür vor ihr. Schnell schlüpfte sie herein. Es war ein kleiner Raum mit einem Kamin, davor ein Teppich und ein Sofa voller Decken und Kissen. Ziemlich gemütlich. Ihr war vor Aufregung ganz schlecht. Sie war sich nicht sicher, ob sie sich setzten oder noch warten sollte, als sich die Tür schon öffnete und Tom herein schlüpfte. „Hey." begrüßte er sie. „Hey." gab sie aufgeregt zurück und beschloss sich zu setzten. Sie setzten sich mit dem Rücken an die Armlehnen, sodass sie sich ansehen konnten. Tom breitete eine Decke über sie aus und sah sie abwartend an.


„Ich weiß nicht wo ich anfangen soll." gestand Hermione. Sie fühlte sich als hätte sie Tausende kleine Kieselsteine im Magen. „Am besten am Anfang. Wie du dort angekommen bist."
Hermione atmete tief durch. „Als ich ankam, war alles ganz still... bis ich diesen Schrei hörte. Er kam aus der großen Halle, also bin ich da hin. Da hatten sich alle Schüler versammelt, einige aus dem Orden waren auch da und... Voldemort sprach zu uns. Er verlangte Harry. Im Gegenzug versprach er uns unser Leben." Hermione schwieg kurz.

„Und weiter?" fragte Tom. Hermione knetete ihre Finger. „Wir sind zu dir gegangen. Harry, Draco und ich. Die Jungs waren als meine Verstärkung da. Ich habe sie irgendwann zwischen den Bäumen stehen lassen. Wo sie mich hören konnten und sie schnell zu mir kommen könnten, falls etwas schief gehen sollte. Und dann haben wir geredet. Ich habe versucht dich zu überzeugen, dass du das alles nicht tun musst. Ich konnte dich fast überzeugen, bis dann zwei Todesser auf die Lichtung kamen. Mit Draco und Harry. Du wurdest wütend. Sehr wütend." Zittrig atmete sie ein und aus. „Du dachtest, das wäre ein Hinterhalt und hast..." Hermione brach ab und sah zu Boden, doch er griff nach ihrer Hand und drückte sie. „Was habe ich getan, Hermione?" fragte er sanft. 

„Du... du hast ihn umgebracht." stieß Hermione hervor. Tom vergrub sein Gesicht in den Händen. „Ja, das hatte ich mir schon gedacht." murmelte er. Hermione wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Aber... er kam wieder." sagte sie. „Was? Er hat zum zweiten Mal einen Todesfluch überlebt?" fragte Tom verblüfft. Hermione nickte. „In jener Nacht, in der du seine Eltern umbrachtest, da hast du einen Teil von dir auf ihn übertragen." Er nickte langsam. „Er war ein Horkurx." begriff er, woraufhin Hermione nickte. „Ja. Du hast nicht Harry, sondern einen Teil von dir getötet." erklärte sie. „Dann ging alles relativ schnell und ehe ich mich versah, duellierten wir uns und ich..." wieder brach sie mitten im Satz ab. Sie presste die Lippen fest aufeinander. „Ich habe dich getötet."

Sie schwiegen mindestens fünf Minuten. „Es ist okay für mich." sagte Tom dann. „Wie?" rief Hermione und sprang auf. „Wie kann es für dich okay sein? Ich habe dich umgebracht. Ich bin überhaupt erst hierhergekommen, damit du stirbst. Ich bin hier, um deinen Tod zu ermöglichen, Tom! Ich bin ein schrecklicher Mensch und ich bin eine Mörderin. Und ich habe nicht nur irgendjemanden umgebracht und es war auch keine wirkliche Notwehr. Ich habe dich getötet, weil ich diese Seite von dir mehr als alles auf dieser Welt hasse und ich hasse mich dafür und..." Währenddessen war Tom aufgestanden und strich über Hermiones Wange. „War es das?" fragte er sanft und sie nickte langsam. „Du hattest jedes Recht dazu mich zu töten. Und... du bist hier nicht mehr die einzige von uns, die diese Seite von mir hasst, Hermione. Und ich liebe dich dafür, dass du sie mir genommen hast. Irgendwie ist es... befreiend."


„Ich liebe dich auch." murmelte Hermione. „Siehst du, dann ist doch alles gut, oder nicht?" fragte er und lächelte leicht. „Danke." flüsterte sie, stellte sich auf ihre Zehenspitzen und küsste ihn vorsichtig, als hätte sich Angst, er würde sie von sich stoßen. Doch das tat er nicht. Er schlang seine Arme um ihre Taille und hob sie hoch. „Ich werde dich nie wieder verlassen." flüsterte sie in sein Ohr. „Ich werde dich auch nie wieder gehen lassen." entgegnete Tom und legte sie vorsichtig auf das Sofa.

Kann man jemanden lieben, den man eigentlich hassen sollte?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt