Kapitel 7 - Prüfungen, die nur Recken wagen

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Tabanta war eine Region Hyrules, die eher zu den kälteren Gebieten des Landes zählte. Vermutlich lag dies an Hebra, einer ewigen Schnee- und Eislandschaft, die an diesem Gebiet angrenzte. Selbst nach hunderten von Jahren hatte sich daran nichts geändert, so stellte Raisa bei ihrer Reise in eben jene Region fest. Was trieb die Orni nur an, in dieser gottverlassenen Landschaft nahe der Hebra Berge, zu bleiben? Mal ganz von dem Fakt abgesehen, dass es in Tabanta sonst nichts gab.


„Falls ich es erwähnen darf,... Obwohl Ihr dazu gedrängt habt, als Erstes hier her, anstatt in das Dorf der Zoras, zu reisen, seht Ihr alles andere als erfreut aus, Raisa", merkte Zelda an, die neben ihr ritt. „Eigentlich hasse ich...", sie unterbrach sich selbst. „Es gibt Gegenden in Hyrule, die ich um ein vielfaches lieber besuchen würde, als Tabanta. Aber das Dorf der Orni liegt nun mal hier und offenbar wird dies in tausend Jahren noch der Fall sein", antwortete sie der Prinzessin. Der Grund, weshalb sie sich selbst unterbrochen hatte? Hatte nicht jeder schon einmal, mehr oder minder spaßeshalber, ausgemacht, was er in seinem nächsten Leben ändern würde? Nun, nicht das Raisa je damit gerechnet hätte, eine zweite Chance zu bekommen, doch nun wo dies der Fall war, versuchte sie diese Punkte abzuarbeiten. Darunter fiel, dass sie von dem Begriff ,hassen', egal in welchem Zusammenhang, weniger Gebrauch machen wollte. Dies würde sich als eine noch schwierigere Herausforderung offenbaren, als sie es jetzt schon war.

„Ich frage mich, was Euch dann dazu bewegt, dennoch diesen Ort zuerst aufzusuchen." Zelda sprach die Frage leise zu sich selbst. Und dennoch hatte die Prinzessin das Gefühl, Raisa hätte jedes Wort gehört, da sie im Augenwinkel einmal kurz zu ihr herübersah. Zelda hatte wirklich viel Respekt vor Raisa und zugleich bewunderte sie den Recken der Hylianer. Den Unterschied zwischen ihr und Rina zu beobachten war wirklich interessant. Während Rina eher ungeschickt im Reiten war, so saß Raisa auf ihrem Pferd, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes getan.
„Habt Ihr nun eine gespaltene Persönlichkeit oder wie ist das, diese Erinnerungen in sich zu tragen?", fragte die Prinzessin neugierig. Raisa seufzte lautlos. „Ich habe definitiv keine gespaltene Persönlichkeit", stellte sie klar. Aber seltsam war es trotzdem für sie. Raisa konnte sich daran erinnern, was sie die letzten neunzehn Jahre getrieben hatte. Gleichzeitig konnte sie sich aber auch nahezu perfekt an ihr altes Leben erinnern. Da konnte man sich schon die Frage stellen, wer man jetzt eigentlich war.

Raisas Entscheidung fiel jedoch ziemlich schnell. Die Person, die sie jetzt war, das war sie. Mit dieser Seele und diesem Geist wurde sie geboren, während Rina nur zeitweilig ihren Platz eingenommen hatte. Und auch wenn sie sich nun dafür Entschied, so würde Raisa Rinas Andenken wahren, schließlich hatte diese fast zwanzig Jahre lang auf diesen Körper aufgepasst, Dinge gelernt, die Raisa bislang nicht konnte. Lesen und schreiben. Beides beherrschte sie nun und das verdankte sie diesen Erinnerungen.

Kaum waren Raisa und Zelda den unzähligen Felsen der Tabanta-Landschaft entkommen, erblickten sie auch schon den Orni-Turm in Mitten des Oronini-Sees. Noch immer war der Weg zum Dorf der Orni für Reisende über mehrere Hängebrücken ausgelegt. Das Dorf an sich schien größer geworden zu sein, so wie Raisa es von ihrer derzeitigen Position aus beurteilen konnte. „Hat sich viel verändert?", fragte die Prinzessin. „Im Kern ist es auf jeden Fall gleich geblieben. Typisch. Ich lege meine Hand ins Feuer, dass alle anderen Städte und Dörfer sich prachtvoll entwickelt haben, nur dieses nicht", kommentierte Raisa, was sie sah. Selbst aus dem Nest Hateno war schon fast eine Kleinstadt geworden. Dabei war es zu damaligen Zeiten ein einfaches, kleines und ruhiges Dorf gewesen.

„Unsere Ankunft in dem Dorf ist doch nichts Offizielles, oder?", fragte Raisa nach einiger Zeit. Zelda blickte zur Seite, wo Raisa auf ihrem Pferd Ritt. „Selbstverständlich ist es das. Jemand meinesgleichen kann nicht einfach so verschwinden und irgendwo auftauchen", erklärte Zelda. Sie seufzte daraufhin lautlos. Während der letzten Tage wurde bekannt gegeben, dass sie Hyrules Recke der Hylianer war – nichts Ungewöhnliches im Grunde, schließlich ging sie zu damaligen Zeiten diesem Titel auch nach, jedoch würde dies ihren Aufenthalt im Dorf der Orni erschweren. Schließlich würde sie nicht ohne Grund dort sein. Revali, der Angeber... Sie würde ihn schon finden und ihm für seine letzten Worte ordentlich den Kopf waschen. Und selbstverständlich würde sie ihn davon überzeugen, dass sie alle den Titel der Recken ablegen sollte, sobald sie vollzählig waren.

„Prinzessin von Hyrule, Recke der Hylianer, willkommen im Dorf der Orni", sprach der Häuptling der Orni, Kumar. „Wir freuen uns, im Namen der Hylianer, hier sein zu dürfen", sprach Zelda mit viel Elan. Zudem setzte die Prinzessin ein engelsgleiches Lächeln auf die Lippen. So hatte Raisa dieses verwöhnte Gör auch noch nicht gesehen. Offenbar war ihr ziemlich wichtig, wie sie in ihrer Position als Repräsentantin gesehen wurde. Raisa hingegen blieb bei ihrem normalen Gesichtsausdruck. Der Mund zu einem Strich gezogen und ein Ausdruck in den Augen, der sowohl Langeweile als auch etwas Gefährliches ausstrahlte. Dem Gespräch von Zelda und dem Häuptling der Orni folgte sie schon lange nicht mehr, stattdessen verglich sie ihre Umgebung mit der, die noch immer in ihren Erinnerungen existierte. Alles wirkte so anders.

„Raisa, kommt Ihr?" Zeldas Worte holten die Braunhaarige wieder aus ihren Gedanken. Zelda hatte sich daran gemacht, die große Wendeltreppe nach oben zu gehen. Ohne etwas zu erwidern, verschränkte Raisa ihre Arme vor der Brust und folgte der Prinzessin. Etwas Vertrautes erblickte sie dann schon. Es war dieser Platz, hoch oben im Dorf der Orni, von welchem man früher auf den Titanen Vah Medoh blicken konnte. „Als Andenken an den Recken der Orni, wurde dieser Platz Revali-Platz getauft. Und vor euch seht ihr nun die besten Schützen unseres Volkes, wie Ihr gewünscht hattet, Prinzessin", erklärte Kumar. Raisa und Zelda sahen sich kurzen an und schritten ebenfalls auf den, wie Raisa kaum zu glauben wagte, Revali-Platz. Vor ihnen die stolz grinsenden Orni-Krieger, allesamt mit Bögen und in Reih und Glied. „Wie schön das Ihr uns die Ehre erweist, Prinzessin. Und auch Ihr, Recke der Hylianer. Seit Ihr auch wirklich so stark, wie man sich erzählt?", sprach einer aus der Menge.

Raisas stechender Blick traf besagten Orni. „Vorsicht", zischte sie kalt und scharf, dass einem ein kalter Schauder dem Rücken herunterlief. Zugleich setzte sie allerdings ein süffisantes Grinsen auf. Sie hatte eben nichts verlernt. „Was meint Ihr, Raisa?", fragte Zelda. Die Braunhaarige ließ ihren Blick noch einmal umherschweifen, schüttelte jedoch den Kopf. „Seid ihr wirklich vollzählig?", fragte Zelda und faltete die Hände. „Also eigentlich...", begann einer von ihnen. „Es fehlt jemand", beendete ein anderer den Satz. „Wir hatten gehofft es Euch nicht sagen zu müssen, Prinzessin, denn... Seine Worte waren ziemlich... Direkt und beleidigend." Raisa musste sich ein Grinsen verkneifen. Das hörte sich schon viel mehr nach Revali an.

„So? Und was waren seine Worte?", verlangte Zelda von den Orni-Kriegern zu wissen.
„Er hielt es nicht für nötig zu kommen, denn... Eine unreife und verwöhnte Göre, sowie eine Möchtegernschwertkämpferin, die aus heiterem Himmel sich für jemand Legendären hielt und zum Recken wurde, keine Gründe wären, zurück zum Dorf zu kehren", erklärte man nun Zelda und Raisa. Wo sie eben noch amüsiert war, lag in ihrem Blick nun Spott.
„Nun, zum Glück bin ich erwachsen genug, um mich nicht auf dieses Niveau herunterzulassen", sagte Zelda und wandte sich zu ihr. „Deshalb werdet Ihr ihn bestrafen, Raisa." Zuerst schaute sie ungläubig drein, jedoch machte es ,Klick' in ihrem Kopf. Natürlich, so würde sie diesen Orni ohne Probleme stellen können. So ahnte auch niemand, dass sie und Zelda eigentlich in dem Dorf herumschnüffelten, um Revalis Wiedergeburt zu finden. „Von mir aus", sprach sie gelangweilt. „Er ist wie immer am Flugplatz. Aber seht Euch vor, es ist für Hylianer wirklich kalt dort", sagte Kumar zu Raisa, während diese bereits die ersten Stufen herunterging. „Ich komme zurecht", versicherte sie.

Raisa ging den Weg zurück bis vor das Dorf, wo sie ihre Pferde abgegeben hatte. Der Flugplatz... Soweit sie sich erinnern konnte, hatte sie ihn damals nie besucht, doch wusste sie, wo er sich befand. Es war der Ort, wo die Orni Bogenschießen trainierten. Ein Ort, wo man Revali sehr gut vermuten konnte. Ohne groß zu zögern, stieg sie auf den Sattel und ritt in Richtung Schneelandschaft. Ihres Wissens nach lag der Flugplatz direkt an der Grenze zu Hebra.

Während ihres Rittes fühlte Raisa etwas Seltsames. Über ihren dicken Wintermantel fasste sie sich an die Brust. Ein Gefühl, das sie nicht wirklich beschreiben konnte. Doch je näher sie dem Flugplatz kam, desto stärker wurde dieses seltsame Gefühl. Sie verspürte doch wohl nicht etwa Aufregung? Das einzige, was im besten oder schlechtesten Fall, je nach Betrachtung, passieren konnte, war, dass sie Revali fand. Nichts weiter und dennoch spürte sie ihren Herzschlag deutlicher denn je und zur selben Zeit kribbelten ihre Fingerspitzen. „Die Kälte", murmelte sie zu sich selbst und bestritt, was in ihr vorging.

Nahe Hebras, in der bereits verschneiten Region, stieg sie von ihrem Pferd ab und stand sogleich bis zu den Knien im Schnee. Auch wenn viele Jahrhunderte vergangen waren, dem Schnee war sie noch immer nicht wirklich zugetan. Deshalb brauchte sie auch nicht erwähnen, wie berauschend sie es fand, zu tief im Schnee zu stecken. Nichtsdestotrotz stampfte sie die letzten Meter durch den Schnee zu der Holzhütte, die an dem sogenannten Flugplatz stand. Von einem Orni fehlte jedoch jede Spur.

Die alte Holztreppe, die hoch in die Hütte führte, war vollkommen vereist, sodass sie aufpassen musste, dass sie nicht den Boden küsste. Auf eine derartige Erfahrung konnte sie verzichten. Auch im Inneren dieser mehr oder minder kälteschützenden Behausung, fand sie nichts, was auf den Verbleib, eines Orni deutete. Jedoch musste sich die Braunhaarige eingestehen, dass es angenehm war, einige Sekunden vor dem angezündeten Feuer zu stehen. Zumal ihre Beine bis über die Knie klatschnass von dem eisigen Weiß von draußen waren. Jedoch blieb sie nicht ewig dort stehen, denn letztlich hatte doch etwas ihre Aufmerksamkeit geweckt.

Raisa ging den Holzsteg entlang, der über diesem tiefen Loch, dass die Orni ihren Übungsplatz nannten, ragte und sah sich um. Überall befanden sich Ziele, jedoch war keines von ihren zerstört oder beschossen worden. Ein eiskalter Wind zog an ihr vorbei und auf den tiefen dieses Trainingsplatzes kam mit unfassbarer Geschwindigkeit ein Orni hochgeflogen. In nur einem Moment versuchte besagter Orni mit Bombenpfeilen vier Ziele auf einmal zu treffen. Bei drei klappte dies auch, nur beim vierten ging der Schuss daneben. Da erinnerte Raisa sich an etwas... Wie alle Recken musste auch sie sich einst drei Prüfungen stellen, um auch wirklich zum Bunde dazuzugehören. Damals sagte man spaßeshalber, dies wären die Prüfungen, die nur Recken wagen. Damals hatte sie sich nicht wirklich dafür interessiert, was die anderen getan hatten. Doch, während sie als Rina durch dieses Land gestreift war, las sie in einem Buch etwas, über jene Prüfungen der Recken. So auch über Revalis...

Es gilt, vier Ziele zu treffen, ohne zu zagen...


Während noch immer der Rauch von den Bombenpfeilen durch die Luft zog und Raisas Sicht versperrte, regte sich in ihr etwas, was sie schon lange nicht gespürt hatte. Ein Gefühl, das sie dazu zwang aufzusehen. Die leichte Müdigkeit von der Reise war verschwunden, ihre Sinne waren auf Hochtouren, ihr Blick verschärfte sich. Obwohl der Rauch noch nicht verschwunden war, fixierte sie einen Punkt. Und vor ihrem geistigen Auge spielte sich ein Szenario ab, welches nur wenige Sekunden später in der Realität stattfinden sollte...

Until the last heartbeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt