Kapitel 3 - Die Taten der Vergangenheit sind die Geschichten der Gegenwart

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Obwohl nun schon einige Sekunden vergangen waren, so hatte Rina immer noch das Gefühl, als würden die Worte der Prinzessin noch immer in diesem Raum wieder hallen. „Wie bitte?", fragte sie. Ein Fehler, ein Missverständnis oder ein Ohrenschaden – irgendetwas hatte grade dafür gesorgt, dass die Braunhaarige etwas total Bescheuertes aus dem Munde der Prinzessin gehört hatte. Ein Satz, der so voller Unwahrscheinlichkeit und Blödsinn steckte, dass man ihn verbieten sollte.
„Ich sagte, dass Ihr die Wiedergeburt der großen Raisa seid." Kalt, rücksichtslos und ohne irgendwelche Emotionen hatte die Prinzessin ihre Worte wiederholt. Rina war es nun klar, das war kein Fehler und sie hatte auch nichts Missverstanden. Einen Ohrenschaden besaß sie auch nicht. Und wenn sie so in das Gesicht der Prinzessin sah, die gar nicht angespannter wirken konnte, so wusste sie eines: Zelda meinte es todernst!

„Das geht doch gar nicht", erwiderte die Braunhaarige. „Das ist unmö... Wie soll denn auch", ihre Worte überschlugen sich bereits. In dem Körper der Braunhaarigen machte sich ein Gefühl von immenser Unbehaglichkeit breit. „Das geht sehr wohl", kam auch schon die vernichtende Antwort, die jegliche Gedanken an Widerrede im Keim ersticken sollte... Es letztlich bei Rina dennoch nicht tat. „Selbst wenn man das mal durchgehen würde... Wie alt war Raisa, als sie im Kampf gegen die Verheerung gestorben war? Fünfzehn...?" – „Achtzehn", korrigierte Zelda sie. „Gut, meinetwegen war sie achtzehn. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie Kinder hatte und die Kinder es geschafft haben, ihr Blut bis in meine Generation weiterzugeben?"

Genervt – das verrieten die Züge der Prinzessin. Sie war genervt von Rina, die es einfach nicht akzeptieren wollte. „Es war nie die Rede von Blutsverwandtschaft. Ich sagte, dass Ihr die große Raisa seid, irgendwo in Eurem Inneren steckt die Kraft eines Recken. Eure Seele ist dieselbe, wie die von Raisa. Ihr besitzt nur andere Erinnerungen." Zelda hatte ihre Teetasse unterdessen auf den kleinen Holztisch gestellt und war aufgestanden.

„Heute Morgen hielt ich es auch noch für unsinniges Geschwätz meines Propheten. Das Prognosticon musste einen Fehler gemacht haben. Kurz, ich wollte es nicht wahrhaben. Doch mein Weissager hatte etwas gesagt, was mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf ging." Die Prinzessin ließ Rina nicht einmal eine Chance, zu protestieren. „Ich, Zelda, Prinzessin von Hyrule, trage das Blut der Göttin Hylia in mir. Nicht, weil ich mit ihr Blutsverwandt bin, sondern weil die erste Zelda die Wiedergeburt Hylias war. Seitdem kehrt die Seele Zeldas immer und immer wieder. Nur der Körper und die Erinnerungen sind verschieden."

Das konnte Rina schlecht leugnen. Ein jeder kannte die Geschichte, des Königshauses von Hyrule, die Geschichte, der Prinzessin und die des Helden. „Selbiges gilt für den Helden der Zeit und offenbar nun auch für die Recken. Ich nehme an, dass Ihr, Rina, so voller Unglauben seid, da Ihr die erste seid, die wir als Wiedergeburt eines Recken anerkannt haben. Doch seid unbesorgt, ich bin davon überzeugt, dass sie alle irgendwo in Hyrule ein ganz gewöhnliches Leben, ohne Erinnerungen von damals, führen. Sie müssen nur gefunden werden."

Rina schäumte vor Wut. Wie konnte dieses eingebildete und verzogene Gör es nur wagen? „Es reicht", sprach sie ihren Zorn auch sogleich aus. „Es ist genug! Selbst wenn dieser ganze Kram stimmen sollte, selbst wenn ich Raisa wäre... Was gibt Euch das Recht den wiedergeborenen Recken das Leben zu ruinieren, Prinzessin?" Auch Rina war aufgestanden. Was interessierte sie es jetzt noch, ob sie in einem Kerker landen würde oder nicht. Wenn das der großartige Plan des Königshauses war, dann starb sie sogar lieber!

„Was mir das Recht gibt?", fragte Zelda in einer Mischung aus Entsetzen und Überraschung.
„Die Recken haben das Schicksal Hyrules schon einmal für einen hohen Preis ins Gute gelenkt. Sie haben ihre Zukunft, ihre Träume, ihre Familie und Freunde,... Ihr Leben aufgegeben, damit unsere Welt noch existiert. Und nun sollen sie erneut das alles durchmachen? Das ist grausam! Nun wo sie die Chance haben ihr Leben endlich in Ruhe und Frieden zu leben, soll ihnen das schon wieder genommen werden? Warum werden nicht einfach andere ausgewählt?!" Die Worte waren nur so aus Rinas Mund herausgeströmt. Sie hatte nicht einmal versucht es aufzuhalten. In ihr regte sich etwas, das im Moment für sie denken, handeln und reden übernahm – sie hatte keine Kontrolle über sich selbst. Und es war ihr egal...

„Ich bin nicht für den königlichen Hof gestorben, sondern für die Zukunft!"

Das brachte das Fass zum Überlaufen. Diese Worte, die so fremd erschienen, dass sie von wem anders stammen mussten... Zelda hatte die Augen aufgerissen und starrte die junge Frau vor sich an. Die Prinzessin hatte nicht das Gefühl, dass vor ihr Rina stand. Vor ihr war eine andere Person. Vor ihr stand Raisa. Die einzige Frau, die es wagte dem königlichen Hofe offen und direkt ins Gesicht zu sagen, was ein jeder verschweigen und mit ins Grab nehmen würde. Das war aber nicht alles. Zeldas Herz schlug unnormal schnell, ihre Hände, die von Handschuhen umhüllt waren, waren nass und klebten an dem Stoff. Sie hatte Angst... Angst vor Raisa, einer Person, die sich nicht davor scheute mit der Welt anzulegen, wenn die Situation es erforderte.

Doch augenblicklich verschwand diese unheimliche Stimmung, die sich ausgebreitet hatte. Rina sackte fast zusammen und ließ sich wieder, von sämtlichen Kräften beraubt, auf der Sitzgarnitur nieder. Ihr Kopf schmerzte furchtbar und sie hörte ununterbrochen ein grauenvolles Piepen.
„Alles in Ordnung, Prinzessin?!" Zwei Ritter waren in den Raum getreten, hatten ihre Schwerter für jeden Notfall gezogen. „Es ist alles Ordnung. Geht bitte", sagte Zelda, die sich selbst ein wenig an der hölzernen Kommode stützte. Die Ritter zögerten einen Moment, verbeugten sich aber schließlich und ließen den Raum in absoluter Stille zurück.

„Es tut mir leid", sagte Zelda und ließ sich gegenüber von Rina nieder. „Ich habe mir einige Dinge herausgenommen, die mehr als unangebracht waren. Ich glaube, das rührt daher, dass ich geglaubt hatte, ein Treffen mit einem wiedergeborenen Recken, einer so hohen Persönlichkeit, würde anders sein", begann sie zu erzählen, woraufhin Rina den Blick trotz der unfassbaren Kopfschmerzen, hob.
„Als ich herausfand, was für ein einfaches Leben Ihr lebt, Rina, war ich erzürnt, dass jemand einfach so, ohne große Leistung, jemand so besonderes war. Aber ich habe mich geirrt. Raisa hat großes vollbracht, vor und während ihrer Zeit als Recke. Und sie hat auch großes durchlitten, genau wie Ihr, nicht wahr? Niemand wird ,einfach so' zu einem Jemand. Dank Euch ist mir dies jetzt bewusst."

Zelda schenkte in ihre und die zweite Tasse Tee ein und schob diese zu Rina herüber. Diese nahm den Tee diesmal an und nahm auch direkt einen großen Schluck. „Ich bin bereit soweit einzugestehen, dass in mir etwas ist, das nicht ich bin." Ein großzügiges Entgegenkommen für die Verhältnisse der Braunhaarigen. Vielleicht war sie im Moment auch nur so gefügig, weil sie immer noch ein wenig überrascht war.

„Niemand sollte gezwungen werden, eine Position einzunehmen, die er nicht annehmen möchte...", die Prinzessin biss sich auf die Lippe, wo ihr Satz doch eine Anspielung auf ihr eigenes Schicksal war, „doch betrachtet man die gegenwärtige Situation, sollten gewählte Personen doch noch einmal in sich gehen und sich fragen, was das Richtige ist. Die Titanen können von niemand anderen, als den Recken gesteuert werde, dies ist das Ergebnis jahrelanger Tests. Somit sind wir, sofern wir auf die mächtigen Titanen zurückgreifen wollen, auf die Recken angewiesen. Versteht Ihr das, Rina?", fragte Zelda. Die Braunhaarige nickte. Aber die ,gegenwärtige Situation', wie Zelda sie genannt hatte, schien Rina nicht annähernd so schlimm zu sein, dass sie freiwillig zum Meister eines Titanen werden würde.

„Die gegenwärtige Situation... Wie sieht die aus?", fragte Rina. „Ich dachte, meine Runde der Fragen wäre angebrochen", erwiderte Zelda, scheinbar scherzhaft, doch kam es nicht so bei Rina an.
„Heute Morgen teilte mein Prophet mir mit, dass sich im Prognosticon, dass seit Jahrhunderten Hyrules Zukunft voraussagt, eine neue Seite hinzugefügt hätte. Doch waren die Nachrichten zum ersten Mal, seit wir dieses Buch besitzen, nicht erfreulich", erklärte Zelda und rieb sich die Hände.

„Das uralte Böse wird einmal mehr seine dunklen Klauen nach der Kraft der Göttinnen und dessen vom Licht erfüllten Land ausstrecken, um alle Freude, alles Glück und alles, was von Licht erfüllt ist, zu zerstören. Wenn dies geschieht, werden jene, die unter Einsatz ihres Lebens dieses Land der Göttinnen geschützt haben, erneut zu uns finden, um das Böse erneut zu versiegeln," zitierte Zelda die Prophezeiung.

Rina brauchte einen Moment, um das zu verarbeiten, was sie grade gehört hatte. Jedes Mal, wenn sie dachte, dass ihr Tag gar nicht schlimmer werden konnte, wurde sie eines Besseren belehrt.
„Uns ist also zum einen die Wiederkehr Ganons vorausgesagt, aber auch die Wiederkehr der Recken." Nun begriff die Braunhaarige, was die Prinzessin auf den Gedanken brachte, dass die Recken wiederkehren sollten. Aber sie selbst? Was hatte sie schon gemeinsam mit der großen Raisa? Vielleicht sahen sie sich äußerlich ein wenig ähnlich und sie teilten fast dasselbe Leid, aber das war es auch schon. Raisa war eine Meisterin des Schwertkampfes, sie war gut im Reiten und allgemein sehr begabt im Kämpfen. Ihre Reckenfähigkeit ließ sie die Angriffe ihrer Gegner und sogar die Zukunft voraussehen. Raisa war in der Lage ihrem Weg zu folgen, ganz gleich, wenn es unzählige irreführende Abzweigungen gab und andere versuchten, sie auf eine falsche Fährte zu locken. Raisa war in der Lage durch das alles durchzublicken und verlor sich dabei nicht.

„Ich bin davon überzeugt, dass Ihr Raisa seid, Rina. Vielleicht könnt Ihr jetzt noch mit dem gegenwärtigen Gedanken leben oder das alles verdrängen, aber wer weiß, wie dies in Zukunft aussehen würde. Deshalb möchte ich Euch bitten, nicht gleich alles abzustreiten. Noch ist genügend Zeit. Wenn Ihr also nicht sicher seid, welchen Weg Ihr gehen wollt, dann denkt in Ruhe darüber nach und teilt es mir mit, sofern Ihr Euch entschlossen habt. Doch bedenkt, dass Ihr früher oder später eine Entscheidung treffen müsst. In der Zwischenzeit werde ich versuchen die anderen Recken zu finden."

Rina seufzte und blickte in ihre Teetasse. Wer hätte gedacht, dass sie mal eine so schwierige Entscheidung treffen musste? So hatte sie sich den heutigen Tag und dessen Auswirkungen mit Sicherheit nicht vorgestellt. Sie stellte die Tasse auf den Tisch und stand auf. „War das denn nun alles? Kann ich wieder nach Hause gehen?", fragte sie. Zelda stellte sich ebenfalls und nickte. „Das war alles. Ich denke, es hätte keinen Sinn, Euch mit Fragen zu durchlöchern. Ihr scheint ja auch nicht mehr zu wissen, als ich, was diese Sache anbelangt." Rina nickte langsam, darauf bedacht, dass die Schmerzen im Kopf nicht noch größer wurden.

Die Prinzessin hielt Rina ihre Hand hin, welche die Braunhaarige auch ergriff. Jedoch nur, weil Zelda doch noch eine sympathische Seite an diesem Abend gezeigt hatte. Wäre sie weiter so eine ungezogene Göre geblieben, hätte Rina einen Teufel in diesem Moment getan. „Ich hoffe, bald von Euch zu hören. Kommt in das Schloss, wann immer Ihr mögt", waren Zeldas Abschiedsworte. Rina hatte sich umgedreht und war zur Tür gegangen. Ihre linke Hand lag bereits auf der Türklinke, als Zeldas Stimme doch noch einmal ertönte.

„Seid Ihr sicher, dass Ihr zu dieser Stunde noch nach Hause gehen wollt? Ihr könntet auch bis zum Morgen hierbleiben", schlug Zelda vor. Der Gedanke, in diesen Mauern zu bleiben, missfiel Rina allerdings sehr. „Nein danke, ich gehe lieber", erwiderte sie etwas schnell. Anhand dessen merkte die junge Prinzessin sofort, dass Rina nicht sonderlich gerne in diesem Schloss war. Eine weitere Eigenschaft, die sie mit Raisa teilte. „Möchtet Ihr, dass ich einen Ritter rufe, der Euch zu Pferd nach Hause bringt?", kam der nächste Vorschlag. Der Gedanke war für die Braunhaarige allerdings noch abstoßender, als der erste. „Laufen ist gesund", waren Rinas letzten Worte dazu. Mittlerweile dämmerte ihr auch, warum Zelda diese dämlichen Vorschläge machte. Auf dem Rückweg sollte Rina bloß nichts passieren. Doch ließ die Braunhaarige sich nicht beirren und trat den Weg nach Hause an. Zum zweiten Mal.

Until the last heartbeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt