2. Kapitel

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Die Sonne war schon aufgegangen, doch ich beachtete den sonst so wunderschönen Himmel nicht.
Ich kniete immer noch auf dem Steg, Alans Kopf in meinem Schoß.
Das Murmeln wurde lauter, nahezu unerträglich, doch es verstummte sofort, wenn ich in die Augen meines toten Bruders starrte. Ich blendete sie aus – die Stimmen aus denen ich manchmal meinen Namen heraushörte, sowie Alans.
Die Leute aus meinem Dorf, die um mich herum standen, tuschelten über mich.
Ich wusste nicht, was sie redeten. Ich hörte nicht zu. Wie erstarrt saß ich da, nur ab und zu streichelte ich über Alans Gesicht.
Ich bekam nichts von alledem mit, was um mich herum passierte.
Es war als wäre all dies ganz weit weg.
Plötzlich packte mich eine Hand an der Schulter und als ich aufblickte erkannte ich das Gesicht von Arthur.
Er war ein wichtiger Mann in diesem Dorf, er regelte, was es zu regeln gab und jeder hörte auf ihn.
Doch ich beachtete ihn nicht weiter.
Ich blickte wieder zu Alan und erneut rollte eine Träne über meine Wange.
Arthur rüttelte mich, sein Mund bewegte sich, doch ich hörte keine Worte.
Ich schüttelte den Kopf. Er sollte mich alleine lassen. Alleine mit meinem Toten Bruder.
Er musste mich Trauern lassen.
Doch das tat er nicht. Je stärker er an mir rüttelte, desto mehr erwachte ich aus meiner Erstarrung.
Die Stimmen wurden lauter, egal wie verzweifelt ich versuchte sie zurück zu drängen – mich allein zu lassen, so wie es meine Familie getan hatte.
Doch alles wurde lauter.
Die laute Stimme Arthurs, die meinen Namen rief.
Das Murmeln aller Leute meines Dorfes, die sich hier versammelt hatten.
»Evelyn!« Ich blickte auf. Arthur blickte mich aus kalten Augen an.
Sein dunkelbraunes Haar hing in fettigen Strähnen über sein Gesicht. Er kniff die Augen zusammen, als verurteilte er mich wegen irgendetwas.
Was hatte ich getan?
»Er... Er ist Tod«, brachte ich heraus, bevor meine Stimme brach.
»Das sehen wir Evelyn«, erwiderte Arthur und ein kleines bisschen Mitleid schwang in seiner Stimme mit.
Dann verengten sich seine Augen erneut.
»Die Frage ist nur, wer ihn getötet hat.«

»Ich war es nicht!« Mein Geschrei war durch das ganze Dorf zu hören, vermutlich schallte es zu jedem Haus, zu den Leuten die noch drinnen waren und sich nun fragten was passiert sei.
Doch der kräftige Griff des Mannes, der mich nun festhielt wurde kein bisschen lockerer.
Arthur winkte leicht mit den schmalen Fingern und ein zweiter Mann packte meinen anderen Arm.
Ich starrte die Menschen um mich herum mit großen Augen an. Sie mussten doch irgendetwas tun. Sie müssten doch wissen, dass ich meinen Bruder nicht... getötet hatte.
Doch sie rührten sich nicht. Niemand von ihnen sah mich an. Sie schauten zu Arthur, in das funkelnde Wasser des See oder zu dem Leichnam meines Bruders. Aber niemand traute sich mich anzusehen.
Ein weiterer Wink von Arthur und die Männer zerrten mich weg von den Leuten und meinem Bruder.
Ein Ruck ging durch meinen Körper, ich wehrte mich, trat um mich und schrie immer wieder die selben Worte, während die beiden Männer mich vom Steg zogen.
»Ich war es nicht. Ich habe niemals meinen eigenen Bruder getötet!«
Sie beachteten mich nicht, schleiften mich einfach weiter.
Ich drehte meinen Kopf und sah zu Arthur, der genau neben Alans Leiche stand und mir hinterher schaute.
»Ich habe es nicht getan«, brüllte ich, doch er rührte sich nicht, gab den Männern nicht den Befehl mich loszulassen. Er starrte mir einfach hinterher, genauso wie die anderen Menschen, die sich auf und um den Steg versammelt hatten.
Sie starrten mich hasserfüllt, entsetzt oder angsterfüllt an.
Sie hatten Angst vor mir.
Ich hatte nichts getan, doch das begriffen sie nicht.
Sie verdächtigten mich des Mordes, und das auch noch an meinem eigenen Bruder.

Die Tür knallte hinter den beiden in Männern zu und ich befand mich in völliger Dunkelheit.
Sie hatten mich in den Fensterlosen Raum eingesperrt, der sonst als Lebensmittel Lagerraum diente.
Um meine Handgelenke schlangen sich dicke Seile.
Die Fasern kratzten an meiner Haut und hinterließen rote Striemen als ich an ihnen zerrte.
Sie sperrten mich ein und fesselten mich.
Ein vierzehn jähriges Mädchen, welches immer hier gewohnt hatte und das Dorf nie in Schwierigkeiten brachte.
Ich jagte für die Bewohner dieses Dorfes, wie so viele von uns. Ich hielt mich an die Regeln, besuchte gemäß der Anordnungen die Schule und trotzdem beschuldigte mich Arthur des Mordes. Er dachte ich könnte so etwas tun.
Das Bild von Alan geisterte in meinem Kopf herum, brannte sich schmerzhaft in mein Gedächtnis. Ich spürte eine einzelne und auch letzte Träne meine Wange herunter laufen. Ich konnte nicht mehr weinen.
Ich hatte all meine Tränen schon vergossen.

Es war später Nachmittag - wenn mich mein Zeitgefühl nicht täuschte – als sich die Tür öffnete und Arthur den Raum betrat. 
Er hielt eine Laterne in der Hand, nach ihm kamen die beiden Männer, die mich vorhin so grob weggezerrt hatten in den Raum.
Ohne mich eines Blickes zu würdigen schlossen sie die Tür hinter sich und starrten an die Holzwand des Hauses.
Nur der eine der beiden, ein blonder kräftig gebauter Mann, sah mich kurz an und verzog fast entschuldigend das Gesicht. Doch er schaute so schnell wieder weg, dass ich mir nicht sicher war, ob ich es mir nicht doch eingebildet hatte.
Arthur stellte die Laterne vor mir ab, blieb aber stehen, sodass er nun abschätzig auf mich herabschauen konnte.
Ich hatte nicht die Kraft um aufzustehen, so gern ich es in diesem Moment auch getan hätte.
Ich starrte einfach nur zu ihm hoch und hielt seinem Blick stand.
»Wir haben Alan begraben«, verkündete Arthur ohne mit der Wimper zu zucken.
Jetzt fuhr ich doch hoch, aber die Fesseln hielten mich davon ab auf Arthur los zu gehen, so wie einen Hund der mit der Kette an seine Hütte gekettet war, um ja nicht abzuhauen.
»Das können sie nicht-«
Es missfiel mir, ihn so anzusprechen, doch er stand immer noch über mir.
Er traf die Entscheidungen. Auch die Entscheidung was mit mir passieren würde.
Aber trotzdem hatte er meinen Bruder beerdigt, ohne mich.
Ich hatte nicht meinen Abschied aussprechen können, so wie es in diesem Dorf üblich war.
»Doch, das kann ich.« Fast dachte ich, dass ein Lächeln über Arthurs Gesicht huschte. Aber das konnte nicht sein. Kein Mensch war so grausam und lächelte in so einer Situation. Ich musste es mir eingebildet haben.
»Ihr habt keine Beweise, dass ich es getan habe.«
»Nein, aber wir hoffen das du es zugibst.
Wir wollen in diesem Dorf nicht leben, wenn jeder lügt.
Wir müssen uns gegenseitig vertrauen können.«
Ich starrte Arthur einfach nur an. Das mit dem Vertrauen klappte ja wunderbar, so wie alle mir nicht glaubten, dass ich meinen Bruder nicht umgebracht hatte.
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie einer der Männer zustimmend nickte, nicht der blonde, sondern einer mit glatten schwarzen Haaren.
Dann schüttelte ich langsam den Kopf und starrte Arthur fest in die Augen.
»Ich kann nichts zugeben, was ich nicht getan habe.«


Willkommen zu einem neuen Kapitel!
Wie findet ihr es?
Was glaubt ihr wird jetzt passieren, da man Evelyn für eine Mörderin hält?
Das werdet ihr im nächsten Kapi herausfinden!

Danke das ihr mir und meinem Buch eine Chance gebt, und bis hierher gelesen hab und es vielleicht noch weiterhin tut! ❤️ :D

Bis bald!

Evelyn Rose - GefangenschaftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt