Kapitel 19 - Der Untergang wird besiegelt

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Lautes Hämmern, zischende Funken, pfeifendes Wasser... Eine ganze Weile hatte Revali mit seinen scharfen Augen die Vorgänge in der Schmiede beobachtet, die wie ein ewiger Kreislauf immer von neuem begannen. „Für'n Orni bist du sehr aufmerksam, was die Schmiedekunst angeht", sprach der Gorone, dem es nicht entgangen war, dass man ihm auf die Finger sah. Nicht, dass es ihn störte. Neugierde war immerhin keine Sünde. „Es kommen nur wenige deiner Art hierher nach Eldin. Und wenn sie es tun, dann ist die Schmiede kein Ort, den sie aufsuchen", erklärte er weiter.

„Ich bin nur zufällig vorbeigekommen. Doch kam mir in den Sinn, dass jemand, den ich gut kenne, sein Schwert hier in Goronia hat anfertigen lassen. Doch das ist lange her", entgegnete Revali. „Dann muss dieser jemand aber entweder ein Auge für gute Waren oder ein sehr spezielles Gemüt besitzen, einen derart langen Weg auf sich zu nehmen. Für solche Kleinigkeiten gibt es nicht umsonst auch gute Schmiede in Hyrule-Stadt", lachte der Gorone lediglich, wobei es sich für Revali mehr wie ein dunkles Brummen anhörte. „Ich denke, letzteres trifft eher zu." Es war doch keine Untertreibung zu behaupten, dass Raisa speziell war? Seinem Wohlergehen zuliebe, würde er aber dafür Sorge tragen, dass sie von seinen Worten hier nichts erfuhr.

„Ich weiß zwar nicht welche mysteriösen Umstände dich nach Goronia geführt haben, Orni, aber du kannst mich Marek nennen. Ein junges Kriegerherz ist in meiner Schmiede immer willkommen", erklärte der Gorone freundlich, während er seine Arbeit nicht auch nur für eine Sekunde unterbrach.

„Dann habe ich eine Frage... Marek. Wenn ihr Goronen mit eurem Oberhaupt nicht zufrieden seid, warum lehnt ihr euch dann nicht gegen ihn auf? Rebellionen durchstreifen seit Anbeginn der Zeit unsere Geschichte. Ohne Veränderung kann weder die Gesellschaft noch die Welt wachsen. Und hier wird sie ja offensichtlich zwanghaft aufgehalten." Es war ja kaum mit anzusehen, wie sich Rongara aufführte – und wenn Revali bereits diese Ansicht vertrat, dann mochte dies auch etwas heißen.
„Weißt du, junger Orni, wir Goronen mögen den Frieden. Sich in Frieden an den einfachen Dingen des Lebens zu erfreu'n, das macht und glücklich. 'Nen unnötigen Konflikt zu vermeiden is' quasi oberste Priorität." Konflikte vermeiden, ja? Wenn Revali sich recht erinnerte, dann waren die Goronen seinerzeit auch ein stolzes Kriegervolk gewesen. Wo war nur all der Stolz hin, den dieses Bergvolk mit ihrer Stärke im Kampf einst verbunden hatte?

„Also gibt es hier keine Krieger mehr, die überhaupt noch wüssten, wie man den Frieden verteidigt?", fragte Revali weiterhin interessiert. Und als hätte der Orni damit einen wunden Punkt erwischt, verfehlte Marek den nächsten Schlag auf die Klinge etwas, wodurch diese am überstehenden Ende auf dem Amboss verbog. „Nee, da es in Hyrule auch seit Jahrhunderten keine Kriege mehr gab und auch die Monster immer weniger wurden, brauchte es keine Goronenhelden mehr. Wir hab'n uns damit abgefunden. Aber mal ehrlich, Junge, du interessiert dich für seltsame Dinge." Marek hatte seinen Hammer abgelegt und strich sich durch seinen weißen Bart, während er Revali musterte. „Sag mal, kenn' wir uns?", fragte der Gorone, wobei ihm seine leichte Verwirrung ins Gesicht geschrieben stand.

In diesem Moment wusste der junge Orni selbst nicht, was ihn überkam. Für gewöhnlich war es seine selbstsüchtige Art, die ihn in solchen Situationen gerne Mal mit Namen und Fähigkeiten prahlen ließ, doch in jenem Moment waren seine Beweggründe andere. Es galt nicht dem Eigennutz oder der Aufwertung seines Selbstwertgefühls – nein, er hatte das Gefühl als könnte er mit etwas derartig einfachen die Welt verändern. Das war, objektiv betrachtet, Schwachsinn, doch änderte nichts daran, was er fühlte. „Mein Name ist Revali. Ich bin Recke der Orni und werde auf Geheiß von Prinzessin Zelda alles dafür tun, dass der Titan in eurer Mine – Vah Rudania – wieder aktiviert wird. Wenn ich dafür Mauern wie euren Anführer überwinden muss, werde ich das in Kauf nehmen. Es gibt schließlich Personen, die auf meinen Erfolg zählen! Sie zu enttäuschen, kommt nicht infrage!" Überzeugt von seinen Worten, als wären sie in Stein gemeißelt, wandte er sich schließlich ab, nachdem er nun all seine Absichten wie Karten offen aufgelegt hatte.

„Hö?", war die einzige Antwort, die der Recke daraufhin von Marek bekam. Doch Revali ließ sich nicht beirren – dieses berauschende Gefühl, etwas getan zu haben, dass sonst nur von Raisa kam, spornte ihn an. Er musste sich eingestehen, Raisa hatte es wirklich perfektioniert distanziert, gelassen und überlegen in einem zu sein. So genoss er es noch ein letztes Mal, sie zu imitieren und hob den Flügel, um sich verabschieden. „Ich danke für das Gespräch und die Informationen. Sie werden sicherlich nicht gänzlich unbrauchbar sein." Mit einem Hauch von Arroganz und mit erhobenem Haupt verließ er die Schmiede.

Den Spaß nun allmählich beiseite legend, überlegte er mit wachsender Ernsthaftigkeit, wie er vorgehen sollte. Zunächst einmal zog er es vor, Rongara nicht auf den Leim zu gehen, weshalb er zu Fuß in Goronia verschwand, anstatt durch die Lüfte zu fliegen. Als einziger Orni weit und breit wäre es ein leichtes, ihm beim Fliegen zu entdecken. Als sein vorerst nächstes Etappenziel setzte er es sich, den Aufenthaltsort der Mine ausfindig zu machen. Hatte er dies geschafft, würde er sich Gedanken darüber machen, wie er diese unbewaffnet betreten konnte.

Während Revali Pläne schmiedete, die zur Erfüllung seiner Mission dienen sollten, hatte er einen überaus verdutzten Marek in seiner Schmiede zurückgelassen, der noch immer die Informationen verarbeitete, dass er einem Recken – einen der höchsten und angesehensten Krieger Hyrules – gegenübergestanden hatte. „So jung und schon faustdick hinter den Ohren", brummte Marek ins Leere, während er sich weiterhin nachdenklich über den Bart strich. Die Gerüchte, dass die Recken aus vergangenen Zeiten ihren Weg zurück nach Hyrule fanden, hatte er für Mumpitz gehalten, doch die Augen des Jungen, als er sich vorgestellt hatte, waren frei von jeder Lüge. Zudem hatten sie ein Funkeln in sich gehabt, das von den Kämpfen und den Abenteuern berichtete, die dieser Bursche bereits erlebt hatte. Und Marek verwettete seine Goronen-Weisheit darauf, dass ein Leben dafür nicht ausreichte.

Wirklich sonderlich... Er hatte es nie für möglich gehalten, einem so starken Krieger aus alter Zeit gegenüberzustehen. Das erinnerte ihn fast ein wenig daran, was er als kleiner Kiesel einst geträumt hatte, als er noch voller Ambitionen und Eifer war...

Was Eifer anbelangte, da konnte eine Schwertkämpferin mit goldenen Augen am anderen Ende Hyrules ein Lied von singen. Doch gewiss nicht aus Begeisterung. Zugegeben, Raisa hatte eine Weile gebraucht, um es zu bemerken – und das war nebenbei angemerkt der Grund ihrer schlechten Laune – doch um sie herum schlichen Gestalten im Schatten. Aufgrund der hereinbrechenden Nacht, gelang es ihren Kontrahenten umso leichter. Sie nahm sich die Freiheit, diese anonymen Personen als Kontrahenten zu bezeichnen, da sie ihr ein Gefühl bescherten, dass sie schon zu vergessen geglaubt und definitiv nicht vermisst hatte. Die Augen von Jägern, die ihre Beute fest im Blick hatten – es missfiel ihr, diese Augen im Nacken zu haben. Immerhin war sie eine Jägerin und verursachte dieses Gefühl für gewöhnlich bei ihrer Beute!

In ihrem Kopf wog sie die beiden Alternativen, die ihr blieben, ab: sich stellen oder weglaufen. Früher wäre ihr ein Rückzug nie in den Sinn gekommen, es hätte sie in ihrem viel zu hohem Stolz verletzt. Ihr Verstand war der eines rabiaten Kindes gewesen, viel zu stolz, viel zu stur... Wie gerne sie ihrem alten Ich von damals, am Anfang ihres Daseins als Recke, doch sagen würde, wie begrenzt ihr Horizont durch diese Sturheit war! Doch war die Vergangenheit ein Ort, der sich selbst ihren mysteriösen Kräften entzog. Letztlich entschied sie für besagten Rückzug, da sie in Gerudo-Stadt für keinen unnötigen Aufruhr sorgen wollte. Dies war, ihrer Meinung nach, die strategisch beste Lösung aus ihrer Lage heraus. Den Mundwinkel dabei hochziehend, blickte sie noch einmal in die Gasse hinter sich, ehe sie leise zu sich selbst sprach: „Ich bin doch tatsächlich reifer geworden..."

Raisa hätte sich gerne noch länger über sich selbst amüsiert, doch wich der Schalk in ihrem Gesicht und ließ Platz für die Ernsthaftigkeit. Katz und Maus wollte man mit ihr spielen? Da mussten ihre Gegner aber einiges an Geschick aufbringen, denn auch ohne Gabe war sie darin nicht zu unterschätzen. Das hatte die Straße sie gelehrt und der damit verbundene Überlebenskampf.

Mit einem Mal, ohne jegliches Vorzeichen, setzte sie zum Sprint an und lief durch die engen Seitenstraßen der Stadt. Ihr Ziel war es lediglich, diese gierigen Jäger abzuhängen, nicht mehr und nicht weniger. Erst dann konnte sie in Ruhe überlegen, wie sie weiter vorgehen sollte. Diese Gedanken beiseite schiebend, konzentrierte sie sich nur noch darauf, zu entwischen. Doch der Fokus blieb ihr nicht lange, denn auf unerfindliche Art und Weise fand sie dies überaus amüsant. Es war eben schon lange her, dass sie den Nervenkitzel gespürt hatte, dass ihr jemand ebenbürtiges in diesem Spiel nach dem Leben trachtete. Es brauchte schon einiges, um Raisa aus ihrer für gewöhnlich kühlen und desinteressierten Fassung zu bringen. Unter anderen Umständen, hätte sie nicht eine wichtige Mission zu erfüllen und wäre sie nicht zu der Person geworden, die sie nun war... Dann hätte sie ihre Verfolger aus der Stadt gelockt und im Schein des aufgehenden Vollmondes gerichtet.

Sie tippte auf drei bis vier Frauen, die hinter ihr her waren. Da Raisa sie durch ihr Weglaufen zum Handeln zwang, gaben sie sich die eine oder andere Blöße, die sie mit ihren guten Sinnen wahrnahm. Die festen Schritte verrieten ihr, dass es Gerudo-Kriegerinnen waren, die ihr folgten. Das war naheliegend, doch nun hatte die Hylianerin die Bestätigung. Gerne hätte sie noch länger mit ihnen gespielt, wäre entlang der engen Gassen und Lehmmauern gelaufen, durch kleine Lücken in besagten Mauern geschlüpft und ein wenig in den Schatten eingetaucht, doch um den leicht aufkeimenden Gefühlen ihres damaligen Ichs und der damit verbundenen Idee, Blut zu vergießen, zu entfliehen, hatte sie ihr Versteck in dem Gebäude gesucht, über dem ein Schild mit der großen Aufschrift 'Durststrecke' zu finden war.

Da der Basar sich gelehrt hatte, musste sie einen anderen Ort finden, an welchem sich viele Personen sammelten, zwischen denen sie entschwinden konnte. Mit einem leichten Seufzen ließ Raisa sich in eine der gepolsterten Sitzecken fallen und amtete erst einmal durch, während sie entspannt die Augen schloss. Sie hatte im Weglaufen doch um einiges nachgelassen, wie sie feststellen musste... Vermutlich lag es daran, dass sie im Gegensatz zu früher viele Reisen neuerdings zu Pferd antrat.

„Sieh an... Nicht viele Hylianerinnen trauen sich zu dieser Stunde an einen Ort wie diesen." Besagte Hylianerin vernahm die Stimme einer Frau, die einem Singsang gleich kam. Die Augen halb öffnend, erblickte sie zwei Gerudo, die sich einfach zu ihr setzten. „Ich sehne mich nicht nach Gesellschaft", kommentierte Raisa das Verhalten dieser Damen, jegliche Distanz zu ihr zu einfach zu überwinden. „Oho, das klingt fast schon ein wenig verkorkst", erwiderte die andere Gerudo und grinste auf eine Weise, die langsam aber sicher Raisas Nerven abtastete. Die Gerudo, die grade gesprochen hatte, war größer und besaß längeres Haar als ihre Freundin und hatte sich binnen Sekunden Raisas Abneigung verdient.

„Ich betrachte es eher als Segen, das Extravertierte Verhalten anderer nicht erdulden zu müssen." Ihre Gegenüber lachten, während sie selbst nur die Beine übereinander schlug und die Arme verschränkte. „Du bist wirklich nicht auf den Mund gefallen. Das finde ich gut! Viele Hylianerinnen sind zu prüde, schüchtern oder arrogant, sich hierauf einzulassen oder besitzen allgemein nicht den Grips, die Welt kennenzulernen. Dir sieht man aber an, dass du mit offenen Augen durch die Welt gehst." Die große und starke machte sich einen Spaß daraus, Raisa deuten zu wollen, doch diese lehnte sich nur, mit unveränderter Miene, nach vorne und schnalzte einmal, ehe sie das Wort erhob. „Um es ganz einfach auszudrücken: Ich kann es nicht leiden, wenn sich Leute mir anbiedern. Davon wird mir schlecht. Wenn meine Ablehnung gegenüber Gesellschaft nicht deutlich genug war, dann sollte ich wohl selbst gehen."

Es gab für sie keinen Grund, sich mit diesen Fremden abzugeben. Zumal sie gerade erst ihren Verfolgern entwischt war – in Situationen wie diesen war ihre Skepsis und ihr Misstrauen so hoch, dass sie jede erdenkliche Möglichkeit in Betracht zog. Vertrauen war für sie ohnehin ein so kostbares Gut, dass sie nicht leichtfertig verschenkte. Zeit ihres Lebens gab es grade mal eine Handvoll Personen, die es sich verdient hatten. Aus diesem Grund erhob sie sich von ihrem Platz, um die Bar wieder zu verlassen.

Bevor sie allerdings auch nur einen Fuß in Richtung Ausgang setzen konnte, erhob ihre aufgezwungene Gesprächspartnerin wieder das Wort. „An deiner Stelle würde ich nicht herausgehen, es sei denn, du willst deinen Verfolgern geradewegs in die Arme laufen." Raisa verkniff sich ihr selbstsicheres Grinsen, indem sie sich auf das Innere ihre Lippe biss. Sie hatte es doch gewusst. „Oh, und woher weißt du von meinen Verfolgern? Ein seltsamer Zufall, nicht?" Die Hylianerin hatte auch vorgehabt, ihren Sarkasmus zu zügeln, doch dies war ihr nicht gelungen. Derart viele Wunder konnte eben selbst sie nicht vollbringen.

„Was hältst du davon, mich in einem Wetttrinken zu schlagen und ich gebe dir alle Informationen, nach denen du dich sehnst?" Nun zögerte Raisa doch. Gehen konnte sie, wann immer sie wollte. Doch vorher wollte sie sich dieses Angebot zumindest einmal durch den Kopf gehen lassen.

In der Zwischenzeit war es Revali gelungen, den Eingang der Mine ausfindig zu machen. Es war nicht sonderlich schwer, denn kaum war der Orni in das Gasthaus Gorogoro getreten, hatte der dortige Wirt ihn schnell in ein Gespräch verwickelt. Scheinbar war ein Orni in Goronia eine Seltenheit, die man als Ansässiger gerne mitbekam. Nach ein paar gewechselten Worten brachte Revali sein Interesse für die Edelsteinförderung und somit den Minen der Goronen zum Vorschein. Mit den Worten „Unsere Hauptmine im Norden des Todesberges trägt am meisten dazu bei. Seit Ewigkeiten wird in ihr geschürft und trotz ihrer Größe ist sie bis zum heutigen Tage nicht erschöpft" hatte Revali sein Ziel dann gefunden.

Als er sich endlich auf den Weg begeben konnte, war die Sonne bereits untergegangen. An der schier unerträglichen Hitze des Todesberges änderte sich damit jedoch nichts. Ein Gutes hatte die Lava um ihn herum jedoch; keine Dunkelheit erschwerte seinen Weg in den Norden Eldins. Und spendete der geschmolzene Stein aus dem Inneren des Todesberges kein Licht, so taten dies die vielen Leuchtsteine am Wegesrand. Derweil hätte Revali sicherlich auch wieder fliegen und eins mit dem dunklen Nachthimmel werden können, doch so hoch wie er fliegen müsste, um ungesehen zu bleiben, würde er auch mit Sicht auf die Dinge unter ihm einbüßen. Und da es sein Ziel war, die Gegend auszukundschaften, verwarf er den Gedanken an das Fliegen wieder.

Die nördliche Mine der Goronen; viele Schienen des Lorensystems um den Todesberg herum bündelten sich an diesem Ort, eine stählerne Brücke, wie sie auch im Dorfzentrum Goronias zu finden war, führte über den Lavasee auf eine steinerne Plattform und von dort aus konnte sie betreten werden. Verborgen hinter zwei großen Türen, gefertigt aus demselben Stahl, wie die Schienen und Brücken, beschützt von zwei Goronen, die mit den Felsenspaltern in der Hand Wache standen.

Und es war in dieser Sekunde, dass Revali, verborgen hinter einigen Felsen, Zweifel in sich aufkommen spürte. Angenommen es würde ihm mit Geschick gelingen, diese Wachen zu überwinden, würde er vor diesen massiven Türen kapitulieren müssen. In keinem Wunschtraum dieser Welt würde seine Körperkraft dafür ausreichen, diese auch nur leicht aufzuschieben. Falls er überhaupt so weit kam, denn diese Wachen sahen nicht grade freundlich drein und würden ihn gewiss nicht passieren lassen, wenn er freundlich darum bat. Warum nur mussten seine Mauern jedes Mal aufs Neue schier unüberwindbar wirken? Dabei hatte er vorhin noch große Töne gespuckt, dass er jede davon überwinden würde.

Der Gedanke, was Raisa in dieser Situation getan hätte, half dem Orni auch nicht weiter. Denn er konnte es sich beim besten Willen nicht vorstellen... Und es musste auch Situationen geben, in denen sich Raisa geschlagen gab, nicht? Doch... Aus einem Grund, den er nicht benennen konnte, wollte er an diesem Punkt nicht aufgeben und dem Todesberg den Rücken zukehren. Er wollte siegreich hervorgehen und sich beweisen! Ohne über mögliche Konsequenzen nachzudenken, sammelte er seinen Mut, breitete die Flügel aus, um sich in die Lüfte zu erheben und inmitten der stählernen Brücke zu landen. Natürlich blieb dieses Vorgehen nicht ungesehen, so hielten die Goronen demonstrativ ihre klobigen und massiven Waffen vor sich, während Revali auf sie zuging. Er hatte die leise Hoffnung gehabt, dass sie vielleicht noch mit sich reden ließen, doch offensichtlich hatte Rongara ihn bereits Anweisungen gegeben, für den Fall, dass er auftauchte.

Während Revali den Türen und Wachen immer näher kam, schienen diese von Sekunde zu Sekunde immer nervöser, wie er überrascht feststellte. „Keinen Schritt weiter! Du weißt genau, was das für Konsequenzen haben wird!", rief einer der beiden, sichtlich nicht angetan von dem Gedanken, kämpfen zu müssen. Nun wirklich verdutzt, dachte Revali darüber nach, dass sein Ruf als Recke ihm vielleicht vorauseilte und diese Wachen sich daher überhaupt nicht im Klaren waren, dass sie ihm gegenüber im Vorteil waren. Trotz dessen, preschten sie mit ihren schweren Steinschwertern dennoch nach vorn und Revali bereitete sich darauf vor, kurz vor ihrem Zusammentreffen in die Lüfte auszuweichen, damit sie sich mit ihren Schlägen gegenseitig ins Reich der Träume beförderten. So ging er in die Hocke und wartete ab, während der Boden unter ihm erzitterte.

Als würde die Luft über ihm zerschnitten werden, raste ein noch viel größeres Steinschwert knapp über seinem Kopf vorbei, traf die beiden Wachen und riss ihnen nicht nur ihre eigenen Waffen aus der Hand, sondern sie selbst unbarmherzig zu Boden. Revali, der erstmal verdauen musste, dass hinter ihm noch ein Gorone stand, richtete sich schnell wieder auf und drehte sich um, nur um zu Marek aufzusehen, der mit einem schiefen Grinsen seinen Felsenspalter schulterte. „Ich muss schon sagen, Kleiner, du hast mir ordentlich imponiert", sprach er dann und verpasste dem Orni einen freundschaftlichen Schlag auf dem Rücken, wobei dieser jegliche Luft in seinem Körper verlor und zu husten begann. „Hattest vollkommen recht mit Rongara, das kann nicht so weitergehen! Früher wollte ich immer 'n Krieger werden, aber der Chef hat das nicht sehen wollen. Offiziell wurde es nie verboten, aber insgeheim wusst's jeder: Krieger waren hier nicht willkommen. Du bist bereit für deinen Auftrag alles zu geb'n, also werde ich das jetzt auch für meinen Traum tun!"

Das überraschte den Orni dann doch. Dann war sein mutiges Gehabe in der Schmiede doch zu etwas zunutze gewesen, es hatte ihm einen Verbündeten eingebracht! Wenngleich es ein wenig an seinem Stolz kratzte, dass die Wachen nicht ihn, sondern den herbeistürmenden Marek gefürchtet hatten... „Nun denn, das was gerade erst der Anfang. Es gibt noch viele Mauern zu überwinden", meinte Revali und verschränkte seine Flügel. Wie viele Goronen mochten in der Schmiede wohl auf sie warten? „Mach dir mal keine Sorgen, Kleiner. Niemand sagt, dass du sie überwinden musst", sprach Marek und ging auf das Tor zu, „Wenn du jemanden hast, der sie für dich einreißt!" Mit einer Leichtigkeit hatte der Gorone die riesigen und massiven Stahltüren geöffnet, sodass sie laut schallend gegen die Felsenwände an den Seiten flogen. „Suchen wir deinen Titanen", meinte er dann noch mit einer einladenden Bewegung seines Arms. Mit einem süffisanten Grinsen trat Revali an die Seite des Goronen. „Und mischen wir diesen unfähigen Anführer auf", entgegnete ihm der Orni, während sie gemeinsam die steinernen Stufen hinab in die Mine gingen.

In derselben Sekunde schlich sich auf Raisas Lippen ein amüsiertes Grinsen, das den beiden Gerudo an ihrem Tisch nicht verborgen blieb. „Bedeutet dieses Grinsen, dass du einwilligst?", fragte Raisas Herausforderin nun ebenfalls amüsiert. „Nein, keineswegs. Ich hatte nur das Gefühl, dass grade etwas Gutes passiert ist. Ich kenne euch nicht und mein Instinkt sagt mir, dass ich geradewegs in eine Falle laufe, wenn ich mich auf eine so alberne Wette einlasse." Obwohl sie diesem Vorschlag gänzlich abgeneigt war, hatte sie wieder Platz genommen. „Sonoha, das nützt nichts. Lass uns wieder gehen", sprach die andere Gerudo, die kleiner war und kürzeres Haar besaß. „Ich amüsiere mich grade. Geh, wenn du nicht länger bleiben willst", sprach Sonoha – wie Raisa grade erfahren hatte – in einem harschen Ton. Und nach kurzem Schweigen, blieb Raisa mit ihr allein, wobei sie der Fortgehenden kurz hinterher sah. Jetzt begriff die Hylianerin... So war das Ganze?

„Eine Falle, ja? Vielleicht suche ich einfach nur ein bisschen Spaß und habe eine spendable Seite", sprach die Gerudo und stütze ihren Kopf auf ihrer Handfläche ab. „Informationen kann ich mir stets woanders einholen, zumal ich nicht einmal weiß, ob du mir die Wahrheit sagen würdest. Und was die spendable Seite angeht... In dieser Welt wird einem nichts geschenkt, das macht unser Aufeinandertreffen nur noch suspekter." Die Gerudo, Sonoha, lachte dabei nur auf. „Du bist wirklich eine verkorkste Hylianerin! Dich muss man endlose Male übers Ohr gehauen haben, das du so empfindlich reagierst! Abgesehen davon sprach ich nie von einem Geschenk, du müsstest diese Wette schon für dich gewinnen! Ah, aber bei deinem Körperbau und deiner Größe wäre das wohl ein Ding der Unmöglichkeit", merkte die Rothaarige dann doch an und musterte Raisa mit ihren grünen Augen.

„Und siehe da, schon werden die ersten unfairen Bedingungen aufgedeckt. Ich wusste, warum ich mich nicht darauf eingelassen habe..." Wenngleich diese Sonoha ihr gegenüber weiterhin äußerst dubios vorkam, konnte Raisa zumindest eine gute Sache von ihrem Platz ausmachen. Das unangenehme Gefühl in ihrem Nacken hatte nachgelassen... Ihre Verfolger schienen vorerst von Dannen gezogen zu sein. Mit anderen Worten: Sie konnte diesen Ort sehr bald verlassen.
„Mein Fehler, meine Trinkpartner sind für gewöhnlich keine Hylianer. Dafür verrate ich dir etwas: Jene, die nach dir trachten, gehören einer Elite-Truppe der königlichen Garde an. Neben dem Schutz der Königin werden sie oftmals mit Spezialaufträgen losgesandt. Darunter Entführungen oder aber auch Attentate."

Raisa musste sich eingestehen, dass diese Erklärung ziemlich schlüssig war. Gleichzeitig war sie nicht sonderlich erfreut darüber. Attentäter im Nacken zu haben, bereitete ihr das gleiche Gefühl, wie von Yiga verfolgt zu werden. Und sie konnte noch nicht einmal sagen, was sie dieses Mal verbrochen hatte! Es war das erste Mal in diesem Leben, dass sie Gerudo-Stadt betrat. Das herauszufinden, wäre ihr sogar das Niederlegen ihrer Verteidigung – zumindest ein wenig – wert.

„Also gut. Ein Becher! Wenn du einen Becher bestehst, verrate ich dir alles, was du wissen möchtest", sprach Sonoha amüsiert. „Alles, was ich will?", wiederholte Raisa und erkannte in diesem Moment, dass sie angebissen hatte. „Alles, sofern ich eine Antwort darauf weiß", bestätigte die Gerudo ihr mit wachsendem Amüsement. „Ich glaube dir kein Wort, aber einen Becher werde ich wohl überstehen", willigte Raisa ein und lehnte sich zurück in ihre Polster. Der Gedanke, dass jemand sein Wissen preisgab, nur um ein wenig Belustigung in einer Schenke wie dieser zu erleben, klang in ihrem Kopf einfach nur absurd. Entweder das oder sie war wirklich von Grund auf verkorkst.

„He, Rigema! Wir nehmen einmal deine Spezialität!", rief Sonoha der Bardame zu. Und nur kurze Zeit später wurde der Becher mit besagter Spezialität auf den Tisch gestellt. „Dann viel Spaß", grinste die Gerudo nur. Mit sichtlicher Falschheit erwiderte Raisa das Grinsen und schob den Becher zuerst zu ihrer Herausforderin. „Ich bin kein Einfaltspinsel", erklärte sie und verschränkte ihre Arme zum unzähligen Male an diesem Abend. „Du hast wirklich Vertrauensprobleme", sprach Sonoha und trank einen Schluck aus dem Becher, ehe sie ihn vor Raisas Nase platzierte. „Siehe da, ich atme und lebe noch." Noch immer voller Skepsis hob Raisa den Becher an und roch zunächst an der Flüssigkeit, doch etwas Ungewöhnliches konnte sie nicht ausmachen. Ein kleiner Schluck verriet ihr, dass die Flüssigkeit ungemein bitter war, als hätte man puren Löwenzahn zu einem alkoholischen Getränk verarbeitet. Entweder sie litt an Geschmacksverirrung oder alle Gerudo dieser Welt taten es!

„Dein Gesicht ist wirklich herrlich, du solltest dich im Spiegel sehen", kommentierte die Rothaarige Raisas Leid mit einem Vergnügen und einer Schadenfreude, wie Raisa sie nur von sich selbst kannte. Und da sie der rothaarigen Schlange dies nicht länger gönnte, setzte sie das emotionsloseste Gesicht auf, zudem sie in der Lage war und trank Schluck für Schluck diese ekelhafte Plörre.

Den leeren Becher haute der Recke etwas zu fest auf den Tisch und blickte dann mit funkelnden Augen zur Herausforderin gegenüber. „Also dann, da mir nun auf einige Fragen und Antworten zustehen, würde ich gerne beginnen." Raisa beleckte sich die Lippen und wollte grade fortfahren, da bemerkte sie, dass ihr die Worte fehlten. Ihr Hals fühlte sich an, als würde er ihr von Sekunde zu Sekunde fester zugeschnürt werden und ihr Blick wurde allmählich schwammig. Adrenalin breitete sich in ihr aus, da sie nicht wusste, was nun geschehen würde. Würde sie sterben? Oder nur der Ohnmacht erliegen, um dann zu sterben? Ihr fehlte jegliche Konzentration, um zu hoffen, dass ihre Reckenfähigkeit ihr half! Raisas Herz schlug so heftig in ihrer Brust, dass sie das Pochen selbst in ihren Ohren wahrnahm. Das hatte sie nun davon... Von dem Moment an, in welchem sie ihre Verteidigung aufgegeben hatte, hatte sie ihren Untergang besiegelt.

Sonoha hingegen blickte gelassen von ihrem Platz aus, wie die Hylianerin ihre Hände an ihren Hals legte und allmählich mit dem Oberkörper auf dem Tisch landete, ehe sie das Bewusstsein abgab. „Ich hätte nicht gedacht, dass sie einen ganzen Becher aushält. Eine unheimliche Frau", sprach die Gerudo, ehe sie Raisa problemlos wie einen Kartoffelsack über die Schulter warf und sich auf den Weg machte.

Until the last heartbeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt