30. Kapitel

36 10 43
                                    

Als ich aufwachte, wusste ich nicht mehr, wann ich überhaupt eingeschlafen war.
Schon wieder hatten mich keine Albträume heimgesucht und ich fühlte mich seit Tagen wieder richtig ausgeruht.
Blinzelnd schlug ich die Augen auf, und bemerkte, dass es im Raum schon hell war.
Erst Sekunden später verstand ich, dass das ja gar nicht die Sonne sein konnte, denn der Raum war Fensterlos.
Es war die Kerze in der Laterne, die auf dem Tisch stand und ihr Licht durch das ganze Baumhaus strömen ließ.
Auf dem kleinen Holzhocker saß Lilly, den Kopf in die Hände gestützt.
Sie starrte den dunklen Tisch an, doch genau sah ich ihr Gesicht nicht, da sie mit dem Rücken zu mir saß.
Trotzdem merkte ich, dass sie erschöpft wirkte.
Ihre gekrümmte Haltung, das Gesicht in den Händen vergruben.
Ich wandte meinen Blick nach rechts.
Jason schlief dicht bei mir, gekuschelt in eine der warmen Decken.

"Guten Morgen." Erschrocken zuckte ich zusammen. Lilly stand vor mir und ich sah, daß ich mit meiner Vermutung richtig gelegen hatte.
Lillys Augen waren leicht verquollen und sie schien durch mich hindurch zu starren.
"Ist es wegen Peter?" Die Frage war aus meinem Mund heraus ohne das ich darüber nachdenken konnte ob sie nicht zu direkt war.
"Ist es weil du ihn gerade erst wiederhast, und er sofort wieder weg ist?"
Lillys Miene versteinerte, kurz versuchte sie es mit einem abtuenden Lächeln, doch sie schaffte es nicht.
Sie verzog das Gesicht.

"Könnte schon sein. Hör mal, ich war dort viel zu lange. Wenn unser Plan schiefgeht, werde ich wieder eingesperrt und das möchte ich auf gar keinen Fall."
"Dann wird unser Plan nicht schiefgehen!", erwiderte ich.
Lilly schüttelte den Kopf und lächelte Müde.
"Ich habe darüber nachgedacht. Ich könnte einfach weggehen. Ich bin frei- im Gegensatz zu euch." Ich starrte Lilly entsetzt an. Wollte sie jetzt schon wieder gehen?
Uns allein lassen?
"Aber dann habe ich verstanden das ich nicht mehr Frei bin." Lilly wandte sich um und ließ sich wieder auf den Hocker fallen.

"Ich könnte nie frei sein, wenn ich euch allein lassen würde, verstehst du? Ich würde immer mit diesem Wissen leben müssen. Und das kann ich nicht. Aus diesem Grund helfe ich euch. Für mich- für meine Freiheit."
Ich schluckte und starrte zu Boden.

Auf dieser Reise verschwammen die Grenzen zwischen Gefangenschaft und Freiheit, aber sie wurden auch klarer.
Doch für den Moment merkte ich, daß es zu viel wurde.
Ich musste mich bewegen, frische Luft schnappen und nicht nur an das bevorstehende denken.

"Könnten wir jagen gehen?"
Lilly sah auf.
"Klar! Er sollte mitkommen." Sie nickte zu Jason.
Lilly nahm wieder ihren Rucksack, zog das flache Messer heraus und ging los zur Tür.
Ich setzte mich auf und rüttelte Jason leicht an der Schulter.
Er sah blinzelnd zu mir auf.
"Wir gehen jagen. Und vielleicht dann auch Frieden schaffen."
Er lächelte.
"Ein guter Vorsatz für einen neuen Tag!"

Die letzten Blätter der Bäume bewegten sich in dem kalten Wind.
Morgendliche Sonnenstrahlen schienen zwischen den kahlen Ästen hindurch auf den Laubbedeckten Boden hinab.
Wir stapften durch die braunen Blätter und hielten nach Beute ausschau.
Doch Lilly hatte recht gehabt.
Hier gab es nicht viel Beute zu holen.

"Wir müssen weiter in das Teretorium der Fremden", stellte Jason fest.
Lilly nickte bloß und stapfte voran.
Ich starrte die Blätter an.
Bald würde der Winter kommen und somit die kälteste Jahreszeit.
Auch eine der härtesten in unserem Dorf.
Die Beute verkroch sich und auch das was wir anbauten, konnten wir in dieser Zeit nicht ernten.
Doch trotzdem hatte Alan diese Jahreszeit geliebt.
Ich sah ihn vor meinem inneren Auge, wie er aus dem neu gefallenen Schnee eine Kugel formte und sie zu mir herüber warf.
Der Schneeball hätte mich genau getroffen, wäre ich nicht ausgewichen.

Wir hatten oft als Kinder im Schnee gespielt.
Er hatte es geliebt mich mit dem Schnee abzuwerfen, aber kaum hatte er mich getroffen, rannte er zu mir hin und fragte mich ob alles okay sei.
Ich lachte immer und schmiss ihm Schnee ins Gesicht, worauf er ebenfalls in mein Lachen einfiel.

Evelyn Rose - GefangenschaftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt