Strahlender Sonnenschein, ein wolkenloser Himmel und eine warme Frühlingsbriese... All dies wären die perfekten Voraussetzungen für einen Tag, den man in der Stadt verbrachte. Doch war die Realität das exakte Gegenteil von dieser Wunschvorstellung. Es regnete wieder – ein Platzregen um genau zu sein – und der Himmel wurde von einer dunklen Wolkendecke verdeckt. Zudem war es erstaunlich kalt, dabei war bereits Frühling in Hyrule.
Raisa und Revali hatten sich unter die Markise eines Standes am Marktplatz gestellt und erwarteten das Ende dieses Platzregens. „Nun, du musst es so sehen Raisa: wärst du allein in deinen vier Wänden, wärst du auch nicht produktiver, als du es jetzt bist." Revalis Worte waren nur wenig tröstend. Wobei, wenn Raisa genau darüber nachdachte, dann waren seine Worte überhaupt nicht tröstend. „Gewiss würde ich etwas Sinnvolleres tun. Jede Tätigkeit ist sinnvoller, als hier zu stehen." Raisas goldene Augen suchten sich ihren Weg in den noch immer verdunkelten Himmel. Es sah in keinster Weise so aus, als würde sich in den nächsten Minuten etwas an ihrer Situation ändern. Und still und heimlich fragte sie sich, ob Revali sie deshalb bei diesem Wetter hinausgescheucht hatte. Diesem Federvieh traute sie alles zu.
Seufzend schloss Raisa ihre Augen und lehnte sich gegen den hölzernen Stand, die Hände links und rechts von ihr an der Tischplatte abgestützt. Der Besitzer dieses Standes hatte im Übrigen kein Problem damit, im Gegenteil! Viel zu interessant war es, dieses ungleiche Paar zu beobachten. Und selbstverständlich waren sie Recken... Eine bessere Werbung konnte jemandem nicht in die Hände fallen.
Die braunhaarige Hylianerin öffnete ihre Augen wieder, wobei sich Skepsis in ihren goldenen Iriden widerspiegelte. Es beschlich sie das Gefühl, beobachtet zu werden. Und so etwas konnte ihr bei ihren sensiblen Sinnen kaum entgehen. Allerdings war der Grund für Empfinden leicht zu finden. Warum hatte sie dies überhaupt gewundert? „Habe ich etwas im Gesicht oder gibt es einen noch plausibleren Grund dafür, dass dein Blick nicht weiter gewandert ist, nachdem ich in dein Blickfeld geriet?", fragte sie darauf bemüht, nicht schon wieder zu seufzen. Neben Revali fühlte sie sich wie in einer Seifenoper.
„Nun, du siehst eben fast genauso aus wie damals, Raisa." Und das nannte er Grund genug, um ihr ungeniert ins Gesicht zu starren? „Daran ist nichts besonders. Du siehst schließlich auch fast genauso aus wie damals." Unter diesen Umständen sollte es auch nicht sonderlich schwer werden, die verbliebenen Recken zu finden. Die Unterschiede zum damaligen Erscheinungsbild waren – zumindest bei Raisa und Revali – minimal. So war Raisa beispielsweise nicht ganz so hochgewachsen, wie in ihrem vorherigen Leben, in welchem sie wohlgemerkt auch nicht sonderlich groß war. Bei Revali hingegen hatte sich mehr Weiß in sein Gefieder geschlichen, aber sonst? Er trug selbst jetzt noch diese vier geflochtenen, unfassbar hässlichen Zöpfe.
„Aber du bist mit Sicherheit keine achtzehn mehr, nicht wahr?" Für einen Moment schienen selbst die Regentropfen Angst zu haben, den Boden zu berühren und damit die Stille, die von Raisa ausging, zu unterbrechen. Ob er testen wollte, wie weit er gehen konnte? Interessierte es ihn wirklich, wo ihre Grenzen lagen? Jedes andere weibliche Wesen in Hyrule hätte Revali für diese Frage geschellt. Das Alter einer Frau... Er sollte sich bei den Göttinnen bedanken, dass Raisa genauso gut eine Dame verkörperte, wie Daruk zierlich war. „Ich sah schon damals nicht wie achtzehn aus, sondern ein Jahrzehnt älter, also hat sich in diesem Punkt wirklich nicht viel getan", gab sie schlicht als Antwort. „Oh, bitte! Entwickelst du etwa einen Hang zur Übertreibung?", fragte Revali sogleich. „Nein, der färbt nur von dir ab", konterte sie. Revali rollte daraufhin nur mit den Augen, was Raisa ein ganz leichtes Grinsen entlockte. Da wären sie wieder bei den altbekannten Sticheleien. Wer hätte gedacht, dass sich selbst nach so langer Zeit nichts ändern würde?
Nun... Fast nichts...
„Also, Raisa, sag es endlich", forderte der Orni die Hylianerin erneut auf. Raisa jedoch, wie man es auch nicht anders von ihr erwartete, schwieg vorerst weiter und stieß sich von dem hölzernen Stand ab. „Es hat aufgehört", sagte sie und trat unter der Markise hervor. „Willst du dort jetzt festwachsen?" Sie blickte über ihre Schulter hinweg zu ihm. „Wohl kaum", schnaubte er und schloss zu ihr auf. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, dann hatte sie nun wirklich keine Lust, sich zwischen den Menschen und anderen Bewohnern Hyrules, die diese Regenpause nutzten, zu bewegen. Jedoch... Irgendetwas hinderte sie daran Revali zur Verheerung zu jagen und nach Hause zu gehen. Gäbe es wenigstens etwas, womit sich die Zeit vertreiben ließe...
In just diesem Moment erfassten Raisas empfindlichen Ohren das schlimmste und grausamste, was man sich vorstellen konnte: das Gekreische junger Mädchen! Augenblicklich drückte sie sich ihre Hände an ihre Ohren und selbst Revali tat ihr dies gleich.
„Sir Kain ist hier! Der Konsul ist eingetroffen!"
Trotz zugehaltener Ohren drangen diese Worte deutlich zu den beiden Recken durch.
„Wer in Hylias Namen ist hier eingetroffen?", fragte Revali etwas gereizt. Weder mit diesem Namen noch mit dem Begriff "Konsul" konnte Raisa etwas anfangen. Doch würde sie Revali nie darum bitten, ihr diesen zu erläutern. „Finden wir es doch ganz einfach heraus", schlug Raisa gegenwärtig vor und folgte der Mädchenmasse. Revali folgte ihr, wenngleich – und das spürte sie deutlich – er dies äußerst ungern tat.
Ihr Weg führte sie zum Zentralplatz von Hyrule-Stadt, der selbst in dieser Zeit existierte. Zwar sah er nun deutlich anders aus, unter anderem durch die Statuen der Recken, die diesen Platz zierten, doch war er immer noch wiederzuerkennen. An jenem Ort, an welchem in ihrer Vergangenheit so viele Schlüsselmomente stattfanden, hatten sich gegenwärtig unzählige Personen versammelt. Womöglich alle Stadtbewohner und noch all jene, die zu Besuch waren. Vom Stadttor bis hin zu den Mauern von Schloss Hyrule ließen all diese Personen jedoch immer noch eine Gasse frei, in der zwei Kutschen nebeneinander hätten fahren können. Raisa und Revali, die sich bis nach ganz vorne gedrängelt hatten, sahen allerdings keine Kutschen, sondern drei Personen, die Richtung Schloss Hyrule gingen. Sie sahen ausländisch aus und waren definitiv keine Hylianer. Sie besaßen keine spitzen Ohren, waren dafür aber größer, ungefähr so groß, wie die Orni es waren.
„Aus Epysa stammen die auch nicht, sofern es dieses noch gibt", sagte Revali. Raisa stimmte dem stumm nickend zu und behielt die drei Ankömmlinge genau im Auge. Seltsame Malereien, die ein wenig denen der Shiekah ähnelten, zierten deren Körper. Jedoch waren die mehr als langen Haare der fremden, männlichen Besucher nicht weiß, womit eine solche Abstammung auch ausgeschlossen war.
Dadurch, dass die beiden Recken den besten Ausblick in der ersten Reihe genossen, konnten sie erkennen, dass es ein noch recht junger Mann war, der vorne ran ging. Vielleicht ein paar Jahre älter als Raisa und Revali. Dies war mit hoher Sicherheit dieser Sir Kain. Der Konsul – was auch immer das bedeuten mochte. Ein Adelstitel oder eine politische Position? Ein wenig verfluchte die Hylianerin es, dass diese Zeit Hyrules ihr so fremd vorkam. Im Vergleich zu der anderen...
Rina war auch nicht grade das Paradebeispiel gewesen, wenn es um Bildung ging. Und Raisa schon gar nicht. Trotz dessen, dass sie durch Rina Fähigkeiten erlangt hatte, die ihr in ihrem früheren Leben verwehrt geblieben waren und sie nun mehr wusste... Jetzt grade in diesem Moment zwischen all diesen Personen, neben Revali und während diese Gelehrten an ihr vorbeigingen... Sie fühlte sich dumm! Und im Vergleich zu vielen anderen – selbst zu den Recken – war sie es auch. Nur weil sie wusste, wie man sich durch das Leben schlug, konnte sie nicht davon sprechen, dass sie dadurch öffentliches Ansehen gewinnen konnte.
Augenblicklich wandte Raisa sich ab und versuchte in der Masse an Schaulustigen zu verschwinden, um Revali zu entwischen. Dieser hatte jedoch Raisa nie wirklich aus den Augen gelassen und war ihr ohne zu zögern gefolgt. So wie er es sah, war sie schnellen Schrittes auf dem Weg zu sich nach Hause und so wie er Raisa einschätzte, würde sie sich dort drinnen verkriechen und so lange mit dem aushadern, was sie grade offensichtlich beschäftigte, bis sie eine Lösung fand. Nun... "Offensichtlich" war vielleicht etwas hoch gegriffen, denn sie ließ es nicht zu, dass er ihr Gesicht sah. Jedenfalls musste er schnell handeln, ansonsten war sie weg.
„Warum bist du...", wollte Revali in seinem gewohnt gehobenen und arroganten Ton fragen, doch kam er auf diese Weise nicht weit. „Sei still!", zischte Raisa lediglich von vorne. „Beschäftigt dich et...", er fragte nun wirklich sanfter, doch sie unterbrach ihn erneut. „Ich will jetzt nicht reden, kriegst du das nicht in deinen blöden Kopf, Federvieh?!" Dies waren seit langem – und da floss die Zeit vor ihrem Tod mit hinein – die bösesten Worte, die Raisa zu ihm gesprochen hatte. Revali stockte kurz. Ein Schmerz, den er bisher noch nicht gekannt hatte, zog durch deinen Körper, als würde jemand eine Stecknadel einmal durch seinen Brustkorb ziehen. Das war etwas vollkommen Unbegreifliches für ihn. Ebenso verstand er nicht, was er getan hatte, dass Raisa so unfassbar erzürnte. Dabei verlief der Tag gar nicht mal so schlecht – für ihre Verhältnisse. Raisa hatte sogar offen zugegeben, dass sie so etwas wie Freunde waren. Doch nun? Sie wirkte so kalt und verändert, als hätte sie nichts weiter als Hass für ihn übrig. Sie wirkte wie die Raisa, die er kennengelernt hatte, aber nicht wie die Raisa, die er zu schätzen gelernt hatte.
Der Orni atmete tief durch. Immerhin konnte er genauso Stur sein, wie Raisa und wenn sie in diesem Moment alles auf Anfang setzen wollte, nur zu. Das konnte er auch! So holte er die Hylianerin in Windeseile ein und packte sie am Oberarm, um sie aufzuhalten. Für Raisa brachte dies jedoch das Fass zum Überlaufen. Binnen einer einzigen Sekunde hatte sie sich umgedreht und nach der Person geschlagen, die es gewagt hatte, sie festzuhalten. Es ging ihr dabei nicht um Revali. Es hätte jeder sein können! Das einzige, das sie in ihrem Wahn tun wollte, war so viel Schaden anzurichten, wie sie nur konnte.
Revali, der Raisas blitzschnellen Aktionen, Reaktionen oder allgemein Reflexe kannte, konnte zu seinem Glück grade noch ausweichen. Raisas Schlag, der sein Ziel nun verfehlt hatte, ging ohne Halt und Unterlass in die Häuserfassade direkt hinter Revali. Es brauchte keine Worte, um zu beschreiben, wie unfassbar Schmerzhaft dies war. Das verräterische Knacken, als ihre Faust den Stein traf, sprach förmlich Bände. Und Raisa... Raisa, die nun wirklich nicht zart besaitet war, traf dieser Schmerz so hart, dass ihr vernebelter Verstand wieder klar wurde und sie sich von ihrem Zorneswahn befreien konnte. Voller Überraschung und Unglauben zog sie ihre Hand zurück und sah zu Revali.
Der Orni, der in ihren Augen meistens wenig Gefühl sah, konnte ihre Überraschung und ihren Unglauben diesmal aber gar nicht übersehen. Aber auch ihre Haltung verriet sie. Wie sie dastand, mit ihrer linken Hand vorsichtig das Gelenk der Rechten umfasste, deren Pochen er meinte zu sehen. Und dieses Schweigen zwischen den beiden... Es war so unfassbar unangenehm.
„Alles in Ordnung bei dir?" Dies war die wohl dümmste Frage, die er je gestellt hatte und das war ihm auch selbst bewusst, doch er hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen. Und in diesem Fall war etwas, selbst wenn es dumm war, besser als gar nichts. „Nichts ist in Ordnung, Revali. Nichts." Raisa bemühte sich, ruhig zu bleiben und zu klingen. Dass ihre Stimme dabei sehr gepresst klang, nahm sie selbst nicht wahr. Wegen so vieler Dinge würde sie grade am liebsten an die Decke gehen.
„Wieso bist du einfach davongelaufen?", fragte Revali weiter. „Davongelaufen? Du unterstellst mir geflohen zu sein?", stellte sie eiskalt die Gegenfrage. Dabei war sie doch davongelaufen! Vor etwas, dass sie stets begleiten würde: ihre eigene Erbärmlichkeit. Zum Teufel mit diesem verdammten Stolz!
„Richtig. Du bist davongelaufen", stellte der Orni noch einmal klar. Raisa fühlte sich ertappt. Und es war ihr ausgesprochen unangenehm, sie wendete sogar ihren Blick ab. Dass es ihm gelungen war, sie so einfach zu durchschauen, bereitete ihr dabei allerdings das meiste Unwohlsein.
„Jedoch begreife ich nicht, wovor jemand deinesgleichen davon läuft. Schließlich hast du nicht einmal vor der Verheerung gekniffen." Wenn seine Worte sie aufmuntern sollten, dann erfüllten sie den gewünschten Effekt nicht. Ihre eigene Todesursache als Beispiel für ihren Mut zu nehmen... Wohl eher als Beispiel ihrer Torheit!
Raisa zog scharf die Luft, ob nun wegen des Schmerzes in ihrer Hand oder der Tatsache, dass sie sich daran erinnerte, dass sie sich verändern, sich bessern wollte, und dazu auch lernen musste, ihre Gefühle zu übermitteln, war ihr nicht ganz klar. Es war nicht grade leicht, sich dazu zu motivieren, etwas zu tun, das für einen selbst unangenehm war. Und genau damit sah sie sich nun konfrontiert. „Ich konnte es nicht länger ertragen, mich so...", sie versuchte die richtigen Worte zu finden, was in ihrer jetzigen Lage nahezu unmöglich war. So scheiterte sie schon wieder an etwas, was für andere ganz einfach war. Und das frustrierte sie. Es ließ sie wieder in den Glauben fallen, dass sie dazu einfach nicht in der Lage war. Und das, obwohl sie willens war, sich zu verbessen!
„So?", hakte Revali nach und kam ihr näher. Er wusste selbst nicht so recht, wieso er dies tat. Vielleicht hegte er die Hoffnung, dass Raisa dies erleichtern würde, über ihre inneren Vorgänge zu sprechen. Denn diese plagten sie grade, dass konnte er deutlich sehen. „Mich so minderwertig zu fühlen." Jetzt war es raus, auch wenn sie bezweifelte, dass ihre Gefühle bei Revali richtig aufgehoben waren. Im Moment zumindest.
Ein neues Gefühl machte sich in ihr breit, dessen Existenz sie schon beinahe vergessen hatte: Unsicherheit. Dass die Frage, wie Revali auf ihre Worte reagieren würde, wenngleich sie sich diese nur in Gedanken stellte, ein solches Gefühl in ihr auslösen konnte...
Raisa blickte im Augenwinkel zu Revali, der zunächst gar nichts tat und sie weiterhin emotionslos anschaute. Dann allerdings fing er an zu lachen. Und wie er lachte! Er tat ja fast grade so, als würde er sich nicht mehr einkriegen. Und wenn man Raisa nun einen Spiegel vor die Nase halten würde, dann würde sie sich vermutlich vor ihrem fassungslosen Gesichtsausdruck erschrecken. Mit vielem hatte sie gerechnet, ja... Aber sicherlich nicht, dass sie ausgelacht werden würde. Sollte sie das wütend machen? Oder sollte sie enttäuscht sein? Immerhin war es Revali, der auf Ehrlichkeit und Offenheit plädierte und nun hatte sie trotz dessen, dass sie enorme Schwierigkeiten damit hatte, sich geöffnet, ihm den Grund für ihren Gefühlsausbruch genannt. Und er lachte!
Was nun in ihr aufkeimte, ließ sie sogar fast die Schmerzen in ihrer Hand vergessen. „Vielleicht hatte Zelda recht. Ich hätte zuerst das Dorf der Zoras aufsuchen sollen..." Sie hatte sich fest vorgenommen, dass dies, zumindest für den heutigen Tag, die letzten Worte ihm gegenüber sein sollten. Und sie machte auch dann nicht kehrt, als sie hörte, wie Revalis Lachen erstickte.
„Warte, Raisa! Das meintest du ernst?!" Ob dieses Entsetzen und diese Unsicherheit, die sie nun aus seiner Stimme heraushören konnte, echt oder geheuchelt waren, war ihr ziemlich gleich. Sie war durch mit ihm! Und so ging sie, ohne auch nur an das Stoppen zu denken, einfach weiter. Sie war das, was man...verletzt nannte. Und das nicht nur wegen ihrer rechten Hand...
Allerdings wurde sie nun schon zum zweiten Mal an diesem Tage dadurch gestoppt, dass sie am linken Oberarm festgehalten wurde. Zornig funkelte Raisa über ihre Schulter hinweg Revali an, der es nun schon zum zweiten Mal wagte, sie aufzuhalten. „Willst du gar nichts mehr sagen?", fragte er. Daraufhin schlug sie seinen Flügel weg. „Dir", spuckte sie ihm fast schon entgegen, „habe ich nichts mehr zu sagen". Ruhig, kalt und schneidend klang ihre Stimme. Trotz der Wut und Enttäuschung in ihr. Trotz der Schmerzen, die sie wahnsinnig machten.
„Ich war nicht davon ausgegangen, dass du dich jemals minderwertig fühlen würdest." Hatte sie schon einmal erwähnt, dass Revali nie tröstende oder versöhnende Worte wählen konnte? „Glückwunsch, du hast soeben erkannt, dass das Innere von introvertierten Personen ganz anders sein kann, als man vermutet, weil... Ach ja, richtig! Sie zeigen ihr Inneres nicht!" Sie wollte sein dämliches Gesicht nicht länger sehen. Das war alles, wonach sie verlange! „Warte bitte, Raisa..." Sie hatte grade dazu angesetzt, weiterzugehen, da ertappte sie sich, wie sie innehielt. Ob es nun die Art war, wie er zu ihr gesprochen hatte oder die Tatsache, dass er sie wirklich bat, wusste sie nicht. Doch aus irgendeinem Grund legte sich allmählich die Wut, die sie Sekunden zuvor noch verspürt hatte.
Die braunhaarige Hylianerin empfand dies mehr als seltsam. Und dieser Wandel ihrer Gefühle beschäftige sie so sehr, dass sogar Revalis Adleraugen nicht entgangen war, dass Raisa etwas vertieft in ihren eigenen Gedanken war. Er nutzte diesen Moment ihrer Unachtsamkeit, in welchem er eine Entscheidung treffen musste! Entweder, er machte wieder gut, was er angerichtet hatte oder machte Raisa noch wütender, als sie es eben schon war. Vielleicht verlor er sie sogar gänzlich! Aber dies war schon immer bei der Hylianerin schwer einzuschätzen gewesen, denn bedauerlicherweise trennte diese beiden Optionen nur eine dünne Schicht. Raisa war schon immer eine Person gewesen, die zu Extremen neigte. Doch der Orni versuchte sein Glück und kam auf sie zu.
Raisa erwachte aus ihrer Art Trance, als sie vollständig von etwas umgeben wurde. Und dieses Etwas war – sie wollte es nicht glauben – Revalis Federkleid. Bei Hylia nicht schon wieder! „Was fällt dir ein?", knurrte sie, während sie mit ihrer unverletzten Hand versuchte Revali wegzudrücken, um sich aus dieser unangenehmen Situation zu befreien. Zu ihrer Überraschung schaffte sie dies aber nicht. Liebend gern würde sie es auf den Umstand schieben, dass ihr nur eine Hand zur Verfügung stand, doch dies war nicht der Fall. Revali war einfach stärker! Ihr Entsetzen und ihre Überraschung darüber mussten ihr förmlich im Gesicht gestanden haben. Denn Revali hatte dies bemerkte und innerlich stellte ihn das ungemein zufrieden, nach außen hin zeigte er es aber nicht, um Raisas Laune möglichst weit oben zu halten. Ein hehres Ziel... „Das ist doch, was du willst", sprach er. Da Raisa seinen wörtlichen Beistand nicht sehr schätzte, wie er feststellen musste, versuchte er es auf diesem Wege.
„Das einzige, was ich grade will, ist meinen Fehler von eben wieder gutzumachen und dieses Mal dein Gesicht zu treffen!" Es amüsierte ihn, dass Raisa nun mit Drohungen um sich warf, weil sie sich nicht befreien konnte. „Dann schlag doch zu", erwiderte der Orni und sah zu der Hylianerin hinab, die er immer noch an sich drückte. Damit hatte die Braunhaarige ganz sicher nicht gerechnet. Und als sie auch nach ein paar Sekunden immer noch keine Anstalten machte, ihn zu verletzen, war klar, dass sie grade eben einfach nur eine ziemlich große Klappe hatte. Mit nichts dahinter. Und das war ziemlich unangenehm...
Aber im Ernst, sie konnte Revali auch nicht schlagen, nur um sich etwas zu beweisen... Wo sie dies in ihrem Zorneswahn doch unabsichtlich fast getan hätte. Dieser verdammte Orni! Raisa schloss die Augen und seufzte. „Nur dieses eine Mal", sagte sie ergeben. „Und wenn du mich danach noch einmal anfassen solltest, sorg ich dafür, dass du keine Flügel mehr hast und das, Revali, ist keine leere Drohung!" Auch wenn es schwer zu glauben war, Revali hatte das Gefühl, sie meinte es diesmal ernst.
Raisa selbst hatte ihre Augen noch immer geschlossen und wurde sich grade der Wärme bewusst, die von Revalis Federn aus ging. Kein Wunder, dass diese Kleidung, die mit den Federn der Orni gefüttert wurde, so ein Verkaufserfolg war. Und nun wurde ihr auch klar, wie sie die Nacht in Hebra mit dieser einfachen Umarmung überleben konnte. Ihre Finger strichen vorsichtig über sein Gefieder bis hin zu seinem Rücken, auf dessen Eisenplatte, die Teil seiner Rüstung war, ihre Hände nun schließlich ruhten. Nebenbei bemerkt, hatte dieses kalte Metall einen angenehm kühlenden Effekt.
Auch wenn es Raisa unangenehm war, da sie zum einen diese Art von Nähe nicht gewohnt war und zum anderen diese schon gar nicht von Revali, verweilte sie einen Moment lang so. „War es das jetzt?", fragte sie und ließ ihn los. Auch Revali ließ sie los, jedoch schüttelte er den Kopf. „Komm mit", war alles, was er sagte. „Wohin?" Bevor sie ihm blind vertrauend einfach irgendwo hin folgen würde, mussten erst Sternschnuppen vom Himmel fallen und ihr einen Schatz hinterlassen! „In das Dorf der Orni, wohin denn sonst?", stellte er die Gegenfrage. Für Raisa war dies nun die Bestätigung: Revali war übergeschnappt! Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, wo er sich den Kopf gestoßen hatte, doch das Resultat sah sie leider klar und deutlich. Als würde sie ihn zu sich nach Hause begleiten...
„Was schaust du so, Raisa? Die Nacht im Gasthaus geht auf mein Gefieder." Das machte es nicht wirklich besser. „Nie im Leben", stritt sie dieses Vorhaben sogleich ab. Sie erschien ausschließlich im Dorf der Orni, wenn sie Revali für ihr Ziel einspannen musste. Mit an anderen Worten: sie erschien nur dann im Dorf der Orni, wenn ein Nutzen für sie dabei herumkam. „Sei nicht so über alle Maßen stur, Raisa. Deine Hand sieht furchtbar aus und ich weiß von deiner Abneigung gegenüber Ärzten. Doch in der Nähe meiner Heimat gibt es noch immer diese alte Quelle, die angeblich mal von Feen bewohnt wurde. Solange uns Mipha mit ihren Heilkräften noch nicht zur Seite steht, wirst du dich mit diesem heilenden Wasser aus der Quelle zufriedengeben müssen. Schließlich willst du morgen auf dem Weg zu den Zoras doch nicht komplett nutzlos sein." Könnte sie beide Hände zu Fäusten ballen, dann würde sie dies jetzt auch tun. „Mit diesem Vorwand willst du mich also locken, ja?", fragte sie noch einmal nach. Revali grinste nur selbstsicher. „Scharfsinnig wie eh und je. Aber ja und wie ich sehe, springst du darauf an. Aber keine Sorge, die Quelle besuchen wir dennoch."
Unfassbar. Einfach nur unfassbar. Doch noch unbegreiflicher fand sie die Tatsache, dass sie doch tatsächlich eingewilligt hatte. Wie schaffte dieser Orni es nur, dass sie sich nicht, wie üblich, mit einem einfachen "Nein" durchsetzte? Sie dachte schon, dass sie sich im Gegensatz zu früher unfassbar verändert hatte, doch musste sie immer wieder feststellen, dass besonders in der Gegenwart von Revali, sich immer wieder irgendetwas in ihr veränderte. Wie schaffte er das bloß?
„Wir sollten fliegen, dann kommen wir am schnellsten voran. Zu Fuß wären wir morgen noch nicht einmal bei der Quelle", sagte Revali. Raisa blickte im Augenwinkel zu ihm und fragte sich still und heimlich, ob sie irgendetwas noch überraschen konnte. Früher wäre Revali selbst in ernsthaften Situationen nicht direkt bereit gewesen, sie zu fliegen und nun bot er es von sich aus an. Sie waren in Hyrule-Stadt, weit entfernt von Tabantha, es blieb ihr also nichts anderes übrig, als zuzustimmen. „Wenn es sein muss...", gab sie genervt von sich. Revali, sichtlich zufrieden mit seiner Errungenschaft, beugte sich etwas hinunter, damit Raisa überhaupt eine Chance hatte, auf seinen Rücken zu steigen. Aus seiner Sicht waren die Hylianer wirklich unpraktisch gebaut. Besonders ihrer Größe wegen...
Raisa hielt sich mit ihrer unverletzten Hand an der Schulterplatte von Revalis Rüstung fest, um sich schließlich mit einem Ruck auf seinen Rücken zu ziehen. Etwas unangenehm war es für sie letztlich schon, allerdings nur aufgrund des Bogens, den Revali umgelegt hatte. Er schien dies bemerkt zu haben, dass sie damit so ihre Probleme hatte, denn sie hörte ihn laut seufzen.
„Wenn du ihn nicht verlierst, leg ihn den Flug über um", bot er ihr schließlich an. Und sie war eben noch der von überzeugt gewesen, dass sie nichts mehr überraschen konnte. Seinen Adlerbogen durfte sie nur ein einziges Mal in Händen halten und das war bei ihrer Mission in Hebra, ansonsten gab er ihn nicht her. Und nun... Vertraute er ihr diesen Bogen an. Er vertraute ihr also?
Mit der aufrichten Absicht es nicht zu missbrauchen, griff sie nach der Sehne des Bogens, nachdem sie ihren Arm um seinen Körper herum ausgestreckt hatte, und zog diese über seinen Kopf. Der Adlerbogen war unfassbar schwer, hatte sie das je erwähnt? Aus welchem Holz auch immer er gefertigt wurde, es wundere sie nur geringfügig, dass dieser Rohstoff bei keiner anderen Waffe dieser Welt noch einmal Verwendung fand.
Kaum hatte Raisa sich den Bogen umgelegt, war Revali ohne ein weiteres Wort darüber zu verlieren, losgeflogen. Im äußerst letzten Moment konnte sie noch halt finden, indem sie nach seinen Federn griff und sich an diesen festhielt. Immerhin beschwerte Revali sich darüber nicht.
Als Raisa sich an die Bewegungen Revalis beim Fliegen gewöhnt hatte, ließ sie wieder die weichen Federn aus ihren Händen gleiten. Sehr zur Wohltat ihrer rechten, die wirklich fürchterlich aussah. Angeschwollen, am Knöchel mehr als blau angelaufen... Dass es doch tatsächlich einen Moment gab, in welchem sie die absolute Selbstbeherrschung verlor und einfach nur so viel Schaden anrichten wollte, wie möglich. Es war wie damals in Akkala, wo sie auf die Gruppe von Rebellen getroffen war, dessen Anführer sie verwundet hatte.
Alpträume von dem Kampf gegen Ganons Fluch, Wutanfälle und was wusste sie schon, was noch alles hinzukommen würde. Die Kurzfassung von all dem war, dass sie ein ziemliches Problem hatte. Und das auf mentaler Ebene. Aus diesem Grund sollte es von nun an in ihrem Interesse sein, dieses Problem zu verstecken und bestmöglich geheim zu halten. Nicht das sie am Ende noch unzurechnungsfähig in einer Zelle landete.
„Ich frage mich, was aus Link geworden ist. Es scheint die Verheerung überlebt zu haben", sagte Raisa und erntete dafür ein lautes Murren. „Fängst du jetzt schon an von dem zu reden? Ich dachte, dieses Geschwafel um den ach so großen Helden von Hyrule hätte noch Zeit, bis er, wenn überhaupt, an der Reihe ist", antwortete ihr Revali. „Es interessiert mich auch viel mehr, was aus dem Bannschwert geworden ist", stellte Raisa klar. Revali schwieg kurz und sie hatte so das Gefühl, dass dies nichts Gutes verhieß. „Gedenkst du, es selbst aus dem Sockel zu ziehen und des Helden Platzes einzunehmen, Raisa?" Mit jedem Wort, das er gesprochen hatte, zogen sich ihre Augenbrauen weiter zusammen. „Bitte? Ich will mich von meinen Pflichten befreien und mir nicht noch weitere aufdrücken lassen. Abgesehen davon ist dies nicht mein Schicksal, ich könnte dieser Aufgabe also nicht gerecht werden, selbst wenn ich es wollte."
Auch wenn sie sich ungern selbst schlecht redete oder zumindest ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten ungern einschränkte, dies war die pure Wahrheit und daran gab es nichts zu rütteln. Revali erwiderte daraufhin nichts und flog weiter nach Tabantha, welches er auch schon fast erreicht hatte. Ein Blick nach unten verriet ihr, dass sie grade das Hügelland mit dem Donnerplateau überflogen. Die sagenumwobene Quelle, in welcher angeblich einst eine Fee gelebt haben sollte, war nun wirklich zum Greifen nahe. Allerdings bezweifelte die Hylianerin, dass ihr Besuch an dieser Quelle ihr großartig helfen würde. Man erinnere sich an die heiligen Quellen der drei Göttinnen, die diese Welt erschufen. An diesen ach so heiligen Quellen konnte Zelda ihre Siegelkraft auch nicht erwecken. Letztlich war dies alles doch nur ein Märchen...
Fast schon leichtfüßig landete Revali auf dem Vorsprung des Berges, auf welchem sich die alte Quelle befand. Raisa rutschte von seinem Rücken herunter und reichte ihm seinen Adlerbogen wieder, welchen der Orni auch gleich wieder an sich nahm. „Beeindruckend", sagte Raisa und blickte auf das, was vor ihr lag. Es sah aus, wie eine vertrocknete Pflanze in dessen Mitte sich ein Teich befand.
„In Erzählungen wirkte der Ort wirklich magischer", stimmte Revali ihr zu. „Aber was soll's. Solange dieser Teich seinen Zweck erfüllt." Raisa ging langsam an die Quelle heran, die zwar ihren magischen Glanz äußerlich verloren hatte, doch dessen Wasser so aussah, als würde sie in den Himmel sehen. Und dies war ganz und gar wörtlich zu verstehen. Sie kniete sich hin und es sah so aus, als würde sie nach dem Himmel greifen. Auch Revali verfolgte dieses Schauspiel mit großem Interesse. Kaum berührten Raisas Finger die Wasseroberfläche, löste sich dieses fast schon magische Bild auf und sowohl Raisa als auch Revali konnten nun sich selbst im Spiegel des Wassers sehen.
„Ich sage doch, die Quelle ist magisch", sagte Revali amüsiert und setzte sich zu der Hylianerin auf den Boden. „Hm, ja, kann schon sein, dass du das erwähnt hast", sagte Raisa, die ihm grade relativ wenig Beachtung schenkte. Zu gut fühlte sich ihre Hand in dem eiskalten Wasser an und zeitgleich durchströmte sie eine angenehme Wärme, die Raisa nur von Miphas Heilkräften kannte.
„Glückwunsch, du hattest das erste Mal eine gute Idee", sagte Raisa. Ihre Augen waren geschlossen und auf ihren Lippen zeigte sich ein zufriedenes Lächeln. „Das ist nicht das erste Mal!", protestierte er. Vielleicht mochte er auch damit recht haben, doch dafür hatte sie grade keinen Gedanken übrig. Und wenn sie überhaupt noch für irgendetwas einen Gedanken übrig haben sollte, dann für die Frage, wie sie den Rest des Tages mit Federvieh Revali im Dorf der Orni aushalten sollte!
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Until the last heartbeat
Lãng mạnJahrhunderte vergingen, seit die Recken im Kampf gegen die Verheerung fielen. In diesen Jahrhunderten herrschte nichts als Frieden, was den einstigen Kampf immer mehr in Vergessenheit geraten ließ. Bis zu dem Tag, an dem eine Weissagung die erneute...