28. Kapitel

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Langsam liefen wir los auf den Höhleneingang zu.
Ich merkte, dass Abygail stehen geblieben war und uns entsetzt hinterher starrte.
Auch mein Vater rührte sich nicht.
Lilly, die schon fast in dem Gang verschwunden war drehte sich um.

"Kommt ihr jetzt?" Sie wedelte ungeduldig mit der Fackel in der Luft herum. "Wir haben nicht ewig Zeit- außer ihr wollt hier drin erfrieren."
Abygail und mein Vater setzten sich langsam in Bewegung um uns hinterher zu gehen.

"Wir haben doch nicht einmal Waffen!", wandte Abygail ein.
Ich musste zugeben, dass ich selbst nicht wusste ob es wirklich das richtige war, aber schließlich war es das einzige was wir jetzt tun konnten, um das alles zu beenden.
Das hoffte ich zumindest.

"Doch! ", entgegnete Lilly trotzig, die offenbar sehr viel gefallen an dem Gedanken fand Arthur aus dem Weg zu schaffen.
"Der Bogen" sie nickte zu mir. "Jasons Schwert und mein Messer."
"Willst du damit sagen das nur ihr drei ihn... naja... bekämpft?", fragte Peter entsetzt.

So wie ich ihn von den letzten Tagen kannte, wusste ich, dass es ihm eigendlich ganz recht sein sollte, dass er niemanden töten müsste.
Doch trotzdem schien er im Moment nicht mit diesem Gedanken klar zu kommen.

"Das werde ich nicht zulassen!", meldete sich nun auch mein Vater zu Wort.
"Du wirst nicht in einen Kampf ziehen, Evelyn." Seine Stimme duldete keinen Wiederspruch.
Wie ein Befehl. Den ich nicht befolgen würde.
Nein, den ich nicht befolgen könnte.

Er hatte mich Evelyn genannt, so wie schon lange nicht mehr. Doch ich wusste noch genau, dass wenn er mich so nannte, er es vollkommen ernst meinte.
"Ihr anderen werdet auch nicht gehen", forderte er.

Langsam blieben Lilly und Jason stehen und als ich mich umwandte, merkte ich, dass mein Vater, Peter und Abygail uns genau gegenüber standen.
Zwei Seiten- zwei unterschiedliche Meinungen.
Ich sah kurz zu Jason, der mit zusammen gezogenen Augenbrauen zu den anderen schaute.
Seine Hand ruhte auf dem Schwertgriff.
Es war nur ein Detail das mir auffiel, doch ich war mir auch nicht sicher ob er das unabsichtlich tat, oder nicht.

Als ich zu meinem Vater sah, merkte ich das auch dieser Jasons Bewegung gesehen hatte, denn er kniff die Augen zusammen und Musterte die eiserne Klinge.

"Leute!", versuchte Abygail es. "Es bringt doch nichts! Ihr seid genauso wie die Fremden!"
"Wir tun das aber nicht aus Rache. Wir wollen es ein für allemal beenden." Jasons Stimme wurde lauter, doch Abygail ließ sich davon nicht einschüchtern.

"Wer sagt euch, dass es keine Rache ist? Wer sagt euch das es richtig ist, was ihr da tut?"
"Niemand!", giftete Lilly ihr entgegen. "Aber wer sagt dir dass warten die bessere Lösung ist?
Wir wollen diese Fehde endlich beenden!"
Mein Vater trat einen Schritt vor, wie um Abygail und Peter zu beschützen.
Er stellte sich gegen seine eigene Tochter.

"Wir wollen nicht warten", meinte mein Vater mit ruhiger Stimme.
"Wir werden nach Hause gehen und dann mit mehr Leuten wiederkommen und dann mit ihnen verhandeln- eine Abmachung treffen.
Wir lassen sie in Ruhe und sie uns."

Es klang zu gut. Einfach wieder nach Hause zu gehen und das ganze den anderen zu überlassen.
Aber in diesem Punkt entstand schon das erste Problem.

"Nach Hause?" Ich merkte das ich Tränen in den Augen hatte, als ich diese Worte aussprach.
Doch niemand konnte sie in dieser Dunkelheit sehen, die nur von dem spärlichen Licht der Fackel erfüllt war.

"Du meinst das Dorf, dass nicht mehr existiert? Das Zuhause das sie niedergebrannt haben?
Die Menschen die zu diesem Zuhause gehörten, die sie getötet haben?
Du weißt nicht wie es dort aussah! Es ist kein bisschen mehr übrig, nur die Asche die sich vom Wind davon wehen lässt!" Ich holte kurz Luft.

"Alle Waffen sind weg.
Wer sagt uns, dass sie die anderen aus dem Dorf nicht auch schon umgebracht haben?
Wer sagt dir das da noch jemand ist, der uns helfen kann?
Du warst acht Jahre fort- gefangen in dieser Zelle. Du müsstest am besten wissen warum wir das alles auf diese Weise beenden wollen!"

Ich fauchte ihm die Worte entgegen, wütend aber gleichzeitig auch unfassbar traurig, weil ich aus irgendeinem Grund ahnte, dass ich diese Entscheidung bereuen würde.
Ich spürte ein unendliche Leere in meinem Inneren- konnte meine Gefühle kaum erfassen und auch nicht, was in diesem Moment das richtige war.
Mein Vater sah mich für einen Moment an und sprach dann eine Frage aus, die ich mir insgeheim auch schon gestellt hatte.

"Und was wenn du alles nur noch schlimmer machst, Evelyn? Was wenn du dadurch erst recht den Krieg auslöst?"
"Vielleicht würden wir niemals lebend zurück zum Dorf gelangen! Sie wollten uns gerade töten.
Wer sagt dir das sie es nicht im Wald tun werden?", erwiderte Jason für mich.
Er wandte sich zu Abygail.

"Und wenn du meinst es wäre die Rache, die uns dazu bringt soetwas zu tun, dann wird es wohl so sein.
Dann werden wir es aus Rache tun, genauso wie sie es bei uns getan haben."

Mit diesen Worten wandte sich Jason ab und lief weiter, Lilly folgte ihm.
Ich sah noch einmal kurz zu meinem Vater, doch ich konnte seine Züge kaum erkennen, denn Lilly entfernte sich mit der Fackel immer weiter von uns.
"Es tut mir leid", waren die letzten Worte die ich sagte, bevor ich mich ebenfalls umwandte um hinter Jason und Lilly herzugehen.




Sie folgten uns.
Ich hörte die Schritte von Abygail, Peter und meinem Vater weit hinter uns durch die Dunkelheit schallen, doch nie waren sie so nah, dass ich sie hätte sehen können.
Ich starrte auf den Boden vor meinen Füßen und fragte mich innerlich ob das ein Fehler gewesen war.
Vielleicht hatte Jacob etwas anderes damit gemeint.
Vielleicht wollte er ja wirklich nur das wir Arthur überreden abzutreten, anstatt ihn zu töten.

Abygail hatte recht, wenn wir ihn töteten, dann würden wir nicht besser sein als die Fremden.
Waren wir das überhaupt noch?
Wir- die Gruppe die los gezogen war, um herauszufinden was die Fremden vorhatten, hatten zwar nicht das Dorf der Fremden vernichtet, aber wir hatten jemanden von ihnen getötet.
Mason.
Er hätte uns sonst erschossen, aber Notwehr war auch keine Ausrede.

Jason hatte sich auf einen der Fremden gestürzt, von einem Baum hinab, er hätte auch diesen töten können.
Er hatte Fehler gemacht, genauso wie wir alle.
Doch ich wusste im Moment überhaupt nicht, ob es ein Fehler gewesen war meine Freunde auf Jacobs Worte und die dahinter versteckte Botschaft aufmerksam zu machen.
Würden wir, indem wir Arthur aus dem Weg schafften, wirklich diese Rachepläne verhindern, oder würden wir erst recht einen Krieg anfangen.

Erneut wandte ich mich um und spähte in die Dunkelheit hinter mir.
Als ich wieder nach vorne sah, merkte ich das Jason mich anschaute.

"Ich weiß auch nicht ob es das richtige ist."
Er verzog das Gesicht. "Aber wenn wir so alles beenden könnten, dann müssen wir es tun."
Ich schwieg kurz, raffte mich dann wieder zusammen.
Es war meine Idee gewesen, ich durfte jetzt nicht zweifeln.

"Wie sollen wir es machen? Wenn Arthur immer in seiner Höhle bleibt haben wir keine Chance."
Mir wurde noch kälter als ich daran dachte, wieder in diesen Thronsaal zurück zu kehren.
Lilly wandte sich um und schwänkte die Fackel mit.
Ein zischendes Geräusch erklang und die Flammen flackerten, als wollen sie den Geist aufgeben, doch Lilly beachtete sie kaum.

"Vielleicht müssen wir die Fremden ablenken."
"Es wäre so viel einfacher wenn die anderen mitmachen würden. Abygail, Peter und mein Vater. Wir hätten so viel bessere Chancen-"
"Das tun sie nunmal nicht! Sie haben ihr Entscheidung getroffen und wir unsere", entgegnete Lilly ein wenig bissig.
Vielleicht hatte sie auch gehofft, Peter würde mit uns mitkommen.
Schnellen Schrittes lief Lilly weiter.
Jason ließ sich zu mir zurückfallen.

"Ich finde es auch seltsam nicht mehr mit den anderen zu laufen. Ich hab mich... an ihre Anwesenheit gewöhnt", sagte er leise.
Ich nickte.
"Ich auch." Kurz zögerte ich. "Wir waren wie eine kleine Familie."

Jason sah mich von der Seite an.
"Ja, da hast du recht", stimmte er mir zu.
"Aber das sind wir immernoch. Auch in Familien gibt es unterschiedliche Meinungen oder sogar Streit Aber wir werden uns wiedersehen."




Hey, wie fandet ihr das Kapitel?
Sind die unterschiedlichen Meinungen nachvollziehbar, und was würdet ihr eher machen?
verhandeln oder kämpfen?

Danke fürs lesen! Und viel Freude weiterhin! ❤️

Evelyn Rose - GefangenschaftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt