Raisa selbst bekam von dem, was der Orni tat, nichts mit. Zu sehr war sie darauf bedacht, den Abstand zwischen ihr und dem Rand des Titanen nicht noch mehr zu verringern. So hielt sie sich an einer der Säulen fest, die auf den Flügeln Medohs standen, während der Titan weiter gen Himmel aufstieg und sich immer weiter neigte. Raisa, welche nun fast schon ohne ''Boden'' unter den Füßen hing, verließen allmählich die Kräfte in den Armen und auch das starke Rütteln Medohs trug nicht wenig dazu bei, dass ihre Hände schließlich von der Säule abrutschten und sie ohne Unterlass das restliche Stück des Titanen hinunterrutschte.
Ihr Herz schlug, als würde der Tod nach ihr greifen, was in ihrer jetzigen Situation sogar der Wahrheit entsprach. Der freie Fall sorgte für einen Adrenalinschub und einem Kribbeln in ihrer Magengegend sondergleichen. Kein Laut kam ihr über die Lippen, ihre Gedanken überschlugen sich und der immer näher kommende Boden raubte ihr jedes Denkvermögen. Was sollte sie auch tun können? Um ihrem Schicksal nicht entgegenblicken zu müssen, schloss sie die Augen und biss die Zähne zusammen. Es würde schnell gehen, so viel war sicher...
Was genau sie erwartete, wusste sie selbst nicht zu beschreiben, viel erstaunlicher jedoch war die Tatsache, dass es nicht eintraf. Stattdessen verspürte sie einen unfassbar starken Druck an ihren Oberarmen, und irgendwas Spitzes drang durch ihren dicken Mantel bis zu ihrer Haut durch.
„Du bist ganz schön schwer, aber ich habe dich..." Diese Tonlage... Diese Stimme an sich. Raisa öffnete die Augen und erblickte die Landschaft Tabantas, gefärbt in dem Abendrot der Sonne. Noch immer befand sie sich in einer für sie beachtlichen Höhe, doch der Fall hatte nachgelassen, stattdessen nahm sie sogar wieder an Höhe zu. So ganz hatte sie sich noch nicht wieder von diesem Höllenflug erholt, doch versuchte sie wieder klarere Gedanken zu fassen. Dazu zählte auch, sich zu vergewissern, was nun mit Levi oder besser gesagt Revali war, der sie nun gepackt und wieder zu Medoh hinauf flog.
Fast schon leichtfüßig landete sie auf der großen Fläche Medohs, der seine altbekannte Position am Himmel wieder eingenommen hatte. Kaum hatte Revali, von dem sie glaubte, dass er wieder er selbst war, von ihr abgelassen, rieb sich die Braunhaarige auch schon ihre Oberarme. Das Ziehen würde wohl noch eine ganze Weile bestehen bleiben. Viel wichtiger jetzt aber... Revali war hinter ihr gelandet und von der ersten Sekunde an hatte Raisa seinen brennenden Blick in ihrem Rücken gespürt. Sie drehte sich halb um und sah zu ihm auf, da er als Orni nun mal ein ganzes Stück größer war, als sie selbst.
Das gegenseitige Schweigen war für sie beide Unangenehm, doch wussten sie auch nicht, mit welchen Worten sie diese Stille unterbrechen konnten. Dabei war dies ein Wiedersehen nach sehr langer Zeit, wenn man es genau betrachtete. Schließlich war es Revali, der als erste die Stille brach. Alles, war er von sich gab, war ein Wort, genauer genommen ein Name, ihr Name.
„Raisa..." Für einen kurzen Moment zuckten ihre Augenbrauen und ihre Augen verloren ihre Fokussierung auf ihn. Es war für sie schon damals seltsam gewesen, wenn er sie bei ihrem Namen nannte. Aus einem ihr unerfindlichen Grund reagierte sie bei ihm einfach anders. Noch bevor Raisa zum Sprechen ansetzen konnte, fuhr Revali auch schon fort. „Du bist ja noch kleiner, als ich dich in Erinnerung hatte." Zum Vergleich hatte er den Abstand zwischen ihnen überwunden und seinen Flügel auf die Höhe von Raisas Kopf gehoben.
Besagte hatte im Übrigen eine Augenbraue soweit nach oben gezogen, viel fehlte nicht mehr und dann würde sie ihren Haaransatz berühren, da war sie sich sicher. „Und du hast ganz schön zugenommen, wenn wir schon dabei sind." Das Gespräch der beiden war so banal, so unfassbar lächerlich. Als würde es nach dem Ableben und Wiederauferstehen der beiden nichts Besseres zu bereden geben als ihre Makel.
Erneut hielten sie beide Blickkontakt, allerdings schon wieder schweigend. Jedoch wurde es langsam aber sicher immer schwieriger, diese monotone Fassade aufrechtzuerhalten – für beide. Raisas Mundwinkel zog sich langsam nach oben, ehe sie die Augen schloss und sich mit ihren beiden Händen durchs Gesicht fuhr. Revali unterdessen verschränkte seine Flügel vor seiner Brust, ebenfalls amüsiert von dieser total idiotischen Situation, die er selbst in voller Ernsthaftigkeit hervorgerufen hatte. „Jetzt im Ernst, ich habe schon fast damit gerechnet, dass du uns zwei nicht zurück auf den Titanen bekommst", sagte sie halb ernst, halb spaßig. Von Revali erntete sie nur ein spöttisches Schnauben, des Weiteren wandte er sich ab. Da Raisa selbst nicht wusste, was sie nun sagen sollte, wandte auch sie sich von ihm ab. Verflucht sei alles Zwischenmenschliche, zumindest in ihrem Fall. Warum auch musste alles immer so kompliziert sein?
Sie ließ ihren Blick ein wenig über Hyrule streifen, als sie plötzlich wie vorhin einen Druck an ihrem rechten Oberarm verspürte und ehe Raisa sich versah, drehte sie sich wieder um hundertachtzig Grad und fand sich an dem Ort wieder, den sie am wenigsten in ganz Hyrule erwartet hätte – in Revalis Armen. „Lass mich los. Sofort!", knurrte sie und versuchte Revali noch auf recht freundliche Art wegzudrücken. Doch, erneut zu ihrer Verwunderung, tat er nichts dergleichen. Erst als sie die rechte zur Faust ballte, um ihn zu schlagen, ließ er von ihr ab. „Bist du endgültig übergeschnappt? Hat ja nur an die – wie viele Jahre sind seit damals jetzt eigentlich vergangen? Jedenfalls hat es offenbar so lange gedauert!" Raisa nahm gehörig Abstand von Revali, trat rückwärts entgegen dem Sonnenuntergang. Ihre Haare glänzten dadurch in derselben rot-goldenen Farbe, wie der Himmel es tat.
„Bei unserem Abschied, Raisa, da hast du dich auch nicht so angestellt", war alles, was Revali zu seiner Verteidigung sagte. „Dies, Revali, war eine gänzlich andere Situation." Sie konnte selbst nicht genau sagen, warum es für sie selbst nach all der Zeit unangenehm war, wenn Revali ihren Namen sagte. Jedoch erwiderte sie dies immer damit, dass sie auch den seinen Namen erwähnte – allerdings ziemlich seltsam betont. „Das war es nicht und das weißt du auch!", erwiderte er daraufhin mit Nachdruck. Raisa rollte mit den Augen. Warum hatte sie sein Gedächtnis noch gleich zurückgeholt? Wieso wollte sie noch gleich ihre Schritte zuerst hierher, zu ihm lenken? Hatte sie etwas anderes als dies hier erwartet? Wenn dem so war, dann war sie entweder naiv oder dumm. Vielleicht auch beides. Oder war es vielleicht einfach... „Abschied und Wiedersehen sind zwei verschiedene Dinge, das solltest selbst du wissen" ... ein kleiner, unbedeutender Wunsch ihrerseits gewesen?
„Ob Abschied oder Wiedersehen...", sagte er und ging langsam um sie herum, ehe er wieder vor ihr zum Stehen kam, „Darum geht es hier doch gar nicht." Raisa zog erneut eine Augenbraue nach oben, das wurde langsam ihre Dauerexpression. „Es geht darum, dass du und ich, nun..." Er unterbrach sich kurz selbst. „Wir stehen hier und es ist wie damals, beim letzten Mal. Die Sonne, die nun langsam untergeht und du... Deine Augen, sie..." Revali wusste selbst nicht so recht, was er da sagte und ehrlich gesagt, Raisa wusste es auch nicht so genau. „Was ist mit meinen Augen?", verlangte sie zu wissen. „Ich weiß nicht so recht, es ist einfach dieser Blick." Gut, so langsam aber sicher war das Maß an Schnulze bis zum Erbrechen voll. Viel mehr konnte sie beim besten Willen nicht ertragen.
„Erinnerst du dich, was ich dir damals gesagt habe und was ich dir sagen wollte, aber nicht konnte, da du, egoistisch wie du bist, mich unterbrochen hast?" Oh ja, Raisa konnte sich erinnern und zeitgleich fragte sie sich, ob es ihm wirklich vollkommen egal war, dass ihre Ohren bei diesem grauenhaften Thema demnächst zu bluten anfingen. „Ich erinnere mich." Und warum genau hatte sie dies nun gesagt, wo es Revali doch nur dazu ankurbelte weiterzureden? „Was ich gesagt und nicht-gesagt habe, ich meine es so." Sie hätte es nie für möglich gehalten, dass dieser Narzisst solch ein Geständnis ein zweites Mal hervorbringen konnte.
„Es steht kein Weltuntergang bevor, du hast keine Möglichkeit mir für alle Ewigkeiten eine Antwort zu verweigern, verstanden, Raisa?" Besagte seufzte nur, laut und fast schon theatralisch.
„Bei Hylia und allen Göttern Hyrules", stöhnte Raisa genervt. Sie hatte sich etwas nach vorne gebeugt und fuhr sich durch ihr Gesicht. „Das will ich doch gar nicht." Ihre Stimme klang etwas gedämpft, vermutlich durch ihre Hände, die sie immer noch gegen ihr Gesicht presste. „Aber du hast dir einen Moment gesucht, genau wie damals, wo ich einfach nicht antworten kann!" Er schnaubte nur verächtlich. „Was bitte hält dich jetzt grade auf?"
„Das wichtigste sollte jetzt sein, dass wir die anderen wiederfinden. Dann können wir gemeinsam unseren alten Titel endgültig niederlegen und dann bekommst du deine Antwort, ich...", kurz biss sich Raisa auf die Lippe, ehe sie wieder aufsah, „Ich verspreche es dir." Sie hatte nie wieder leichtfertig Versprechen gegeben, seit dem, was damals passiert war. Er sollte es also zu schätzen wissen, dass sie ein Versprechen gab. Revali schloss seine Augen und nickte leicht, das genügte ihm vorerst. Bei einer so komplizierten Frau, wie Raisa es war, konnte man dies schon durchaus als einen Erfolg betrachten.
„Unsere alten Titel niederlegen? Was soll das heißen? Zumal du ihn doch wieder angenommen hast?", fragte er kurz darauf irritiert. „Das heißt", sagte Raisa, während sie sich wieder aufrichtete, „Dass ich genug habe. Ich will nicht länger ein Recke Hyrules sein, allerdings habe ich mit der Prinzessin Zelda dieser Zeit eine Vereinbarung", erklärte sie ihm. „Eine Vereinbarung?" Sie nickte daraufhin leicht.
„Ja, ich habe den Titel vorerst angenommen, um dich und die anderen wiederzufinden. Das ist als Recke nämlich erheblich einfacher. Aber danach, na ja... Meine Einstellung kennst du jetzt ja." Er nickte. „Verständlich. Ich bin, was das angeht auf deiner Seite, Raisa. Man muss doch über alle Maße dämlich sein, wenn man sich so etwas noch einmal antun würde." Seine Worte stimmten Raisa innerlich etwas zufrieden. Sie war davon ausgegangen, dass Revali ihre Meinung teilen würde. Er mochte zwar ein Narzisst und Angeber sein, doch sie war sich soweit sicher gewesen, dass er nicht blöd genug war, dasselbe noch einmal zu durchleben.
„Wir sollten langsam, findest du nicht?", fragte sie, damit sie beide nicht schon wieder von dieser Stille erdrückt wurden. „Was sollen wir?", fragte Revali daraufhin. Raisas Blick fiel kurz auf das Dorf der Orni, wo sich Prinzessin Zelda so viele Meter in der Tiefe vermutlich befand, ehe sie wieder zu Revali sah. „Schon?" Bei seiner Frage zogen sich ihre Augenbrauen zusammen. „Wann sonst?", stellte sie gewohnt schroff die Gegenfrage. Ihr war ja bewusst, dass Revali sich etwas verändert hatte – schon während ihrer damaligen Zeit in Hyrule. Sie war schließlich auch nicht mehr die Raisa, die sie einst war. Aber im Moment kam er ihr irgendwie, nun...fremd vor. Offensichtlich schien er den einen oder anderen Charakterzug von Levi zu übernehmen.
„Nun, denk daran, Raisa", sagte er fast schon geheimnisvoll und trat neben sie, seinen Blick ebenfalls auf das Dorf der Orni gerichtet, „Wenn wir erst einmal wieder dort unten sind, geht es ohne Unterlass weiter. Nach deinen Aussagen lässt sich schließen, dass diese Zelda nicht eine Minute warten wird, um auch Daruk, Urbosa und Mipha zu finden. Im besten Fall – für sie wohlgemerkt – und zu meinem Leidwesen finden wir Link ebenfalls. Jedenfalls wird es dann schwierig, noch etwas Freizeit zu finden", sagte er ruhig. „Freizeit für was?" Gut, das hatte sie nun wirklich mit Absicht gesagt und zu ihrer Belustigung trat Revali auch ins Fettnäpfchen. Hinfort war die Ruhe. „Ist das dein verdammter..!" Kaum sah er Raisas grinsen, stoppte er. „Sehr witzig", murrte er schließlich.
Ohne darüber nachzudenken, legte Raisa wieder eine Hand auf ihre Brust. Ihm entging dies nicht, so versuchte er sie unauffällig im Augenwinkel zu beobachten. Raisa wiederum entging dies nicht – kein Wunder, so offensichtlich, wie er sie auch beobachtete. Doch zog sie ihre Hand trotz dessen nicht weg. Sie wollte wissen, was das war – dieses seltsame Gefühl. Aufregung war es definitiv nicht, die hatte sie, auch wenn sie es sich nur ungern eingestand, auf dem Weg zum Flugplatz verspürt. Was auch immer in ihr vorging, es war anders.
„Im Übrigen schuldest du mir eine Stunde Privatunterricht." Mit diesen Worten gewann Revali Raisas Aufmerksamkeit zurück. Als Antwort bekam er nur ein abfälliges „Pff" zu hören, ehe sie nachsetzte. „Als ob du freiwillig bei irgendwem Unterricht nimmst. Abgesehen davon war das nur ein Mittel zum Zweck, irgendwie musste ich dich ja hierher locken." Er wirkte nach ihren Worten nicht weniger amüsiert. „Ein wenig Unterricht, bei welchem ich mich über dich lustig machen kann – was spricht dagegen?" Kaum hatte er zu Ende gesprochen, schlug auch schon etwas gegen seinen Hinterkopf. „Wie in Hylias Namen", stöhnte er und hielt sich den Hinterkopf, „Hast du dein Schwert mitsamt Schwertscheide so schnell von deiner Hüfte bekommen?" Er beäugte sie genervt, während sie Besagtes wieder um ihre Hüfte legte.
„Ich bin Hyrules schnellste Schwertkämpferin", erwiderte sie lediglich. „Das warst du damals", kommentierte er daraufhin. Ihr Mundwinkel, den sie zu einem leichten Grinsen hochgezogen hatte, sank augenblicklich. „Wie war das?" Revali verschränkte seine Flügel vor der Brust. „Was damals war, muss nicht zwangsläufig immer noch so sein." Mit dieser Aussage gewann er ihr, wenngleich selbstgefälliges, Grinsen zurück. Er mochte ihr Grinsen, das konnte er einfach nicht leugnen.
„Dann ist es dann der Zeit, dass wir Hyrule zeigen, wie ungemein brillant wir sind." Das hörte sich nach einem guten Plan an. „Also dann..." Raisa sagte die Worte etwas gedehnt. „Bring mich endlich nach unten." Abwartend stand sie vor ihm. „Du bist grade ziemlich abhängig von mir." Und er genoss es sehr. „Ich kann auch springen. Hatte eben erst Bekanntschaft mit dem freien Fall gemacht." Ungläubig zog Revali eine Augenbraue nach oben. Raisa nahm die Herausforderung an, drehte sich schnell um, spürte aber zugleich zum dritten Mal an diesem Tag einen starken Druck an ihrem Oberarm, der sie am Gehen hinderte. „Das wirst du nicht!" Und schon wieder grinste sie selbstgefällig.
Zelda blickte in den fast schon dunklen Himmel. Sie hatte Raisas Pferd gefunden, ganz in der Nähe, wo sich einst Vah Medoh befand. Die Tatsachen, dass Raisa nirgends zu sehen war und der Titan wieder flog, ließen die Prinzessin vermuten, dass sich der Recke der Hylianer und höchst wahrscheinlich der Recke der Orni dort oben befanden. Und sie sollte Recht behalten, denn nach einer gefühlten Ewigkeit sah sie Raisa auf dem Rücken eines Orni auf sie zufliegen.
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Until the last heartbeat
RomanceJahrhunderte vergingen, seit die Recken im Kampf gegen die Verheerung fielen. In diesen Jahrhunderten herrschte nichts als Frieden, was den einstigen Kampf immer mehr in Vergessenheit geraten ließ. Bis zu dem Tag, an dem eine Weissagung die erneute...