3. Kapitel

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»Du wirst deine Strafe erhalten. Eine Mörderin kommt nicht so einfach davon.« Arthur bedachte mich mit einem abschätzigen Blick, und ging dann in Richtung Tür, dicht gefolgt von den beiden Männern, seinen Leibwächtern.
"Ich bin keine Mörderin." brachte ich hervor.
Arthur hielt kurz inne, öffnete dann schweigend die Tür und trat hinaus.
Der blonde Mann sah mich wieder mitleidig an, doch ich wandte meinen Blick ab und wartete, bis die Tür mit einem lauten klacken ins Schloss fiel.
Ich konnte das Mitleid dieses Mannes nicht ertragen, denn so wie ich das sah, sollte er mich lieber retten, oder sich für mich einsetzen, anstatt mich einfach nur anzusehen und mir zu zeigen das er nichts dafür konnte.
Doch jeder konnte etwas für meine Gefangennahme. Jeder der nichts tat, war genauso wie die, die etwas taten.
Aber fiel konnte Arthur ja nicht tun. Ich war minderjährig, da würde es keine Todesstrafe geben.
Oder doch? Noch nie hatte ein minderjähriger einen Mord begangen.
Oder war dafür beschuldigt worden.
Ich sah mich im Raum um, um diesen Gedanken zu entkommen.
Arthur hatte die Laterne stehen gelassen, sodass ich noch ein wenig Licht hatte.
Mein Blick glitt über die Regale voller Lebensmittel und ich unterdrückte den Gedanken, wie es wohl wäre dieses Essen essen zu dürfen.
Ich musste hier irgendwie raus. Falls doch die Möglichkeit zur Todesstrafe bestand.
Aber ich müsste aus dem Dorf verschwinden, aus meinem Zuhause.
Vielleicht war das ja gar nicht mehr mein zuhause, nicht ohne die Menschen, die es zu diesem gemacht hatten. Diese Menschen waren tot.
Mein Vater verschollen, meine Mutter war an einer Krankheit gestorben und Alan... Er war getötet worden.
Wenn er ermordet wurde, wer hatte dies getan?
So weit ich wusste, gab es auf diesem Planeten keine weiteren Menschen. Nur dieses Dorf, mitten in einem Wald der sich Meilenweit erstreckte.
Also musste es jemand aus unseren Reihen gewesen sein.
Bei dem Gedanken erbebte mein ganzer Körper.
Wer von ihnen könnte im Stande sein so etwas zu tun?
Ganz plötzlich schossen mir Tränen in die Augen, meinen Hände begannen zu zittern
Was wäre, wenn er gar nicht umgebracht wurde?
Was wäre wenn er sich von seinem Leid erlösen wollte?
In der stille der Nacht, mit dem Mond über dem Kopf, an dem Ort, den er am meisten liebte.
Nein!
Das hatte er nicht getan.
Er hätte mich niemals so im Stich gelassen.
Er hätte niemals aufgehört zu kämpfen.

Die Sonnenstrahlen fielen auf meine blasse Haut, doch sie waren keineswegs wärmend.
Zitternd schlang ich die Arme um meinen Körper, starrte die Kieselsteine auf dem  Boden an, die unter jedem Schritt knirschten.
Der blonde, dickliche Mann – Arthurs einer Begleiter – hatte mich heute morgen aus dem Raum geholt und hatte gesagt, ich solle mit ihm zum Dorfplatz kommen. Mit den Worten »Heute wird geurteilt« war er einfach los marschiert und ich hatte keine andere Wahl gehabt, als ihm zu folgen.
Die Menschen die aus den kleinen Holzhäusern strömten, blickten mich misstrauisch an.
Manche schauten schnell wieder weg, als sie bemerkten, dass ich sie ansah, andere hielten meinem Blick stand.
Aus den Fenstern der Hütten lugten kleine Kinder, gespannt auf das was jetzt kam. Doch sie blieben drinnen.
Ab zehn Jahren war es – soweit ich wusste – erlaubt bei einer Abstimmung oder ähnlichem mitzumachen.
Würde sich überhaupt jemand für mich einsetzen?
Ich hatte nie viel Zeit mit den Bewohnern unseres Dorfes verbracht.
Sie kannten mich alle kaum.
Ich brachte ihnen Nahrung, aber ansonsten tat ich nur etwas mit Alan.
Ein stechender Schmerz machte sich in meiner Brust breit, als die Erinnerung an meinen Bruder wiederkehren.
Wie er dort saß, Blutverschmiert, die glasigen Augen in die Ferne gerichtet.
Doch jetzt war nicht die richtige Zeit um darüber nach zu denken.
Wir hatten den Dorfplatz erreicht, ein platt getrampeltes Stück Wiese, zwischen den Häusern, auf der ein Brunnen stand.
Er war vor sehr langer Zeit aus Steinziegeln angefertigt worden, doch er erfüllte bis heute noch seinen Zweck – den Bewohnern das Trinkwasser zu geben, welches sie brauchten.
Es hatten sich schon viele Leute versammelt, die einen Kreis um den Brunnen bildeten.
In der Mitte stand Arthur.
Sein braunes kurzes Haar hing ihm ins Gesicht, sein schmaler Mund verengte sich, als er mich erblickte.
Die Leute wichen zu allen Seiten aus, bildeten eine Gasse für mich.
Wohl eher aus Angst, als aus Respekt, nach ihren Blicken zu urteilen.
Wie konnten sie so leichtgläubig sein?
Wieso glaubten sie immer noch, ich hätte das getan?
Verzweifelt sah ich einen nach dem anderen an, doch nirgendwo erkannte ich etwas anderes als Angst oder Hass.
Ein Mädchen in meinem Alter, mit dem ich einmal beim jagen ein paar Worte gewechselt hatte, wandte den Blick ab, als ich sie ansah.
Abygail hieß sie.
Wir hatten uns nur unterhalten, um ein Wildschwein aufzuspüren, aber für mich war das schon etwas. Eines der ersten male seit Jahren, dass ich mit irgendeinem anderen Mensch als meinem Bruder ein Wort gewechselt hatte.
Ich überlegte ob sie dafür stimmen würde, dass ich eine Strafe bekam.
Was für eine Strafe wäre das dann?
Todesstrafe? Wenn ich dazu verurteilt werden würde, dann würde ich zu meinem Bruder gehen.
Dieser Gedanke spendete mir ein kleines bisschen Trost.
Der Mann, der mich hergeführt hatte, lotste mich weiter durch die Menge.
Er packte mich nicht grob an dem Arm, wie es so manch anderer getan hätte und dafür war ich ihm dankbar.
Arthur sah mir entgegen, neben ihm stand der andere Mann. Dieser hatte schwarze, kurz abrasierte Haare, war viel hagerer als sein Kollege und starrte mich durchdringend an.
Mein Blick glitt unwillkürlich zu Boden. Ich konnte es nicht mehr ertragen, wie sie mich alle ansahen.
Arthur klatschte in die Hände und sofort senkte sich Stille über den Dorfplatz.
Kein einziges Geräusch war zu hören. Ich spürte deutlich, wie mein Herz schneller  zu schlagen begann.
»Evelyn Rose. Du wirst des Mordes an deinem Bruder, Alan Rose verdächtigt. Willst du dazu etwas sagen?«
Ich würde liebend gerne sehr viel sagen, oder lieber tun. Am liebsten Arthur den Kopf einschlagen.
Aber er konnte nichts dafür. Er dachte wie jeder andere hier, ich hätte das getan.
Ich hätte vielleicht auch jemanden verdächtigt, den man genau neben einer Leiche auffand. Vielleicht. Aber auf keinen Fall wenn es die Schwester desjenigen wäre. Nicht wenn sie am Boden zerstört bei ihm kniete.
Ich blinzelte und versuchte so die Gedanken zu verscheuchen, die mir die Tränen in die Augen trieben.
»Ich habe es nicht getan.« Meine Stimme zitterte. »Und ich werde auch nichts zugeben, was ich nicht getan habe." Innerlich verfluchte ich mich. Das waren nicht gerade die besten Worte, die ich zu meiner Verteidigung sagen könnte.
Ich konnte mir nicht weitere Sätze abringen. Es war einfach alles zu viel.
Lautes Gemurmel erhob sich aus der Menge, welches aber sogleich von Arthurs erhobener Hand erstickt wurde.
»Wir werden abstimmen«, sagte er mit lauter Stimme, »Keine Strafe, eine mildere Strafe oder die Todesstrafe.«
Ich hatte es beinahe schon erwartet, doch trotzdem trafen mich seine Worte schmerzhaft.
Erschrockenes Gemurmel ertönte, Protestrufe schallten über den Platz, doch Arthur lies sich nicht davon beirren.
  »Fangen wir an. Alle die dafür sind, dass Evelyn Rose ohne eine Strafe davon kommt, heben jetzt die Hand.« Arthur sagte das so, als würden sie eine Massenmörderin entkommen lassen, wenn sie nun die Hand erhoben.
Vielleicht dachten sie das ja auch. Ich war in ihren Augen eine Mörderin.
Wenige Hände streckten sich in die Höhe, wenn auch nur zögerlich.
Ein paar Erwachsene, darunter auch Jugendliche in meinem alter. Aber es waren nicht viele.
Mein Blick glitt unwillkürlich zu Abygail, die ihre Hand jedoch keinen Zentimeter bewegt hatte. Eine hochgewachsene Frau die neben ihr stand, drückte sanft ihre Schulter, doch Abygails Blick blieb stur auf dem Boden gerichtet. Die Frau hatte das gleiche braun gewellte Haar wie Abygail. Vielleicht ihre Mutter.
Ich vertrieb den Gedanken. Das war unwichtig.
Ich wandte den Blick von Abygail ab und entdeckte in den Reihen der Menschen einen hochgewachsenen Jungen, etwa in meinem alter, der seine Hand erhoben hatte.
Schwarzes Haar fiel ihm auf die Stirn, sein Blick war auf mich gerichtet.
Neben ihm reckte ein braunhaariger Junge ebenfalls die Hand hoch.
Ich sah die beiden dankbar an, doch sie reagierten nicht.
  »In Ordnung. Wie ich sehe, sind das nicht viele Stimmen. Dann kommen wir jetzt zu der mildere Strafe«, meldete sich Arthur wieder zu Wort.
  »Alle die dafür sind, dass Evelyn Rose eine mildere Strafe erhält erheben nun ihre Hand. Das heißt Gefangenschaft, oder eine durchzuführende Arbeit.«
Das hörte sich sehr gut an, fand ich. Besser als der Tod.
Viele Hände schossen empor, ich drehte mich zu Abygail, die nun endlich aufsah. Ich weiße dünne Hand weilte über ihr in der Luft.
Ich atmete kaum hörbar aus.
Die meisten Menschen hatten für mildere Strafe gestimmt, nicht für die Todesstrafe.
Zumindest schätzte ich es so ein.
Arthur nickte bloß.
»Dann kommen wir jetzt zu der Todesstrafe.«
Ganz langsam erhoben sich einzelne Hände.
Aber es waren nicht so viele wie die für die mildere Strafe.
Oder?
Noch konnte ich mir nicht sicher sein.
Ich blickte nach hinten, und sah wie Arthur und der schwarzhaarige Mann die Hände erhoben.
Warum durfte Arthur mit abstimmen?
Normalerweise war das nicht erlaubt.
Arthur sah mich an und etwas in seinem Blick ließ mein Blut gefrieren.
»Somit ist es entschieden.« Mein Herz begann zu rasen, meine Hände zitterten und mir wurde eiskalt.
Arthur sah mich an und so etwas wie Mitleid spiegelte sich in seinem Blick.
»Die meisten der Anwesenden haben für die Todesstrafe gestimmt.«

Hello
Wie findet ihr das Kapitel?
Was denkt ihr wird passieren, jetzt, da die Mehrheit für die Todesstrafe gestimmt hat?
Und was haltet ihr bis jetzt von den Charakteren? Was denkt ihr von Evelyn?

Danke fürs Lesen und weiterhin noch viel Spaß! :D ❤️

Evelyn Rose - GefangenschaftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt