6. Kapitel

84 24 36
                                    

Erschöpft ließ ich mich gegen den kräftigen Stamm einer Kiefer sinken.
Die raue Rinde bohrte sich in meinen Rücken, doch ich beachtete es kaum.
Ich starrte nun schon seit einer geraumen Zeit in die Flammen, die sich immer noch an den Holzhäusern des Dorfes zehrten.
Das Licht war so hell, dass meine Augen anfingen zu brennen.
Das lodernde Feuer verschwamm vor mir zu einer orange-roten Masse.
Fast konnte ich die Hitze bis hierhin spüren
Ich blinzelte und wandte schließlich doch den Blick ab.
Das letzte Licht der Sonne war verschwunden und die Bewohner unseres Dorfes hatten Fackeln aufgestellt, die mit ihrem lodernden Licht die Dunkelheit durchleuchteten.
Ein seltsamer Anblick. Nicht weit von uns entfernt stand das Dorf in Flammen und brannte hell und wir zündeten Fackeln an. Noch mehr Feuer.
Mein Blick wanderte über die Menschen, die im Schutz der Bäume kauerten.
Einige unterhielten sich tuschelnd, andere saßen alleine auf dem Boden und starrten in die Flammen.
Ich hörte irgendwo jemanden schluchzen, doch ich konnte nicht ausmachen woher es kam.
Ein paar Meter von mir entfernt entdeckte ich den blonden Mann - Frank, der ebenfalls mit dem Rücken zum Baumstamm dasaß und still beobachtete, wie einer der Heiler die noch immer blutende Schnittwunde an seinem Bein versorgte.
Der Heiler stand auf, nahm seine Medizintasche und klopfte Frank auf die Schulter, bevor er zum nächsten Verwundeten ging.
Frank schloss die Augen und lehnte den Kopf an den Baumstamm.
Ich wandte meinen Blick ab, sah hinüber zum See.
In der dunklen, glatten Oberfläche spiegelte sich der Mond.
Keine einzige Wolke verdeckte den silbrigen Schein des Mondes, der sich rund wie eine Kugel von dem Nachthimmel abhob.
Vollmond.
In einer Vollmond Nacht würde dieses Dorf abbrennen und ich wusste, dass ich das nie vergessen würde.

Er schlich sich so leise an, dass ich ihn nicht kommen hörte und zusammenzuckte, als er sich zu mir setzte.
Der hochgewachsene schwarzhaarige Junge zog die Beine an den Körper und stützte einen Ellenbogen auf den Knien ab.
Er warf mir einen schnellen Blick zu.
»Du hast vorhin gut mitgeholfen, wie so viele andere, trotz allem was passiert ist.«
Was hätte ich sonst machen sollen, einfach mitansehen wie die Bewohner meines Zuhauses starben?
Ich blieb still, sagte nichts und wandte den Blick wieder zum Dorf.
Aus dem Augenwinkel sah ich, dass der Junge das auch tat.
»Ich heiße Jason«, meinte er dann nach kurzem Schweigen.
Er wusste wie ich hieß, also sagte ich nichts und zeigte ihm nur mit einem knappen nicken das ich ihn gehört hatte.
Aus irgendeinem Grund war ich Dankbar das überhaupt ein Mensch normal mit mir sprach. Wenn man das unter den Umständen so nennen konnte.
Die anderen Bewohner legten mich zwar nicht wieder in Fesseln, oder redeten darüber was sie mit mir vorhatten, aber manche warfen mir trotzdem noch verstohlene Blicke zu. Aber warum dieser Jason überhaupt mit mir sprach, war mir nicht klar.
»Arthur ist weg.«
Überrascht wandte ich mich dem hochgewachsenen Jungen zu, der mich auch ansah.
In dem flackernden Licht des Feuers blitzten seine Augen merkwürdig.
»Anscheinend haben ihn die... Feinde mitgenommen.«
Ich runzelte die Stirn.
»Und warum hätten sie das tun sollen?«
Jason zuckte mit den Schultern und öffnete den Mund als wollte er etwas sagen, doch er wurde von einer dünnen, brüchigen Stimme unterbrochen.
»Wisst ihr wo meine Mutter ist?" Überrascht schaute ich auf.
Ein kleines Mädchen stand vor mir. Die braunen Haare waren zu zwei schönen Zöpfen geflochten worden. Die großen Augen über der Stupsnase sahen mich bittend an.
»Nein, tut mir leid. Frag doch noch ein paar der anderen«, sagte Jason und Mitgefühl schwang in seiner Stimme mit.
Das kleine Mädchen sah zu mir, doch ich schüttelte den Kopf.
»Tut mir leid, ich weiß es leider auch nicht.«
Das Mädchen nickte langsam und ging dann weiter, den Blick zum Boden gerichtet.
Jason sah dem Mädchen hinterher, bis es etwa zehn Meter von uns entfernt war, dann starrte er wieder zum Dorf herüber.
»Die Mutter des Mädchens war die Frau, die als aller erstes erschossen wurde.« In seiner Stimme lag kein Mitgefühl, keine Trauer.
Sein Gesichtsausdruck blieb unverändert, nahezu Gefühlslos.
»Warum hast du es ihr nicht gesagt?«, fragte ich und runzelte die Stirn.
Er erwiderte lange Zeit nichts, und ich merkte wie meine Augenlider schwer werden, und drohten zuzufallen.
Mein Kopf sank zur Seite und die Flammen verschwammen vor meinen Augen.
Ich hörte das Jason aufstand.
»Weil ich das nicht kann«, sagte er, doch ich bekam es kaum noch mit. »Weil ich ihr nicht das erzählen kann, was ihr ganzes Leben verändern wird.«
Meine Gedanken drifteten ab und ich sank in die Welt der Träume.

Evelyn Rose - GefangenschaftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt