Kapitel 22 - Recke der Gerudo, Urbosa

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Wohlbehalten zurückgekehrt, verbrachte Raisa ihre Zeit nun auf dem Basar in Gerudo-Stadt, wartend auf Sonoha. Diese übergab in jenem Moment die erbeuteten Moldora-Herzen ihrer Königin. Sicherlich hatten sie einiges zu besprechen, indes besah sich Raisa die verschiedenen Stände nun genauer. Die vielen Ausrüstungsgegenstände, angefangen bei Kleidung bis hin zu Waffen zogen ihre Aufmerksamkeit besonders auf sich. Das Sortiment an Pfeilen mit verschiedenen magischen Attributen, wie Kälte oder Hitze, war auch nicht zu verachten – nur würde ein gewisser Bogenschütze niemals in die Verlegenheit kommen, sie sich in dieser Stadt ansehen zu können. In jenem Moment ruhte ihr Blick allerdings auf speziellem Schmuck. Nicht, dass sie sich groß dafür interessierte, jedoch waren diese ebenfalls mit Magie versehenen Gegenstände dazu in der Lage, einen gewissen Schutz gegen bestimmte Elemente oder Magiearten zu gewährleisten. Recht faszinierend, was sich die Bewohner Hyrules alles einfallen ließen, nachdem das Verbot der Magie wieder aufgehoben wurde... Sie selbst wusste, wovon sie sprach, hatte sie doch die uralte Begabung der Hylianer selbst einmal genutzt.

„Die Ohrringe aus Topas würden Euren Augen überaus schmeicheln." Mit einer leicht hochgezogenen Augenbraue sah die Hylianerin auf und erblickte wieder die grinsende Schmuckhändlerin. „Du bist auch überall, nicht wahr?", fragte Raisa und verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Oh bitte, werter Recke, ich bin ein Spitzel. Ich muss überall sein", sprach sie leise und nur für Raisas Ohren bestimmt. „Ihr wirkt so unzufrieden. Kauft Euch doch irgendetwas, das Euch glücklich macht?", schlug die junge Gerudo schmunzelt vor und lehnte sich dabei über den Tresen.

Etwas, das sie glücklich machte?

Raisas Blick fiel erneut auf den Schmuck vor ihr, dann auf die eleganten Schwerter und Dolche einen Stand weiter. Sie blickte über die Schulter zu einem der Stände, der Reisebekleidung verkaufte. Sie hatte keinerlei Ahnung, was sie glücklich machen konnte, wie sie gerade feststellte. Natürlich könnte sie sich von ihrer Ausbeute etwas Nettes kaufen, aber könnte sie darin noch mehr als den schlichten Nutzen sehen? „Ich denke darüber nach", sprach Raisa schließlich, um einem weiteren Gespräch auszuweichen und verließ den Stand.

„Du bist gar nicht so leicht zu finden, wenn man dich einmal aus den Augen lässt. Man könnte meinen, du entziehst dich gerne den Blicken anderer." Nachdem ihre Besprechung ihr Ende gefunden hatte, war Sonoha in die Stadt zurückkehrt. Sie fand Raisa schließlich an der Stadtmauer lehnend, die Finger nachdenklich gegen die Lippen gepresst und den Blick etwas nach unten gerichtet. Auf die Worte der Gerudo-Kriegerin hin sah Raisa auf und zuckte leicht mit den Schultern. „Ich stehe ungern im Mittelpunkt. Die einzige Ausnahme bildet ein Kampf. Diese Dinge kann ich handhaben", erklärte sie schlicht. Sonoha lächelte daraufhin etwas irritiert. Viele Geschichten über Raisa hatten bis in diese Zeit noch überdauert; die Memoiren der Prinzessin von Hyrule jener Zeit gaben den größten Aufschluss. Doch keine Anekdote aus einem Buch konnte auch nur annähernd Raisas einzigartigen Charakter vermitteln.

„Wie dem auch sei. Die Dinge sind vorerst geklärt. Und meine Königin spricht ihren tiefst verbundenen Dank aus. Sie würde ihn dir gerne persönlich aussprechen, doch ich erklärte ihr, du wärst bereits weitergezogen. Das war doch ganz in deinem Sinne, oder etwa nicht?", erklärte Sonoha, woraufhin Raisa bestätigend nickte. „Richtig. Es ist nicht so, dass mir der Zustand deines Volkes gänzlich gleich ist...", sprach Raisa und stieß sich von Mauer ab, „aber ihr habt es doch auch lieber, wenn niemand davon erfährt, dass ihr Hilfe von auswärts hattet?" Sonoha konnte auf die Worte des Recken hin nur schmunzeln. Raisa kannte die Gerudo gut. Zweifelsohne, da sie eine zur Kameradin hatte.

„Nun, wir haben nicht alle Zeit der Welt. Der Titan, Vah Naboris, wo finde ich ihn?" Endlich ging es ans Eingemachte. Mit Naboris Rückkehr würde Urbosa ebenfalls ihren Weg zurückfinden. Und damit waren sie fast wieder vollzählig – es fehlte nur noch an dem Ritter, der das Bannschwert führen sollte.

„Raisa, sag, hast du dich je gefragt, was südlich der Gerudo-Wüste liegt? Jenseits der Grenzen Hyrules?" Auf das leichte Kopfschütteln der Hylianerin hin, begann Sonoha zu erzählen: „Man nennt diesen Teil der Wüste die Ewig heißen Lande. Dort herrschen Temperaturen, mit denen nicht einmal die Gerudo-Wüste mithalten kann. Wenn dir die Hitze hier schon zusetzt, dann solltest du dich von diesem Ort fernhalten. Jene, die waghalsig genug sind, werden in diesem alles vernichtenden Land aber auch nicht viel finden, außer ein paar Handelsposten nahe der Grenze." Irritiert zog Raisa eine Braue nach oben. „Und was genau soll mir diese Geschichte jetzt sagen?", fragte sie, den Sinn nicht verstehend. „Vor geraumer Zeit entstand ein niemals endender Sandsturm nahe dieser Grenze. Und in seiner Mitte befindet sich Vah Naboris"

Warum einfach, wenn es auch schwer ging? Ruta, am Grunde des Sees, Rudania vermutlich im Todesberg... Dass sie Medoh einst über das Land erreichen konnte, war ja ein Glücksgriff sondergleichen. „Ist es möglich zu ihm vorzudringen?", fragte Raisa, hoffend, dass sie nicht erneut einen Trank zu sich nehmen musste, der die Gesetze der Natur zeitweise aussetzte. „Ja, aber es könnte sehr gefährlich werden. Da wir auf die Nacht zugehen, sollten die Temperaturen unser kleinstes Problem sein. Willst du dennoch gehen?", fragte die Gerudo. „Ich habe keine andere Wahl. Ich muss zu diesem Titanen." Mit diesen Worten schritt die Hylianerin voran zu dem Sandrobbenverleih, um sich mit einem geliehenen Schild und dem Tier aufzumachen.

Was auch immer sie finden würde, mit dem Zusammentreffen der Recken...
Es war etwas, das sie unbedingt erreichen musste. Davon war sie überzeugt...

Zusammen mit Sonoha schlitterte sie bei untergehender Sonne durch die Gerudo-Wüste. Immer weiter in südliche Richtung, bis am sandigen Horizont an ein großes, dunkles Wabern zu erkennen war. Beim Stehen konnte Raisa einen leichten Sog in der Luft spüren. Selbst von diesem Punkt aus, wo sie stand... So weit von dem Sturm entfernt, erreichte sie dennoch dessen Einfluss. Das, worauf sie zuritten, war vielleicht tödlicher als die Tiefen des Stausees und die unerträgliche Hitze des Todesberges zusammen. Und dennoch musste Raisa es wagen.

Es dauerte nicht lang, da begann die Sicht um sie herum schlechter zu werden. Wie auch schon in dem Labyrinth nutzten Raisa und Sonoha Reckenschal und Tuch, um sich zu schützen. Das Sehen und Atmen fiel ihnen dennoch nicht leichter. Jedes freie Stück Haut litt unter den umherfliegenden Sandkörnern, die fast schon peitschend auf ihre Körper trafen. Unter diesen Bedingungen hatte Raisa es nicht leicht, Sonoha durch den Sandsturm zu folgen. Es war ein Wunder, dass sie die Gerudo noch sehen konnte... Doch noch bevor sie diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, schlug sie gegen etwas, dass sie aufgrund der schlechten Sicht zu spät erkannt hatte. Die Zügel ihrer Sandrobbe loslassend, prallte Raisa auf den sandigen Boden.

Was sie gerammt hatte, schien eine dieser großen Kakteen gewesen zu sein, die in der Gerudo-Wüste wuchsen. Ein paar der Nadeln dieser Pflanze, konnte sie nämlich aus ihrem Oberarm zupfen. Als hätte sie keine anderen Sorgen in diesem Moment. Orientierungslos und allein war sie nun in diesem Sandsturm. Nicht einmal ihre Sandrobbe war ihr nach dem Sturz geblieben. Große Klasse, wirklich... Wie groß mochten ihre Chancen sein, zu Fuß diesen Sandsturm lebend zu verlassen?

Ganz gleich, wie groß die Wahrscheinlichkeit war, Raisa hatte schon viele tödliche Situationen überstanden, Momente, in denen sie ganz klar im Nachteil gewesen war, zu ihren Gunsten gewandelt. Also würde sie auch dieses Hindernis überwinden! Diese Gedanken... Würden ihr für gewöhnlich ähnlich sehen. Unerschrocken von jedem Fall wieder aufstehend und sich dem Schicksal entgegenstellend. Warum also saß sie nun regungslos auf dem sandigen Boden, als würde sie sich dieser Situation hingeben?

Vielleicht... Hatte sie es einfach verdient, dass dies geschah. Wer war sie schon, zu glauben, dass sie die Fähigkeit besäße, das Schicksal nach Belieben zu ändern? Sie wusste im Prinzip gar nichts von dieser Welt oder von dem Leben... Eine gute Person war sie auch nicht. Warum also sollte jemand wie sie eine derartige Kraft besitzen? All die Zeit hatte sie sich etwas vorgemacht, glaubend, sie könnte ihrer gerechten Strafe entgehen...

Aber hier saß sie nun, wissend, dass ihre Glückssträhne ein Ende besaß und es nichts gab, was sie noch retten konnte. Ihre Gabe ließ sie auch im Stich... So schloss Raisa, ihr Schicksal akzeptierend, die Augen und verharrte regungslos in ihrer Position. Aufgeben... So beschrieb man wohl das, was sie gerade tat.

Wäre da nicht diese Kleinigkeit, die sie widerstreben ließ.

Nicht ihre Gabe war es, die dieses Mal als Wegweiser im Kopf diente. Nein... Es war eine Erinnerung, die sie vor ihrem geistigen Auge erneut abspielen sah. Es war im Dorf der Zoras gewesen... Als sie ein Versprechen gab, ihr Leben nicht für eine Kleinigkeit aufs Spiel zu setzen. Ob man das Reaktivieren des Titanen und das Erwecken Urbosas als Kleinigkeit betrachten konnte, war fraglich. Doch für Revali war es das wohl, denn in der damaligen Situation ging es um Ruta und Mipha und deren erfolgreiches Zurückgewinnen. So oder so, sie würde ihr Versprechen brechen, wenn sie sich dem hier hingab... Und nie wieder sollte sie ein gegebenes Versprechen brechen!

Unter Schmerzen richtete sich Raisa wieder auf. Sie hatte etwas gefunden, für das es sich lohnte weiterzuleben. Das war Grund genug, dass sie bereit war, bis zum Äußersten zu gehen. Ihren Arm haltend, schritt sie voran. Was vor ihr lag, das wusste sie nicht... Doch solange sie einen Fuß nach dem nächsten setzen würde, bestand der Hoffnung, dass sie es herausfinden würde.

Sonoha, die derweilen bei dem Titanen im Auge des Sturms angekommen war, sah sich hektisch um. Weit und breit fehlte von Raisa jede Spur. Der Sandsturm war so dicht gewesen, sie hatte nicht bemerkt, wann sie den Recken verloren hatte! Das war nicht gut. Ganz und gar nicht! Unter diesen Umständen würde sie Raisa niemals finden, sie konnte in dem Sturm ja nicht einmal etwas sehen. Und dennoch... Sollte sie es wagen und auf gut Glück versuchen? Nicht nur, dass sie mit Raisa hier war, um etwas auf dem Grund zu gehen, dass sie schon lange beschäftigte... Die Hylianerin hatte viel für sie getan und ohne ihre Hilfe wäre es ihr vermutlich nie gelungen, die Moldora-Herzen zu bekommen, um so die Katastrophe der Gerudo zu stoppen. Nein, sie konnte Raisa keinesfalls in diesem Sturm zum Sterben zurücklassen.

Sonoha wandte sich dem Titanen zu, der regungslos auf dem Wüstenboden kniete. Die große Urbosa wusste dieses Ungetüm zu steuern... Wie schwer konnte es schon sein? Wüsste sie nur, wie sie die antike Maschine wieder in Gang setzte! „Ihr Urmütter der Gerudo... Helft mir...", sprach sie und haute vor Frust gegen eines der riesigen Beine von Naboris. Ob nun durch Zufall oder Schicksal, über die äußere Fassade des Titanen zogen sich einige Blitze nach oben zu den Antennen entlang, die sich kurz darauf entluden und unkontrolliert Blitze in das Umland einschlagen ließen. „Wie...?", fragte Sonoha und ging ein paar Schritte rückwärts von dem Titanen fort.

„Ganz gleich wie, du hast mir damit sehr geholfen." Ihren Schal von ihrem Gesicht wickelnd, ging Raisa auf Sonoha zu, die sich erschrocken umdrehte. Nur dank des Lichts der Blitze, hatte sie die Richtung ausmachen können, in welche sie gehen musste. „Dass du hierher gefunden hast, grenzt an ein Wunder. Wirklich Raisa, dieses Mal glaube ich wirklich, dass die Götter ihre Finger im Spiel hatten." Im Augenwinkel sah die Hylianerin zu Sonoha auf, als sie zu dieser aufgeholt hatte. „Ich auch." Es schien etwas zu geben, das Raisa schlichtweg am Leben hielt....

Sie blickte zu Vah Naboris auf. So viel Ärger hatte sie in Kauf nehmen müssen, um hier stehen zu können. Wenn nun auch der letzte Schritt getan war und sie ins Schloss zurückkehrte... Dann würde sie einer neuen Zukunft entgegenblicken. Sie, mit ihren Kameraden...

„Ich habe immer gewusst, dass dieser Tag kommen würde", fing Sonoha an und näherte sich dem Titanen wieder. „Darf ich eine Vermutung äußern, Recke? Du kamst mit dem Ziel nach Gerudo-Stadt, den Titanen zu finden und wieder zu aktivieren. Doch das ist nicht alles. Du wolltest auch die Person finden, die die Seele von Königin Urbosa in sich trägt, nicht wahr? Die Person unter all den Gerudo, die sich ihre Reinkarnation nennen darf..." Mit ihren smaragdgrünen Augen blickte Sonoha hinab, direkt in die goldenen Augen Raisas. „Mich."

Überrascht zog Raisa ihre Augenbrauen etwas nach oben, während sie dem Blick der Gerudo standhielt. Zwar hatte sie im Labyrinth geahnt, dass Sonoha sie etwas durchschaut hatte – immerhin war sie ihr zuvorgekommen, was das Thema Vah Naboris anging, doch das hatte sich Raisa damit erklärt, dass es als Recke dieser Zeit wohl naheliegend war, den Titanen finden zu wollen. Der Rest jedoch, die Sache mit der Reinkarnation... Dass Sonoha davon wusste, hatte sie nicht erwartet. „Ich nehme an, auch das weißt du von deiner früheren Berufung als Schamanin?", fragte Raisa daraufhin zurück.

„Eine Frage mit einer Frage beantworten, ist nicht sehr höflich. Aber ich nehme das als eine Bestätigung. Ja, ich weiß seit langem, von diesen Dingen. Dass wir hier gemeinsam vor dem Titanen stehen würden... Aber auch, dass ich Urbosa bin. Leider war es mir nie möglich, über dieses Wissen hinauszukommen. So sehr ich es mir auch gewünscht habe, ich konnte mich an meine Vergangenheit nicht erinnern. Ich wusste, wer ich war und letztlich wusste ich doch gar nichts... So habe ich mein Leben verbracht, darauf wartend, dass du endlich auftauchst..."

Zu wissen, wer man war... Letztendlich aber doch gar nichts über sich zu wissen...
Unwillkürlich musste Raisa daran denken, dass sie selbst nicht wusste, was sie glücklich machte.

„So dann, Recke, kannst du mir zeigen, wer ich wirklich bin? Das ist doch Teil deiner Mission, nicht wahr?", fragte die Rothaarige abwartend. Raisa nickte daraufhin und setzte sich in Bewegung, um den Titanen gemeinsam mit Sonoha, nein, Urbosa zu betreten. Seit dem letzten Mal war viel Zeit vergangen. Doch der Weg in den großen Hauptraum war glücklicherweise leicht zu finden. Über die Plattformen an der Seite gelangten sie auch schon zu der großen Steuerungseinheit in der Mitte des Titanen. „Wenn du deine Hand auf dieses Podest legst, wird sich dir alles offenbaren..." Daraufhin verschränkte Raisa die Hände hinter dem Rücken und wartete ab. Ein wenig...erinnerte sie diese Situation an damals, als sie als Recke neu ernannt wurde und die anderen aufsuchen sollte, um von diesen ein wenig Unterweisung zu erhalten. Nun war sie es, die ihrer Kameradin half, wieder Fuß zu fassen.

Sonoha blickte auf Steuerungseinheit und das Podest davor. Der Drang in ihr war immens, ihre verlorenen Erinnerungen wiederzubekommen und herauszufinden, wer sie wirklich war. So hob sie ihre Hand und legte diese auf dem Stein nieder. Im gleichen Atemzug wurde dem Titanen wieder Leben geschenkt. Das Licht, dass sich von der Steuerungseinheit ausbreitete, versetzte Vah Naboris in seinen Zustand von vor ungezählten Jahren und mit dem Erreichen dieses Ziels, war Urbosa mit Sicherheit wiedererwacht.

„Ich danke dir, Naboris." Mit diesen Worten lenkte Urbosa ihren Blick von der Steuerungseinheit auf Raisa, die in diesem Moment selbst erst wieder wagte, die Augen zu öffnen. „Und ich danke selbstverständlich dir, Raisa. Nicht nur, dass du mir meine Erinnerungen wiedergegeben hast. Ich habe von Naboris erfahren, dass du als erste zurückkehrtest... Im Namen von uns allen möchte ich dir danken, dass du all diese Mühen auf dich genommen hast. Ich kann nur erahnen, was für ein langer und von Strapazen gezerrter Weg dies gewesen sein muss." Urbosa stellte sich Raisa gegenüber und legte der Hylianerin eine Hand auf die Schulter. Sie wank daraufhin nur ab, dachte jedoch noch einmal über Urbosas Worte nach.


„Im Namen von allen, sagtest du? Dann war Revali in Eldin erfolgreich", schlussfolgerte sie. Somit fehlte nur noch Link, dann waren sie gänzlich wieder vereint. Doch was die Piloten der Titanen anging, so waren sie alle zurückgekehrt. Und... Wie Urbosa es gesagt hatte, diese lange Reise fand nun ihr Ende. „Ja, das war er. Scheint sich ganz schön gemacht zu haben. Hinter seinen Worten stecken nun ja auch Taten", schmunzelte Urbosa. „Durchaus", murmelte Raisa, was ihr alsbald zum Verhängnis wurde. „Du hast dir Sorgen gemacht, oder? Heute Morgen, bevor wir aufbrachen, hattest du so unruhig gen Nordosten geblickt. Ich konnte mir keinen Reim darauf machen, doch jetzt sieht die Sache anders aus." Grinsend legte Urbosa einen Arm um Raisas Schulter.

„Wie schön, dass du noch ganz die alte bist. Dann bin ich ja noch eine Sorge los", erwiderte die Hylianerin und befreite sich aus Urbosas Umarmung. Raisa hatte sich schon gefragt, wie lange es dauern würde, bis Urbosa sie wieder ein wenig aufziehen würde. Offensichtlich nicht sehr lange.

„Urbosa, ich schlage vor, du triffst in Gerudo-Stadt deine Vorbereitungen. Ich muss bald zurückkehren nach Schloss Hyrule und du wirst mich doch gewiss begleiten?" Urbosa verschränkte ihre Arme vor der Brust, während sie auf Raisa nieder sah. „Es gibt gewiss einige Dinge, die ich dort in Erfahrung bringen möchte. Dass du in den Dienst des Recken zurückgekehrt bist, dass wir alle in diesem Leben zurückgekehrt sind... Heißt das, unsere Welt wird einmal mehr vom Untergang bedroht?", fragte die Gerudo, woraufhin Raisa leicht nickte. „Zumindest wurde es so prophezeit. Was mein Dasein als Recke anbelangt... Ich werde dir auf unserer Reise nach Schloss Hyrule davon erzählen."

Sich mit diesen Worten vorerst zufriedengebend, befahl Urbosa den Titanen, in Richtung Gerudo-Stadt zu wandern, ehe sie selbst auf einen der Balkone stellte, um die Aussicht zu betrachten. Raisa, die ihr gefolgt war, musste feststellen, dass der Sandsturm verschwunden war. Gewiss war dieser nur eine weitere Prüfung gewesen, herauszufinden, ob sie und Urbosa noch immer den Willen besaßen, weiterzukämpfen... „Raisa, ohne dich aufziehen zu wollen oder darüber zu witzeln... Du bist doch verliebt, oder nicht?", fragte die Gerudo, ohne ihren Blick von der Aussicht der weiten Gerudo-Wüste zu lösen. „Seit unseres Todes haben wir uns nicht mehr gesehen. Und von allen Dingen fragst du mich ausgerechnet das?", fragte angesprochene zurück, verschränkte dabei abwehrend die Arme vor der Brust und blickte skeptisch zu der ehemaligen Königin.

„Ich weiß es nicht. Das soll nicht heißen, dass Revali irgendjemand für mich wäre. Aber ich weiß nicht, was Liebe ist. Und ich glaube auch nicht, dass ich es je herausfinden werde. Revali scheint das nicht zu begreifen... Wenn er mir noch einmal damit ankommt, dann...", drohte sie vor sich hin.

„Du bist doch so scharfsinnig, was deine Umwelt angeht. Warum lauschst du mit derselben Aufmerksamkeit nicht einmal in dich hinein? Hör auf das, was dein Herz sagt. Abgesehen davon... Musst du etwas nicht benennen können, um daran Gefallen zu finden. Wenn es dich glücklich macht, dann lebe es aus." Sicherlich ein gut gemeinter Rat. Doch wenn man auch nicht wusste, was es bedeutete, glücklich zu sein, fand man sich vor dem gleichen Problem wieder.

Dass Raisa weiter über ihr Leben nachdachte, war das einzige, was Urbosa mit ihrem Rat erreicht hatte.

„Du siehst müde aus. Soll ich eine Nacht im Gasthaus für dich springen lassen?", fragte Urbosa, als Gerudo-Stadt nun in greifbarer Nähe war. Bei dem Gedanken lief ihr unangenehmer Schauder den Rücken herunter. „Danke, aber ich komme zurecht. Ich bleibe einfach hier, bis du mich für die Rückreise abholst", erwiderte Raisa. Nach einem letzten skeptischen Blick der Musterung nickte Urbosa schließlich einlenkend und trennte sich vorerst von Raisa, um in der Stadt ein weiteres Mal vor die jetzige Königin zu treten und das Auftauchen des Titanen zu erklären. Seufzend nahm Raisa unterdessen Platz und lehnte mit ihrem Rücken an der Brüstung. Ihr Blick galt dem Himmel, der nun von unzähligen Sternen überzogen war. Seit wann...fühlte sie sich so schwach?

Als der Morgen anbrach und eine weitere, ruhelos Nacht hinter Raisa lag, trat diese gemeinsam mit Urbosa die Reise an. Die Wüste hatten sie mithilfe der Sandroben leicht durchquert, sodass es am Stall der Schlucht zu Pferd weiterging. Urbosa und Raisa schwiegen sich den Großteil der Reise über an, wofür die Hylianerin innerlich dankbar war. Sie hatte keine Energie dafür übrig, sich von Urbosa aufziehen zu lassen. Den Grund für die Schweigsamkeit konnte sich Raisa zwar nicht zusammenreimen, doch sie nahm es einfach als günstige Fügung hin.

Dass Urbosa schwieg, um Raisa ein wenig Ruhe zu gönnen, behielt diese für sich. Bereits am vergangenen Abend war es ihr aufgefallen, dass sich die Hylianerin seltsam verhielt, ganz anders, als man es von ihr gewohnt war. Doch der apathische Ausdruck in Raisas Augen, während sie durch die Ebenen von Hyrule ritten, schlug dem Fass den Boden aus. Was es auch war, dass das Gemüt der jungen Hylianerin so veränderte, Urbosa würde es im Auge behalten...

Da sie früh aufgebrochen waren und von guten Reisebedingungen profitierten, würden sie Hyrule-Stadt bald erreichen, dabei war schätzungsweise gerade einmal der Mittag angebrochen. Die prächtigen Stadtmauern, die aus der Ferne so klein gewirkt hatten, zogen sich vor ihnen nun in die Höhe. Die Soldaten, die auf ihnen patrouillierten, ließen sie ohne weiteres passieren, sodass sie die große Metropole, Hyrule-Stadt, nun endlich betreten konnten. Links und rechts von ihnen, passierten unglaublich viele Personen die Straßen, den Aufgaben des täglichen Lebens nachgehend. Wahrscheinlich zog es sie alle zu dem Markt, was das Vorankommen zu Pferd nicht gerade erleichterte.

„Lebst du hier in dieser Stadt, Raisa?", fragte Urbosa und sah zu der Hylianerin herüber, deren Blick durch die Gegend schweifte. „Ja, aber ich glaube, nicht mehr lange. Ich verbinde mit dieser Stadt selbst nach all den vergangenen Jahren keine wirklich guten Erinnerungen. Ich dachte, es hätte sich etwas verändert. Vielleicht hat es sich an der Stadt auch, aber nicht an mir." Obwohl sich der Grundriss der Stadt stark verändert hatte, brauchte sie nur ihren Blick durch die Gegend schweifen lassen und dabei ein wenig in Erinnerungen schwelgen, schon sah sie Ihr jüngeres Ich durch die Straßen laufen. Wobei "weglaufen" es wohl besser traf, denn wie oft hatte sie den Soldaten entkommen müssen, wenn sie wieder etwas gestohlen hatte? „Es ist kein Ort, den ich mein Zuhause nennen kann", setzte Raisa noch nach.

„Und wie denkst du über Hateno? Ein vergleichsweise ruhiger Ort, an welchem man sich sicher auch gut niederlassen kann", schlug Urbosa vor. An sich stimmte das. Hateno lag abgelegen, zwar war der Ort im Laufe der Zeit auch gewachsen und zu einer kleinen Stadt geworden, doch es war dort immer noch ruhig und idyllisch. Nur... Würde sie jetzt nach Hateno zurückkehren, dann müsste sie sich etwas gegenüberstellen, für das sie noch nicht bereit war. Schließlich wohnte in Hateno Amina, die wiedergeborene Seina. Doch was bedeutete das schon? Im Gegensatz zu ihr, war Seina keine Auserwählte, die ihr Gedächtnis von einem höheren Wesen wiedererlangen würde. Nein, sie würde für alle Zeiten Amina bleiben und... Darüber hinaus erwartete sie die Rückkehr Rinas, aber nicht Raisas. Das Gesicht ihrer einstigen Freundin besaß nicht mehr deren Persönlichkeit... Hinzu kam, dass ihre Freundschaft in der Kindheit eines anderen Lebens bestand. Nun waren sie erwachsen, ganz andere Persönlichkeiten in einer anderen Lebenssituation. Vielleicht war es besser, wenn sie einander nicht wiedersehen würden.

„Raisa, bist du in Ordnung?", fragte Urbosa nun, die diese Frage nicht mehr für sich behalten konnte. „Sicher, warum sollte mit mir etwas nicht stimmen? Ich habe nur ein wenig in Erinnerungen geschwelgt. Hateno klingt nett, ich werde darüber nachdenken..." Diesen Satz sprach sie in letzter Zeit erschreckend oft. Wann immer sie sich einem Gespräch entziehen wollte...

Jedoch standen sie nun ohnehin vor den großen Toren von Schloss Hyrule und mussten ihre Aufmerksamkeit etwas anderem schenken. Nachdem sie ihren blauen Schal vorgezeigt hatte, erlaubten die Wachen das Eintreten und öffneten den beiden die Tore zum Passieren. Ein wenig gespannt war Raisa schon. Für diesen Moment hatte sie lange hingearbeitet. So ließ alles von Anfang bis Ende noch einmal Revue passieren. Der Moment, als sie in ihrem Titanen erwacht war, die Reise in das Dorf der Orni und das Wiedersehen mit Revali... Die Reise in das Dorf der Zoras, die vielen Begegnungen, die sie unterwegs gemacht hatte oder Hindernisse, die überwunden worden. Letztlich ihre Reise nach Gerudo-Stadt und was es sie dort nicht alles gekostet hatte, um jetzt vor den Türen des Thronsaals zu stehen, die Recken in diesem vermutend. Sie, die Piloten der Titanen, in einem nächsten Leben an diesem Ort vereint.

Die Wachen öffneten ihnen die Türen, sodass Raisa und Urbosa eintreten konnten.

Until the last heartbeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt