1. Kapitel

232 49 155
                                    


Ich streckte mich, das Bett, auf dem ich lag, knarzte.
Ich wickelteden Stoff meiner Decke enger um meinen Körper und vergrub den Kopfim Kissen.
Das leise Zwitschern einzelner Vögel hallte durch das kleine Fenster, welches offen stand.
Leise Schritte waren draußen zu hören, darunter mischten sich tuschelnde Stimmen.
Ich hob leicht den Kopf und schlug die Augen auf.

Die Sonne war noch nicht auf gegangen, und als ich aus dem Fenster blickte, welches direkt über meinem Bett angebracht war, waberte eine Schicht Nebelüber dem Boden.
Ein kurzer Blick quer durch den Raum in das andere Bett genügte um festzustellen, dass das Bett leer war.
Natürlich war er schon auf.

Ich schlüpfte aus der Decke und warf mir den grauen Pulli über.
Mit schnellen Schritten ging ich an dem aus Holz gezimmerten Esstisch vorbei, zu der Tür unseres kleinen Holzhauses.
Knarzend öffnete sie sich und ein kühler morgendlicher Luftzug blies mir entgegen.
Ich trat hinaus auf die vom Tau nasse Wiese.
Das Wasser drang durch meine Schuhe, jagte mir einen leichten Schauerüber den Rücken.
Zwischen den einzelnen Holzhäusern liefen vier Gestalten, die mich jedoch keines Blickes würdigten.

Ob sie mich im dämmerigen Licht nicht sahen, oder ob es ihnen egal war,dass ich hier war, wusste ich nicht.
Ich kannte sie nicht, obwohl unser Dorf nicht besonders groß war.
Ich kannte niemanden hier wirklich. Außer Alan.
DieGruppe verschwand hinter den nächsten Häusern und ich machte mich auf in die entgegen gesetzte Richtung.
InRichtung des Sees.

Dort würde ich Alan auffinden.
Er war bestimmt wieder am Fischen, denn auch zu so einer morgendlichen Stunde versuchte er stetig Nahrung für die Bewohner unseres kleinen Dorfes zu bekommen.

Ich und mein Bruder wohnten alleine in einemkleinen Holzhaus, unsere Eltern waren früh gestorben.
Zu früh.
Alan war früher aufgeweckt gewesen, hatte viel gescherzt und gelacht.
Doch nun, seitdem unsere Eltern fort waren, hatte er sich verändert.
Er zog sich in sich selbst zurück, redete kaum noch mit mir oder irgend jemand anderem. Er verbrachte Stunde um Stunde allein am See, fischte oder schwamm.

Doch das verstand ich. So tat ich es auch, einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen.
Ich streifte durch den Wald, der diese Lichtung umgab, sammelte Beeren und jagte das frische Wild.

Mein Vater hatte mir beigebracht, wie man mit Pfeil und Bogen umging, bis er schließlich verschwand.
Bis er ging, uns verließ.

Ich blickte zum Himmel auf, die Sonne war noch nicht über den Horizont geklettert, aber das Licht kehrte langsam ein.
Bald würden sich die Wolken rötlich färben, die Bewohner aus ihren Häusern kommen und sich ihren Täglichen Aufgaben widmen.
Ich würde wieder unterrichtet werden, in den Räumen des Haupthauses.

Wir würden von der Erde hören, dem Planeten, den wir verlassen mussten um zu Überleben.

Als ich zwischen den letzten Häusern hervortrat, sah ich den See.
Das letzte Licht des Mondes spiegelte sich in dem dunklen Wasser.
Ich blickte zum Steg der ins Wasser hinein ragte, und tatsächlich saß da jemand.
Die Silouhette eines Jugendlichen, der an einen der Stegpfosten gelehnt da saß.
Reglos, wie aus Stein gemeißelt starrte die Gestalt aufs Wasser hinaus.
Ich rannte zum Steg und betrat diesen. Meine Schritte erklangen dumpf auf dem breiten Latten, als ich mich der Gestalt nährte, von der ich mir sicher war, es seiAlan.
Doch er drehte sich nicht um.

»Alan?«, fragte ich in die Stille, doch ich bekam keine Antwort.
Ich spürte wie die Gänsehaut meine Arme hochkroch.
»Alan? Hörst du mich?«
Vielleicht schlief er. Ich ging weiter auf ihn zu, jetzt lagen nur noch wenige Meter zwischen uns.

Ich erkannte eindeutigsein rötliches Haar, welches die gleiche Farbe trug wie meines, und seine dünne Statur, doch er regte sich nicht.
Schnell lief ich die letzten paar Schritte und stellte mich vor ihn.

Ich schnappte nach Luft, ein Schrei verließ meine Kehle.
Alans weißer Pullover war blutgetränkt, seine Augen starrten leer in die Ferne.

»Alan-« Meine Stimme versagte.
Ich packte Alan an den Schultern und rüttelte ihn, in der Hoffnung er würde mich ansehen, anfangen zu lachen. Doch das war kein Streich, den er mir spielte. Das hier war real.
Sein Körper war schlaff, die Haut eiskalt.
Er atmete nicht mehr, ich spürte kein Rythmisches pochen, als ich meineFinger an seinen Hals presste.

Meine Beine gaben unter mir nach und ich spürte wie warmes Blut durch den dünnen Stoff meiner Hosse sickerte, als ich mitten in der Blutlacheauf die Knie sank.
Es konnte nicht sein. Er konnte mich doch nicht auch noch verlassen.

Alans schlaffer Körper fiel in meine Arme, sein Kopf ruhte in meinem Schoss.
Ich strich ihm behutsam die Haare aus dem Gesicht.
Meine Finger hinterließen eine schmale Blutspur auf der blassen Haut.
Ich starrte meine Hände an, fühlte wie heiße Tränen über meinGesicht liefen, fühlte den Schmerz, der die Verständnislosigkeit ersetzte.

Alles um mich herum verblasste, meine Warnehmung reduzierte sich auf das schmale Gesicht und die fahlen Augen, die mich teilnahmslos anstarrten.

Er hatte mich verlassen, genauso wie es schon meine Eltern getan hatten,mit dem einzigen Unterschied, dass jetzt überhaupt niemand mehr da war.

Ich war allein.

.

~~~

Willkommen, willkommen!
Zu dem ersten Kapitel dieser Geschichte!
Was haltet ihr davon?
Schreibt mir doch gerne in die Kommis!

Wenn jemand nicht gut mit Blut,Tod oder Verlusten umgehen kann, würde ich eher abraten, diese Geschichte zu lesen.
Es sind ein paar brutale Szenen vorhanden, aber meiner Meinung nach nicht allzu schlimme.
Naja, jedem das seine!

Wir lesen uns! (Vielleicht!) ❤️

Evelyn Rose - GefangenschaftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt