Kapitel 11 - Recke der Orni, Revali

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„Revali, vom Stamm der Orni, hiermit ernenne ich Euch rechtmäßig zum Recken der Orni, auf das Ihr Hyrule, wie in alten Zeiten zu Diensten steht und uns vor der bevorstehenden Bedrohung bewahrt." Zelda überreichte im Thronsaal von Schloss Hyrule Revali seinen Reckenschal, den er sich auch sogleich wieder umband. Des Weiteren händigte sie ihm seinen Adlerbogen aus, der bis vor kurzem noch in dem Turmzimmer bei den anderen Antiquitäten weilte.

In der wohl dunkelsten Ecke des Saals stand Raisa, die Arme vor der Brust verschränkt und mit dem Rücken leicht gegen die Wand gelehnt. Von dort aus hatte sie diesen förmlichen Firlefanz beobachtet. Immerhin verging nicht viel Zeit, bis Prinzessin Zelda nach der Ernennung alle anderen, bis auf Raisa und Revali, aus dem Saal schickte, die dieser Zeremonie beiwohnten.

„Ich trage jetzt also diesen offiziellen Titel wieder, obwohl er eigentlich von uns nicht wirklich angenommen wurde, im Grunde also nicht richtig anerkannt ist und nur zum Schein dient, damit Raisa und ich die anderen finden, wie?" Zelda musste Revalis Worte erst kurz verarbeiten, ehe sie ein unnatürliches Lächeln auf die Lippen setzte und die Hände faltete. „Ja!" Der Blick des Orni wanderte daraufhin zu Raisa. „Das klingt sehr nach dir", sagte er und verschränkte seine Flügel. Raisas Mundwinkel zuckte kurz, ehe sie fast schon schweren Herzens ihre Position in der Ecke aufgab und zu Revali und der Prinzessin in die Mitte des Saals trat. „Dabei war es nicht meine Idee. Eventuell hat mein Dasein allerdings Ihrer Hoheit einen kleinen Stoß in die Richtung gegeben, in die man gehen muss, um solche Geschäfte zu tätigen", erwiderte die Braunhaarige.

„Du sagtest, dass wir die endgültige Entscheidung treffen, sobald wir vollzählig sind?", fragte Revali noch einmal skeptisch nach. Raisa nickte zustimmend. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand von uns das gleiche noch einmal durchleben will", sagte Revali leise, doch Zelda schien jedes Wort verstanden zu haben. „Seid Euch, was das anbelangt, nicht so sicher, Recken. Man entscheidet schließlich aus unterschiedlichsten Gründen. Ein kleines Ereignis in Eurem Leben, könnte Eure feste Entscheidung schon ins Wanken bringen", sagte Zelda, wobei Raisa nach einer tieferen Bedeutung dieser Worte suchte. Es klang schließlich so, als würde Zelda ein solches Ereignis provozieren wollen. Revali allerdings schnaubte nur und stellte sich im wahrsten Sinne des Wortes quer. „Ihr kennt Raisa noch nicht sehr gut, Prinzessin." In diesem Moment zog Raisa selbst eine Augenbraue nach oben und wandte ihren Blick Revali zu. Er glaubte also, sie so gut einschätzen zu können? Nun, vielleicht ein kleines bisschen...

„Worüber denkt Ihr nach, Raisa?", fragte Zelda, der aufgefallen war, dass Raisas Blick an dem Orni hängen geblieben war, allerdings keine Worte ihre Lippen verließen. „Ach, gar nichts", erwiderte sie etwas zögernd. Die Prinzessin gab sich mir dieser Antwort nur ungern zufrieden, jedoch respektierte sie Raisa viel zu sehr, als das sie weiter nachfragen würde.

„Nun, Raisa, Ihr erinnert Euch doch sicherlich, dass ich als erstes Reiseziel das Dorf der Zoras vorgeschlagen hatte. Ihr hattet abgelehnt und stattdessen reisten wir in das Dorf der Orni. Nun ist es aber an der Zeit, dass wir uns auf nach Ranelle machen sollten. Und das nicht nur des Recken wegen..." Doch mehr als dies verriet die Prinzessin nicht. Da Raisa es nicht weiter kümmerte, konnte es ihrer Meinung nach überall hingehen. Was Revali allerdings betraf... „Du hast also darauf bestanden, mich zuerst wiederzusehen?", fragte er plötzlich höchst interessiert, in einer Tonlage, die vor Arroganz förmlich triefte. „Bilde dir nicht zu viel darauf ein, du Vogel. Selbst du kannst hin und wieder von Nutzen sein." Raisa bemühte sich, ruhig zu bleiben. Auch dann noch, als Revali nicht aufgehört hatte, sie wissend anzublicken. Der Grund war eigentlich ein anderer, egal was sie sagte und das wusste sie auch. Aber keineswegs wollte sie ihm das auf die Nase binden.

„Das hätte ich nicht gedacht", zog Zelda plötzlich die Aufmerksamkeit auf sich. „Ihr seid ja wirklich kein Paar." Es dauerte einen Moment, bis das, was die beiden Recken gehört hatten, auch verarbeitet wurde. Und kaum war dies der Fall, blickten Raisa und Revali sich langsam an.

„Nein."
„Na ja..."

Sie sprachen gleichzeitig, zu spät war es also, irgendetwas vorzugreifen. „Definitiv nicht", setzte Raisa deshalb nach. Revali schnaubte bei ihren Worten nur, was sie erneut zu der Frage führte, was er sich eigentlich herausnahm? Glaubte er nun alles bestimmen zu können, aufgrund von ein, zwei Umarmungen, die sie geteilt hatten und der Tatsache, dass sie besser miteinander auskamen, als am Anfang? Die Stille, die sich in dem Thronsaal ausbreitete, war so unangenehm, dass Prinzessin Zelda alles daran setzte, sie wieder zu durchbrechen. „Das Dorf der Zoras wird es also sein. Morgen habe ich ein wichtiges Treffen, deshalb werden wir unsere Reise in zwei Tagen beginnen. Für heute seid Ihr entlassen, Recken."

Ohne ein Wort miteinander zu wechseln, gingen Raisa und Revali durch die Korridore Schloss Hyrules. Da die Braunhaarige ihr ganzes Leben lang nichts anderes getan hatte, als Leute zu lesen, um sie nach ihren Vorstellungen handeln zu lassen oder sie schlichtweg zu manipulieren, war es für Raisa nicht sonderlich schwierig zu bemerken, dass ihm das ,Gespräch' von eben doch etwas unangenehm war. Zunächst wollte sie nicht weiter darüber nachdenken und sich schnellen Schrittes davonstehlen. Dann allerdings verspürte sie den Drang, ihm irgendwie zu übermitteln, dass das Meiste von dem, was er sagte, von ihr sowieso als unwichtig abgestempelt wurde. Paradox, da sie sonst nicht diesen Drang spüren würde, doch das brauchte Revali ja nicht zu wissen. Da Worte nie ihr Fall waren, beschloss sie einfach weiter neben ihm herzugehen. Wenn er nicht auf den Kopf gefallen war, verstand er ihre Botschaft sicherlich.

„Wo gehst du jetzt eigentlich hin, Raisa?", fragte er. Ihm schien wohl etwas ein oder aufgefallen zu sein. „Ich habe einen Ort, wo ich lebe, wenn auch erst seit Kurzem", erwiderte sie. „Du?", fragte Revali nun noch skeptischer. Sie konnte es nicht leiden, wenn er sie ausfragte. Aber Raisa wusste, was ihm durch den Kopf ging und konnte es ihm fast nicht einmal verübeln. „Ich habe niemanden erpresst oder bedroht, auch wenn das der einfachere Weg gewesen wäre", sagte sie augenverdrehend. „Aber betrogen", stellte er seine Schlussfolgerung. Ihr Schweigen darauf sprach Bände.

„Es wird irgendwann auffallen, das ist dir klar, oder?", meinte er, nachdem sie dieses Gespräch schon abgetan hatte. „Dann bin ich schon längst weg", erwiderte sie ruhig. Wirklich, es kümmerte Raisa nicht. Sie war eben eine Gaunerin, aber immerhin war sie gut darin. „Wann wirst du endlich...", sprach Revali, beendete seinen Satz allerdings nicht. „Was? Mit beiden Beinen im Leben stehen? Das tue ich! Alleine zurechtkommen? Tue ich offensichtlich ja auch! Ich löse diese Dinge auf meine Art, wenn das mit deiner Moral und deiner Ansicht von Ethik nicht übereinstimmt, dann ist das deine Sache, nicht meine." Raisa ahnte bereits, dass dieses Gespräch kein gutes Ende nehmen würde. Nicht umsonst wurde ihr plötzlich so warm. Und das sicherlich nicht aus positiven Gründen.

„Ich möchte von dir wissen, wann du ehrlich wirst." Also bitte, als wäre sie die größte Lügnerin Hyrules. „Ich habe dir bereits etwas vorenthalten, aber angelogen habe ich dich noch nie", rechtfertigte sie sich. Sein Blick sagte allerdings etwas anderes aus. „Nein", hielt Revali dagegen. „Ach ja? Wann bitte habe ich gelogen?", forderte sie zu wissen. Revali sagte nichts, nickte allerdings nach hinten, den Gang zurück zum Thronsaal. Raisa war mitten auf der Treppe, die sie grade hinab gingen, stehengeblieben und verkrampfte ihre Hand an dem hölzernen Geländer. Es hatte nicht einmal eine Sekunde gebraucht, bis sie verstanden hatte. Viel schlimmer war allerdings die Tatsache, dass dies sie wirklich kratzte. Und aus Revali vermochte sie nichts lesen zu können, da er ihr bewusst den Rücken zugewandt hatte.

„Ich sage es dir jetzt eindeutig. Ich will keine falschen Signale senden. Revali! Wir – sind – kein – Paar!" Obwohl sie leise sprach, waren ihre Worte schneidend. „Dann..." Noch bevor Revali weiter kam, war Raisa schon in wenigen Sätzen die Treppe hinuntergegangen. Verstand er nicht, dass sie dazu noch nicht bereit war und auch keinen Nerv hatte? Oder wollte er es einfach nicht verstehen?

Ihr Aufenthalt in Schloss Hyrule war schon wieder so kräftezehrend. In dem Punkt hatte sich zu damals gar nichts verändert. „Raisa, jetzt warte doch mal", hörte sie schon wieder das Federvieh. Dass er auch einfach nicht aufgeben wollte. Sie kannte Revalis Sturheit, aber diese Hartnäckigkeit empfand sie als neu. In Sekundenschnelle wog sie im Kopf ab, was sinnvoller war: stehenbleiben oder konsequent weitergehen? Ihre Wahl fiel, wieso auch immer, auf Punkt eins. Dabei barg dieser Punkt eigentlich keine guten Argumente.

„Revali...", Raisa drehte sich zu ihm um, „weißt du, man sollte dich in der Steuer absetzen, als besondere Belastung." Ihre Worte wären verletzend gewesen, wäre da nicht die Tatsache, dass Revali Raisa mittlerweile gut genug kannte, um zu wissen, dass sie es gar nicht so böse meinte. Klar, sie meinte es böse, schließlich ging er ihr wohl gewaltig auf die Nerven, aber nicht so böse, dass es zu einem Streit kommen würde. „Du hast in dem Punkt kein Recht dich zu beschweren, da du sowieso keine Steuern zahlst", sagte Revali gelassen. Eine ihrer Augenbrauen wanderte wieder nach oben. „Was soll ich deiner Meinung nach jetzt tun? Auf die Knie gehen und um Verzeihung bitten?" Spöttisch wie eh und je verließen diese Worte ihre Lippen. „Du würdest auf die Knie gehen? Für was denn so?", hakte er belustigt nach. Ihre Miene veränderte sich allerdings kein bisschen, als wäre sie eingefroren.

„Ich habe keine Zeit für so einen Blödsinn. Wer bist du? Urbosas verschollener Bruder?" Sie wartete seine Antwort nicht einmal ab und setzte ihren Weg durch diese für sie grässlichen Mauern fort. Revali allerdings ging neben ihr, nachdem er kurz aufgeholt hatte. Sie beachtete ihn nicht wirklich und suchte nur noch ihren Weg hinaus. „Dein Sarkasmus war auch mal besser, das ist schließlich allein Rassen-Technisch nicht möglich", murmelte er vor sich hin. Raisa nahm Notiz davon, allerdings wusste sie nicht so recht, ob und wenn, was sie darauf antworten sollte. „Aha."

Revali hatte heraushören können, dass Raisa eigentlich etwas anderes, als diesen abfälligen Kommentar, von sich geben wollte. Und eine grobe Vermutung hatte er auch, wohin die Reise gehen sollte. „Aber ist dir aufgefallen, dass mittlerweile viel mehr Mischlinge in Hyrule Stadt leben, als damals? Das bedeutet wohl gesellschaftliche Akzeptanz." Er fühlte sich in seiner Vermutung bestätigt, da Raisa nichts erwiderte und ihn stattdessen im Augenwinkel beobachtete. Raisa selbst würde dies zwar nie ihm gegenüber zugeben, doch sie glaubte, dass er in dem Punkt Scharfsinn deutlich begabter war, als damals. Dass er das herausgehört hatte, obwohl sie nur kurz bei dem ,a' gestockt hatte.

„Du bist beeindruckt, gib es zu", sagte er amüsiert und vielleicht auch etwas provozierend. „Wieso sollte ich?", warf sie zurück. Oho, dabei war dies für ihn nur ein Schuss ins Blaue gewesen. „Du gibst es also zu?" Er sah zu ihr, doch Raisa... Sie würdigte ihn keines Blickes. „Ich sage dazu gar nichts." Raisas Art nett zu sein, mochte auf Fremde wirklich kalt und abweisend wirken, dabei besaß ihre Aussage einen noch viel tieferen Sinn. Schließlich bedeutete dies auch, dass sie seine Aussage nicht dementieren würde. Irgendwann würde er sie noch dazu bringen so etwas direkter zu sagen und nicht so sehr in Rätseln zu sprechen.

Kaum hatten die beiden Recken Schloss Hyrule hinter sich gelassen, genossen sie erst einmal die frische Luft, die in diesen Mauern praktisch nie vorhanden war. „Hier, in zwei Tagen also?", fragte Revali sie. Sie beide standen vor den Toren des Schlosses, auf der Brücke vom Festland zu der kleinen Insel, auf der das Schloss stand. „Sieht wohl ganz danach aus." Raisas Mundwinkel zuckte leicht. Sie wollte sich grade verabschieden, da kam Revali ihr aber schon zuvor. „Zu den Zoras geht es erst in zwei Tagen...", fing er an. „Ja?", fragte Raisa gedehnt. „Demnach ist morgen ein Tag ganz ohne Verpflichtungen", fuhr er fort. Jetzt wurde Raisa skeptisch. Was in Hylias Namen wollte Revali jetzt schon wieder? „Ein Tag... An dem ich nicht wirklich etwas vorhabe." Seine Worte hatten etwas Nachsetzendes. Natürlich hatte Raisa verstanden, worauf er hinaus wollte, doch sie genoss es, ihn zappeln zu lassen. „Ein Tag an dem du auch nichts vorhast, vermute ich." Es wurde langsam wirklich schwer, so emotionslos drein zu blicken. „Ist das so?", stellte sie sich absichtlich dumm. Aufgrund der Tatsache, dass sie es übertrieben hatte, blickte Revali sie einfach nur noch genervt an.

„Hast du morgen etwas vor?", fragte er direkt. „Solltest du vor meiner Haustür erscheinen, werde ich dafür sorgen, dass du das eine sehr lange Zeit bereust", drohte Raisa, ehe sie von dannen zog. Trotz dieser Drohung, die sie sehr wohl ernst meinte, hob sie zum Abschied die Hand. Irgendwann konnte Revali sie zwischen den Bewohnern von Hyrule Stadt nicht mehr ausmachen und beschloss, dass es das Beste wäre, nach Hause zu fliegen.

Indes war Raisa bei ihrem Zuhause angekommen, dass am Rande von Hyrule Stadt lag. Es war nichts Großes, doch es reichte zum Leben aus. Besser, als alles was sie sich als Kind erträumt hatte. Wie sie den morgigen Tag überbrücken würde, wusste sie noch nicht. Vielleicht polierte sie Windbrecher ein wenig. Doch unter keinen Umständen würde sie den Tag mit Revali verbringen! Nein... Schlicht und einfach nein...

Raisas weg führte sie automatisch zu ihrem Bett, auf welches sie sich, nachdem sie ihr wertvolles Rapier abgelegt und die Schuhe ausgezogen hatte, fallen ließ. Der Tag war sehr anstrengend gewesen und das auch schon vor Revalis scheinbarer Wiederernennung. Nicht nur, dass Revali und Zelda sie vor dieser Zeremonie genervt hatten, sämtliche Wichtigtuer, die dem Ganzen beigewohnt hatten und dachten, es wäre eine Bereicherung sie kennenzulernen, hatten versucht ihre Bekanntschaft zu machen. Dabei fragte sich die Braunhaarige, wie lange es eigentlich gebraucht hatte, bis diese Leute ihre Nähe als unangenehm empfanden. Fünf Minuten, vielleicht? Das konnte sie aber noch unterbieten.

Nach zahlreichen kleinen Dingen, die dies und jenes behandelten, über die sie noch nachgedacht hatte, musste sie schließlich eingeschlafen sein, was für Raisa aber nicht unbedingt Erholung versprach. Trotz dessen, dass sie tatsächlich...glücklich...über die Tatsache war, dass sie ein neues Leben, eine zweite Chance geschenkt bekommen hatte, dass sie sogar ihre Erinnerungen wiedererlangen konnte... Die Bürden der Vergangenheit holten sie ein, in den einzigen Momenten, wo sie keine Kontrolle über das hatte, was in ihrem Kopf vor sich ging – in ihren Träumen. Seit jenem Tag, an dem sie ihre Erinnerungen wiedererlangt hatte, träumte sie von ein und derselben Sache. Immer und immer wieder. In ihren Träumen stand sie Ganons Fluch wieder gegenüber, der ihr einst das Leben nahm. Das Szenario von damals spielte sich immer wieder ab, die Schmerzen, die sie erlitt, waren immer dieselben. Ob es ihr Ableben im Traum war oder das penetrante Klopfen in der Realität, durch das sie geweckt wurde, wusste sie nicht, doch war es eines dieser beiden Dinge, was sie schließlich aufweckte.

Es war nicht, wie in Geschichten. Weder richtete Raisa sich ruckartig auf, noch schrie sie sich die Seele aus dem Leib. Jedoch hatte sie unnormal schnell die Augen geöffnet, was sich mit der Helligkeit im Raum nicht sonderlich vertrug. Eine Hand lag auf ihrem Bauch, genau auf der Stelle, wo das Schwert des Fluches Ganons sie einst tödlich verwundete. Der Handrücken ihrer anderen Hand ruhte auf ihren wieder geschlossenen Augen. Still und heimlich fragte Raisa sich, wie lange dieses Ereignis sie noch verfolgen wollte. Und wenn es zu tief saß, was sie tun müsse, um sich davon lösen zu können. Ehe sie sich darüber weiter den Kopf zerbrach, wurden ihre Gedanken erneut unterbrochen. Ja, richtig, da war schon die gesamte Zeit dieses Klopfen. Skeptisch fiel ihr Blick auf die Haustür, ehe sie leise aufstand. Absolut niemand wusste von dem Umstand, dass sie an diesem Ort lebte. Mit Ausnahme des Vermieters. Demnach erwartete sie keine freudige Überraschung.

Der Boden unter ihren nackten Füßen war eiskalt, während sie zunächst Windbrecher leise auf der Schwertscheide zog und zur Tür ging. Mit dem Schwert fest in der Hand und mit viel Argwohn öffnete sie diese schließlich. „Hallo, Raisa." Und sogleich flog besagte Tür so heftig wieder zu, dass es sie fast aus den Angeln riss. Ihre Laune hatte den Tiefpunkt der Saison erreicht und dabei war sie vielleicht grade einmal zwei Minuten wach. Viel wichtiger als dieses Geplänkel war aber die brennende Frage, die sie sich in Gedanken stellte. Wie in Hylias Namen hatte er herausgefunden, wo sie lebte?!

Obwohl sie von diesem Gedanken abgeneigt war, wusste sie, dass sie die Antwort auf ihre Frage nur von ihm bekommen würde. So öffnete Raisa seufzend erneut die Tür und blickte in ein Gesicht, das sie eigentlich gar nicht sehen wollte. Und Revali sah so aus, als hätte er auch schon bessere Tage gehabt, jedoch wandelte sich seine Expression, je weiter seine Augen auch nach unten wanderten und Raisa musterten. Womöglich lag dies daran, dass er sie so auch noch nie gesehen hatte. Barfuß, die Haare unordentlich und zudem wirkte sie noch etwas verschlafen.

„Was?", fragte sie sogleich und als er Anstalten machte, näherzukommen, hob sie ihr Schwert. Wie waren ihre Worte noch gleich? Sie würde ihn hierfür sehr lange bereuen lassen? Wenn er es nun darauf anlegte... „Auch sehr schön dich zu sehen", sagte er ironisch und rollte mit den Augen.
„Lässt du mich jetzt rein? Es regnet." Und das sollte nun ihr Problem sein? „Das würde mich an deiner Stelle ja sehr belasten." Und ihr Mitgefühl hielt sich in sehr, sehr kleinen Grenzen. Am liebsten würde sie die Tür ja wieder zuschlagen, jedoch wollte sie wissen, woher er ihren Wohnort kannte.
Augenverdrehend nahm Raisa ihr Schwert, mit welchem sie den Weg versperrt hatte, wieder weg und machte ihm Platz. Ohne zu zögern, trat Revali ein und sah sich sogleich auch um. Wie schon erwähnt, lebte Raisa auf engem Raum, doch das störte sie nicht wirklich. Viele persönliche Besitztümer besaß sie schließlich auch nicht. „Woher hast du die Innenausstattung?" Er wandte sich wieder Raisa zu. „Kulanz", erwiderte sie knapp. „Wie schaffst du das nur immer wieder?", fragte er rhetorisch. Sie hatte eben nichts verlernt. So einfach war das.

Revali bemerkte nebenbei, dass Raisa ihr Schwert noch immer in der Hand hielt und diese um den Griff verkrampft hatte. „Du bist wütend?", fragte er sogleich. „Das wird sich zeigen. Woher weißt du, dass ich hier lebe?", verlangte Raisa zu wissen. „Prinzessin Zelda war so freundlich, es für mich herauszufinden. Sie tat dies mit einer Begeisterung, von der du dir wirklich eine Scheibe abschneiden könntest", erzählte Revali. Raisa seufzte noch genervter, als vorhin schon. Das war ja zu erwarten gewesen, oder nicht? Dabei dachte sie, dass Gör hätte zu viel Respekt, um etwas zu tun, dass sie so verärgern würde.

„Und warum war sie so begeistert? Sag mal, muss ich dir wirklich alles aus der Nase ziehen?" Revali verschränkte daraufhin nur seine Flügel. „Das sagte sie nicht direkt. Aber die Worte ,Initiative ergreifen' konnte ich aus ihrem Gemurmel heraushören. Ist aber auch unwichtig, Raisa, denn weißt du, was dich viel mehr interessieren sollte? Hyrule Stadt dieser Zeit, weshalb wir es uns jetzt auch ansehen werden." Einen Moment lang starrte sie ihn einfach nur an, bis sie langsam eine Augenbraue wieder nach oben zog. „Erstens, wieso sollte ich? Zweitens, ich habe schon viel davon gesehen. Drittens, das hast du nicht zu bestimmen." Der Orni erwiderte nichts, sah sie einfach nur abwartend an. Raisa wusste nicht wieso, aber sie gab sich einen Ruck und seufzte ergeben. Windbrecher steckte sie zurück in die Schwertscheide und sie selbst machte sich in dem einzig anderen Raum ihrer Wohnung fertig.

In ihrem Spiegelbild fiel ihr plötzlich etwas auf. Natürlich wusste sie, dass sie ein wenig anders aussah, als damals. Die Unterschiede waren aber wirklich Kleinigkeiten und man musste nach ihnen suchen. Umso erstaunter war sie, als sie im Licht doch tatsächlich erkannte, dass sie ihre winzigen Sommersprossen von damals noch besaß. Dieselben Sommersprossen, die Revali damals aufgefallen waren, als sie im Kampf gegen den goldenen Leunen ihm das Leben gerettet hatte. Ob sie ihm bereits wieder aufgefallen waren? Augenblicklich zuckte Raisa von ihrem Spiegel zurück und schüttelte bei diesem Gedanken nur den Kopf.

Als sie wieder aus dem Zimmer kam, hielt Revali ihr auch schon ihr Schwert entgegen, welches sie wortlos annahm und sich wie immer um die Hüfte legte. „Also dann...", sagte sie gedehnt. Jetzt ging es wieder los: das altbekannte Unwohlsein, dass sie immer dann verspürte, wenn sie sich zu viele Gedanken um das Zwischenmenschliche machte – auch wenn Revali kein Mensch war. Und aus freien Stücken mit jemandem etwas zu unternehmen, war auch nicht ihrs.

Schweigend verließ Raisa, gefolgt von Revali, ihre Wohnung und verschloss die Tür. Eigentlich wollte sie nie wieder in der Hauptstadt leben, aber nun wo sie vor der Wahl gestanden hatte, hatte sie kurzerhand ihre Prinzipien schon wieder über Bord geworfen und sich darauf eingelassen. Hoffentlich büßte sie das nicht in der Zukunft wieder ein. „Und was genau gedenkst du jetzt zu tun?" Revali antwortete ihr nicht oder besser gesagt, schon wieder nicht. Schon vorhin, als sie fertig war, hatte er geschwiegen. Und das sorgte nicht grade wenig dafür, dass die Skepsis in ihr wuchs. Und während sie ziellos durch die gut befüllten Straßen der Stadt gingen, erreichte ihr Argwohn schließlich den Höhepunkt. Immerhin regnete es nicht mehr, das war auch das einzig Gute, sonst wäre ihre Laune wohl noch tiefer gesunken.

Mit einem Schlag gegen seine Schulter oder was auch immer, mit der Anatomie der Orni kannte sie sich schließlich nicht aus, lenkte sie seine Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Also?", fragte sie gereizt nach. „Ich habe nicht damit gerechnet, so weit zu kommen. Eigentlich dachte ich, du würdest mich nicht einmal in deine Wohnung lassen, ich habe improvisiert." Revali sollte Hylia für ihre Selbstbeherrschung danken, denn diese ließ nicht zu, dass sie ihm augenblicklich den Hals umdrehte.

„Revali...", sagte sie langsam, sich die Nasenwurzel reibend. „Du hast einen Schlag verdient. Einen ganz üblen." Er konnte nicht anders, als darüber zu grinsen. Dieses gegenseitige ,auf die Nerven gehen' machte immer noch, selbst nach all der Zeit, Spaß... „Du bist doch schon so lange hier. Schlag du etwas vor", meinte er dann. „Wann geht es endlich in deinen Kopf, dass ich mich für mein Umfeld und meine Mitmenschen nicht interessiere?", fragte sie ihn dann. Erst sagte der Orni nichts, sehr zu ihrer Verwunderung. Was dann allerdings kam, war das Thema, dass sie hoffend dachte, abgeschlossen zu haben. „Du wolltest doch nicht lügen, Raisa." Das Schlimmste an dieser Aussage war, dass er das auch noch witzig fand. Raisa blieb stehen, brachte somit gehörig Abstand zwischen sich und ihm. „Das habe ich auch nicht. Ich sagte Mitmenschen, nicht Freunde."

Und ehe er realisiert hatte, was für Worte, in Raisas Fall fast schon Zauberworte, aus ihrem Mund kamen, war sie auch schon wieder an ihm vorbeigezogen. Sie konnte aber auch schnell gehen, wenn sie wollte. Aber hatte er das grade richtig verstanden? Sie hatte...ihn als...Freund bezeichnet?

Raisa ging gar nicht erst weiter darauf ein. Und im Nachhinein fragte sie sich sowieso, welcher wahnwitzige Gedanke sie geritten hatte, dass sie ihm so etwas erzählte. „Was genau..." Ein böser Blick, den Raisa über ihre Schulter hinweg ihm zuwarf, brachte ihn bereits wieder zum Verstummen. Er fragte sich, warum Raisa nur so stur war und fast immer auf das Gegenteil ihrer Gefühle beteuere. Oder war sie immer noch zu stolz? Vom Stolz konnte er ein Lied zwitschern, aber im Gegensatz zu der braunhaarigen Hylianerin hatte er nun begriffen, dass es bei ihr und ihm nur weiter ging, wenn er seinen Stolz zumindest in ihrer Gegenwart etwas ablegte.

Wenn Raisa wüsste, dass er diese Erkenntnis nur getroffen hatte, weil er sich an die kurze Zeit noch erinnern konnte, wo er als Levi Raisa begegnet war. Vollkommen unabhängig von ihrer gemeinsamen Vergangenheit, ihrer Verpflichtung hatte er sich zu ihr hingezogen gefühlt und war sich seiner Gefühle bewusst geworden. Dieses Andenken an Levi...würde er wahren.

Until the last heartbeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt