Kapitel 4 - Schließt sich eine Tür, öffnet sich eine andere

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Es war bereits mitten in der Nacht, als Rina wieder in Hateno angekommen war. Es war mucksmäuschenstill, doch wusste sie, dass diese trügerische Stille nicht lange anhalten würde. Noch einmal holte sie tief Luft, ehe sie die Türklinke des mittlerweile heruntergekommenen Hauses herunterdrückte und vorsichtig die Tür aufschob. Zugleich zog sie diese aber wieder zu, als es nur wenige Zentimeter neben der Tür schepperte. Keramikscherben flogen durch die Gegend, von denen Rina aber zu ihrem Glück verschont blieb. Mit etwas mehr Elan öffnete sie nun die Holztür und schloss diese sogleich auch wieder hinter sich. Dabei hörte Rina das Knirschen der Scherben auf dem Boden über welchen sie schritt.

Mit festem Blick schaute sie zu der älteren Frau, die die Hände an die Hüften gestemmt hatte und so wütend aussah, wie Rina es noch nie erlebt hatte. „Ich kenne deine Neigung, Regeln nicht einzuhalten und in den Tag hineinzuleben, wie es dir passt", zischte die Heimleiterin wütend.
„Aber der heutige Tag hat alle Maße gesprengt. Bei dir kann ich mir gut vorstellen, dass du nie gelernt hast, Uhren zu lesen, so desinteressiert wie du bist. Aber eine fünfstündige Verspätung lässt sich selbst damit nicht mehr entschuldigen!", fuhr die Frau auch sogleich fort.

Rina wusste, dass dies nicht einfach werden würde. Sie wäre ja schon zu spät gekommen, wenn die Ritter sie nicht noch einmal nach Schloss Hyrule zurückgeholt hätte. Aber dadurch ist noch einmal immens viel Zeit verstrichen. „Ich wurde in das Schloss gebeten." Die Braunhaarige glaubte nicht, dass ihr diese Aussage irgendetwas bringen würde. Doch unversucht würde sie nichts lassen.
„Natürlich. Du wurdest in das Schloss gerufen. Dann erklär mir, was der königliche Hof von jemand so unbedeutendem, wie dir, wollte", forderte die Heimleiterin zu wissen. Die Braunhaarige verschränkte die Arme vor der Brust. Unbedeutend? Wenn die wüsste...

Von dem oberen Stockwerk dröhnte Kinderlachen herunter, was die Braunhaarige mit finsterem Blick aufsehen ließ. „Schaut mal, Schwesterchen Rina wird jetzt zusammengefaltet", flöteten einige Kinder, die das Spektakel im Hausflur beobachteten. „Wartet es nur ab, ihr Rotzgören, wenn ich erstmal bei euch bin, dann habt ihr nichts mehr zu lachen", drohte Rina und ging Richtung Treppe. „DU gehst NIRGENDWO hin!", donnerte es ihr auch sogleich hingegen, als sie nur einen einzigen Schritt gemacht hatte. „Und ihr geht sofort in Bett sonst ereilt euch dasselbe!" Wie schnell doch das Lachen der Gören verschwunden war.

„Ich habe genug von dir, Rina. Ich beherberge dich hier nun schon länger, als ich eigentlich müsste und dabei machst du nichts als Probleme. Du wirst zwanzig Jahre alt, also ist es an der Zeit, dass du selbst zurechtkommen musst. Ab morgen Mittag bist du hier verschwunden." Die alte Frau hatte sich von Rina abgewandt, die nun doch entgeistert drein blickte. „Was?", fragte sie noch immer ungläubig. „Diesmal ist es ernst. Alles hat seine Grenzen und du hast sie schon zu oft überschritten. Ich will, dass du gehst."

Und ein weiteres Mal konnte Rina nicht glauben, dass ihr Tag noch schlimmer wurde. An die Phrase ,es kann gar nicht mehr schlimmer werden' wollte Rina schon gar nicht mehr denken. Offenbar war der Abgrund mit grauenhaften Ereignissen endlos tief...

„Und jetzt scher dich davon..." Rina sah keinen Sinn darin zu protestieren. Gegen den Tunnelblick der alten Heimleiterin kam nichts an. Und abgesehen vom heutigen Tag, wo Rina tatsächlich nichts für ihre Verspätung konnte, hatte die Braunhaarige schon so oft den Bogen überspannt. Es war also nur eine Frage der Zeit, wann dies sie einholten würde. Doch genauso wie der Vorfall im Titanen hätte es einfach keinen schlechteren Zeitpunkt geben können. Nun, aber das hatte sie sich selbst zu verschulden. Immerhin war die alte noch so gnädig und ließ sie den Rest der Nacht über bleiben.

Wortlos ging die Braunhaarige die Treppe hoch zu dem Zimmer, in welchem sie lebte. Ein Hochbett, eine Kommode und ein Schreibtisch – mehr befand sich in dem kleinen rechteckigen Raum nicht. Früher lebte sie in diesem mit Amina zusammen, doch wurde die Rothaarige vor etwa vier Jahren von einem Ehepaar aufgenommen. Seitdem hatte die alte Heimleiterin zweimal versucht, jemanden mit in Rinas Zimmer zu stecken. Doch beide Kinder hielten es nicht lange mit ,dem Monster', welches sie selbst wohl sein sollte, aus. Und so hatte Rina bislang das große Privileg genießen können, ein Zimmer für sich selbst zu haben. Doch nun hatte sie das große Problem nicht mehr lange ein Dach über dem Kopf zu haben.

Mit etwas zu viel Schwung ließ sie die alte Holztür ins Schloss fallen und lehnte sich zugleich an diese. Wo war der Halt im Leben, wenn man ihn wirklich mal brauchte? Im Augenblick wusste sie schlichtweg nicht weiter. Es gab kein vor und kein zurück, kein Weg, den sie beschreiten könnte. Wäre die Sache mit dem Heim doch bloß ihre einzige Sorge... Aber nein, es gab da ja noch etwas viel Schlimmeres. Zelda, die Recken, die Wiederkehr der Verheerung Ganon, der Zweifel ihrer eigenen Existenz... Nie hatte Rina das Bedürfnis gehabt, sich zu wünschen, dass das, was sie durchstanden hatte, bloß ein Traum gewesen wäre. Jetzt grade wünschte sie sich nichts sehnlicher. Dann würde sie von Grund auf alles anders machen...

Die Zeit verging und trotz der Tatsache, dass sie hundemüde war, konnte sie nicht einschlafen. Ihr Blick war durch das kleine Fenster in den Nachthimmel gerichtet und sie ließ die Gedanken kreisen, immer und immer wieder. Was, wenn Prinzessin Zelda recht behielt und sie in Wirklichkeit wirklich jemand anderes war? Andererseits gab es sowas doch nur Geschichten... Und dennoch war die Beweislast erdrückend. Die Titanen ließen sich nur von den Recken steuern, so hieß es zumindest. Und in dem Moment, als sie an diesem Podest herumgefummelt hatte, war doch tatsächlich etwas passiert. Und das war ja offenbar keinem anderen, außer einem Recken, möglich.
Dann waren da noch diese Bilder in ihrem Kopf. Die Erscheinung einer Person, die sie nicht kannte. Sie war nicht wie eine typische Kriegerin aus Büchern gekleidet, eher wie eine normale Bürgerin. Und dennoch war sie einzigartig. Stechende goldene Augen und in der Hand ein Schwert mit weiß glänzender Klinge, wie Rina es noch nie gesehen hatte. Furchtlos stand die Person diesem riesigen Monster gegenüber. War das, was sie gesehen hatte, wirklich ein Einblick in die Vergangenheit? Rina würde es ja gerne bestreiten, doch sie hatte es gesehen, klar und deutlich.

Das alles war so seltsam... Kaum sprach die Prinzessin von Hyrule aus, dass sie bald eine Entscheidung, bezüglich der wohl angeblich in ihr schlummernden Kraft eines Recken, treffen musste, warf die alte Heimleiterin sie doch tatsächlich raus. So war sie doch schon fast gezwungen sich dem königlichen Hof zuzuwenden. Als würden all diese Personen unter einer Decke stecken. Oder mischte das sogenannte Schicksal diesmal mit?

Rina wusste nicht, wie lange es noch so hin und her in ihrem Kopf ging, wie oft sich die Gedanken und Spekulationen wiederholten. Irgendwann jedenfalls, noch bevor die Sonne aufging, siegte die Müdigkeit über den Verstand und sie fiel in einen traumlosen Schlaf.




„Das ist eine ziemlich verzwickte Lage, Rina." Amina ließ den Kopf ein wenig hängen und dachte nach. Es war bereits Mittag und wie sollte es auch anders sein, die beiden hatten sich am höchsten Punkt von Hateno, wo noch die alten Überreste eines Gebäudes standen, getroffen und versuchten eine Lösung zu finden. Rina hatte der Rothaarigen alles erzählt, was sie wusste. Obwohl sie eigentlich diskret sein musste, hatte sie Amina eingeweiht, da sie auf die Hilfe ihrer Freundin hoffte.
„Und das du so blöd warst und dich um dein Zuhause gebracht hast, ist bloß das i-Tüpfelchen", fügte Amina noch hinzu. Beide ließen ihren Blick über das riesige Meer streifen.

„Die alte hat entschieden, du weißt, wie sie ist", erwiderte Rina gelassen. Nach ihrer viel zu kurzen Nacht war sie aufgestanden und hatte ihre wenigen Sachen, die sie besaß, in eine Tasche gepackt und war verschwunden, so wie die Heimleiterin es verlangt hatte.
„Also wie sieht dein Rat aus?", fragte sie Amina. „Du solltest dich entschuldigen und nach einer letzten Chance bitten", erwiderte die Rothaarige. Sie schnaubte daraufhin nur und sah ihre Freundin ungläubig an. „Und dein richtiger Rat?" Eigentlich war dies nicht der passende Augenblick, um sich über irgendetwas zu amüsieren und dennoch ließ Amina es sich nicht nehmen.
„Wenn das alles so ist, wie du sagst, dann solltest du zu Prinzessin Zelda gehen und sagen, dass du die Position des Recken annimmst. Eigentlich hast du nichts zu verlieren und die Zelda frisst dir sowieso fast aus der Hand..." In einem Punkt irrte die Rothaarige sich nur gewaltig.

„Ich habe nichts zu verlieren? Ich habe dich und mein Leben zu verlieren. Ich weiß zwar nicht, was es für eine Verantwortung mit sich bringt, Recke zu sein und ich kann nur erahnen, was meine Pflichten wären... Aber ich bin nicht Raisa, zumindest habe ich ihre Begabungen nicht. Ich kann nicht eben mir nichts dir nichts zu jemanden wie sie werden", erwidere Rina.
„Wenn ich eins weiß, Rina, dann das du die Ambitionen hast deine Welt zu einem Schachbrett zu machen und andere für dich so handeln zu lassen, wie du es gerne hättest. Ebenfalls eine Eigenschaft, die du mit Raisa gemeinsam hast, du manipulierst andere. Ich habe ja schon immer gesagt, dass du ihr unglaublich ähnlich bist." Amina klang wirklich überzeugt, doch Rina war es noch lange nicht.

„Selbst wenn es dir nicht passt, ich fürchte, du hast gar keine andere Wahl." So langsam glaubte Rina das auch. „Versprich mir nur eines, Rina", sagte Amina bittend und wandte sich ihrer Freundin zu. „Bitte sei immer noch du, wenn wir uns das nächste Mal treffen. Ich will nicht, dass aus dir jemand anderes wird, nur weil du jetzt die Position eines Recken einnehmen wirst..."
Rina nickte zögernd, dabei beschlich sie das Gefühl, dass hinter Aminas Worten mehr steckte, als die Rothaarige jetzt grade zu verstehen gab. „Ich werde mir beste Mühe geben, den verkorksten Charakter der Prinzessin nicht zu übernehmen", antwortete Rina scherzhaft und hatte ein amüsiertes Grinsen auf den Lippen. „Du bist auch um nichts verlegen, oder?" Die Antwortet darauf kam schnell. „Wäre ich es, wäre ich wohl nicht ich."

Vermutlich war dies für lange Zeit das letzte Mal, dass die beiden so entspannt Zeit miteinander verbringen konnten. Schließlich trennten sich die Wege der beiden und sowohl Rina, als auch Amina würden erstmal damit beschäftigt sein, die nächste Zeit zu meistern.

„Also dann..." Rina erhob sich woraufhin Amina es ihr gleich tat. „Jetzt schon?", fragte sie. „Je eher daran, je eher davon", erwiderte Rina lediglich. Beide machten sich somit auf den Weg in das Dorf. Amina hatte beschlossen, Rina noch bis zu dem Tor zu begleiten. Während die Braunhaarige also für längere Zeit ihren letzten Marsch durch das Dorf antrat, prägte sie sich noch einmal alles genau ein. Sogar das Waisenhaus, vor welchem die alte Heimleiterin saß und ihre Zeitung las. Rinas Blick und der, der alten trafen sich noch einmal, ehe die Braunhaarige den Blick wieder abwandte. Insgeheim stellte sie sich allerdings schon vor, wie blöd die alte wohl aus der Wäsche schauen würde, wenn sie das nächste Mal als Recke das Dorf betrat. Sofern alles so verlaufen würde, wie sie sich das vorstellte. In letzter Zeit, so musste sie feststellen, lief gar nichts mehr so, wie sie es sich zurechtlegte.

Viel zu schnell kamen Amina und Rina bei dem Tor an, was erstmal Abschied bedeuten würde. Ein wenig surreal kam ihr das noch immer vor, dass sie ihre Heimat verließ, um nun im Dienste Hyrules zu stehen. Grade sie, die die Hauptstadt, den Hof und alles was damit verbunden war, verabscheute.
„Rina", hörte sie Amina leise neben sich sagen. Sie klang unsagbar traurig. Rina drehte sich zu ihrer Freundin mit dem feuerroten Haar um, deren Traurigkeit auch ins Gesicht geschrieben war.
„Ich sterbe nicht", sagte Rina daraufhin. Doch Amina schüttelte nur den Kopf und umarmte Rina, so fest wie sie nur konnte. Stimmt ja, das war das erste Mal, dass sie für längere Zeit getrennt waren. Oder?

Aus irgendeinem ihr unerfindlichen Grund war Rina kein bisschen traurig. Nicht mal annähernd. Als wäre sie es gewohnt, Amina nicht bei sich zu haben. Wirklich seltsam, aber anstatt traurig zu sein, hatte sie ein Gefühl von Nostalgie.
„Schreibst du mir?", fragte die Rothaarige. „Ich habe keinen blassen Schimmer, was mit mir passieren wird. Wenn ich daran denke, ja", erwiderte sie. Mit einem leichten Lächeln ließ Amina wieder von ihr ab. „Du bist wirklich unverbesserlich, Raisa", sagte Amina in einem Ton, als hätte sie das normalste auf der Welt gesagt. Während Rina sofort aufgehorcht hatte, brauchte es bei der Rothaarigen sogar eine Weile, bis sie begriff, was sie da gesagt hatte. „Ich,... Also", Amina wusste nicht einmal, was sie sagen sollte. Auch für Rina war die Situation mehr als seltsam. Das Gefühl von Nostalgie in ihr war stärker als je zuvor. „Steck deine Nase besser nicht in jedes Buch. Das bekommt dir nicht." Schließlich stellte Rina das alles scherzhaft hin und machte sich auf den Weg. Während sie die Stufen herunterging, hob sie noch zum Abschied die Hand.

Ein wirklich seltsamer Moment...

Until the last heartbeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt